Spruch
L518 2300089-1/9E Schriftliche Ausfertigung des am 18.11.2024 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , am XXXX geb., Staatsangehörigkeit Armenien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2024, Zl. XXXX , wegen §§ 7, 8, 10 und 57 AsylG 2005 und §§ 46, 52, 53 und 55 FPG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2024, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger Armeniens reiste gemeinsam mit seinem Bruder am 06.09.2014 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als „BFA“ bezeichnet) vom 01.07.2015, 1030896910/14946427, stattgegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Beweiswürdigend wurde dabei ausgeführt, dass der Bruder des BF aufgrund seiner politischen Aktivitäten in Armenien aus begründeter Furcht vor einer (politischen) Verfolgung den Herkunftsstaat verlassen hat und dass deswegen auch beim BF im Falle des Verbleibes bzw. der Rückkehr nach Armenien, eine politisch motivierte Verfolgung nicht auszuschließen sei.
I.2. Aufgrund von gravierenden politischen Veränderungen in Armenien in den Jahren nach der Ausreise des BF, erlangte Armenien den Status eines sicheren Herkunftsstaates (Herkunftsstaaten-Verordnung und BGBl. II Nr. 25/2018).
I.3. Wegen der geänderten Lage im Herkunftsstaat wurde dem Bruder des BF und dessen Familie, der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ erteilt, der Status des Asylberechtigten rechtskräftig aberkannt und ein subsidiärer Schutzstatus nicht zuerkannt.
I.4. Mit Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, XXXX , wurde der BF in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 22. Januar 2022 in Klagenfurt unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht, versucht hat, eine namentlich genannte Frau zu töten, indem er ihr mit einem ca. 28 cm langen Messer mit einer Klingenlänge von 15 cm unzählige Stiche gegen den Kopf, Hals, Schulter- und Oberkörperbereich versetzte, mithin eine Tag begangen hat, die ihn außer diesem Zustand als das mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen wäre und nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat zu befürchten ist, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich schwere Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, begehen werde.
I.5. Vom BFA wurde deswegen am 23.01.2022 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.
I.6. Mit Beschluss des BG Hollabrunn vom 20.03.2023, Zeichen XXXX , wurde der Mag. XXXX , mit der gerichtlichen Erwachsenenvertretung beauftragt.
I.7. Dem gerichtlich bestellten Erwachsenenvertreter wurde mit Schreiben des BFA vom 15.05.2024, ein Parteiengehör wegen der beabsichtigten Aberkennung des Asylstatus des BF gewährt.
In seiner Stellungnahme teilte Mag. XXXX mit, dass ihm das Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 09.09.2022, welches von der Staatsanwaltschaft zu XXXX beauftragt wurde, nicht vorliegt, weswegen er nur ausführen kann, dass im Falle der Nachvollziehbarkeit und lege artis Erstellung des Gutachtens, keine Gründe bestehen, die gegen die Aberkennung des internationalen Schutzes sprechen.
I.8. Vom forensisch-therapeutischen Zentrums XXXX wurde am 03.09.2024 telefonisch mitgeteilt, dass am 27.07.2024 letztmalig eine Überprüfung über den Verbleib des BF im Maßnahmenvollzug stattgefunden hat. Der nächste Überprüfungstermin werde in einem Jahr stattfinden.
I.9. Mit im Spruch genannten Bescheid des BFA wurde dem BF der ihm mit Bescheid/Erkenntnis vom 01.07.2015, Zahl: 1030896910/14946427 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß 7 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG 2005, aberkannt und gemäß § 7 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 FPG wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 0 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 FPG wurde ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich aus den aktuellen Länderfeststellungen, sowie dem Umstand, dass Armenien als sicherer Herkunftsstaat gilt, grundlegende und dauerhafte Veränderungen im Herkunftsstaat seit der Asylzuerkennung ergeben haben. Es kann deswegen festgehalten werden, dass der BF heute keine begründete Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr hat, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen war. Zur abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben. Hinsichtlich dem unbefristeten Einreiseverbot wurde festgehalten, dass sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt, dass der BF sowohl gegenwärtig als auch in Zukunft eine schwerwiegende Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit von anderen Personen darstellt. Unbestritten ist auch das Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, wodurch er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde. Aus dem vorliegendem Sachverständigengutachten und dem Urteil des LG Klagenfurt kommt die Behörde zur Feststellung, dass nur eine dauerhafte Unterbringung im Maßnahmenvollzug oder aber eine dauerhafte Außerlandesbringung eine weitere Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der österreichischen Bevölkerung abwenden kann.
I.10. Gegen diesen Bescheid wurde von der rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten des BF führten, nicht hinreichend geprüft und den BF zu dem Bestehen der Fluchtgründe nicht einvernommen hat. Der BF lebt seit 10 Jahren in Österreich und ist hier aufgewachsen und stark verwurzelt. Er ist mit demokratischen Werten aufgewachsen, welche stark in ihm verankert sind. Als Rückkehrer, welche sich dem Regime widersetzt und im Falle einer Rückkehr auch widersetzen würde, droht ihm kumulativ asylrelevante Verfolgung aufgrund einer zumindest unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung als auch die Verletzung seines Rechts auf Leben nach Art. 2 EMRK und einer Verletzung des Verbots der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung gem. Art. 3 EMRK. Aufgrund des langjährigen Aufenthalts des BF ist daher festzuhalten, dass dieser ein höchst schützenswertes Familien- und Privatleben in Österreich aufgebaut hat. Zudem ist der BF von seinem Herkunftsland entfremdet, da er seit XXXX in Österreich aufhältig ist. Der belangten Behörde ist zudem vorzuwerfen, keine abschließende Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des BF vorgenommen und die vermeintlich vom BF ausgehende Gefährdung nicht im erforderlichen Ausmaß geprüft zu haben. Die belangte Behörde unterlässt es daher vollständig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie lange die vermeintlich vom BF ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist.
Beantragt werde jedenfalls eine mündliche Verhandlung, weiters den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang ersatzlos zu beheben und festzustellen, dass dem BF der Status des Asylberechtigten nicht gemäß § 7 Abs 1 AsylG 2005 abzuerkennen ist und dem BF daher der Status des Asylberechtigten zukommt; in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 AsylG Abs. 1 Z 1 zuzuerkennen; den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot aufgehoben, die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG erteilt wird; in eventu die Unzulässigkeit der Abschiebung nach Armenien festzustellen und auszusprechen, dass der Aufenthalt des BF gemäß § 46a FPG geduldet ist; In eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich des Spruchpunktes VII. ersatzlos zu beheben; den angefochtenen Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung – bezüglich des Spruchpunktes VII. dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Einreiseverbotes mit einer geringeren Dauer bemessen wird; in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen; die ordentliche Revision zuzulassen.
I.11. Am 18.11.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, samt seiner rechtsfreundlichen Vertretung, Beamten der Justizwache, sowie einer Dolmetscherin für die armenische Sprache durchgeführt.
Am Ende der Verhandlung wurde das Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet, wobei die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend wurde ua. ausgeführt Wenn die belangte Behörde ausführt, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat grundlegend und dauerhaft verändert bzw. verbessert haben und Armenien ein sicherer Herkunftsstaat ist, war dieser Einschätzung nicht entgegenzutreten. Gegenteiliges vermochte auch der Beschwerdeführer im Rahmen der öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht plausibel und nachvollziehbar zu begründen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Heimatland eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre. Hinsichtlich der vorgebrachten Erkrankung (paranoide Schizophrenie) wird folgendes erwogen:
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Armenien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin Il VO zwingend auszuüben wäre. Aufgrund der hier vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung mag zwar nicht entgegengetreten werden, als hieraus ableitbar ist, dass die Gesundheitsversorgung nicht kostenlos und nicht auf gleichem Niveau wie in Österreich gewährleistet ist, eine Überstellung nach Armenienführt jedoch nicht zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Vielmehr wurde der BF — wie in der Beschwerdeverhandlung erörtert - in erheblicher Weise delinquent und befindet sich dieser aufgrund eines versuchten Mordes in einem Maßnahmenvollzug. Ebenso erweist sich das unbefristet erlassene Einreiseverbot, insbesondere in Ansehung des der Tat zu Grunde liegenden Fehlverhaltens, sowie des im strafrechtlichen Verfahren herangezogenen fachmedizinischen Sachverständigenbeweises, als dringend geboten und sohin als rechtskonform. In Ansehung der St. Judikatur des VwGH sind schwere Verbrechen Tötungsdelikte, Vergewaltigungen, Kindesmisshandlungen, Brandstiftungen, Drogenhandel und bewaffneter Raub (VwGH vom 10.06.1999, 99/01/0288).
I.12. Mit Eingabe vom 18.11.2024 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.
I.13. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger von Armenien. Der BF ist Fremder und Drittstaatsangehöriger gem. § 2 Abs 4 Z 1 iVm § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Er besuchte in Armenien acht Jahre lang die Schule und absolvierte danach eine Ausbildung zum Goldschmied. Vor der Ausreise war er als Juwelier in XXXX tätig. Er reiste im September 2014 in Österreich ein. Die Identität des BF steht fest.
Vom Facharzt für Psychotherapie und Neurologie, Dr. XXXX , wurde in seinem Sachverständigengutachten vom 09.02.2022, XXXX , festgestellt, dass der BF seit zumindest 2018 an einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) leidet, welche sich in erster Linie in Form wahnhafter Einengungen darstellt. Weiters führte Dr. XXXX aus, dass in Bezug auf die Gefährlichkeit insbesondere die völlige Uneinsichtigkeit in seine Erkrankung als besonders erschwerend erscheint. Dem BF wurden die Medikamente Olazepin und Risperdal verschrieben. Eine Behandlung psychischer Erkrankungen im Herkunftsland ist möglich.
Aufgrund der Erkrankung des BF wurde diesem mit Beschluss des BG Klagenfurt vom 09.08.2022, XXXX , Mag. XXXX als Erwachsenenvertreter für behördliche Angelegenheiten und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sowie zur Vertretung in gerichtlichen Verfahren, beigegeben.
In XXXX leben noch die Eltern, eine Schwester, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, es handelt sich um ca. 15 Personen. Die Mutter ist als Putzfrau bei einer Bank beschäftigt, der Vater ist Gemüsehändler. Sowohl die Eltern, als auch die Schwester verfügen über Eigentumswohnungen. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern.
Der BF reiste am 06.09.2014 in Österreich ein und hält sich seitdem hier durchgehend auf. Er lebt mit keiner Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und ist für niemanden sorgepflichtig. Im Bundesgebiet lebt ein Bruder mit seiner Familie, es besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis. Der BF brach auf eigenen Wunsch den Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie ab. Dem Bruder und seinen Kindern wurde der Status des Asylberechtigten aberkannt und ein subsidiärer Schutzstatus nicht zuerkannt, allen wurde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Der BF war zu folgenden Zeiten im Bundesgebiet legal berufstätig: von 14.09.2015 bis 26.08.2016 als Arbeiter bei XXXX GmbH in Niederdorf, von 04.09.2017 bis 26.10.2017 als Arbeiterlehrling beim XXXX in Wien, vom 01.04.2019 bis 20.04.2019 und vom 05.08.2019 bis 29.08.2019 als Arbeiter bei der XXXX KG in Klagenfurt, vom 23.04.2019 bis 26.04.2019 als Arbeiter bei der XXXX KG in Klagenfurt. Die restliche und somit überwiegende Zeit lebte er von Sozialleistungen.
Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen. Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.
Die den BF betreffende Lage in seinem Herkunftsstaat hat sich maßgeblich geändert und es liegen keine Hinweise auf eine ihn aktuell treffende Gefährdungs- oder Bedrohungslage vor. Auch die allgemeine Lage in Armenien und die dortige Sicherheitslage hat sich seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den BF deutlich und anhaltend verbessert.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Armenien droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.
Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.
II.1.2. Zum bisherigen Verfahren des BF:
Der BF reiste gemeinsam mit seinem Bruder am 06.09.2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 01.07.2015, 1030896910/14946427, stattgegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Beweiswürdigend wurde dabei ausgeführt, dass der Bruder des BF Mitglied der Partei ORINAZ JERKI war und sich an mehreren regimekritischen Demonstrationen beteiligte, weswegen die Familie mehrere Drohanrufe erhielt. Der Bruder des BF erstattete deswegen Anzeige bei der Polizei und nahm weiterhin an Demos teil. Aus diesem Grund wurde der BF von unbekannten Tätern zusammengeschlagen, um so seinen Bruder von seinem politischen Engagement abzuhalten. Nachdem er im Krankenhaus behandelt wurde, hat der BF bei der Polizei Anzeige erstattet, diese hätte jedoch kein Ermittlungsverfahren geführt. Nachdem sein Bruder den Wohnsitz wechselte und weiterhin an Demos teilnahm, wurde er in weiterer Folge in seinem Geschäft überfallen. Die Täter hätten ihn dabei gezwungen Gold zu verkaufen und ihnen 30.000 USD zu übergeben. Nach der Geldübergabe wäre der Bruder des BF im Falle weiterer Demoteilnahmen mit zusätzlichen Konsequenzen bedroht worden. Aus diesem Grund verließ der Bruder mit seiner Familie und dem BF Armenien. Zum Zeitpunkt der Entscheidung im Jahr 2014 konnte nicht mit maßgeblicher Sicherheit festgestellt werden, dass die armenischen Sicherheitsbehörden fähig wären, ausreichend Schutz zu bieten. Dem BF wurde aufgrund der politischen Tätigkeit seines Bruders der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, weil eine Verfolgung durch politische Gegner nicht ausgeschlossen werden konnte und Armenien nicht schutzfähig und schutzwillig war.
Die den BF betreffende Lage in seinem Herkunftsstaat hat sich jedoch maßgeblich geändert. Armenien gilt seit 2018 als sicherer Herkunftsstaat. Dies ergibt sich aus dem § 1 Z 13 der aktuellen Herkunftsstaaten-Verordnung. § 1 Z 13 bis 15 in der Fassung der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. II Nr. 25/2018, tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. Die Kundmachung erfolgte am 14.02.2018.
Aufgrund seiner abscheulichen Tat wurde vom BFA gegen den BF am 23.01.2022 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.
Mit Beschluss des BG Hollabrunn vom 20.03.2023, Zeichen XXXX , wurde Mag. XXXX , mit der gerichtlichen Erwachsenenvertretung des BF beauftragt. Mit Schreiben des BFA vom 15.05.2024, wurde dem Erwachsenenvertreter des BF ein Parteiengehör wegen der beabsichtigten Aberkennung seines Asylstatus gewährt. In seiner Stellungnahme teilte Mag. XXXX mit, dass ihm das Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 09.09.2022, welches von der Staatsanwaltschaft zu XXXX beauftragt wurde, nicht vorliegt, weswegen er nur ausführen kann, dass im Falle der Nachvollziehbarkeit und einer lege artis Erstellung des Gutachtens keine Gründe bestehen, die gegen die Aberkennung des internationalen Schutzes sprechen.
Mit im Spruch genannten Bescheid des BFA wurde dem BF der ihm mit Bescheid/Erkenntnis vom 01.07.2015, Zahl: 1030896910/14946427 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß 7 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG 2005, aberkannt und gemäß § 7 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 FPG wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 FPG wurde ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Beweiswürdigend wurde vom BFA dabei ausgeführt, dass sich aus den aktuellen Länderfeststellungen, sowie dem Umstand, dass Armenien mittlerweile als sicherer Herkunftsstaat gilt, grundlegende und dauerhafte Veränderungen im Herkunftsstaat seit der Asylzuerkennung ergeben haben. Es kann deswegen festgehalten werden, dass der BF heute keine begründete Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr hat, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen war. Zur abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben. Hinsichtlich dem unbefristeten Einreiseverbot wurde festgehalten, dass sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt, dass der BF sowohl gegenwärtig als auch in Zukunft eine schwerwiegende Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit von anderen Personen darstellt. Unbestritten ist auch das Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, wodurch er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen wurde. Aus dem vorliegendem Sachverständigengutachten und dem Urteil des LG Klagenfurt kommt die Behörde zur Feststellung, dass nur eine dauerhafte Unterbringung im Maßnahmenvollzug oder aber eine dauerhafte Außerlandesbringung eine weitere Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der österreichischen Bevölkerung abwenden kann.
II.1.3. Zur Strafbarkeit des BF:
Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der LPD Wien - scheint folgende Verurteilung auf:
LG KLAGENFURT, XXXX vom 06.07.2022 RK 12.07.2022, § 15 StGB § 75 StGB Datum der (letzten) Tat 22.01.2022, Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 STGB.
Festgestellt wird, dass die Unterbringung des BF in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gem. § 21 Abs. 1 StGB vom LG Klagenfurt am 06.07.2022 angeordnet wurde, weswegen im gegenständlichen Verfahren nicht nur der Tatbestand des § 53 Abs. 3 FPG, sondern auch jener des Abs. 6 FPG erfüllt ist. Dies bedeutet, dass die Unterbringung einer Verurteilung iSd § 53 Abs. 3 Z 1, 2 und 5 FPG gleichzuhalten ist.
Vom Facharzt für Psychotherapie und Neurologie, Dr. XXXX , wurde in seinem Sachverständigengutachten vom 09.02.2022, XXXX , festgestellt, dass der BF an einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) leidet, welche sich in erster Linie in Form wahnhafter Einengungen darstellt. Entsprechend dem klaren, nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Gutachten des SV Dr. SCHAUTER sind mit Blick auf das dargestellte Krankheitsbild, das einer geistig seelischen Abartigkeit von höherem Grad entspricht, auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen bzw. Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen, wie z.B. gefährliche Drohung, schwere Körperverletzung, Totschlag bis hin zu Mord, zu erwarten. Weiters führte Dr. XXXX aus, dass in Bezug auf die Gefährlichkeit insbesondere die völlige Uneinsichtigkeit in seine Erkrankung als besonders erschwerend erscheint. Der BF sieht sich selbst als nicht krank an. Dem BF wurden die Medikamente Olazepin und Risperdal verschrieben.
II.1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.
Zur abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung 2024-11-15 17:25
Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche der Länderinformationen zu Armenien die Situation in Berg-Karabach, die seit September 2023 zu Aserbaidschan gehört und mit Jänner 2024 aufgelöst wurde, nicht ein.
Armenien wird in Österreich laut Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) derzeit als sicherer Herkunftsstaat geführt. Vom länderkundlichen Standpunkt aus geben die jüngsten Aktualisierungen der Länderinformationen zu Armenien keinen Anlass zur Änderung der länderkundlichen Einschätzung zur Eigenschaft als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der HStV.
COVID-19
Letzte Änderung 2024-11-06 11:43
Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.
Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Am 5. Mai 2023 hat die WHO das Ende der internationalen gesundheitlichen Notlage (PHEIC) für Covid-19 erklärt (AA 17.5.2023).
Quelle
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (17.5.2023): Covid-19, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/reise-gesundheit/reisemedizinische-hinweise/Coronavirus/-/2309820, Zugriff 14.10.2024
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-11-06 11:49
Die armenische Verfassung sieht eine parlamentarische Republik mit einer Einkammer-Legislative, der Nationalversammlung (Parlament), vor. Der vom Parlament gewählte Premierminister steht an der Spitze der Regierung; der ebenfalls vom Parlament gewählte Präsident hat weitgehend eine zeremonielle Funktion (USDOS 20.3.2023). Der Präsident wird vom Parlament für eine einzige siebenjährige Amtszeit gewählt. Die meiste Exekutivgewalt liegt beim Premierminister, der von einer Parlamentsmehrheit gewählt wird. Im Januar 2022 trat der vor der Revolution von 2018 gewählte Präsident Armen Sargsyan zurück. Vahagn Khachaturyan, der als Minister für Hightech-Industrie tätig war, wurde zum neuen Präsidenten gewählt (FH 2024a).
Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für fünf Jahre nach dem Verhältniswahlrecht mit geschlossenen Listen gewählt werden. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und es können weitere Sitze hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 2024a).
Laut OSZE-Wahlbeobachtern sind die Parlamentswahlen von 2021 frei und fair gewesen (AA 5.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024, FH 2024a). Die Grundrechte und -freiheiten wurden im Allgemeinen geachtet, und die Kandidaten konnten ihren Wahlkampf frei führen (USDOS 23.4.2024). Die Regierungspartei „Bürgerlicher Vertrag“ von PM Paschinjan ist aus den Wahlen 2021 als stärkste Partei hervorgegangen. Sie erreichte mit 54 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit, verfehlte allerdings die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. In der 107-köpfigen Nationalversammlung sind die Sitze wie folgt verteilt: 71 Sitze für die Regierungspartei, 29 Sitze für die Partei „Armenien“, 6 Sitze für die Partei „Habe die Ehre“ sowie ein Sitz für einen fraktionslosen Abgeordneten (AA 5.3.2024). Der Wahlsieg der Partei „Bürgerlicher Vertrag“ von Premierminister Nikol Paschinjan bei den vorgezogenen Parlamentswahlen ermöglichte es ihm, sein Amt zu behalten (FH 2024a).
Mit einer Reform im April 2021 wurde ein einfaches Verhältniswahlsystem auf der Grundlage eines landesweiten Wahlkreises eingeführt, und die vorgezogenen Wahlen im Juni wurden erfolgreich nach dem neuen System durchgeführt. Im Mai 2023 schlug die Regierung neue Änderungen des Wahlgesetzes vor. Die Venedig-Kommission und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichneten in einem gemeinsamen Bericht die Häufigkeit der Wahlgesetzänderungen als „auffällig“ und bedauerten, dass nicht alle früheren Empfehlungen berücksichtigt wurden (FH 2024a).
Im April 2021 nahm das Parlament Änderungen an, die härtere Strafen für Stimmenkauf, Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen und Störung des Wahlprozesses vorsehen. Sie stellten auch die Behinderung von Wahlkampfaktivitäten unter Strafe. Obwohl bei den Wahlen im Juni 2021 ein Rückgang solcher Praktiken zu verzeichnen war, berichteten internationale Beobachter weiterhin über Vorwürfe, darunter vereinzelte Vorfälle von Stimmenkauf und Missbrauch von Verwaltungsmitteln (FH 2024a).
Nach der Eroberung von Bergkarabach durch aserbaidschanische Truppen im September 2023 kam es zu einer Reihe von Demonstrationen gegen die Regierung. In Eriwan setzte die Polizei Licht- und Tontechnik gegen Demonstranten ein, die den Rücktritt von Premierminister Paschinjan forderten (FH 2024a; vgl. BAMF 25.9.2023).
Russland hat die Republik Armenien im Südkaukasus vor einer Hinwendung zum Westen gewarnt. Im Kaukasus galt Russland lange als Schutzmacht Armeniens. Doch die Beziehungen sind zuletzt abgekühlt. Armeniens Premier Nikol Paschinjan orientiert sein Land gen Westen. Russland hat daraufhin tatenlos zugesehen, wie aserbaidschanische Truppen die zwischen Eriwan und Baku umstrittene Konfliktregion Bergkarabach eroberten. Der Kreml-Pressesprecher Peskow betonte, dass Russland Armenien weiter als "Bruderland und Verbündeten" sehe. Russland wolle die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Land. Moskau unterhält in Armenien einen Truppenstützpunkt (Stern 24.7.2024).
Im März [2024] hatte Paschinjan angekündigt, die Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zu beenden, wenn das Bündnis sich nicht in zufriedenstellender Weise zur Wahrung der Sicherheit seines Landes verpflichtet. Die Beziehungen zwischen Russland und Armenien haben sich stark eingetrübt, seit Aserbaidschan die Kaukasus-Region Berg-Karabach vergangenen September gewaltsam eroberte, obwohl dort russische Friedenstruppen stationiert sind. Auch die OVKS griff nicht ein (Tagesspiegel 13.6.2024).
Die Grenzziehung zwischen Armenien und Aserbaidschan hat begonnen. Die Verantwortlichen der beiden Länder konnten sich ohne direkte ausländische Vermittlung einigen (azvision.az 1.5.2024). Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan hat sich über Verhandlungen um ein Friedensabkommen mit dem Nachbarn Aserbaidschan zuversichtlich geäußert, dass "Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan nicht nur möglich, sondern in Reichweite" ist. Paschinjan erklärte sich bereit, eine von Aserbaidschans Hauptforderungen zu erfüllen: einen Transportkorridor über armenisches Gebiet, der Aserbaidschan mit seiner Exklave Nachitschewan verbindet. Armenien sei bereit, "die Sicherheit des Transports von Frachtfahrzeugen und Menschen auf seinem Territorium in vollem Umfang zu gewährleisten". Eine weitere Hürde ist ein Passus in Armeniens Verfassung, der die Wiedervereinigung mit Bergkarabach vorsieht. Beide Seiten geben an, 80 Prozent des Abkommens seien fertig, Aserbaidschan besteht allerdings auf der Klärung aller Fragen (Zeit Online 27.9.2024; vgl. CW 2.9.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
azvision.az - azvision.az (1.5.2024): Präsident Aliyev: Abgrenzungsprozess zwischen Aserbaidschan und Armenien ohne jegliche Vermittlung durchgeführt, https://de.azvision.az/news/120996/präsident‐aliyev‐‐abgrenzungsprozess‐zwischen‐aserbaidschan‐und‐armenien‐ohne‐jegliche‐vermittlung‐durchgeführt.html, Zugriff 6.8.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (25.9.2023): Briefing Notes - Armenien/Aserbaidschan, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-28971178/Deutschland._Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW_39,_25.09.2023.pdf?nodeid=28971179 vernum=-2, Zugriff 20.9.2024
CW - Caucasus Watch (2.9.2024): Armenien und Aserbaidschan einigen sich auf den Großteil des Friedensabkommens, Paschinjan drängt auf sofortige Unterzeichnung, https://caucasuswatch.de/de/news/armenien-und-aserbaidschan-einigen-sich-auf-den-grossteil-des-friedensabkommens-paschinjan-drangt-auf-sofortige-unterzeichnung.html, Zugriff 17.10.2024
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
Stern - Stern (24.7.2024): Drohung aus Russland: Peskow warnt Armenien vor ukrainischem Weg, https://www.stern.de/politik/ausland/drohung-aus-russland--peskow-warnt-armenien-vor-ukrainischem-weg-34911450.html, Zugriff 6.8.2024
Tagesspiegel - Tagesspiegel (13.6.2024): ,,Keine Sorge, wir werden nicht zurückkehren“: Armenien wird russisches Militärbündnis OVKS verlassen, https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/keine-sorge-wir-werden-nicht-zurückkehren-armenien-wird-russisches-militärbündnis-ovks-verlassen/ar-BB1o7ZlI, Zugriff 4.10.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Zeit Online - Zeit Online (27.9.2024): Konflikt um Grenzregion Bergkarabach: Armenien sieht Friedensabkommen mit Aserbaidschan in Reichweite, https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-09/armenien-aserbaidschan-konflikt-bergkarabach-friedesnabkommen-un, Zugriff 4.10.2024
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-11-06 11:50
Das BMEIA attestiert ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten zu Aserbaidschan, während im Rest des Landes ein guter Sicherheitsstandard besteht (BMEIA 14.10.2024). Trotz Waffenstillstands bleibt die Lage angespannt und militärische Zwischenfälle im Grenzgebiet lassen sich nicht ausschließen (EDA 18.10.2024). Seit Anfang Mai kommt es in Eriwan und einigen Gebieten im Norden Armeniens verstärkt zu bislang friedlich verlaufenden politischen Demonstrationen (AA 18.10.2024).
Das Land wurde in den letzten Jahren durch den militärischen Druck Aserbaidschans stark beeinträchtigt. Im September 2023 floh fast die gesamte ethnische armenische Bevölkerung von Berg-Karabach, das seit 1994 de facto unabhängig von Aserbaidschan war, nach Armenien, nachdem das aserbaidschanische Militär die örtlichen Verteidigungskräfte besiegt und die vollständige Kontrolle über das Gebiet übernommen hatte (FH 2024a; vgl. HRW 11.1.2024).
Am 19.09.2023 hat Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region Berg-Karabach gestartet. Nur einen Tag später ergaben sich die Karabach-Armenier (BAMF 25.9.2023; vgl. Standard 28.9.2023). Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aserbaidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Paschinjan machte Moskau deshalb Vorwürfe. Russland warf Eriwan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen "großen Fehler" zu begehen (Standard 28.9.2023).
Nachdem die aserbaidschanischen Streitkräfte im September 2023 die Kontrolle über Berg-Karabach übernommen hatten, kam es zu einer Reihe von regierungsfeindlichen Demonstrationen. In Eriwan ging die Polizei mit Licht- und Schallgeräten gegen Demonstranten vor, die den Rücktritt von Premierminister Pashinyan forderten (FH 2024a; vgl. BAMF 25.9.2023). Das Helsinki-Komitee von Armenien, eine Nichtregierungsorganisation, die die Proteste beobachtete, berichtete, dass die Polizei zeitweise "unverhältnismäßige und wahllose Gewalt" anwendete (AI 24.4.2024).
Während des gesamten Jahres 2023 wurde von sporadischen Schießereien des aserbaidschanischen Militärs in den Grenzgebieten der Provinzen Gegharkunik, Syunik und Ararat berichtet (FH 2024a).
Viele Armenier werfen der traditionellen Schutzmacht Russland, die seit dem sechswöchigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 eine Friedenstruppe mit rd. 2.000 Soldaten vor Ort stationiert hat, vor, sie im Stich gelassen zu haben. Armenien ist militärisch betrachtet Aserbaidschan eindeutig unterlegen und kann nicht mehr auf die Unterstützung der russischen Führung bauen (BAMF 25.9.2023).
Nach der Massenflucht der Armenier aus Berg-Karabach kamen die meisten Menschen in der armenischen Grenzstadt Goris an. Die Flüchtlinge besitzen in der Regel bereits auch die armenische Staatsangehörigkeit oder können sie nun problemlos beantragen. Berichten zufolge wollen viele Flüchtlinge versuchen, zunächst in der Hauptstadt Eriwan unterzukommen. Armenien mit seinen rd. drei Mio. Einwohnern befindet sich in einer schweren innen- und außenpolitischen Krise, die durch die Flüchtlinge und die angespannte wirtschaftliche Situation verschärft wird. UN-Generalsekretär Guterres kündigte unterdessen eine UN-Mission in Berg-Karabach an, was laut Beobachtenden jedoch zu spät kommt und an der völkerrechtswidrigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung nichts mehr ändern kann. Armenien ist dringend auf Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Auch gibt es in Armenien ernsthafte Befürchtungen, dass Aserbaidschan unter Umständen als nächstes Ziel die territoriale Integrität Armeniens infrage stellen könnte, um sich durch den Süden Armeniens einen Landweg bzw. Korridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan zu schaffen (BAMF 9.10.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.10.2024): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872, Zugriff 18.10.2024
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.10.2023): Briefing Notes - Armenien/Aserbaidschan, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-28977447/Deutschland._Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW41,_09.10.2023.pdf?nodeid=28977971 vernum=-2, Zugriff 20.9.2024 [Login erforderlich]
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (25.9.2023): Briefing Notes - Armenien/Aserbaidschan, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/fetchcsui/-28971178/Deutschland._Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge,_Briefing_Notes,_KW_39,_25.09.2023.pdf?nodeid=28971179 vernum=-2, Zugriff 20.9.2024
BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.10.2024): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien, Zugriff 14.10.2024
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (18.10.2024): Reisehinweise für Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/armenien/reisehinweise-fuerarmenien.html, Zugriff 18.10.2024
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103145.html, Zugriff 16.1.2024
Standard - Standard, Der (28.9.2023): Behörden in Bergkarabach verkünden Auflösung der Region, https://www.derstandard.at/story/3000000188858/behoerden-in-bergkarabach-verkuenden-aufloesung-der-region, Zugriff 14.10.2024
Regionale Konfliktzone: Bergkarabach (Berg-Karabach)
Letzte Änderung 2024-11-08 08:32
Die Vertreibung ethnischer Aserbaidschaner in den frühen 1990er-Jahren führte zu einer überwiegend ethnischen armenischen Bevölkerung. Die letzte Volkszählung im Jahr 2015 ergab eine Gesamtbevölkerung von etwa 151.000 Menschen, mit kleinen Minderheiten von ethnischen Russen, Ukrainern, Jesiden, Georgiern und Syrern (FH 2024b).
Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um das ehemalige autonome Gebiet Bergkarabach (russisch: Nagorny-Karabakh; in Armenien überwiegend „Artsakh“ genannt) ist durch den verlorenen 44-Tage-Krieg im Jahr 2020, durch den Verzicht Armeniens auf territoriale Ansprüche auf dieses Gebiet, im Ergebnis durch die militärische Besetzung Bergkarabachs durch Aserbaidschan am 19./20. September 2023 und die damit verbundene Flucht von über 100.000 Armeniern faktisch entschieden. In einem auszuhandelnden Friedensabkommen gilt es, gegenseitig die territoriale Integrität Armeniens und Aserbaidschans anzuerkennen das Recht der Armenier auf Rückkehr in ihre angestammten Siedlungsgebiete bei Wahrung ihrer kulturellen und Minderheiten-Rechte sowie der Sicherheit festzuschreiben (AA 5.3.2024).
Die Republik Berg-Karabach, die sich auch Republik Artsakh nannte, genoss nach einem Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahr 1994, das einen etwa zweijährigen offenen Krieg beendete, de facto die Unabhängigkeit von Aserbaidschan, wurde jedoch nie von einem UN-Mitgliedstaat (FH 2024b; vgl. AA 5.3.2024) oder von Armenien anerkannt, praktisch waren beide wirtschaftlich und rechtlich jedoch stark verflochten. Die Bewohner von Bergkarabach haben neben ihrem „RBK“-Pass armenische Reisepässe erhalten, was jedoch nicht die Verleihung der armenischen Staatsangehörigkeit bedeutete. In Eriwan gibt es eine bergkarabachische Vertretung. Von der „RBK“ ausgestellte Reisepässe sind äußerlich nur anhand der dreistelligen Kennziffer des Ausstellungsortes von armenischen Reisepässen zu unterscheiden (AA 5.3.2024).
Die Bevölkerung des Gebiets bestand überwiegend aus ethnischen Armeniern und war aufgrund ihrer geografischen und diplomatischen Isolation auf enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Armenien angewiesen. Im Jahr 2023 kündigte die lokale Regierung ihre Auflösung an, nachdem eine von den aserbaidschanischen Behörden geführte Militäroperation zur massenhaften Abwanderung der ethnischen armenischen Bevölkerung geführt hatte. Ende des Jahres waren bilaterale Friedensgespräche zwischen der armenischen und der aserbaidschanischen Regierung im Gange, und das Gebiet von Berg-Karabach blieb weitgehend entvölkert (FH 2024b).
Die von Armenien und Aserbaidschan beim EGMR eingereichten Beschwerden, in denen sie sich gegenseitig beschuldigen, während der Kämpfe in den Jahren 2020 und 2016 Gräueltaten begangen zu haben, warten noch auf eine Entscheidung des Gerichts, ebenso wie die Beschwerden Armeniens nach den schweren Kämpfen im September 2022 entlang der internationalen Grenze und innerhalb Armeniens (USDOS 23.4.2024). Nach der Flucht von mehr als 100.000 ethnischen Armeniern aus Berg-Karabach nach Armenien Ende September kündigte das armenische Untersuchungskomitee eine Untersuchung der mutmaßlichen Verbrechen Aserbaidschans gegen die Einwohner von Berg-Karabach an. Armenien hat keine Fortschritte bei der Untersuchung mutmaßlicher Kriegsverbrechen während der Feindseligkeiten mit Aserbaidschan im Jahr 2020 gemacht, die von armenischsprachigen Tätern verübt wurden (USDOS 23.4.2024).
Politische Lage
Der Lachin-Transitkorridor, die einzige verbleibende Straße, die Berg-Karabach mit Armenien und dem Rest der Welt verbindet, wurde bis Ende September von aserbaidschanischen Kräften blockiert. Die Blockade, die Ende 2022 begonnen hatte, führte zu schweren Engpässen bei Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern, sodass UN-Experten im August die Situation als "schwere humanitäre Krise" bewerteten. Die aserbaidschanische Regierung leitete am 19. September eine Militäroperation gegen Berg-Karabach ein, die darauf abzielte, die politischen Institutionen zu zerschlagen und das Militär zu entwaffnen. Die zahlenmäßig weit unterlegenen armenischen Streitkräfte in dem Gebiet stimmten am folgenden Tag einem russischen Vorschlag für einen Waffenstillstand zu, der die Auflösung und Entwaffnung der örtlichen Streitkräfte sowie die Abtretung des Gebiets an Baku vorsah. Die örtlichen Behörden berichteten von Dutzenden von Opfern unter der Zivilbevölkerung während der kurzen Offensive. Am 28. September unterzeichnete Präsident Samvel Shahramanyan ein Dekret, das die Auflösung aller staatlichen Institutionen zum 1. Januar 2024 vorsah. Vor die Wahl gestellt, die aserbaidschanische Herrschaft zu akzeptieren oder das Gebiet zu verlassen, floh fast die gesamte armenische Bevölkerung Ende September durch den Lachin-Korridor, den die aserbaidschanischen Streitkräfte am 24. September geöffnet hatten, um den Exodus zu erleichtern, nach Armenien (FH 2024b; vgl. USDOS 23.4.2024).
Der Präsident von Berg-Karabach wurde für eine Amtszeit von bis zu zwei Jahren direkt gewählt und fungierte sowohl als Staatsoberhaupt als auch als Regierungschef und war befugt, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im März und April 2020 statt. Sie wurde weithin als die am stärksten umkämpfte Wahl in der jüngeren Geschichte Berg-Karabachs anerkannt, mit einer noch nie dagewesenen Anzahl von 14 Kandidaten und einem intensiven Wahlkampf, der umfangreiche Wahlkampfaktivitäten vor Ort und in den sozialen Medien beinhaltete. Arayik Harutyunyan, ein ehemaliger Premierminister und lokaler Geschäftsmann, gewann im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen. Der demokratischere Wahlkampf folgte auf eine politische Öffnung in Armenien im Jahr 2018, als Massenproteste gegen die Regierung und Wahlen eine etablierte Elite verdrängt hatten (FH 2024b).
Anfang September 2023 kündigte Harutyunyan seinen Rücktritt inmitten politischer Unruhen an, die durch die Blockade des Lachin-Korridors und Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der daraus resultierenden Krise ausgelöst wurden. Vor seinem Rücktritt hatte Harutyunyan im Parlament eine unter dem Kriegsrecht geltende Verfassungsänderung durchgesetzt, die es der Legislative ermöglichte, einen Interimspräsidenten zu wählen, falls der Amtsinhaber vor Ablauf seiner Amtszeit zurücktreten würde. Nach Harutyunyans Rücktritt wählte das Parlament mit 22 zu 1 Stimmen Samvel Shahramanyan zum neuen Präsidenten von Berg-Karabach. Nach dem Waffenstillstand im selben Monat unterzeichnete Schahramanyan ein Dekret, mit dem "alle staatlichen Institutionen und Organisationen, die ihren Ressorts unterstehen, bis zum 1. Januar 2024" aufgelöst wurden, und die Regierung wurde von den aserbaidschanischen Behörden abgelöst. Im Dezember erklärte Schahramanyan, der nach Armenien geflohen war, das Dekret vom September für ungültig, obwohl diese Ankündigung in Berg-Karabach keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen hatte (FH 2024b).
Die 33 Mitglieder der Einkammer-Nationalversammlung wurden über Parteilisten gewählt. Die letzten Wahlen fanden im Jahr 2020 parallel zur Präsidentschaftswahl statt. Die Parteien führten ungehindert Wahlkampf in Städten und Dörfern und beteiligten sich an Präsentationen und Debatten im Fernsehen. Die von Harutyunyan gegründete Partei Azat Hayrenik (Freies Vaterland) behielt ihre dominierende Stellung in der Legislative und gewann 16 Sitze. Die neu gegründete Oppositionspartei Miasnakan Hayrenik (Vereinigtes Vaterland) erhielt neun Sitze. Die übrigen Sitze gingen an drei andere Parteien. Nach dem Auflösungsdekret des Präsidenten vom September 2023 und der Abwanderung fast der gesamten Bevölkerung nach Armenien stellte die Nationalversammlung ihre Arbeit ein (FH 2024b).
Die Militäroperation der aserbaidschanischen Regierung in dem Gebiet im September 2023 und Schahramanyans Dekret zur Auflösung aller Regierungsorgane und -institutionen in Berg-Karabach führten Ende 2023 zur Außerkraftsetzung der bisherigen Wahlgesetze und Rahmenbedingungen. Aufgrund der Abwanderung der Zivilbevölkerung gab es in dem Gebiet keine funktionierende Institution mehr, die in der Lage gewesen wäre, die Wahlgesetze unparteiisch umzusetzen (FH 2024b).
Vor September 2023 gab es nur wenige formale Beschränkungen für die Gründung von und die Mitgliedschaft in Parteien, aber die politische Landschaft war in der Praxis aufgrund des umstrittenen Status des Gebiets und der zunehmenden Unsicherheit eingeschränkt. Nach der aserbaidschanischen Militäroperation im September 2023 floh fast die gesamte armenischstämmige Bevölkerung Berg-Karabachs aus dem Gebiet, wodurch die lokalen politischen Parteien handlungsunfähig wurden. Schahramanyans Dekret zur Auflösung der staatlichen Institutionen ließ die Parteien ebenfalls ohne rechtliche oder praktische Grundlage zurück. Nach dem Wegzug der Bevölkerung im September 2023 und dem Dekret Schahramanyans zur Auflösung aller staatlichen Institutionen gibt es in Berg-Karabach keine lokal gewählten Regierungsorgane und keine politische Opposition (FH 2024b).
Die Politik in Berg-Karabach wurde stark von der Androhung einer militärischen Aggression beeinflusst, die das Gebiet in politischer und finanzieller Hinsicht von Armenien abhängig machte. Diese Abhängigkeit bot ein Druckmittel für die Einmischung Eriwans in die innenpolitischen Angelegenheiten Berg-Karabachs, nahm jedoch nach 2020 etwas ab, als eine erfolgreiche aserbaidschanische Offensive Armenien zwang, seine Truppen aus dem Gebiet abzuziehen und die militärische Unterstützung für Berg-Karabach im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens einzustellen. Nach dem Krieg von 2020 spielten die russischen Friedenstruppen eine wichtige Rolle bei der Sicherheit in Berg-Karabach, mischten sich aber nicht in das politische Leben vor Ort ein. Im September 2023, nach der raschen Kapitulation der armenischen Streitkräfte vor dem vorrückenden aserbaidschanischen Militär, erließ Schahramanyan das Dekret zur Auflösung der staatlichen Institutionen, um die "physische Sicherheit und die lebenswichtigen Interessen" der Bevölkerung von Berg-Karabach zu schützen. Die aserbaidschanischen Streitkräfte und staatlichen Behörden übernahmen daraufhin die volle Kontrolle über die politischen Angelegenheiten in dem Gebiet (FH 2024b).
Die meisten oder alle Sitze in der Nationalversammlung und die Führungspositionen in der Regierung wurden von Personen armenischer Abstammung besetzt, und die Möglichkeiten für Angehörige verschiedener ethnischer, religiöser und anderer Minderheitengruppen, ihre Interessen in der Politik zu vertreten, waren begrenzt. Frauen waren formal politisch gleichberechtigt, aber soziale Zwänge und ein vorherrschendes Gefühl der Militarisierung des lokalen Lebens schränkten ihre Beteiligung in der Praxis ein, und sie waren in Führungspositionen nur schwach vertreten. Gesellschaftliche Diskriminierung schränkte die politische Beteiligung sexueller Minderheiten ein (FH 2024b).
Vor September 2023 war die Fähigkeit der lokal gewählten Vertreter, die Regierungspolitik festzulegen und umzusetzen, in der Praxis durch die Sicherheitsbedrohungen entlang der Kontaktlinie zwischen Berg-Karabach und den aserbaidschanischen Streitkräften sowie durch entsprechende Warnungen aus Baku eingeschränkt. Obwohl die Verfassung eine enge Zusammenarbeit mit Armenien in den Bereichen der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Strategie vorsah, war der Einfluss des armenischen Staates auf die lokale Verwaltung nach dem Krieg von 2020 stark zurückgegangen. Am 28. September 2023 erließ Schahramanyan nach der Kapitulation der armenischen Streitkräfte in Karabach vor dem aserbaidschanischen Militär ein Dekret zur Auflösung der lokalen Regierungsinstitutionen. Alle gewählten Gremien wurden faktisch aufgelöst. Gegen mehrere hochrangige lokale Beamte wurde Ende des Jahres vor aserbaidschanischen Gerichten Anklage erhoben (FH 2024b). Die Institutionen von Berg-Karabach litten unter erheblicher Korruption. Die Auflösung der lokalen Regierungsinstitutionen Ende 2023 hatte zur Folge, dass die öffentlichen Antikorruptionsstellen und andere Schutzmechanismen gegen Amtsmissbrauch abgeschafft wurden (FH 2024b).
Im Dezember 2022 begannen aserbaidschanische Aktivisten, den Lachin-Transitkorridor zu blockieren, die einzige Straße, die Berg-Karabach mit Armenien und dem Rest der Welt verbindet. UN-Experten erklärten im August 2023, dass die anhaltende Blockade das Leben der Bewohner, insbesondere von Kindern, Menschen mit Behinderungen, älteren Menschen, schwangeren Frauen und Kranken, erheblich gefährdete, und nannten die Situation eine "schwere humanitäre Krise". Die Bewohner hatten nur begrenzten Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten. Aserbaidschanische Streitkräfte errichteten im April einen Kontrollpunkt an der Straße, obwohl offiziell russische Friedenstruppen für die Sicherheit des Korridors verantwortlich waren. Nach der zweitägigen Militäroperation des aserbaidschanischen Regimes konnten ethnische Armenier durch den Lachin-Korridor aus dem Gebiet fliehen. Vor die Wahl gestellt, die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft und die aserbaidschanische Regierung zu akzeptieren oder das Gebiet zu verlassen, wurde fast die gesamte armenische Bevölkerung von mehr als 100.000 Personen nach Armenien evakuiert (FH 2024b).
Vor September 2023 war der beliebteste lokale Fernsehsender das staatlich geführte Artsakh TV. Die redaktionelle Politik des Senders hatte sich seit der politischen Öffnung in Armenien im Jahr 2018 erheblich verändert, und in den letzten Jahren war eine größere Meinungsvielfalt zu beobachten. Nach der aserbaidschanischen Militäroperation vom September 2023 flohen lokale Journalisten aus dem Gebiet, und Radio- und Fernsehsender stellten ihren Betrieb ein. Die aserbaidschanischen Behörden erklärten, dass aserbaidschanische Nachrichteninhalte in dem Gebiet ausgestrahlt werden. Die Pressefreiheit in Aserbaidschan ist stark eingeschränkt (FH 2024b).
Die Verfassung von Berg-Karabach garantierte Religionsfreiheit, ließ aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. Die Charta erkannte auch die Armenische Apostolische Kirche als "Nationalkirche" des armenischen Volkes an. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wurde in der Praxis eingeschränkt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2009 verbot die religiöse Betätigung nicht registrierter Gruppen und Proselytismus von Minderheitsreligionen und erschwerte die Registrierung von Minderheitengruppen. Bei der aserbaidschanischen Offensive 2023 wurden Berichte über die Beschädigung christlicher Einrichtungen bekannt. Aktivisten machten sich auf den Weg, um die Schäden zu dokumentieren, aber der fehlende physische Zugang behinderte ihre Bemühungen. Das aserbaidschanische Regime übt eine strenge Kontrolle über die Religionsausübung durch staatlich anerkannte Einrichtungen aus (FH 2024b).
In den letzten Jahren haben Schulen und Universitäten eine zunehmende Selbstzensur bei sensiblen Themen praktiziert, insbesondere bei Themen, die mit dem Status und der Sicherheit des Gebiets zusammenhängen. Ab Dezember 2022 führte die Blockade des Lachin-Korridors zu Engpässen bei den Schulmaterialien. Stromausfälle unterbrachen die Online-Lernprogramme. Die aserbaidschanische Militäroperation und der daraus resultierende Exodus der Mehrheit der Bevölkerung von Berg-Karabach im September 2023 legten das lokale Bildungssystem faktisch lahm (FH 2024b).
Vor September 2023 war die private Diskussion im Allgemeinen offen und frei, obwohl die Äußerung abweichender Meinungen durch die vorherrschende nationalistische Stimmung in Politik und Gesellschaft etwas gehemmt werden konnte. Mit der Auflösung der lokalen Regierungsorgane nach September 2023 wurde der gesetzliche Schutz der freien Meinungsäußerung faktisch aufgehoben. Die aserbaidschanischen Behörden überwachen die private Kommunikation ohne richterliche Aufsicht und bestrafen abweichende Meinungen hart (FH 2024b).
Die Versammlungsfreiheit wurde in den letzten Jahren allgemein geachtet. Im Mai 2023 verhängte der damalige Präsident Harutyunyan das Kriegsrecht und verbot die meisten öffentlichen Versammlungen, mit Ausnahme derjenigen, die im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung, Feiertagen oder Gedenktagen standen und für die eine Genehmigung der Regierung erforderlich war. Mit der Auflösung der Regierungsbehörden nach der Kapitulation der armenischen Streitkräfte in Karabach vor dem aserbaidschanischen Militär im September 2023 wurde der gesetzliche Schutz der Versammlungsfreiheit faktisch aufgehoben. Die aserbaidschanischen Behörden schränken öffentliche Versammlungen nach nationalem Recht und in der Praxis stark ein (FH 2024b).
Mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen (NRO) waren in Berg-Karabach registriert, doch die meisten waren inaktiv. Viele Gruppen hatten Schwierigkeiten, sich eine nachhaltige Finanzierung zu sichern, zum Teil weil Partnerschaften mit ausländischen oder internationalen NROs durch den umstrittenen Status von Berg-Karabach erschwert wurden. Zivilgesellschaftliche Gruppen sahen sich auch der Konkurrenz durch staatlich organisierte Einrichtungen ausgesetzt. Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen wurden im September 2023 zusammen mit dem Rest der Zivilbevölkerung vertrieben. Die aserbaidschanischen Behörden schränken die Aktivitäten der Zivilgesellschaft nach dem Gesetz und in der Praxis stark ein. Einige NRO, die nach Armenien umgesiedelt sind, haben ihre Aktivitäten dort fortgesetzt (FH 2024b).
Gewerkschaften durften sich zwar organisieren, aber in der Praxis waren sie schwach und relativ inaktiv und hatten kaum praktische Möglichkeiten, die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen. Viele Arbeitskonflikte wurden durch persönliche und familiäre Beziehungen beigelegt, bevor sie vor die örtlichen Gerichte gelangten. Lokale Gewerkschaftsmitglieder wurden im September 2023 vertrieben. Die aserbaidschanischen Behörden schränken unabhängige Gewerkschaftsaktivitäten und aktive Gewerkschaftsarbeit stark ein (FH 2024b).
Die Justiz in Berg-Karabach war in der Praxis nicht unabhängig. Die Gerichte wurden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Im September 2023, nach der aserbaidschanischen Militäroperation, wurde die Justiz des Gebiets zusammen mit anderen lokalen Regierungsstellen aufgelöst. Die aserbaidschanische Judikative ist korrupt und der Exekutive untergeordnet (FH 2024b).
Die Verfassung von Berg-Karabach garantierte grundlegende Rechte auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, aber die Polizei und die Gerichte hielten sich in der Praxis nicht immer daran. Politische Dissidenten wurden von den Behörden schikaniert. Die in der Gebietsverfassung verankerten Verfahrensgarantien wurden mit der Auflösung der Regierung im September 2023 faktisch außer Kraft gesetzt. Die aserbaidschanischen Behörden halten die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren nicht ein (FH 2024b).
Vor der Übernahme durch Aserbaidschan verbot die Verfassung Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion und anderen Kategorien. Frauen waren im öffentlichen und privaten Sektor unterrepräsentiert und waren in der Praxis weiterhin Diskriminierungen ausgesetzt. Im September 2023, nach der Kapitulation der örtlichen Streitkräfte vor den aserbaidschanischen Behörden, floh fast die gesamte armenische Bevölkerung aus dem Gebiet. Die aserbaidschanische Regierung bietet keinen wirksamen Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder sexueller Orientierung (FH 2024b).
Die Bewegungsfreiheit in Berg-Karabach wurde durch den unklaren rechtlichen und diplomatischen Status des Landes und die Instabilität der Waffenstillstandsvereinbarungen behindert. Der Reiseverkehr in das und aus dem Gebiet wurde durch russische Friedenstruppen und zwischen Dezember 2022 und September 2023 durch eine Blockade des Lachin-Transitkorridors eingeschränkt. Sie wurde nach der aserbaidschanischen Militäroperation aufgehoben (FH 2024b).
Männer und Frauen waren in Bezug auf Ehe und Scheidung rechtlich gleichgestellt, obwohl die Verfassung die Ehe als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definierte, was gleichgeschlechtliche Ehen ausschloss. Die lokale Regierung bot materielle Anreize, um Paare zu ermutigen, Kinder zu bekommen. Häusliche Gewalt war weit verbreitet und wurde nicht wirksam geahndet. Nachdem im September 2023 die Auflösung der Regierungsbehörden angeordnet worden war, wurden die in der lokalen Verfassung verankerten Garantien für soziale Freiheiten faktisch außer Kraft gesetzt. Die aserbaidschanischen Behörden schränken diese Freiheiten in gewissem Maße ein, beispielsweise durch die obligatorische Mediation bei Scheidungen, die diejenigen benachteiligt, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können. Häusliche Gewalt wird in Aserbaidschan häufig nicht strafrechtlich verfolgt (FH 2024b).
Die über 100.000 armenischen Flüchtlinge aus Bergkarabach wurden durch Armenien landesweit in provisorischen Unterkünften untergebracht und werden aus dem armenischen Haushalt finanziell unterstützt (AA 5.3.2024). Die armenischen Behörden konnten die vorübergehenden Bedürfnisse dieses schnellen Zustroms einer großen Zahl von Flüchtlingen weitgehend befriedigen. Es gab jedoch weiterhin Bedenken hinsichtlich dauerhafter Lösungen und des Zugangs zu angemessenem Wohnraum, Einkommen und Beschäftigung (AI 24.4.2024). Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bearbeitete Fälle von im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Aserbaidschan vermissten Personen und arbeitete mit der Regierung zusammen, um eine konsolidierte Liste der Vermissten zu erstellen (USDOS 23.4.2024). Landminen, die zuvor von armenischen Streitkräften in und um Berg-Karabach in Aserbaidschan gelegt worden waren, stellten weiterhin eine tödliche Bedrohung dar und verhinderten die sichere Rückkehr der Vertriebenen (AI 24.4.2024).
Die Regierung möchte verhindern, dass die Menschen aus Bergkarabach auswandern, und hat daher im Mai 2024 ein Programm zur Förderung des Wohnungsbaus aufgelegt. Familien aus Berg-Karabach, die mittlerweile die armenische Staatsbürgerschaft besitzen, können pro Familienmitglied umgerechnet bis zu 11.600 Euro für den Kauf oder Bau von Wohnraum bekommen. Sollte die Familie sich über längere Zeit nicht in Armenien aufhalten, kann die Unterstützung wieder gestrichen werden (DW 25.9.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024
DW - Deutsche Welle (25.9.2024): Flüchtlinge aus Berg-Karabach: Neuanfang in Armenien, https://www.dw.com/de/flüchtlinge-aus-berg-karabach-neuanfang-in-armenien/a-70322636, Zugriff 17.10.2024
FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Nagorno-Karabakh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105024.html#alert, Zugriff 3.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
Justizwesen/Rechtsschutz
Letzte Änderung 2024-11-08 10:02
Obwohl das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsah, wurde die Justiz aufgrund ihrer Geschichte von Korruption und politischer Einflussnahme, Widerstand gegen Reformen und öffentlichkeitswirksamen Skandalen nicht als unabhängig oder unparteiisch angesehen. Es gab unbestätigte Berichte über Versuche der Regierung und von Teilen des früheren Regimes, die Richter zu beeinflussen. Die hohe Fallzahl, das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit und der Vorwurf des Drucks durch die Regierung hielten Interessierte davon ab, sich um Richterstellen zu bewerben (USDOS 23.4.2024). Berichten zufolge fühlen sich Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen, und die Freispruchquote ist sehr niedrig. Die Behörden wenden das Recht selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen gewährleistet (FH 2024a).
Eines der größten Probleme der Justiz war die starke Überlastung der Gerichte auf allen Ebenen aufgrund des Mangels an Richtern. Weitere wichtige Faktoren, die zur Überlastung der Justiz beitragen, sind die hohe Zahl der Berufungen von Angeklagten aufgrund des mangelnden Vertrauens in die Justiz und die Berufung der Staatsanwälte gegen Freisprüche und niedrigere Strafen (USDOS 23.4.2024). Menschenrechtsanwälte wiesen darauf hin, dass einige Richter in Bezug auf bestimmte Gerichtsentscheidungen internem Druck von Vorgesetzten, einschließlich des Obersten Justizrates, ausgesetzt waren und dass ihnen Disziplinarmaßnahmen drohten sowie dass Gerichtsentscheidungen in Fällen, in denen es um ähnliche Sachverhalte ging, unvorhersehbar geworden waren und dass in einigen hochkarätigen Korruptionsfällen die Entscheidungen politisch motiviert zu sein schienen (USDOS 23.4.2024).
Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Vernehmungen erhalten hatten, um Verurteilungen zu erwirken (USDOS 23.4.2024). Das Fehlen einer wirksamen Rechenschaftspflicht bei Verstößen der Strafverfolgungsbehörden ist ein kontinuierliches Problem. Die Behörden ermitteln bei Misshandlungsvorwürfen häufig wegen „Amtsmissbrauchs“, der mit geringeren Strafen geahndet wird (HRW 11.1.2024).
Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Hautfarbe, Herkunft/Abstammung, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen/sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung diskriminiert, ist nicht festzustellen. Sippenhaft, d. h. die Anwendung staatlicher Repressionen gegenüber Angehörigen oder sonstigen nahestehenden Personen, wird nicht praktiziert (AA 5.3.2024).
Die Regierung hat 2019 eine auf fünf Jahre angelegte Strategie zur Reform der Justiz veröffentlicht. Bis Mitte 2022 waren nur 32 Prozent der in der Strategie vorgesehenen Maßnahmen und Teilmaßnahmen fristgerecht umgesetzt worden, 56 Prozent waren nicht umgesetzt worden (FH 2024a).
Beobachter stellten fest, dass die Bestechung von Richtern zwar kein Problem mehr darstellt, es aber Berichte gibt, wonach einige Verteidiger Geld von ihren Mandanten erpressten und behaupteten, es sei für die Bestechung eines Richters bestimmt, wodurch das Vertrauen in das System untergraben wird (USDOS 23.4.2024).
Es gab immer wieder Medienberichte über die selektive Anwendung von Disziplinarverfahren gegen „unliebsame“ Richter und Berichte über mangelnde Transparenz im Entscheidungsprozess des Justizministeriums darüber, ob Fälle dem Obersten Justizrat für Disziplinarverfahren vorgelegt werden (USDOS 23.4.2024).
Es sind keine Personen oder Personengruppen bekannt, denen Rechtsschutz verweigert wurde. Verfahrensgrundrechte wie rechtliches Gehör, faires Gerichtsverfahren und Rechtshilfe werden laut Verfassung gewährt (Artikel 61, 63, 64). In Bezug auf den Zugang zur Justiz gab es in den letzten Jahren bereits Fortschritte: Die Zahl der Pflichtverteidiger wurde erhöht, kostenlose Rechtshilfe kommt einer breiteren Bevölkerung zugute (AA 5.3.2024).
Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 5.3.2024). Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen (USDOS 20.3.2023). Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 12.4.2022).
Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Bei der Prüfung der Festnahme muss das Gericht auch die Rechtmäßigkeit der Verhaftung prüfen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme sowie über ihr Recht zu schweigen, einen Rechtsbeistand zu haben und einer Person ihrer Wahl ihren Aufenthaltsort mitzuteilen, informieren muss. Eine Kaution war eine legale Option (USDOS 23.4.2024).
Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Justiz setzte dieses Recht in einigen Fällen nicht durch. Das Gesetz sah die Unschuldsvermutung vor, doch nach Angaben von Menschenrechtsbeobachtern kamen Verdächtige manchmal nicht in den Genuss dieses Rechts. Die Pflichtverteidiger waren überlastet, und es fehlte an Pflichtverteidigern, die auf bestimmte Bereiche wie Menschenhandel und häusliche Gewalt spezialisiert waren. Der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Eriwans führte manchmal dazu, dass Angeklagten das Recht auf einen Anwalt ihrer Wahl verweigert wurde (USDOS 23.4.2024).
Das Gesetz sah vor, dass Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise vorlegen und die Argumente der Regierung im Vorfeld eines Prozesses prüfen konnten, aber Angeklagte und ihre Anwälte hatten kaum die Möglichkeit, Zeugen der Regierung oder der Polizei zu widersprechen, während die Gerichte dazu neigten, das Material der Staatsanwaltschaft routinemäßig zu akzeptieren. Nach Ansicht von Anwälten und in- und ausländischen Menschenrechtsbeobachtern, einschließlich des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats, behielt die Staatsanwaltschaft eine dominante Stellung im Strafrechtssystem. Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass es keine ausreichenden Bestimmungen für die Unparteilichkeit und Rechenschaftspflicht der Staatsanwaltschaft und keine objektiven Kriterien für die Ernennung und Auswahl von Kandidaten für das Amt des Generalstaatsanwalts gab (USDOS 23.4.2024).
Nach Angaben von Gefängnisbeobachtern und Menschenrechtsanwälten wurde trotz der Bemühungen der Regierung, im Rahmen der Strafrechtsreform verstärkt Alternativen zur Inhaftierung zu nutzen, übermäßige und ihrer Ansicht nach oft ungerechtfertigte Untersuchungshaft verhängt (USDOS 23.4.2024).
Langwierige Untersuchungshaft ist nach wie vor ein Problem (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2024a). Einige Beobachter sahen in der übermäßig langen Untersuchungshaft ein Mittel, um Angeklagte zu einem Geständnis oder zur Offenlegung selbstbelastender Beweise zu bewegen. Mit der neuen Strafprozessordnung wurden strenge Beschränkungen für die Dauer der Untersuchungshaft und die Dauer der Ermittlungen eingeführt. Nach der neuen Strafprozessordnung darf die Höchstdauer der Untersuchungshaft die in dem angeklagten Artikel vorgesehene Freiheitsstrafe nicht überschreiten (USDOS 20.3.2023).
Die Behörden setzten Gerichtsbeschlüsse im Allgemeinen durch (USDOS 12.4.2022). Der Partnerschaftsrat der EU bekräftigte das gemeinsame Bekenntnis der EU und Armeniens zu Menschenrechten, Grundfreiheiten, Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Grundsätzen. Der Partnerschaftsrat begrüßte die bisherigen Erfolge bei der Umsetzung der nationalen Strategie Armeniens für Justiz- und Rechtsreformen, räumte jedoch ein, dass nach wie Herausforderungen bestehen(Rat der EU 18.5.2022).
In seinem Bericht aus dem Jahr 2021 wies das CPT (European Committee for the Prevention of Torture) darauf hin, dass die vom CPT in der Vergangenheit mehrfach kritisierte Praxis der „informellen Gespräche“ (d. h. Personen, die - in der Regel telefonisch - „eingeladen“ werden, zur Polizei zu kommen, bevor sie offiziell als Verdächtige eingestuft und festgenommen werden) insbesondere außerhalb der Hauptstadt nicht vollständig abgeschafft wurde (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103145.html, Zugriff 16.1.2024
Rat der EU - Rat der EU (18.5.2022): Partnerschaftsrat EU-Armenien, https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/international-ministerial-meetings/2022/05/18, Zugriff 29.10.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071159.html, Zugriff 7.9.2023
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung 2024-11-08 10:03
Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Grenzkontrolle verantwortlich ist (CIA 27.8.2024; vgl. AA 25.7.2022). Der Polizeichef ist dem Innenminister unterstellt, der wiederum direkt dem Premierminister untersteht. Der Innenminister wird vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Der Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes ist ebenfalls direkt dem Premierminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 25.7.2022). Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab Berichte, wonach Angehörige der Sicherheitskräfte einige Missbräuche begangen haben (USDOS 20.3.2023).
Die Polizei ist dem 2022 neu gebildeten Innenministerium unterstellt, der Nationale Sicherheitsdienst (NSD) dem Premierminister. Das Militär ist dem Verteidigungsministerium untergeordnet und von Polizei und NSD getrennt. Die Befehlskette für Militär, Polizei und NSD läuft über den Sicherheitsrat und die Regierung beim Premierminister zusammen. Die Aufgaben der Organe sind voneinander abgegrenzt: So ist für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz der NSD zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen (AA 5.3.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.7.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2076734/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien_(Stand_Mai_2022),_25.07.2022.pdf, Zugriff 14.10.2024 [Login erforderlich]
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (27.8.2024): Armenia - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/armenia/#military-and-security, Zugriff 20.9.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung 2024-11-08 15:39
Die Verfassung und das Gesetz verbieten derartige Praktiken (AA 5.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024). Dennoch äußerte die örtliche NRO-Gemeinschaft ihre kollektive Besorgnis über eine beträchtliche Zunahme von Berichten, wonach Angehörige der Sicherheitskräfte ungestraft Personen in ihrem Gewahrsam folterten oder anderweitig misshandelten (USDOS 23.4.2024).
Nach Angaben von Menschenrechtsanwälten ist Folter zwar im Strafgesetzbuch definiert und strafbar, nicht aber andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (USDOS 23.4.2024).
Beamte untersuchten Fälle von Folter häufig unter dem Vorwurf des Machtmissbrauchs, was zu milderen Strafen führte (USDOS 23.4.2024).
Es gibt keine systematischen Folterungen (AA 5.3.2024). Die lokale NRO-Gemeinschaft stellte eine steigende Zahl von Berichten über Misshandlungen durch die Polizei fest, auch in Polizeistationen, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigewahrsam nicht öffentlich überwacht werden (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024a).
Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 5.3.2024).
Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die fehlende Rechenschaftspflicht für alte und neue Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems beiträgt (USDOS 20.3.2023).
Mit der Auflösung des Sonderermittlungsdienstes (SIS) im Jahr 2021 wurde die Untersuchung von Folterfällen zunächst auf den Nationalen Sicherheitsdienst (NSS), den Internationalen Strafgerichtshof und den neu geschaffenen Antikorruptionsausschuss umverteilt. Mit der Inkraftsetzung einer neuen Strafprozessordnung am 1. Juli wurde die Zuständigkeit für die Untersuchung von Folterstrafsachen auf den Untersuchungsausschuss übertragen, aber die Funktion der Voruntersuchung von Straftaten (einschließlich Folter), die von Ermittlern des Untersuchungsausschusses begangen wurden, wurde dem NSS übertragen (USDOS 20.3.2023).
Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Verhören erhalten hatten, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend, ebenso wie das in den Polizeistationen installierte Videoüberwachungssystem (USDOS 20.3.2023).
Folter und Misshandlung im Gewahrsam halten an und werden häufig ungestraft verübt. Selbst wenn strafrechtliche Ermittlungen aufgrund von Foltervorwürfen eingeleitet werden, werden sie meist mit der Begründung eingestellt, dass keine Straftat begangen wurde, oder sie werden eingestellt, weil ein Verdächtiger nicht identifiziert werden konnte. Sieben Jahre, nachdem Folter in Armenien zu einem spezifischen Straftatbestand wurde, fällte ein Gericht im März sein erstes Urteil zu solchen Vorwürfen und verurteilte einen ehemaligen Gefängnisbeamten zu sieben Jahren und sechs Monaten. Zuvor mussten sich Beamte, die wegen körperlicher Misshandlung zur Rechenschaft gezogen wurden, mit dem allgemeinen Straftatbestand des "Amtsmissbrauchs" auseinandersetzen (HRW 12.1.2023).
Am 25. Mai [2021] veröffentlichte das Komitee des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) einen Bericht über seinen letzten regelmäßigen Besuch im Land im Dezember 2019. Das CPT stellte fest, dass die große Mehrheit der von seiner Delegation befragten Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder kürzlich befunden hatten, angab, dass sie angemessen behandelt worden war (USDOS 12.4.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085384.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071159.html, Zugriff 7.9.2023
Korruption
Letzte Änderung 2024-11-11 06:08
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen wirksam umgesetzt (USDOS 23.4.2024). Die Behörden haben den institutionellen Rahmen für die Korruptionsbekämpfung weiter gestärkt, indem sie ihre neue Anti-Korruptions-Strategie an mehreren Fronten umgesetzt haben. So schlossen die Behörden nach den 2022 verabschiedeten Änderungen des Justizgesetzes die Einrichtung der drei Stufen des Antikorruptionsgerichtssystems ab und stellten weitere Richter ein. Der Antikorruptionsausschuss, der als Hauptuntersuchungsstelle für Korruptionsfälle diente, stellte weiterhin zusätzliche Ermittler ein (USDOS 23.4.2024).
Das Land war in vielen Bereichen von systemischer Korruption geprägt, darunter in der öffentlichen Verwaltung, im Parlament, in der Justiz, im Beschaffungswesen, bei der Strafverfolgung und bei der Gewährung staatlicher Unterstützung. Die Regierung leitete zahlreiche Strafverfahren wegen mutmaßlicher Korruption ehemaliger und amtierender hochrangiger Regierungsbeamter und ihrer Verwandten, Parlamentarier, ehemaliger Präsidenten und Beamter der Strafverfolgungsbehörden ein (USDOS 23.4.2024).
Die Korruptionsbekämpfungskommission (CPC) übte ihre Befugnisse aus, um die Integrität von Richtern, Staatsanwälten und anderen Kandidaten zu überprüfen, einschließlich der Richterkandidaten zur Korruptionsbekämpfung und der Ermittler und Beamten des Antikorruptionsausschusses. Im Februar führte das CPC eine elektronische Plattform für die Vermögenserklärung von Amtsträgern ein, um die Transparenz zu erhöhen und die Korruption in der öffentlichen Verwaltung einzudämmen. Das CPC schuf auch ein Register, um die Aufsicht über von Beamten angenommene Geschenke zu verbessern (USDOS 23.4.2024). Mehrere Medienrecherchen über die Leiter des Antikorruptionsausschusses und der Kommission zur Verhinderung von Korruption (CPC) haben Zweifel an den wahren Absichten dieser Gremien bei der Korruptionsbekämpfung aufkommen lassen (FH 2024a).
Die Transparenz war in der Vergangenheit begrenzt, und die Durchsetzung der Vorschriften über die Offenlegung von Vermögenswerten von Amtsträgern war schwach. Das armenische Gesetz über die Informationsfreiheit wird uneinheitlich angewandt (FH 2024a).
Im April 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Möglichkeiten der Staatsanwälte erweitert, korrupte Handlungen ehemaliger Beamter zu untersuchen. Nach dem neuen Gesetz können Staatsanwälte leichter die Beschlagnahme unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte beantragen, wenn deren Status vor Gericht bewiesen wird, und sie dürfen Taten untersuchen, die zehn Jahre zurückliegen (FH 3.3.2021). Im November 2022 traten der neue Anti-Korruptionsgerichtshof und die Anti-Korruptionskammer des Kassationsgerichtshofs in Kraft, nachdem die beiden Gremien im April 2021 per Gesetz geschaffen worden waren. Im August 2022 leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zur Wiedererlangung gestohlener Vermögenswerte von angeblich korrupten ehemaligen Beamten des vorrevolutionären Regimes ein (FH 2023).
Gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International für das Jahr 2023 belegte Armenien Rang 62 von 180 bewerteten Ländern (TI 2024), was im Vergleich zum Vorjahr eine Verbesserung um einen Platz darstellt (TI 2023).
Quellen
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088482.html, Zugriff 7.9.2023
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048576.html, Zugriff 14.10.2024
TI - Transparency International (2024): Corruption Perceptions Index 2023, https://www.transparency.org/en/cpi/2023, Zugriff 9.4.2024
TI - Transparency International (2023): Corruption Perceptions Index 2022, https://www.transparency.org/en/cpi/2022, Zugriff 9.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
NGOs und Menschrechtsaktivisten
Letzte Änderung 2024-11-11 07:15
Armenien verfügt über eine aktive und unabhängige Zivilgesellschaft, die sich nachhaltig für Reformen im Menschenrechtsbereich einsetzt und die Umsetzung bestehender und neuer Gesetze wie auch die Verbesserung von Gesetzesentwürfen einfordert. Von den zahlreichen aktiven Menschenrechtsorganisationen seien beispielhaft das Helsinki Citizens Assembly Vandzor Büro, Helsinki Committee Armenia, PINK Armenia, Open Society Institute und Transparency International genannt. Die Organisationen haben Zugang zu Medien, Behörden und internationalen Vereinigungen (AA 5.3.2024).
Verschiedene inländische und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen, um Menschenrechtsbedingungen oder -fälle zu überwachen oder zu untersuchen und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen (USDOS 23.4.2024). Hassreden gegen Menschenrechtsverteidiger und die Zivilgesellschaft sind weit verbreitet. Online-Trolle, bösartige Nachrichtensender und nationalistische Gruppen, von denen viele mit der früheren Regierung und, wie einige lokale Experten behaupten, mit russischen Akteuren in Verbindung stehen, schüchterten Menschenrechtsverteidiger weiterhin ein. Diejenigen, die sich für die Rechte von Frauen und Kindern sowie für tiefgreifende Reformen der Strafverfolgung und der Justiz einsetzen, wurden besonders ins Visier genommen. Beobachtern zufolge zielten die Täter darauf ab, die demokratische und menschenrechtsorientierte Zivilgesellschaft zu diffamieren, zu diskreditieren und an den Rand zu drängen, um sie durch andere „zivilgesellschaftliche“ Akteure zu ersetzen, die Autoritarismus unterstützen (USDOS 23.4.2024).
Aktivisten und NRO, die Opfer häuslicher Gewalt unterstützten oder sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzten, waren häufig Ziel von Hassreden und wurden kritisiert, weil sie angeblich „armenische traditionelle Familien“ untergraben und „westliche Werte“ verbreiten. Dem CEDAW-Schattenbericht (Committee on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) zufolge hat der Staat Menschenrechtsverteidiger nicht ausreichend geschützt (USDOS 23.4.2024).
Die Regierung unternahm nichts, um zivilgesellschaftliche Organisationen vor Desinformation oder Drohungen zu schützen, einschließlich Drohungen, einzelnen Aktivisten zu schaden (USDOS 20.3.2023). Ein Trend, der im Jahr 2020 einsetzte, führte dazu, dass Akademiker und andere Meinungsführer, einschließlich derjenigen, die sich für Menschenrechte einsetzen, aufgrund von Hasskampagnen, die von nationalistischen Gruppen und Personen, die der Opposition und Russland nahestehen, angezettelt wurden, zögerten, ihre Meinung öffentlich zu äußern, insbesondere online. Infolgedessen nahm der konstruktive Diskurs über Menschenrechte allgemein ab. Die Regierung verfolgte keine Aufrufe zur Schädigung zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen der 2020 verabschiedeten Gesetzgebung, die öffentliche Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellt (USDOS 20.3.2023).
In Armenien gibt es eine Reihe von NRO, von denen die meisten in Eriwan ansässig sind. Diesen NGOs fehlt es an bedeutenden lokalen Finanzmitteln. Zivilgesellschaftliche Gruppen beraten sich regelmäßig mit der Regierung in politischen Fragen, vor allem bei Wahl-, Verfassungs- und Antikorruptionsreformen (FH 2024a).
Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NROs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NROs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NROs werden seit den Wahlen im Dezember 2018 in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 25.7.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.7.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2076734/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien_(Stand_Mai_2022),_25.07.2022.pdf, Zugriff 14.10.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Ombudsperson
Letzte Änderung 2024-11-11 07:15
Das Büro des Menschenrechtsverteidigers (die Ombudsperson) hatte den Auftrag, Personen, die ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten wahrnehmen, vor Missbrauch auf allen Ebenen der Regierung zu schützen. Das Büro arbeitete unabhängig und fungierte als wirksamer Anwalt in Einzelfällen (USDOS 23.4.2024). Das Büro lehnte es jedoch ab, einige Fälle im Zusammenhang mit sexuellen Minderheiten zu übernehmen (USDOS 12.4.2022).
Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Die Kompetenzen der Ombudsperson wurden im Jahr 2016 durch ein eigenes Gesetz erweitert. Die gewählte Ombudsperson für Menschenrechte drängt auf Einhaltung der Menschenrechte und übt, wenn nötig, auch Kritik an der Regierung (AA 5.3.2024).
Die Ombudsperson kann Empfehlungen aussprechen, hat aber nicht die Befugnis, diese durchzusetzen (USDOS 2.6.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073981.html, Zugriff 8.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071159.html, Zugriff 7.9.2023
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung 2024-11-12 12:23
Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate) und können auch zu Reserveübungen einberufen werden. Frauen sind nicht wehrdienstpflichtig, können aber freiwillig Militärdienst leisten (AA 5.3.2024; vgl. CIA 8.10.2024).
Auf Antrag besteht auch die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Eine Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (arbeitsunfähige Eltern; mutterlose Kinder; Väter von zwei oder mehr Kindern; Ehepartner mit Behinderungen der 1. oder 2. Kategorie; arbeitsunfähige Geschwister mit Behinderungen; Beschluss des Verteidigungsministeriums auf Grundlage der Stellungnahme der Gesundheitskommission) ist bis zum 27. Lebensjahr möglich. Fallen diese Gründe vor Vollendung des 27. Lebensjahrs weg, ist der Wehrdienst abzuleisten. Bleiben die Gründe nach Vollendung des 27. Lebensjahrs bestehen, muss sich der Betreffende als Reservist zur Verfügung halten (bis zum 50. Lebensjahr) und wird in Friedenszeiten nicht mehr eingezogen. Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA 5.3.2024).
Der vertragliche Wehrdienst beträgt 3-12 Monate oder 3 oder 5 Jahre; Wehrpflichtige leisten 24 Monate; Männer unter 36 Jahren, die noch keinen vertraglichen Wehrdienst geleistet haben und in der Reserve registriert sind, sowie Frauen, unabhängig davon, ob sie in der Reserve registriert sind, können zum vertraglichen Wehrdienst einberufen werden (CIA 8.10.2024).
Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen (AA 5.3.2024).
Laut Auskunft eines lokalen Anwaltes verleiht ein Aufenthaltsstatus im Ausland der betroffenen Person keine Privilegien in Bezug auf die Befreiung vom Militärdienst (RA ARME 6.2.2020).
Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich für Menschenrechte einsetzen, äußerten ihre Besorgnis über Todesfälle in der Armee, die nicht auf Kampfhandlungen zurückzuführen sind, und über das Versäumnis der Strafverfolgungsbehörden, glaubwürdige Untersuchungen dieser Todesfälle durchzuführen. Laut zivilgesellschaftlichen Organisationen und Familienangehörigen der Opfer führte die Praxis, viele Todesfälle außerhalb von Kampfhandlungen zu Beginn der Ermittlungen als Selbstmord einzustufen, dazu, dass Missbräuche weniger wahrscheinlich aufgedeckt und untersucht wurden. Menschenrechtsanwälten zufolge bestand das größte Hindernis für die Untersuchung militärischer Todesfälle in der Zerstörung oder Nichtaufbewahrung wichtiger Beweise, sowohl durch die Militärführung (bei internen Untersuchungen) als auch durch die mit einem Fall befasste Untersuchungsstelle (USDOS 23.4.2024).
Obwohl in der armenischen Rechtsordnung Homosexualität nicht als psychische Erkrankung gilt, gilt diese jedoch innerhalb der Streitkräfte als Persönlichkeitsstörung, wodurch der Betroffene als nicht wehrtauglich gilt (RA ARME 22.7.2023).
Es gab weiterhin Berichte über erniedrigende Behandlung in der Armee (USDOS 23.4.2024). Die Rechte einiger besonders schutzbedürftiger Militärangehöriger, einschließlich derer, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer und intersexuell (LGBTQI+) identifizierten, wurden sowohl von den Befehlshabern als auch von anderen Militärangehörigen in grober Weise verletzt, einschließlich unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Arbeitsausbeutung (USDOS 20.3.2023).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (8.10.2024): Armenia - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/armenia/#military-and-security, Zugriff 14.10.2024
RA ARME - RA ARME - lokaler Rechtsanwalt in Armenien (22.7.2023): RA ARME - lokaler Rechtsanwalt in Armenien; Informationen via email, Quelldok. liegt im Archiv der Staatendok. auf
RA ARME - RA ARME - lokaler Rechtsanwalt in Armenien (6.2.2020): RA ARME - lokaler RA in Armenien; Information per email, Quelldok. liegt im Archiv der Staatendok. auf
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Wehrersatzdienst, Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung 2024-11-12 13:14
Es gibt einen Ersatzdienst. Dessen Voraussetzungen und Durchführung sind im Gesetz der Republik Armenien über den alternativen Dienst vom 17. Dezember 2003 in der Fassung vom 9. Juli 2018 (armAltDstG) geregelt. Nach Art. 2 armAltDstG gliedert sich der Alternativdienst in einen innerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Wehrdienst und einen außerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Arbeitsdienst. Nach Artikel 3 armAltDstG ist man berechtigt, einen alternativen Dienst zu leisten, wenn die Leistung des obligatorischen Militärdienstes in militärischen Einheiten sowie das Tragen, Halten, Aufbewahrung und Benutzung von Waffen der Konfession oder den religiösen Überzeugungen des Wehrdienstpflichtigen widerspechen. Der alternative Wehrdienst dauert gemäß Art. 5 armAltDstG 30 Monate, der alternative Arbeitsdienst 36 Monate. Die Anzahl derjenigen, die den Ersatzdienst beantragen, ist sehr gering (AA 5.3.2024).
Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Die Möglichkeit der Befreiung besteht in folgenden Fällen: Einzelkinder, deren Vater (Mutter) oder Bruder (Schwester) bei der Erfüllung von Dienstverpflichtungen zur Verteidigung der Republik Armenien umgekommen sind; Befreiung durch Regierungsbeschluss oder bereits abgeleisteter Militärdienst in Streitkräften anderer Länder bei doppelter Staatsangehörigkeit. In anderen Fällen ist eine Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (arbeitsunfähige Eltern; mutterlose Kinder; Väter von zwei oder mehr Kindern; Ehepartner mit Behinderungen der 1. oder 2. Kategorie; arbeitsunfähige Geschwister mit Behinderungen; Beschluss des Verteidigungsministeriums auf Grundlage der Stellungnahme der Gesundheitskommission) bis zum 27. Lebensjahr möglich. Fallen diese Gründe vor Vollendung des 27. Lebensjahrs weg, ist der Wehrdienst abzuleisten. Bleiben die Gründe nach Vollendung des 27. Lebensjahrs bestehen, muss sich der Betreffende als Reservist zur Verfügung halten und wird in Friedenszeiten nicht mehr eingezogen. Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA 5.3.2024).
Wehrpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht entzogen haben, werden strafrechtlich belangt. Es gibt keine Möglichkeit eines „Freikaufs“ mehr, das „Freikaufsgesetz“ vom 17. Dezember 2003 trat am 31.12.2019 außer Kraft (AA 5.3.2024).
Zu Fällen von Misshandlung von Ersatzdienstleistenden durch Vorgesetzte liegen keine Erkenntnisse vor (AA 5.3.2024).
LGBT-Personen können eine Befreiung vom Militärdienst beantragen. Dazu müssen sie jedoch eine "Diagnose" von "Homosexualität" oder "Transsexualismus" erhalten, die dann im einheitlichen elektronischen Informationssystem für das Gesundheitswesen registriert wird. Nach Angaben von LGBT-Gruppen kann diese "Diagnose" dazu führen, dass sie später bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten diskriminiert werden (HRW 11.1.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103145.html, Zugriff 16.1.2024
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2024-11-14 09:49
Armenien hat 2023 wichtige positive Reformen in den Bereichen Justiz, Polizei, Korruptionsbekämpfung, Steuerpolitik, Wahlgesetz, Bildung und territoriale Verwaltung durchgeführt. Internationale Partner und westliche Partnerstaaten und -institutionen befürworten und unterstützen die Reformagenda der Regierung. Die Besorgnis der Zivilgesellschaft über die Inklusivität der Reform- und Politikgestaltungsprozesse hält an. Eine sinnvolle Zusammenarbeit ist oft auf bestimmte Bereiche beschränkt und hängt von den Neigungen der Entscheidungsträger ab. Auch wenn einige Reformen zu wirksamen Regelungen führen, bleiben sie aufgrund einer unzureichenden oder uneinheitlichen Umsetzung oft hinter ihren Zielen zurück (FH 11.4.2024).
Es gab keine Berichte darüber, dass die Regierung oder ihre Vertreter im Laufe des Jahres willkürliche oder ungesetzliche Tötungen, einschließlich außergerichtlicher Tötungen, begangen haben (USDOS 23.4.2024).
Nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen (NRO) äußerten sich besorgt über Todesfälle in der Armee, bei denen es sich nicht um Kampfhandlungen handelte, und über das Versäumnis der Strafverfolgungsbehörden, glaubwürdige Untersuchungen dieser Todesfälle durchzuführen (USDOS 23.4.2024).
Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte kann im Ausnahmezustand oder zu Zeiten des Kriegsrechts zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Artikel 80 der Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und -freiheiten unantastbar (AA 25.7.2022).
Es sind keine systematischen Misshandlungen, Verhaftungen oder willkürlichen Handlungen der Staatsorgane gegenüber Personen oder bestimmten Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität bekannt. Menschenrechtswidrige Handlungen wie extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Fälle von Verschwindenlassen, Zwangsarbeit oder unmenschliche oder erniedrigende Strafen sind nicht bekannt (AA 5.3.2024).
Es gab keine Berichte über das Verschwindenlassen von Personen durch oder im Namen von Regierungsbehörden (USDOS 23.4.2024).
Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den genannten Gründen, wenn eine solche Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung, wenn sie von Beamten begangen wird, als einen erschwerenden Umstand. Die Regierung setzte das Gesetz gegen ethnische Gewalt und Diskriminierung uneinheitlich durch (USDOS 20.3.2023).
Das Gesetz schützt die Freizügigkeit und das Recht des Einzelnen, seinen Wohnsitz, seinen Arbeitsplatz und seine Ausbildung zu wechseln. In der Praxis wird der Zugang zur Hochschulbildung durch eine Kultur der Bestechung etwas erschwert. Das armenische Recht schützt die Eigentumsrechte in angemessener Weise, auch wenn die Beamten diese in der Vergangenheit nicht immer eingehalten haben (FH 2023).
Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um diese zu erreichen (USDOS 20.3.2023).
Die Verfassung verbietet willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, die Familie, die Wohnung oder die Korrespondenz, aber es gab Berichte, dass die Regierung diese Verbote nicht immer einhielt. Die Behörden konnten nicht legal Telefone abhören, Korrespondenz abfangen oder Durchsuchungen durchführen, ohne die Erlaubnis eines Richters einzuholen, der zwingende Beweise für kriminelle Aktivitäten vorlegte. Die Verfassung sah jedoch Ausnahmen vor, in denen die Vertraulichkeit der Kommunikation zum Schutz der Staatssicherheit ohne richterliche Anordnung eingeschränkt werden konnte. Obwohl sich die Strafverfolgungsbehörden im Allgemeinen an die gesetzlichen Verfahren hielten, behaupteten Beobachter, dass Richter Abhörmaßnahmen und andere Überwachungsanfragen des Nationalen Sicherheitsdienstes und der Polizei ohne die gesetzlich vorgeschriebenen zwingenden Beweise genehmigten. Darüber hinaus berichteten die Beobachter von einigen wenigen Fällen, in denen die Strafverfolgungsbehörden die Kommunikation von Anwälten unter Verletzung des Anwaltsgeheimnisses abhörten (USDOS 23.4.2024).
Die Verfassung und die Gesetze gaben den Bürgern die Möglichkeit, ihre Regierung in freien und fairen, regelmäßig stattfindenden, geheimen Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.7.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2076734/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien_(Stand_Mai_2022),_25.07.2022.pdf, Zugriff 14.10.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (11.4.2024): Nations in Transit 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107348.html, Zugriff 14.6.2024
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088482.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung 2024-11-14 10:04
Die private Diskussion ist relativ frei und lebendig (FH 2024a). In der Verfassung und in den Gesetzen ist das Recht auf freie Meinungsäußerung verankert, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien. Die Regierung respektierte dieses Recht im Allgemeinen, mit einigen Ausnahmen. Einzelpersonen konnten die Regierung im Allgemeinen frei kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen; es gab jedoch einige Ausnahmen (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz verbietet das Abhören oder andere elektronische Überwachungen ohne richterliche Genehmigung, obwohl es der Justiz an Unabhängigkeit mangelt und ihr vorgeworfen wurde, den um Zustimmung ersuchenden Strafverfolgungsbehörden zu viel Nachsicht zu gewähren (FH 2024a).
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) begrüßte die Entkriminalisierung der Bestimmung, die die Beleidigung von Regierungsbeamten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unter Strafe stellt (AI 24.4.2024). Obwohl Verleumdung straffrei ist, bringen Politiker und Privatunternehmen häufig Zivilklagen gegen Journalisten und Medienunternehmen ein, verwickeln sie in langwierige Rechtsstreitigkeiten und drohen mit hohen Geldstrafen (HRW 11.1.2024).
Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei und veröffentlichen in der Regel online. Kleine unabhängige Medien bieten oft eine solide Berichterstattung, die die Darstellungen der staatlichen Sender und anderer etablierter Medien in Frage stellt. Im Vergleich dazu sind die meisten Printmedien und Rundfunkanstalten mit politischen oder größeren kommerziellen Interessen verbunden (FH 2024a).
Die Rundfunkmedien, einschließlich des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Quellen für Nachrichten und Informationen. Einigen Medienbeobachtern zufolge präsentierte das öffentliche Fernsehen weiterhin Nachrichten und politische Debatten von einem regierungsfreundlichen Standpunkt aus, obwohl es für oppositionelle Stimmen zugänglich blieb (USDOS 23.4.2024).
Die Medien waren politisch polarisiert, und die finanzielle Lebensfähigkeit der Medien war weiterhin ein Hindernis für die Pressefreiheit. Privatpersonen oder Gruppen, die Berichten zufolge mit früheren Behörden oder parlamentarischen Oppositionsparteien verbunden waren, hielten weiterhin Anteile an vielen Rundfunk- und Fernsehanstalten und Zeitungen, die in der Regel die politischen Neigungen und finanziellen Interessen ihrer Eigentümer widerspiegelten. Im Laufe des Jahres weiteten die Regierungsbehörden ihre finanziellen Investitionen in die Medien aus, was die Polarisierung noch verschärfte. Es gab noch eine Handvoll unabhängiger Medien, die nicht von der finanziellen Unterstützung politisch verbundener Geber abhängig waren; sie waren stattdessen aufgrund ihrer begrenzten Einnahmen aus Werbung und Abonnementgebühren auf die Unterstützung internationaler Geber angewiesen (USDOS 23.4.2024).
Nutzer sozialer Medien äußerten auf verschiedenen Plattformen frei ihre Meinung über die Regierung und die früheren Behörden. Cybermobbing, auch gegenüber Journalisten, aufgrund von politischer Zugehörigkeit, Geschlechtsidentität und Gleichstellungsthemen führte jedoch zur Selbstzensur (USDOS 23.4.2024).
Während das NRO-Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit für die erste Jahreshälfte ein relativ ruhiges politisches Umfeld und keine Fälle von physischer Gewalt gegen Journalisten meldete, änderte sich die Situation im Herbst im Zusammenhang mit der Vorwahlkampagne zu den Kommunalwahlen in Eriwan und der Militäraktion Aserbaidschans vom 19. September in Berg-Karabach sowie den darauf folgenden politischen Protesten. Nach Angaben der NRO kam es bei Demonstrationen, Versammlungen und anderen Veranstaltungen zu zwei Fällen von körperlicher Gewalt sowie zu verschiedenen anderen Formen von Angriffen in den sozialen Medien und zu Gerichtsverfahren gegen Medienvertreter, die von Personen eingeleitet wurden, die mit der Regierung verbunden sind (USDOS 23.4.2024).
Journalisten sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internationale Medienrepräsentanten arbeiten frei. Die erhältlichen ausländischen Zeitungen und Zeitschriften werden nicht zensiert. Internetseiten sind frei zugänglich (AA 5.3.2024). Obwohl das Online-Umfeld in Armenien nach wie vor offen ist, hat sich die Internetfreiheit während des Berichtszeitraums Juni 2022 - Mai 2023 leicht verschlechtert, was in erster Linie auf Beschränkungen des freien Informationsflusses im Zusammenhang mit den Übergriffen des aserbaidschanischen Militärs auf armenisches Territorium in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 sowie auf eine Zunahme von Cyberangriffen zurückzuführen ist (FH 4.10.2023).
Am 25. Mai verabschiedeten regierungsnahe Gesetzgeber ein Gesetz, das es staatlichen Stellen erlaubt, Journalisten die Zulassung zu entziehen, wenn sie zweimal innerhalb eines Jahres gegen die "Arbeitsregeln" der zuständigen Stellen verstoßen haben (USDOS 20.3.2023).
Die Regierung hat den Zugang zum Internet nicht eingeschränkt oder gestört und keine Online-Inhalte zensiert (USDOS 23.4.2024).
Die Verfassung verbietet willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, die Familie, die Wohnung oder die Korrespondenz, aber es gab Berichte, dass die Regierung diese Verbote nicht immer einhielt. Die Behörden konnten nicht legal Telefone abhören, Korrespondenz abfangen oder Durchsuchungen durchführen, ohne die Erlaubnis eines Richters einzuholen, der zwingende Beweise für kriminelle Aktivitäten vorlegte. Die Verfassung sah jedoch Ausnahmen vor, in denen die Vertraulichkeit der Kommunikation zum Schutz der Staatssicherheit ohne richterliche Anordnung eingeschränkt werden konnte. Obwohl sich die Strafverfolgungsbehörden im Allgemeinen an die gesetzlichen Verfahren hielten, behaupteten Beobachter, dass Richter Abhörmaßnahmen und andere Überwachungsanfragen des Nationalen Sicherheitsdienstes und der Polizei ohne die gesetzlich vorgeschriebenen zwingenden Beweise genehmigten. Darüber hinaus berichteten die Beobachter von einigen wenigen Fällen, in denen die Strafverfolgungsbehörden die Kommunikation von Anwälten unter Verletzung des Anwaltsgeheimnisses abhörten (USDOS 23.4.2024).
Die CPFE (Committee to Protect Freedom of Expression) verzeichnete zwischen Januar und September 2023 drei Fälle von körperlicher Gewalt gegen Journalisten (FH 2024a). Auf der Rangliste der Pressefreiheit für 2024 der NRO Reporter ohne Grenzen (RSF) befindet sich Armenien auf Platz 43 von 180 gelisteten Ländern, was eine Verbesserung um 6 Plätze im Vergleich zum Vorjahr darstellt (RSF 2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
FH - Freedom House (4.10.2023): Freedom on the Net 2023 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2100657.html#alert, Zugriff 21.11.2023
HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103145.html, Zugriff 16.1.2024
RSF - Reporter ohne Grenzen (2024): Rangliste der Pressefreiheit 2024, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2024/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2024.pdf, Zugriff 3.5.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung 2024-11-14 10:44
Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ist nicht eingeschränkt. Die Verfassung (Art. 44) garantiert das Recht auf Organisation von und die Teilnahme an „friedlichen und nicht bewaffneten“ Versammlungen. Das Versammlungsgesetz entspricht EU- und anderen internationalen Standards. Die Versammlungsfreiheit wird durch die Polizei respektiert (AA 5.3.2024). Die Regierung respektierte die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen, aber es gab einige Einschränkungen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024a).
Die Vereinigungsfreiheit hat Verfassungsrang (Art. 45). Das Recht auf Streik gilt nicht uneingeschränkt (AA 5.3.2024).
Nachdem Aserbaidschans Militäroperation in Berg-Karabach am 19. September begonnen hatte, kam es in Eriwan zu Protesten, die bis zum 30. September allmählich abnahmen. Bei mehreren Gelegenheiten gingen die Demonstranten, die von der Opposition angeführt und Berichten zufolge von ausländischen Akteuren angestiftet wurden, zu aggressivem Verhalten und Gewalt über, forderten den Rücktritt des Premierministers und versuchten, das Regierungsgebäude zu stürmen, in dem der Premierminister arbeitete. Die Polizei reagierte mit einem begrenzten Einsatz von Gewalt und Betäubungsgranaten (USDOS 23.4.2024).
Der große informelle Arbeitsmarkt behindert de facto die Wahrnehmung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte. Zudem machen wegen der ungünstigen Wirtschaftslage und der somit unsicheren Arbeitsplätze nur wenige Arbeitnehmer von ihrem Recht Gebrauch, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Dementsprechend spielen Gewerkschaften im öffentlichen Leben eine nur untergeordnete Rolle (AA 5.3.2024).
Das Gesetz schützt das Recht aller Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024a), mit Ausnahme des nicht zivilen Personals der Streitkräfte und der Strafverfolgungsbehörden (AA 5.3.2024). Das Gesetz sieht mit einigen Ausnahmen das Streikrecht vor und lässt Tarifverhandlungen zu (USDOS 23.4.2024). Am 11. April erklärte das Verfassungsgericht die pauschale Beschränkung der Mitgliedschaft in Gewerkschaften für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei, der Staatssicherheit und der Staatsanwaltschaft sowie für Richter des Verfassungsgerichts für verfassungswidrig (USDOS 23.4.2024).
Politische Parteien und Oppositionsgruppen können seit 2018 in einem wesentlich freieren Umfeld agieren. Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, die die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des Landes binden und die Spenden von Einzelpersonen begrenzen. An den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2021 nahm eine noch nie dagewesene Anzahl politischer Einheiten teil - 22 politische Parteien und vier Bündnisse (FH 2024a).
Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.3.2024).
Es gab keine glaubwürdigen Berichte über politische Gefangene (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
Haftbedingungen
Letzte Änderung 2024-11-15 16:07
Es gab Berichte über menschenunwürdige Bedingungen in den Haftanstalten, trotz der Bemühungen der Regierung, Renovierungsarbeiten durchzuführen. Laut der Prison Monitoring Group (PMG), einem Zusammenschluss lokaler Nichtregierungsorganisationen, waren die Haftbedingungen im Abovyan-Gefängnis unzureichend, obwohl die Wasserversorgung, die Toiletten und die Zellen modernisiert wurden. Die PMG führte an, dass es nach wie vor an grundlegenden Wohneinrichtungen für Frauen mangelt, die Luftfeuchtigkeit zu hoch ist und kein Zugang zu heißem Wasser besteht. Bei den Einrichtungen für Männer stellte die PMG fest, dass die Bedingungen in der Justizvollzugsanstalt Nubarashen „besorgniserregend“ sind, und in der Justizvollzugsanstalt Armavir herrscht, obwohl sie mit einem Belüftungssystem ausgestattet ist, in einigen Zellen übermäßige Feuchtigkeit (USDOS 23.4.2024).
Nach Angaben der PMG und anderer Menschenrechtsorganisationen wurden LGBTQI+-Personen in den Gefängnissen diskriminiert und misshandelt (USDOS 23.4.2024).
In mehreren Berichten wurden Menschenrechtsbedenken im Zusammenhang mit den Haftbedingungen geäußert, einschließlich der physischen Bedingungen, des Zugangs zu medizinischer Versorgung und psychologischer Unterstützung, der Behandlung von LGBTQI+-Personen und der Ausbeutung durch hierarchische kriminelle/organisierte Verbrechensstrukturen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2023).
In Armenien gibt es zehn Haftanstalten. Die hygienischen Verhältnisse sind zufriedenstellend. Angebote für Freizeitaktivitäten gibt es kaum. Häftlinge dürfen Besuch empfangen und telefonieren. Bewegungseinschränkende Maßnahmen wie z. B. Handschellen gibt es nicht. Der Überbelegung der Gefängnisse wurde durch Aussetzung von Haftstrafen zur Bewährung, Verkürzung von Haftstrafen und Freilassung auf Kaution entgegengewirkt, sodass zum 1. Januar 2022 zwei Gefängnisse geschlossen werden konnten. Dennoch sind die Zellen überbelegt (AA 5.3.2024; vgl. USDOS 20.3.2023).
Beobachtern zufolge besteht weiterhin Bedarf an besseren psychologischen Diensten und Personal in den Gefängnissen, obwohl die Regierung Programme zur Erhöhung der Gehälter und zur Umverteilung von Psychologen aus geschlossenen Haftanstalten aufgelegt hat (USDOS 20.3.2023).
In seinem Bericht nahm das CPT [Committee for the Prevention of Torture] die laufende Reform des Gesundheitsdienstes in den Gefängnissen und die Einrichtung eines strafvollzugsmedizinischen Zentrums, einer öffentlichen, nicht kommerziellen Organisation für die Gesundheitsversorgung in den Gefängnissen, zur Kenntnis, äußerte jedoch seine Besorgnis darüber, dass sich die Insassen nach wie vor über mangelnden Zugang zu spezialisierter Versorgung beklagten. In den meisten Gefängnissen fehlte es an Unterbringungsmöglichkeiten für Insassen mit Behinderungen (USDOS 12.4.2022).
Die Regierung bekräftigte ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption in den Gefängnissen und brachte ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, die organisierte, hierarchische kriminelle Struktur, die das Leben in den Gefängnissen beherrschte, zu beseitigen. Beobachter stellten einige Fortschritte bei der Bekämpfung der systemischen Korruption fest, doch Experten schätzten ein, dass die Korruption so lange fortbestehen wird, wie die kriminelle Subkultur weiter besteht (USDOS 20.3.2023).
Die PMG berichtete über einen Mangel an Rechenschaftspflicht seitens des Untersuchungsausschusses, der für die Untersuchung von Todesfällen in Gefängnissen zuständig ist, und über einen Mangel an Informationen über die Ergebnisse seiner Untersuchungen (USDOS 23.4.2024).
Obwohl die Regierung im Jahr 2022 Verfahren zur Bewertung von Selbstverletzungen und Selbstmordprävention eingeführt hat, sind Fälle von Selbstverletzungen nach wie vor ein großes Problem, ebenso wie der Zugang zu medizinischen und psychologischen Diensten, so die PMG (USDOS 23.4.2024).
Nach Angaben der PMG und anderer Beobachter führten die Behörden keine zeitnahen Ermittlungen bei glaubwürdigen Misshandlungsvorwürfen durch (USDOS 23.4.2024).
Die Regierung gestattete in- und ausländischen Menschenrechtsgruppen, darunter dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter (CPT), die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten zu überwachen, was sie auch regelmäßig taten (USDOS 23.4.2024).
Das Büro der Ombudsperson wies weiterhin auf das systemische Problem der inakzeptablen Bedingungen in den Haftanstalten im ganzen Land hin (USDOS 23.4.2024).
Menschenrechtsanwälten zufolge führte die übermäßige Inanspruchnahme der Untersuchungshaft zu einer Überfüllung einiger Gefängnisse, obwohl die Regierung begann, in begrenzten Fällen Hausarrest als Mittel zur Lösung dieses Problems einzusetzen (USDOS 23.4.2024).
Nach Angaben der Regierung hat der Strafvollzugsdienst in den ersten zehn Monaten des Jahres in mehreren Einrichtungen, darunter auch in der Justizvollzugsanstalt Nubarashen, die Entwässerungs- und Wasserversorgungssysteme repariert, die Dächer mehrerer Einrichtungen, darunter auch der Justizvollzugsanstalt Nubarashen, instand gesetzt und eine Reihe anderer Reparaturen durchgeführt, darunter Notsanierungsarbeiten in den Badezimmern, die Renovierung von Zellen und Zimmern sowie die Reparatur von Heizkesseln und Warmwasserbereitern (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088482.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071159.html, Zugriff 7.9.2023
Todesstrafe
Letzte Änderung 2024-11-15 16:12
Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 5.3.2024). Im Oktober ratifizierte Armenien das Protokoll Nr. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention und vollendete damit die Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen, auch für Verbrechen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden (AI 24.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2024-11-15 17:22
Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert (Art. 41) und darf nur durch Gesetz und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Nach Art. 17 der Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5 Prozent aus. Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich amtlich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können dies jedoch tun. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten, missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Es gibt wenige Muslime in Armenien, diese vor allem in Eriwan. Sie können ihren Glauben frei ausüben (AA 5.3.2024; vgl. USDOS 2.6.2022).
Das Gesetz verbietet die "Behinderung des Rechts auf freie Religionsausübung", Hassreden und öffentliche Aufrufe zur Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe aus religiösen Gründen durch öffentliche Äußerungen, Massenmedien oder unter Ausnutzung der eigenen öffentlichen Stellung (USDOS 30.6.2024).
Laut der Volkszählung von 2022 bekennen sich etwa 97,5 Prozent der Bevölkerung zur armenisch-apostolischen Kirche. Zu den anderen religiösen Gruppen gehören römische Katholiken, armenische unierte Katholiken, orthodoxe Christen und evangelische Christen, darunter Anhänger der Armenischen Evangelischen Kirche, Pfingstler, Siebenten-Tags-Adventisten, Baptisten, charismatische Christen und Zeugen Jehovas. Außerdem gibt es Anhänger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Kirche Jesu Christi) und der Heiligen Apostolischen Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens sowie Molokan-Christen, Jesiden, Personen jüdischen Glaubens, Bahais, schiitische Muslime, sunnitische Muslime und Heiden, die einem vorchristlichen Glauben anhängen (USDOS 30.6.2024).
Beobachter schätzten die jüdische Bevölkerung des Landes auf 500 bis 1.000 Personen, zu denen seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine im Jahr 2022 mehrere hundert weitere Personen aus Russland hinzukamen. Es gab keine bestätigten Berichte über antisemitische Vorfälle (USDOS 23.4.2024; vgl. USDOS 30.6.2024).
In Artikel 18 der Verfassung wird die armenisch-apostolische Kirche als „Nationalkirche“ anerkannt, die für die Erhaltung der armenischen nationalen Identität verantwortlich ist (FH 2024a; vgl. USDOS 30.6.2024). Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund der Religion und schreibt die Trennung von religiösen Organisationen und dem Staat vor ().
Die meisten religiösen Minderheiten, einschließlich der Siebenten-Tags-Adventisten, evangelikaler christlicher Gruppen, der Zeugen Jehovas und der Bahais, berichteten, dass die öffentliche Einstellung ihnen gegenüber im allgemeinen positiv ist und dass es nur wenig oder gar keine negative Medienberichterstattung über sie gibt, obwohl mehrere Medien im Laufe des Jahres negative Berichte über sie brachten (USDOS 15.5.2023).
Gesellschaftlicher und familiärer Druck war weiterhin eine große Abschreckung für ethnische Armenier, eine andere Religion als den armenisch-apostolischen Glauben zu praktizieren (USDOS 2.6.2022).
Das Gesetz verbietet Proselytismus, der als Zwangsbekehrung interpretiert werden kann, definiert ihn aber nicht (USDOS 30.6.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111638.html, Zugriff 11.7.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091908.html, Zugriff 7.9.2023
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073981.html, Zugriff 8.9.2023
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2024-11-05 12:03
Das Gesetz sieht garantierte Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 23.4.2024).
Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden (AA 5.3.2024).
Die Einreise nach Aserbaidschan über die Landgrenze aus Armenien ist nicht möglich. Das betrifft auch die Region Bergkarabach und den sogenannten „Latschin-Korridor“. Die Grenzen zur Türkei sind seit Jahren dauerhaft geschlossen (AA 14.10.2024; vgl. BMEIA 14.10.2024).
Vertriebene und Flüchtlinge aus Berg-Karabach, die von der Regierung einen „vorübergehenden Schutzstatus“ erhielten, konnten mit ihren armenischen Pässen reisen (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2024): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872#content_1, Zugriff 14.10.2024
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.10.2024): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien, Zugriff 14.10.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
Meldewesen
Letzte Änderung 2024-11-06 11:02
Adressen mit Angabe von Straße, Hausnummer, Postleitzahl und Ort gibt es. Man kann im öffentlich zugänglichen Wählerregister, in dem alle wahlberechtigten armenischen Staatsangehörigen eingetragen sind, mit Eingabe der Personalien feststellen, wer unter welcher Adresse gemeldet ist. Dieses Register ist im Internet frei zugänglich, wird aber nur auf Armenisch geführt (AA 5.3.2024).
Ein zentrales digitalisiertes Personenstandsregister ist vorhanden. Auskünfte werden nur betroffenen Personen bzw. deren notariell bevollmächtigtem Vertreter erteilt. Alle neuen Personenstandsurkunden werden elektronisch erstellt und können (wie auch die alten Personenstandsurkunden) problemlos mit einer Apostille versehen werden. Die Apostille kann mit QR-Code auf der Website des Justizministeriums überprüft werden (AA 5.3.2024).
Ein zentrales Fahndungsregister existiert. Auskünfte über Haftbefehle können von den Betroffenen selbst oder durch notariell bevollmächtigte Vertreter eingeholt werden (AA 5.3.2024). Es gibt ein zentrales Strafregister. Dort werden die abgeschlossenen Strafverfahren eingetragen. Für laufende Strafverfahren gibt es kein zentrales Register. Auskunftsersuchen aus dem Strafregister sind wiederum nur Betroffenen selbst bzw. ihren notariell bevollmächtigten Vertretern möglich (AA 5.3.2024).
Es ist möglich, durch Einsicht in das öffentlich zugängliche armenische Wählerregister, in das nur volljährige armenische Staatsangehörige ohne Foto eingetragen werden, Anhaltspunkte zu einer möglichen Staatsangehörigkeit und möglichen Verwandtschaftsverhältnissen zu eruieren (AA 5.3.2024).
Quelle
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung 2024-11-05 12:07
Die Behörden arbeiteten mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylbewerbern sowie anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 23.4.2024). Es gab Berichte über nicht systembedingte Diskriminierung bei der Annahme von Anträgen und bei der Inhaftierung von Asylbewerbern aufgrund des Herkunftslandes, der ethnischen Zugehörigkeit, der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität oder der Religion des Asylbewerbers sowie über Schwierigkeiten bei der Integration. Beobachter der Zivilgesellschaft berichteten über diskriminierende Haltungen und Misstrauen gegenüber ausländischen Migranten, die Arbeit suchen (USDOS 23.4.2024).
Die meisten der mehr als 100.000 Menschen, die im September 2023 aus Berg-Karabach nach Armenien geflohen sind, hatten armenische Pässe mit einem speziellen Code, der die Region Berg-Karabach bezeichnet. Im Oktober erhielten sie einen neuen „vorübergehenden Schutzstatus“. Experten haben sich besorgt darüber geäußert, dass diese Personen im Rahmen des Gesetzes über den vorübergehenden Schutz vor der schwierigen Wahl stehen, entweder den Flüchtlingsstatus anzunehmen oder armenische Staatsbürger mit vollen politischen Rechten und anderen Vorteilen zu werden. Diejenigen, die sich für die Staatsbürgerschaft entscheiden, werden wahrscheinlich den Zugang zu der für Flüchtlinge vorgesehenen Unterstützung verlieren (FH 2024a).
Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung verfügt über ein etabliertes System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge. Das Gesetz verpflichtete die Gewahrsamsbehörde, die Inhaftierten über ihr Recht auf Asylantragstellung zu informieren, und sah eine Frist von 15 Tagen für die Antragstellung vor (USDOS 23.4.2024).
Das Gesetz berücksichtigte die besonderen Bedürfnisse von Asylbewerbern, die Kinder, Menschen mit geistigen Behinderungen und Überlebende von Traumata waren. Die Behörden setzten das Gesetz im Allgemeinen durch, allerdings nur in dem Maße, wie es die knappen Ressourcen zuließen. Flüchtlinge, die keine ethnischen Armenier waren, konnten eine erleichterte Einbürgerung beantragen, die das Bestehen eines Tests über verfassungsrechtliche Kenntnisse voraussetzte (USDOS 23.4.2024).
Insgesamt bewerteten die Beobachter den Zugang von Flüchtlingen und Asylbewerbern zum Gesundheitssystem als angemessen, merkten aber an, dass Asylbewerber auf Schwierigkeiten stießen, weil sie keinen Zugang zum Online-Gesundheitssystem ArMed hatten, was vor allem auf Sprachbarrieren zurückzuführen war. Ein Dienstleister wies darauf hin, dass einige Einrichtungen wie Polikliniken, Banken und private Arbeitgeber das Konventions-Reisedokument (das von der Regierung ausgestellt wird, um nachzuweisen, dass der Inhaber ein Flüchtling ist und ihm Asyl gewährt wurde) nicht als Ausweis anerkennen (USDOS 23.4.2024).
Eine zentrale Registrierung von Flüchtlingen erfolgt nicht. Die meisten kommen im privaten Wohnungsmarkt unter - mit finanzieller Hilfe von UNHCR und in Zusammenarbeit mit NROs (AA 5.3.2024).
Die Regierung nahm Flüchtlinge zur Familienzusammenführung auf und bot Flüchtlingen, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhielten, die Einbürgerung an. Im Jahr 2021 verabschiedete die Regierung den konzeptionellen Rahmen für die staatliche Steuerung der Migration, der die Entwicklung der Integrationsstrategie 2021-31 und des Aktionsplans für 2021-26 vorsah. Der Rahmen bot auch Integrationsprogramme für Rückkehrer aus westeuropäischen Ländern an, die entweder freiwillig zurückkehrten oder vom Aufnahmeland abgeschoben wurden (USDOS 23.4.2024).
Die Behörden boten einigen vertriebenen ethnischen Armeniern aus dem Ausland weiterhin eine Reihe von Schutzoptionen an, darunter die beschleunigte Einbürgerung, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Flüchtlingsstatus. Durch die rasche Einbürgerung erhielten die Vertriebenen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung und die meisten anderen sozialen Dienste wie andere Bürger. Viele der landesweiten Reformen, wie die Bereitstellung von mehr Sozialleistungen, höheren Renten und einer leichter zugänglichen Gesundheitsversorgung, kamen auch den Flüchtlingen zugute, die eingebürgert wurden (USDOS 20.3.2023).
Das Gesetz sieht die Verleihung der Staatsbürgerschaft an staatenlose Kinder vor, die auf dem Territorium des Landes geboren wurden (USDOS 23.4.2024).
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien kamen über 20.000 Flüchtlinge nach Armenien (99 % armenisch-stämmige Christen), davon wurde ein Großteil aufgrund des gegenüber Immigranten armenischer Abstammung liberalen armenischen Staatsangehörigkeitsrechts mittlerweile eingebürgert. Seit Beginn des Ukrainekriegs und insbesondere seit der Mobilmachung in Russland im September 2022 kamen Zehntausende russischer Flüchtlinge nach Armenien. Anfeindungen gegen russische Staatsangehörige oder staatliche Verfolgung sind nicht bekannt (AA 5.3.2024).
Am 26. Oktober schuf die Regierung einen „vorübergehenden Schutzstatus“ für Vertriebene aus Berg-Karabach. Der neue Status sollte für drei Gruppen gelten: Personen, die als in Berg-Karabach wohnhaft registriert sind, Personen, die zuletzt in Berg-Karabach registriert waren, und nicht registrierte Personen, die zwischen September und Oktober 2023 auf dem Landweg eingereist sind. Da der Status sowohl für kürzlich in Berg-Karabach ansässige Personen als auch für die im Jahr 2020 vertriebenen Personen gelten würde, könnte er nach Angaben der Migrations- und Staatsbürgerschaftsbehörde bis zu 150.000 Personen betreffen. Die Regierung kündigte außerdem an, dass ehemalige Bewohner von Berg-Karabach die Staatsbürgerschaft beantragen können (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024a). Vertriebene und Flüchtlinge aus Berg-Karabach, die von der Regierung einen „vorübergehenden Schutzstatus“ erhielten, konnten mit ihren armenischen Pässen reisen (USDOS 23.4.2024).
Der Zustrom ethnischer Armenier, die Ende 2023 aus Berg-Karabach flohen, führte in Armenien zu einer Wohnungskrise. Tausende von Menschen lehnten die staatliche Unterstützung ab, um in den Grenzregionen zu wohnen, und entschieden sich stattdessen für sicherere Notunterkünfte in der Nähe der Hauptstadt (FH 2024a). Landminen, die zuvor von armenischen Streitkräften in und um Berg-Karabach in Aserbaidschan gelegt worden waren, stellten weiterhin eine tödliche Bedrohung dar und verhinderten die sichere Rückkehr der Vertriebenen (AI 24.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Armenia 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107832.html, Zugriff 14.6.2024
FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105009.html, Zugriff 3.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung 2024-11-05 12:32
In Armenien ist ein breites Warenangebot vorhanden. Umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Die Gas-, Wasser- und Stromversorgung ist gewährleistet. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist jedoch finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2022 leben 43 Prozent der Menschen in Armenien unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell von Verwandten aus dem Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt ca. 75.000 armenische Dram (AMD) [ca 179 Euro] im Monat, der offizielle Mindestlohn 68.000 AMD [ca 162 Euro]. Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 5.3.2024).
Der durchschnittliche Lohn beträgt 265.471 AMD [ca. 628,43 Euro] pro Monat (IOM 6.2023).
Im Jahr 2023 hat die Arbeitslosenquote in Armenien geschätzt rund 12,5 Prozent betragen. Für das Jahr 2024 wird die Arbeitslosenquote in Armenien auf rund 13,0 % prognostiziert (Statista 25.4.2024a).
Im Jahr 2023 hat die durchschnittliche Inflationsrate in Armenien geschätzt rund 2,0 Prozent betragen. Für das Jahr 2024 wird die durchschnittliche Inflationsrate in Armenien auf rund 3,1 Prozent prognostiziert (Statista 25.4.2024b).
Armenien verfügt über reiche Vorkommen mineralischer Rohstoffe: Kupfer, Blei, Zink, Molybdän, Gold und Silber. Aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität werden die Bergbauprodukte bisher als Rohstoffe exportiert. Nach einem Rekordwirtschaftswachstum im Jahr 2022 verlangsamte sich das Wachstumstempo im Jahr 2023. 2023 verzeichnete Armeniens Wirtschaft immer noch ein starkes Wachstum von +8,7 % und wird 2024 weiter wachsen. Wirtschaftsreformen werden in Armenien weiterhin vorangetrieben, um den Wohlstand zu erhöhen und die Zuversicht der Bevölkerung, nach dem Verlust von Berg-Karabach, zu verbessern. Die Prioritäten der Regierung konzentrieren sich auf Reformen des nationalen Sicherheits- und Verteidigungssystems, Entwicklung der Infrastruktur, Modernisierung der Industrie, Digitalisierung der Verwaltung und Verbesserung der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen. Bis Ende 2024 soll zumindest die Hälfte der öffentlichen Dienstleistungen Armeniens digital abgewickelt werden, wodurch sie für Bürger sowie Unternehmen leichter zugänglich werden (WKO 6.2024).
Die durch den Krieg ausgelöste massive Migration von Russen nach Armenien förderte die Wirtschaftsleistung, trug aber auch zu einem Anstieg der Mietpreise und der Lebenshaltungskosten im Allgemeinen bei (AI 27.3.2023).
Das Gesetz verbietet und kriminalisiert alle Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit. Am 5. Oktober nahm die Regierung eine Definition von Zwangs- und Pflichtarbeit in das Arbeitsgesetzbuch auf. Die Strafverfolgung war nicht proaktiv und stützte sich weitgehend auf die Selbstauskunft der Opfer (USDOS 20.3.2023).
Der monatliche Mindestlohn lag über der Armutsgrenze. Das Gesetz sah eine 40-Stunden-Woche, 20 Tage bezahlten Jahresurlaub und einen Ausgleich für Überstunden und Nachtarbeit vor (USDOS 23.4.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World’s Human Rights; Armenia 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089419.html, Zugriff 7.9.2023
IOM - International Organization for Migration (6.2023): Armenia - Länderinformationsblatt 2023, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2023_Armenia_DE.pdf, Zugriff 19.9.2024
Statista - Statista (25.4.2024a): Armenien - Arbeitslosenquote bis 2029, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409122/umfrage/arbeitslosenquote-in-armenien, Zugriff 14.10.2024
Statista - Statista (25.4.2024b): Armenien - Inflationsrate bis 2029, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/409153/umfrage/inflationsrate-in-armenien, Zugriff 14.10.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107681.html, Zugriff 29.4.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html, Zugriff 7.9.2023
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (6.2024): WKO - Wirtschaftsbericht Armenien, https://www.wko.at/noe/aussenwirtschaft/armenien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 4.10.2024
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung 2024-11-05 15:48
Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, Dringende Unterstützung, Pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 6.2023).
Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten. Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleister, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 6.2023).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Menschen mit Behinderung, ältere Personen, Rentner, Waisen, Opfer von Menschenhandel und Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 49 Büros des staatlichen Sozialversicherungsdienstes (IOM 6.2023).
Die Medical Social Expertise Agency des Ministeriums für Arbeit und Soziales bietet medizinische und soziale Untersuchungen an. In den Aufgabenbereich der Agentur fällt die Festlegung von Fördergruppen, die Identifizierung von Beeinträchtigungen und die Festlegung der Förderdauer, aber auch die Feststellung der Eignung und Empfehlung für bestimmte Berufe (IOM 6.2023).
Die staatliche Arbeitsagentur des Ministeriums für Arbeit und Soziales führt staatliche Programme durch, die darauf abzielen, nachhaltige Beschäftigung für Arbeitssuchende und die Erfüllung der Arbeitsnachfrage zu sichern und eine effektive Nutzung der verfügbaren Arbeitskräfte zu gewährleisten. Die staatliche Arbeitsagentur bietet als Arbeitslosenunterstützung folgende Dienstleistungen an: Beratung und Information über die von der Agentur angebotenen Dienstleistungen; Beratung zur beruflichen Orientierung; Antrag auf freie Mitarbeit; Teilnahme an staatlichen Beschäftigungsprogrammen und -veranstaltungen; Berufsausbildung und Umschulung (IOM 6.2023). Es gibt auch private Arbeitsvermittlungsagenturen (IOM 6.2023).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales führt auf Beschluss der Regierung ein Sozialwohnungsprogramm für sozial benachteiligte und besondere Gruppen durch, die Wohnraum benötigen. Diese Gruppe umfasst Personen, die keinen Wohnraum besitzen, in einer temporären Unterkunft oder anderen öffentlichen Einrichtungen leben (IOM 6.2023).
Quelle
IOM - International Organization for Migration (6.2023): Armenia - Länderinformationsblatt 2023, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2023_Armenia_DE.pdf, Zugriff 19.9.2024
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung 2024-11-05 15:52
Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet, entspricht jedoch insbesondere außerhalb der großen Städte nicht immer europäischem Standard. Die Notfallversorgung ist in der Regel gegeben. In entlegenen Gebieten des Landes kann bei Krankheit oder Unfall nicht mit einer raschen und effizienten medizinische Betreuung gerechnet werden (AA 14.10.2024). Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Gesundheitsversorgung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 6.2023). Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen. Sie erfolgt durch niedergelassene Ärzte, die sowohl in der eigenen Praxis als auch in Krankenhäusern tätig sind. Die tertiäre medizinische Versorgung ist größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Eriwan vorbehalten. Hierbei handelt es sich um spezialisierte medizinische Versorgung mit teilweise teuren und aufwendigen Leistungen (AA 5.3.2024).
Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei, die Behandlung in Fachkliniken ist meist kostenpflichtig. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung, da für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung kostenpflichtiger ärztlicher Behandlung schwierig geworden ist. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien. Für das Jahr 2024 ist die erste Phase der umfassenden „Reform zur Einführung eines allgemeinen Krankenversicherungssystems“ geplant (AA 5.3.2024).
Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 6.2023).
Die Versorgung mit Arzneimitteln, inklusive Einwegspritzen, kann nicht immer gewährleistet werden (BMEIA 14.10.2024). Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist beschränkt auf 10 unterschiedliche Arzneimittel, mit jeweils 3 Packungen, falls keine Bescheinigung (Rezept oder Auszug aus der Epikrise) vorliegt, die eine größere Menge, die für die Behandlung benötigt wird, rechtfertigt (IOM 6.2023; vgl. BMEIA 14.10.2024). Verschreibungen müssen in russischer oder armenischer Sprache mitgeführt werden (BMEIA 14.10.2024).
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge sind die vergleichsweise geringen Löhne des medizinischen Personals (allgemein praktizierender Arzt ca. 250 Euro/Monat). Dies führt dazu, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens teilweise unzureichend ist. Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern deshalb in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Dennoch gehören beispielsweise Endokrinologen, Neurologen, Traumatologen/Chirurgen und Augenärzte zum Standardpersonal in Polikliniken (AA 5.3.2024).
Stationäre und ambulante Behandlungen von psychischen Störungen sind für armenische Staatsbürger kostenlos. In Eriwan gibt es eine private und eine staatliche psychiatrische Klinik. Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen ebenfalls über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischen Belastungssyndromen (PTBS) und Depressionen ist mit gutem Standard gewährleistet und erfolgt auch kostenlos (AA 5.3.2024).
Nicht immer sind alle Medikamente vorhanden, obwohl viele davon in Armenien und in guter Qualität hergestellt werden. Importierte Medikamente sind dagegen überall käuflich; für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich. Vereinzelt sind Medikamente in Armenien nicht erhältlich, insbesondere wenn sie in Armenien nicht registriert sind (AA 5.3.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2024): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872#content_1, Zugriff 14.10.2024
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.10.2024): Armenien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/armenien, Zugriff 14.10.2024
IOM - International Organization for Migration (6.2023): Armenia - Länderinformationsblatt 2023, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2023_Armenia_DE.pdf, Zugriff 19.9.2024
Rückkehr
Letzte Änderung 2024-11-06 08:50
Rückkehrende werden in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst. Bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland haben armenische Staatsangehörige wegen einer Asylantragstellung in Deutschland oder in einem Drittland nicht mit staatlichen Maßnahmen zu rechnen. Rückkehrende können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Für rückkehrende Migranten wurde mithilfe des französischen Büros für Einwanderung und Migration (OFII) ein Beratungszentrum geschaffen (AA 5.3.2024).
„EU Reintegration Programme“ (EURP) bieten zusammen mit lokalen Partnern Unterstützung bei der Reintegration nach der Rückkehr nach Armenien an (BBU 29.5.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
BBU - Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen [Österreich] (29.5.2024): Return from Austria - Armenien, https://www.returnfromaustria.at/armenien/armenien_deutsch.html, Zugriff 19.9.2024
Dokumente
Letzte Änderung 2024-11-06 08:55
Die Echtheit von Dokumenten (Personenstandsurkunden, Gerichtsurteile, Anzeigen usw.) kann nicht überprüft werden. Gefälligkeitsbescheinigungen sind häufig (AA 5.3.2024).
Quelle
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.3.2024): Auswärtiges Amt - Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Armenien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2105332/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Armenien,_05.03.2024.pdf, Zugriff 3.4.2024 [Login erforderlich]
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren, sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des BF ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, sowie den Sprach- und Ortskenntnissen und dem fremdenrechtlichen Verfahren, sowie den Akten und Protokollen der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
II.2.3. Die Feststellungen betreffend die vom BF in Anspruch genommenen Grundversorgung und Sozialleistungen, sowie seinen Beschäftigungszeiten ergeben sich zweifelsfrei aus den amtswegig angefertigten Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich und einer Sozialversicherungsanfrage.
Die Feststellungen zu der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher basieren auf der Strafregisterauskunft und dem Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, XXXX
Die Feststellungen zum Krankheitsbild des BF ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten.
Den Daten des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister kann schließlich entnommen werden, dass der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet war. Hinweise darauf, dass ihr weiterer Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig wäre oder die BF im Bundesgebiet Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO wurde, kamen im Verfahren nicht hervor und es wurde auch kein dahingehendes Vorbringen erstattet, sodass keine dahingehenden positiven Feststellungen getroffen werden können.
II.2.4. Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.
Der BF trat auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen und wird neuerlich darauf hingewiesen, dass die Republik Österreich die Republik Armenien als sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG betrachtet und daher von der normativen Vergewisserung der Sicherheit Armeniens auszugehen ist.
II.2.5. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist.
Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde entgegen der Monierung in der Beschwerde, ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen umfassend auseinandergesetzt.
II.2.6. Der BF reiste gemeinsam mit seinem Bruder am 06.09.2014 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 01.07.2015, 1030896910/14946427, stattgegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Beweiswürdigend wurde dabei ausgeführt, dass der Bruder des BF Mitglied der Partei ORINAZ JERKI war und sich an mehreren regimekritischen Demonstrationen beteiligte, weswegen die Familie mehrere Drohanrufe erhielt. Der Bruder des BF erstattete deswegen Anzeige bei der Polizei und nahm weiterhin an Demos teil. Aus diesem Grund wurde der BF von unbekannten Tätern zusammengeschlagen, um so seinen Bruder von seinem politischen Engagement abzuhalten. Nachdem er im Krankenhaus behandelt wurde, hat der BF bei der Polizei Anzeige erstattet, diese hätte jedoch kein Ermittlungsverfahren geführt. Nachdem sein Bruder den Wohnsitz wechselte und weiterhin an Demos teilnahm, wurde er in weiterer Folge in seinem Geschäft überfallen. Die Täter hätten ihn dabei gezwungen Gold zu verkaufen und ihnen 30.000 USD zu übergeben. Nach der Geldübergabe wäre der Bruder des BF im Falle weiterer Demoteilnahmen mit zusätzlichen Konsequenzen bedroht worden. Aus diesem Grund verließ der Bruder mit seiner Familie und dem BF Armenien. Zum Zeitpunkt der Entscheidung im Jahr 2014 konnte nicht mit maßgeblicher Sicherheit festgestellt werden, dass die armenischen Sicherheitsbehörden fähig wären, ausreichend Schutz zu bieten. Dem BF wurde aufgrund der politischen Tätigkeit seines Bruders der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, weil eine Verfolgung durch politische Gegner nicht ausgeschlossen werden konnte und Armenien nicht schutzfähig und schutzwillig war.
Diese Gründe liegen jedoch nicht mehr vor, die Lage hat sich mittlerweile grundlegend und nachhaltig gerändert und verbessert. Es ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen die seinerzeit geschilderten Vorfälle im Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben. Armenien gilt zudem seit 2018 als sicherer Herkunftsstaat. Dies ergibt sich aus dem § 1 Z 13 der aktuellen Herkunftsstaaten-Verordnung. § 1 Z 13 bis 15 in der Fassung der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. II Nr. 25/2018, tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. Die Kundmachung erfolgte am 14.02.2018.
Aufgrund seiner abscheulichen Tat wurde vom BFA gegen den BF am 23.01.2022 wegen geänderter Lage ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet. Dem gerichtlich bestellten Erwachsenenvertreter wurde mit Schreiben des BFA vom 15.05.2024, ein Parteiengehör wegen der beabsichtigten Aberkennung des Asylstatus des BF übermittelt. In seiner Stellungnahme vom 03.06.2024 teilte Mag. XXXX mit, dass ihm das Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 09.09.2022, welches von der Staatsanwaltschaft zu XXXX beauftragt wurde, nicht vorliegt, weswegen er nur ausführen kann, dass im Falle der Nachvollziehbarkeit und lege artis Erstellung des Gutachtens, keine Gründe bestehen, die gegen die Aberkennung des internationalen Schutzes sprechen.
In der mündlichen Verhandlung gab der BF sogleich bekannt, dass er gegen eine Abschiebung nach Armenien ist, weil seinem Leben dort Gefahr droht. Er wäre gemeinsam mit seinem Bruder ein Oppositioneller in Armenien gewesen. Die Polizei wäre zu ihnen gekommen und hätte ihn und seinen Bruder verprügelt. Deswegen sei er auch an Schizophrenie erkrankt und aus Armenien geflüchtet. Explizit zum Fluchtgrund befragt, teilte er abermals wahrheitswidrig mit, dass er (mit seinem Bruder) zur Opposition gehörte und an Demonstrationen teilgenommen hätte. Polizisten wären zu ihnen nach Haus gekommen und hätten sie geschlagen. Befragt zu seiner Funktion in der Opposition bzw. welchen Namen die Gruppierung hatte, antwortete er dann wahrheitsgemäß, dass er zu keiner Gruppe gehörte. Aus diesem Grund wurde er unmissverständlich gefragt, ob er jemals Mitglied einer politischen Gruppe war, woraufhin er bekannt gab „Nein, ich war niemals Mitglied einer politischen Gruppierung“. In weiterer Folge führte er aus, dass er von der Polizei gegen den Kopf geschlagen worden wäre, weswegen er die paranoide Schizophrenie erlitten hätte. Nachgefragt gab er an, dass er nur Hämatome davongetragen habe. Das erste Mal wäre er 2013 von der Polizei verfolgt worden, wegen der Teilnahme an einer Demo, wie er dem Richter weiter berichtet. Er hätte dabei ein Transparent mit der Aufschrift ,,Die Partei Gesegnetes Land kämpft für die Demokratie in Armenien" gehalten. Zur Funktion seines Bruders befragt gab er bekannt, dass dieser einfaches Mitglied der Partei war und auch bei den Demonstrationen keine bestimmte Rolle inne hatte. Er hätte lediglich Menschen animiert an den Demos mitzumachen. Dazu befragt, warum die Polizei gerade an ihm ein derart gesteigertes Interesse zeigte, gab er bekannt „Wegen meinen Bruder. Weil mein Bruder Parteimitglied war“. Die Frage, ob er sich jemals an eine Polizeidienststelle, eine übergeordnete Polizeidienststelle, die StA, das Gericht, eine NGO oder den Ombudsmann gewandt habe, wurde von ihm mit „lch und mein Bruder haben uns an die Polizei gewandt und diese haben gesagt, dass sie uns nicht schützen werden. Sie haben eine Anzeige aufgenommen. Nachgefragt gebe ich an, dass es richtig ist, dass die Polizei die Anzeige zwar aufgenommen, jedoch keine Ermittlungen getätigt hat“.
Dazu bleibt festzuhalten, dass der BF im seinerzeitig im Jahr 2014 geführten Verfahren zu keinem Zeitpunkt ein politisches Engagement bekannt gab. Er berichtete ausschließlich von den politischen Ambitionen seines Bruders. Ebenso teilte er mit keinem Wort mit, dass er an Demonstrationen teilgenommen hätte. Auch gab er in der Erstbefragung an, dass er von zwei unbekannten Fremden einmal geschlagen worden wäre, steigerte die Anzahl der Täter dann vor dem BFA zudem auf drei. Dass es sich bei den Tätern um Polizisten gehandelt hätte, brachte er damals mit keinem Wort und erstmals aktuell in der mündlichen Verhandlung vor, weswegen dies folgerichtig nicht glaubhaft ist und er lediglich erfolglos versucht, sich eine bessere Position im Verfahren zu verschaffen.
Entsprechend der Ausführungen im angefochtenen Bescheid, den aktuellen Länderberichten und dem Umstand, dass es sich bei der Republik Armenien seit 2018 um einen sicheren Herkunftsstaat handelt, ist folgerichtig davon auszugehen, dass die Polizei und andere staatliche Stellen mittlerweile schutzfähig und schutzwillig sind, weswegen sich die Situation seit der Asylzuerkennung im Jahr 2014 wesentlich und dauerhaft änderte. Die dahingehende Argumentation der belangten Behörde wurde nicht substantiiert bestritten und keine konkreten Umstände dargelegt, aufgrund derer eine gegenwärtige Bedrohungslage betreffend den BF angenommen werden könnte.
Auch vermochte der BF keine nachvollziehbaren Umstände darzulegen, welche ein aktuelles Interesse an seiner Person annehmen ließen. So bestand seitens der Polizei als auch seitens der unbekannten Dritten lediglich ein Interesse am Bruder des BF. Dieser hält sich jedoch ohnehin in Österreich auf. Im Ergebnis vermochte der BF damit nicht nachvollziehbar darzulegen, dass er aktuell wegen seines, ohnehin zu keiner Zeit stattgefunden, politischen Engagements vor Verlassen seines Herkunftsstaats weiterhin im Blickfeld der heimatstaatlichen Stellen liegt oder im Fall seiner Rückkehr nach Armenien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus politischen Gründen in den Fokus der Behörden geraten könnte. Bezüglich der Verfolgung durch Privatpersonen ist abermals zu erwähnen, dass der armenische Staat mittlerweile schutzfähig und schutzwillig ist.
Sohin kann es der BF nicht mehr ablehnen, den Schutz des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Insgesamt konnte der BF somit eine aktuelle Gefährdungssituation bei der Rückkehr nicht ansatzweise substantiieren. Unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Berichtslage sowie der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, Schulbildung, usw.) ergibt sich, dass eine Rückkehr des BF nach Armenien möglich und zumutbar ist. Ferner ergibt sich aus den Länderfeststellungen, denen der BF im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten ist, dass die Verhältnisse in Armenien nicht das Ausmaß erreichen, um von einer Gefährdung ausgehen zu können, die in den Nahebereich des Art. 3 EMRK gelangen könnte.
Aufgrund dieser Umstände steht für das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls fest, dass keine Anhaltspunkte mehr bestehen, die auf eine gegenwärtige Verfolgung oder Bedrohung des BF hindeuten. Durch die maßgeblich geänderte Lage, sowohl in subjektiv als auch objektiver Hinsicht, unterliegt die BF in Armenien keiner aktuellen Bedrohung mehr.
II.2.7. Zu seiner exzessiven Tat befragt teilt er mit, dass ihm damals das AMS die Auszahlung einer Hilfe verweigert habe. Er habe über Monate kein Geld mehr gehabt. Aus diesem Grund wollte er eine Straftat begehen, damit er in Haft und etwas zu essen bekommt. Er bedaure es zwar, wollte jedoch auf längere Zeit in ein Gefängnis kommen. Unverständlich bleibt festzuhalten, dass aus diesen niederen Gründen beinahe ein Mensch gestorben wäre.
Hinsichtlich einer berücksichtigungswürdigen Integration teilte der BF mit, dass er Schulungen des AMS besucht habe. So hätte er beispielsweise einen Kochkurs besucht. Ansonsten hätte er vor der Einweisung nichts gemacht, gelegentlich spielte er auf der Playstation. Zu seinem Bruder und dessen Familie habe er auf eigenen Wunsch keinen Kontakt mehr, er lebte vor seiner Tat auch mit niemanden in einem gemeinsamen Haushalt. Beruflich tätig war er von 2014 bis 2022 lediglich ein Jahr und vier Monate. Die restliche Zeit lebte der BF von Sozialleistungen des österreichischen Staates. Zum Freundeskreis befragt gab er bekannt, dass sich dieser aus Österreichern und Rumänen zusammensetzen würde. Dabei bleibt festzuhalten, dass der BF bis dato von keinen Freunden in der Haft, bzw. im forensisch-therapeutischen Zentrum besucht wurde.
II.2.8. Im Strafregister der Republik Österreich scheint folgende Verurteilung auf:
LG KLAGENFURT, XXXX vom 06.07.2022 RK 12.07.2022, § 15 StGB § 75 StGB Datum der (letzten) Tat 22.01.2022, Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 STGB.
Der BF hat dabei das Opfer XXXX am 22.01.2022 gegen 11.23 Uhr in XXXX , im Bereich des Fahrradabstellplatzes vor XXXX Nr. 4, durch eine Vielzahl von Messerstichen auf den Kopf und Oberkörperbereich in Tötungsabsicht verletzt und dadurch das Verbrechen des versuchten Mordes begangen.
Dem Bericht des Polizei-Amtsarztes vom 22.01.2022, Dr. XXXX , ist zu entnehmen Wirkt allseits orientiert, gibt detaillierte Informationen. Im Verhalten stumpf, regungslos, lässt Blutabnahme ohne Widerspruch geschehen, gibt an, dass er eine Person umbringen wollte, da er kein Geld vom AMS bekommt. Die Tat wurde laut seiner detaillierten Schilderung mit einem Küchenmesser ausgeführt. Dieses hat er dann wieder nach Hause gebracht. Nach der Tat hat er keine Genugtuung verspürt, gibt an, dass es ihm egal ist, was er heute gemacht hat. Keine Reue oder Mitgefühl.
In der Einvernahme vor der LPD Kärnten, LKA EB1 vom 22.01.2022 gab der BF bekannt, dass er komplett gesund ist und keine Medikamente braucht. Zur Tat selbst führte er aus „Ich habe kein Geld, weil mit das AMS kein Geld mehr gibt. Da habe ich einfach ein Messer genommen, bin hinausgegangen und habe auf den ersten Menschen eingestochen, den ich gesehen habe“. Die Frage, ob er wisse, wie oft und wohin er auf die Frau eingestochen habe, antwortete er „Mehr als zehn Mal in den Kopf und das Gesicht“. Mit einem kurzen „JA“ beantwortete er die Frage, ob er die Frau töten wollte. Abschließend wurde der BF noch befragt, ob ihm bewusst ist, dass durch seine Handlung das Opfer hätte sterben können. Dazu gab er bekannt „Genau das war mein Ziel, die Frau umzubringen“.
Am 06.07.2022 wurden vor dem LG Klagenfurt von den Geschworenen die an sie gerichteten Fragen wie folgt beantwortet:
HAUPTFRAGE 1:
Hat XXXX am 22.Januar 2022 in Klagenfurt XXXX dadurch vorsätzlich zu töten versucht, dass er ihr mit einem ca. 28cm langen Messer mit einer Klingenlänge von 15cm unzählige Stiche gegen Kopf, Hals, Schulter- und Oberkörperbereich versetzte?
8 (acht) mal Ja.
Erste Zusatzfrage:
War XXXX am 22.Januar 2022 wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (ICD- 10 F20.0), unfähig, dass Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln?
8 (acht) mal Ja.
Das Geschworenengericht hat hierauf zurecht erkannt:
Der Betroffene XXXX , wird gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen,
weil er am 22. Januar 2022 in Klagenfurt unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20,0) beruht, versucht hat, XXXX zu töten, indem er mit einem ca. 28cm langen Messer mit einer Klingenlänge von 15cm unzählige Stiche gegen Kopf, Schulter- und Oberkörperbereich versetzte, mithin eine Tag begangen hat, die ihm außer diesem Zustand als das mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen wäre und nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat zu befürchten ist, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich schwere Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, begehen werde.
GRÜNDE:
Mit Einweisungsantrag vom 14. April 2022, 13 St 6/22h, beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Unterbringung des Betroffenen XXXX in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, wie aus dem Spruch ersichtlich.
Der Betroffene gab an, sich nicht schuldig zu fühlen, da ihm das AMS keine andere Wahl als die Tatbegehung gelassen habe und sprach sich gegen eine Einweisung aus, zumal er auch nicht krank sei.
Im Zuge der Einweisungsentscheidung wurde zudem noch festgehalten, entsprechend dem klaren, nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Gutachten des Sachverständigen Dr. XXXX sind mit Blick auf das dargestellte Krankheitsbild, das einer geistig seelischen Abartigkeit von höherem Grad entspricht, auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen bzw. Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen, wie z.B. gefährliche Drohung, schwere Körperverletzung, Totschlag bis hin zu Mord, zu erwarten.
Da XXXX sohin eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, in einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit unter Einfluss einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades begangen hat (§ 11 StGB) und entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Dr. XXXX nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass er erneut unter dem Einfluss seiner völlig unbehandelten psychischen Störung mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren bzw. Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen begehen wird, wie z.B. gefährliche Drohung, schwere Körperverletzung, Totschlag bis hin zu Mord, war spruchgemäß die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auszusprechen.
In Ansehung der weiteren Konstatierungen des Sachverständigen Dr. XXXX haben sich die Wahnsymptome der paranoiden Schizophrenie beim Betroffenen nach nunmehr länger als fünf Monate dauernder vorläufiger Anhaltung und entsprechender Medikation sowie begleitender Psychotherapie nicht soweit gebessert, dass die Gefährlichkeit anders als durch die Anstaltsunterbringung hintangehalten werden könnte. Insbesondere unter Berücksichtigung einer nach wie vor völlig fehlenden Krankheitseinsicht kam sohin zum Entscheidungszeitpunkt eine bedingte Nachsicht nicht in Betracht.
Der BF stellt sohin eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit der Republik Österreich dar. Aufgrund der Neigung des BF zu Gewaltdelikten ist in seinem Fall folgerichtig auch von einer Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen. Der BF wäre sohin auch gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen.
Festgestellt wird, dass die Unterbringung des BF in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gem. § 21 Abs. 1 StGB vom LG Klagenfurt am 06.07.2022 angeordnet wurde, weswegen im gegenständlichen Verfahren nicht nur der Tatbestand des § 53 Abs. 3 FPG, sondern auch jener des Abs. 6 FPG erfüllt ist. Dies bedeutet, dass die Unterbringung einer Verurteilung iSd § 53 Abs. 3 Z 1, 2 und 5 FPG folgerichtig gleichzuhalten ist.
Der BF befindet sich seit 22.01.2022 im forensisch-therapeutischen Zentrums XXXX . Bei einer Unterbringung in einer forensisch-therapeutischen Einrichtung, wird jährlich überprüft ob eine do. weitere Unterbringung von Nöten ist. Aufgrund der Tatsache, dass sich der BF nach seinem letzten Überprüfungstermin am 27.07.2024, weiterhin in der forensisch-therapeutischen Einrichtung befindet, ist begründet davon auszugehen, dass eine gegenwärtige äußerst hohe Gefahr von ihm ausgeht. Der nächste Überprüfungstermin wurde vom forensisch-therapeutischen Zentrums XXXX mit Ende Juli 2025 bekannt gegeben.
II.2.9. In der Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid wurde ausgeführt, dass der BF im Zuge des Aberkennungsverfahrens nicht einvernommen wurde. Dazu bleibt festzuhalten, dass dem BF aufgrund seiner psychischen Erkrankung ein Erwachsenenvertreter bestellt wurde. So wurde mit Beschluss des BG Klagenfurt vom 09.08.2022, XXXX , Mag. XXXX als Erwachsenenvertreter für behördliche Angelegenheiten und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sowie zur Vertretung in gerichtlichen Verfahren, bestellt.
Mit Schreiben des BFA vom 15.05.2024, wurde dem Erwachsenenvertreter des BF ein Parteiengehör wegen der beabsichtigten Aberkennung seines Asylstatus gewährt. In seiner Stellungnahme teilte Mag. XXXX mit, dass ihm das Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie vom 09.09.2022, welches von der Staatsanwaltschaft zu 13 St 6/22h beauftragt wurde, nicht vorliegt, weswegen er nur ausführen kann, dass im Falle der Nachvollziehbarkeit und einer lege artis Erstellung des Gutachtens keine Gründe bestehen, die gegen die Aberkennung des internationalen Schutzes sprechen.
II.2.10. Hinsichtlich der Erkrankung des BF, er leidet seit zumindest 2018 an einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0), welche sich in erster Linie in Form wahnhafter Einengungen darstellt, bleibt festzuhalten, dass aus den Länderinformationen nicht ersichtlich ist, dass derartige Erkrankungen in Armenien nicht behandelt werden könnten. So ist dem aktuellen Länderinformationsblatt zu entnehmen Stationäre und ambulante Behandlungen von psychischen Störungen sind für armenische Staatsbürger kostenlos. In Eriwan gibt es eine private und eine staatliche psychiatrische Klinik. Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen ebenfalls über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal.
Aus den Länderinformationen ergibt sich somit, dass die Krankheit des BF im Herkunftsstaat behandelbar ist, weswegen keine Verletzung der Art 2 und 3 dem EMRK festgestellt werden kann. Zudem ist anzuführen, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
Es handelt sich bei der Krankheit des BF nicht um einen außergewöhnlichen, exzeptionellen Fall. Es wird auch angemerkt, dass der BF während des Rücktransfers in sein Heimatland bei Bedarf ärztliches Beisein zur Verfügung gestellt werden kann. Bei einer Abschiebung nach Jerewan ist jedenfalls eine adäquate ärztliche Behandlung des BF realistisch und durchführbar. Zusammengefasst bleibt festzuhalten, dass der BF im Herkunftsstaat für den Fall einer Rückkehr jedenfalls adäquat behandelt werden kann und demnach für den Fall einer Rückkehr in keine lebensbedrohende Situation geraten würde. Eine fehlende Behandlungsmöglichkeit in Armenien liegt – wie umfassend dargelegt – jedenfalls nicht vor.
Nach der geltenden Rechtslage wäre eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde; dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.
Derartige relevante Umstände iSd Judikatur zu Art. 3 EMRK ergeben sich vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und persönlichen Angaben dahingehend, dass keine stichhaltigen Gründe vorliegen, dass der BF einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ausgesetzt wäre.
II.2.11. Die wirtschaftliche Lage stellt sich für den BF bei einer Rückkehr nach Armenien gesichert dar. Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen und deren Aufenthalt ergeben sich aus den Angaben des BF im Verfahren. Wie den Feststellungen entkommen werden kann, leben in XXXX noch die Eltern, eine Schwester, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, es handelt sich um ca. 15 Personen. Die Mutter ist als Putzfrau bei einer Bank beschäftigt, der Vater ist Gemüsehändler. Sowohl die Eltern, als auch die Schwester verfügen über Eigentumswohnungen. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern. Für den Fall einer Rückkehr ist demnach nicht davon auszugehen, dass dem BF seine Lebensgrundlage entzogen wäre. Vielmehr hat er in Armenien familiären Anschluss und steht ihm die Rückkehr in seinen Familienverband unverändert offen. Laut Länderinformationen gibt es in Armenien zudem für Familien, welche unter der Armutsgrenze leben, die Möglichkeit, um Sozialhilfe anzusuchen.
Gemäß § 52a BFA-VG kann auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für den Neubeginn in der Republik Armenien gewährt werden. Rückkehrerinnen werden auf Basis dieser gesetzlichen Grundlage vom ersten Informationsgespräch bis zur tatsächlichen Rückreise in einer Einrichtung beraten, begleitet und umfassend unterstützt. Die Bereitschaft zur Rückkehr ist darüber hinaus eng verbunden mit der Schaffung von Überlebensgrundlagen im Herkunftsstaat. Abgestimmt auf die individuelle Situation der Rückkehrenden sind verschiedene Formen der Unterstützung notwendig bzw. möglich:
Schaffung des Zugangs zu Wohn-, Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten; Beschaffung von Arbeitsgeräten; Vermittlung zu den Hilfsorganisationen im Heimatland; finanzielle Unterstützung. Durch den Aufbau eines Netzwerkes von Kontakten zu Hilfsorganisationen in den jeweiligen Rückkehrländern soll der Neubeginn der rückkehrenden, in der Regel entwurzelten Menschen während der Anfangsphase erleichtert werden (vgl. hierzu www.verein-menschenrechte.at und www.caritas.at/return).
II.2.12. Die Sicherheitslage in Armenien kann, von der Problemzone Nagorny-Karabach abgesehen, als unbedenklich bezeichnet werden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage in Armenien nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des BF dort davon ausgegangen werden muss, dass er wahrscheinlich Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder sonstiger Gewalt, wie etwa einem Ehrenmord oder Blutrache, würde.
Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder kriminelle Aktivtäten hindeuten würden, kamen im Verfahren nicht hervor. Eine dahingehende darstellbare Gefährdung im Rückkehrfall kann sohin ausgeschlossen werden.
II.2.13. Dass die Wirtschaftslage in Armenien derzeit unzureichend sein mag, stellt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht des persönlichen Profils des BF und der bestehenden Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat keine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet auch nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160).
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht, Sicherer Herkunftsstaat
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A)
II.3.2 Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.)
II.3.2.1. Der mit „Aberkennung des Status des Asylberechtigten“ übertitelte § 7 AsylG 2005 lautet, wie folgt:
„1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.
(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.
(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.
(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.“
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angewendet wurde, ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.
Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention lautet:
"C. Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie
1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder
2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder
3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt; oder
4. sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder
5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.
Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen;
6. staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.
Die Bestimmungen der Ziffer 6 sind jedoch auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Personen nicht anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr früheres Aufenthaltsland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen."
II.3.2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Aberkennung des Status des Asylberechtigten auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (im Folgenden auch als „Wegfall der Umstände“-Klausel bezeichnet; vgl. VwGH vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059).
§ 7 AsylG 2005 sieht - im Gegensatz zu § 9 AsylG 2005 - keine Reihenfolge, in der die Aberkennungsgründe geprüft werden müssen, vor (vgl. VwGH vom 09.11.2022, Ro 2021/14/0001).
Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels, dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K8).
Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K9).
Ein in der Person des Flüchtlings gelegenes subjektives Element spielt auch insofern eine Rolle, zumal aus der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK enthaltenen Wortfolge "nicht mehr ablehnen kann" auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr in das Herkunftsland ein entscheidendes Kriterium einer Aberkennung des Flüchtlingsstatus ist (vgl. Putzer/Rohrböck, aaO, Rz 146).
Um die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft zu bejahen, muss die Änderung der Umstände sowohl grundlegend als auch dauerhaft sein, zumal der Flüchtlingsschutz umfassende und dauerhafte Lösungen zum Ziel hat und Personen nicht unfreiwillig in Verhältnisse zurückkehren sollen, welche möglicherweise zu einer neuerlichen Flucht führen. Da eine voreilige oder unzureichende Begründung der Beendigungsklauseln ernsthafte Konsequenzen haben kann, ist es angebracht, die Klauseln restriktiv auszulegen. (vgl. UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ["Wegfall der Umstände"-Klauseln], Abs. 6 f).
Die Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. e Status-RL aF, der der aktuellen Rechtslage entspricht, erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (EuGH vom 02.03.2010, Rs C-175/08 ua., Abdulla ua., Rz 76). Die Umstände müssen sich auf grundlegende, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK angeführte Fluchtgründe beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (VwGH vom 25.06.1997, 95/01/0326). Ein Flüchtling hört erst dann auf Flüchtling zu sein, wenn er wieder effektiven Schutz im Herkunftsstaat erlangen kann (vgl. Grahl-Madsen The Status of Refugees in International Law I [1965], 7, 405) bzw. ihm zugemutet werden kann, sich wieder dem Schutz dieses Staates zu unterstellen (Kälin, Grundriß des Asylverfahrens [1990], 162).
Nach der Judikatur setzt Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 eine wesentliche nachhaltige Änderung der (für die Verfolgungsgefahr maßgeblichen) Umstände im Heimatstaat des Flüchtlings, einen Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und der Notwendigkeit der Schutzgewährung voraus.
Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH vom 22.4.1999, 98/20/0567; VwGH vom 25.3.1999, 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraumes wird auch der bloße "Haltungswandel" des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention zum Tragen kommen (VwGH vom 21.11.2002, 99/20/0171).
Der Wegfall der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich für die Anwendung von Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention. Ob die allgemeine wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat schlecht ist oder familiäre beziehungsweise emotionelle Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ist für den Eintritt der Ziffer 5 grundsätzlich irrelevant.
II.3.2.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet das Folgendes:
Dem BF wurde mit Bescheid des BFA vom 01.07.2015, 1030896910/14946427 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Beweiswürdigend wurde dabei ausgeführt, dass der Bruder des BF Mitglied der Partei ORINAZ JERKI war und sich an mehreren regimekritischen Demonstrationen beteiligte, weswegen die Familie mehrere Drohanrufe erhielt. Der Bruder des BF erstattete deswegen Anzeige bei der Polizei und nahm weiterhin an Demos teil. Aus diesem Grund wurde der BF von unbekannten Tätern zusammengeschlagen, um so seinen Bruder von seinem politischen Engagement abzuhalten. Nachdem er im Krankenhaus behandelt wurde, hat der BF bei der Polizei Anzeige erstattet, diese hätte jedoch kein Ermittlungsverfahren geführt. Nachdem sein Bruder den Wohnsitz wechselte und weiterhin an Demos teilnahm, wurde er in weiterer Folge in seinem Geschäft überfallen. Die Täter hätten ihn dabei gezwungen Gold zu verkaufen und ihnen 30.000 USD zu übergeben. Nach der Geldübergabe wäre der Bruder des BF im Falle weiterer Demoteilnahmen mit zusätzlichen Konsequenzen bedroht worden. Aus diesem Grund verließ der Bruder mit seiner Familie und dem BF Armenien. Zum Zeitpunkt der Entscheidung im Jahr 2014 konnte nicht mit maßgeblicher Sicherheit festgestellt werden, dass die armenischen Sicherheitsbehörden fähig wären, ausreichend Schutz zu bieten. Dem BF wurde aufgrund der politischen Tätigkeit seines Bruders der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, weil eine Verfolgung durch politische Gegner nicht ausgeschlossen werden konnte und Armenien nicht schutzfähig und schutzwillig war.
Diese Gründe liegen jedoch nicht mehr vor, die Lage hat sich mittlerweile grundlegend und anhaltend gerändert. Es ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen die seinerzeit geschilderten Vorfälle im Herkunftsstaat offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden in Armenien ist somit gegeben. Armenien gilt zudem seit 2018 als sicherer Herkunftsstaat. Dies ergibt sich aus dem § 1 Z 13 der aktuellen Herkunftsstaaten-Verordnung. § 1 Z 13 bis 15 in der Fassung der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. II Nr. 25/2018, tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. Die Kundmachung erfolgte am 14.02.2018.
Da der BF straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 geworden ist, schadet es gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nicht, dass die Aberkennung fallgegenständlich nicht innerhalb von fünf Jahren ab rechtskräftiger Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten erfolgt ist.
Vor diesem Hintergrund sind die Umstände, aufgrund derer dem BF der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, zweifellos und nicht nur vorübergehend weggefallen. Darüberhinausgehende Gründe, die zur Zuerkennung (bzw. Beibehaltung) des Status des Asylberechtigten geführt hätten, konnten vom BF nicht glaubhaft gemacht werden und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorgekommen.
Auch von Amts wegen konnten, wie dargelegt, keine Gründe dahingehend erkannt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien zum aktuellen Zeitpunkt von staatlicher Seite verfolgt bzw. einer sonstigen asylrelevanten Verfolgung in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt sein würde.
In einer Gesamtschau konnte sohin nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF in seinem Heimatland nach wie vor eine asylrelevante Verfolgung drohen würde. Im Verfahren hat sich zudem eine aktuelle individuelle Gefährdung des BF nicht ergeben und ist daher davon auszugehen, dass dem BF eine gefahrlose Rückkehr zumutbar sein wird. Erneut bleibt festzuhalten, dass der BF im Verfahren nicht plausibel gemacht hat, warum ihm zum derzeitigen Zeitpunkt nach so vielen Jahren eine zielgerichtete Verfolgung drohen sollte.
Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sind beim BF daher aus dem Grund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt C Z 5 GFK gegeben und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher zu Recht abzuweisen.
Da sich die Aberkennung des Status der Asylberechtigten insgesamt als rechtmäßig erweist, hat die belangte Behörde auch gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 zu Recht festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.
II.3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
II.3.3.1. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.04.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören – der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/020; 08.06.2000, 99/20/0586; 21.09.2000, 99/20/0373; 25.01.2001, 2000/20/0367; 25.01.2001, 2000/20/0438; 25.01.2001, 2000/20/0480; 21.06.2001, 99/20/0460; 16.04.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun z.T. durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, 98/21/0427).
Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zahl 95/18/0049; 05.04.1995, Zahl 95/18/0530; 04.04.1997, Zahl 95/18/1127; 26.06.1997, Zahl 95/18/1291; 02.08.2000, Zahl 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zahl 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH vom 08.06.2000, Zahl 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH vom 14.10.1998, Zahl 98/01/0122; vom 25.01.2001, Zahl 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH vom 26.06.1997, Zahl 95/21/0294; vom 25.01.2001, Zahl 2000/20/0438; vom 30.05.2001, Zahl 97/21/0560).
Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH vom 23.09.2004, Zahl 2001/21/0137).
Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (vgl. EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (vgl. EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer derartigen Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.
II.3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 fallgegenständlich nicht gegeben sind:
Im Falle des BF ergeben sich aus den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Armenien.
Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, vermochte der BF eine konkrete Verfolgungsgefahr in Bezug auf seinen Herkunftsstaat nicht (mehr) darzutun, weshalb auf Grund des konkreten Vorbringens der BF auch keinerlei Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG erkannt werden kann.
II.3.3.3. Zu prüfen bleibt, ob der BF im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat in seinen durch Art. 3 EMRK garantierten Rechten verletzt würde. Hierzu bleibt festzuhalten:
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich, Zahl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zahl 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH vom 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443; vom 13.11.2001, Zahl 2000/01/0453; vom 09.07.2002, Zahl 2001/01/0164; vom 16.07.2003, Zahl 2003/01/0059).
In diesem Kontext sei auch auf die ständige Rechtsprechung des EGMR sowie der Höchstgerichte verwiesen, etwa das Erkenntnis des VfGH vom 06.03.2008 zu B 2400/07-9, welches die Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK zusammenfasst. Der VwGH hat, unter Verweis auf die entsprechenden Urteile des EGMR, ausgeführt, dass sich aus diesen ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, im Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückgelegte Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. zuletzt VwGH vom 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 mit Verweis auf EGMR 13.12.2016, 41738/10 Paposhvili gg Belgien). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. EGMR 02.05.1997, 30.240/96, D. gg. Vereinigtes Königreich). Aus dieser Judikaturlinie des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich beurteilbar (vgl. VwGH vom 12.12.2012, Zlen. 2012/18/0204 und 0205, mwN, VwGH vom 21.12.2013, 2011/23/0617).
Mit Erkenntnis vom 21.05.2019, Zl. Ro 2019/19/0006-3, wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofes bekräftigt, dass dieser an seiner Rechtsprechung festhalte, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann.
II.3.3.4 Zunächst kann im Beschwerdefall nicht angenommen werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten „Schwelle“ des Art. 3 EMRK):
Der volljährige und arbeitsfähige BF verfügt über Schulbildung im Herkunftsstaat und hat ebendort, sowie in Österreich Arbeitserfahrung gesammelt. Es kann daher nicht erkannt werden, dass ihm eine Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat im Falle der Rückkehr nicht möglich sein sollte, zumal er dort bis zu seinem 21. Lebensjahr aufgewachsen ist, die Schule besucht hat, sozialisiert wurde, der Sprache des Herkunftsstaates mächtig ist und ebendort über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, welche ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr nach Kräften unterstützen würden, weshalb der BF dort vor existenzieller Notlage bewahrt wäre.
II.3.3.5. Zum Gesundheitszustand des BF sind folgende Überlegungen massgeblich: der BF leidet seit zumindest 2018 an einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0), welche sich in erster Linie in Form wahnhafter Einengungen darstellt. Ihm wurden die Medikamente Olazepin und Risperdal verschrieben. Dazu bleibt anzuführen, dass die Behandlung psychiatrischer Krankheiten und die dazu notwendige Medikation in Armenien und vorwiegend in XXXX verfügbar und erhältlich ist, wie bereits umfangreich erörtert wurde.
Zudem bleibt festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
Die genannten allgemeinen Ausführungen gelten auch beim Vorliegen psychischer Erkrankungen bzw. Störungen. Zur Verdeutlichung der vom EGMR gesetzten Schwelle sei hier auf die Entscheidung SALKIC and others against Sweden (Application no. 7702/04) hingewiesen, wo die Zulässigkeit der Abschiebung schwer traumatisierter und teilweise suizidale Tendenzen aufweisende Bosnier nach Bosnien und Herzegowina bejaht wurde, wobei hier wohl außer Streit gestellt werden kann, dass das bosnische Gesundheitssystem dem schwedischen qualitätsmäßig unterliegt.
Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finland vom 31.05.2005 (Appl. 1383/04), wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der sich seit 2002 in psychiatrischer Behandlung befunden hat und der selbstmordgefährdet war, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes „real risk“.
Aufgrund des hier vorliegenden und lediglich behaupteten Krankheitsbilder ist jedenfalls nicht ableitbar, dass eine Überstellung nach Armenien zu einer Beeinträchtigung des gesundheitlichen Zustandes des BF führt, womit folgerichtig keine Verletzung von Art 3 EMRK gegeben ist.
Im vorliegenden Fall konnte seitens des BF keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Armenien belegt werden, welche die Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts notwendig machen würden.
Im gegenständlichen Fall besteht im Lichte der Berichtslage kein Hinweis, dass der BF vom Zugang zu medizinsicher Versorgung in Armenien ausgeschlossen wäre und bestehen auch keine Hinweise, dass die beschriebenen und diagnostizierten Krankheiten nicht behandelbar wären. Auch faktische Hindernisse, welche das Fehlen eines Zugangs zur medizinischen Versorgung aus in der Person des BF gelegenen Umständen belegen würden, kamen nicht hervor.
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat er doch selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Armenien jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.
Weitere, in der Person des BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden. Aufgrund der vorgenommenen Prüfung im Einzelfall (VfGH 13.09.2012, U370/2012) unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des BF, sowie unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH und VfGH und Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.
II.3.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt.
II.3.4.1. Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklichen, bei dem ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder substantiiert vorgebracht worden, noch sonst hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist jener zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist dieser Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.
II.3.4.2. Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerden gegen die Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
II.3.5. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI.
II.3.5.1. Gesetzliche Grundlagen:
§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1.ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:
„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,
2.ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU” verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“
§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
II.3.5.2. Das Bundesamt hat seine Entscheidung auf § 52 Abs. 2 Z 3 FPG gestützt, weil dem BF der Status des Asylberechtigten aberkannt wurde, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Im gegenständlichen Fall wurde der BF wegen der festgestellten Straftat verurteilt. Aufgrund des der Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens widerstreitet in diesem Fall der Aufenthalt öffentlichen Interessen, weswegen der Tatbestand des § 53 Abs. 3 FPG erfüllt ist. Zudem ist im gegenständlichen Fall auch der Abs. 6 des § 53 FPG erfüllt. Dies bedeutet, dass die Unterbringung einer Verurteilung iSd § 53 Abs. 3 Z 1, 2 und 5 FPG gleichzuhalten ist.
II.3.5.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
II.3.5.4. Der BF reiste erstmals am 06.09.2014 in Österreich ein und hält sich seitdem hier durchgehend auf. Er lebt seit 2015 mit keiner Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und ist für niemanden sorgepflichtig. Im Bundesgebiet lebt ein Bruder mit seiner Familie, es besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis. Der BF brach auf eigenen Wunsch den Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie ab. Dem Bruder und seinen Kindern wurde der Status des Asylberechtigten aberkannt und ein subsidiärer Schutzstatus nicht zuerkannt, allen wurde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten.
Mit Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, XXXX , wurde der BF, weil ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, das Verbrechen des versuchten Mordes gem. §§ 15 Abs. 1, 75 StGB zuzurechnen gewesen wäre, gem. § 21 Abs. 1 StGB in einem forensisch-therapeutischen Zentrum eingewiesen.
Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer besteht jedenfalls ein schützenswertes Privatleben. Die Rückkehrentscheidung stellt einen Eingriff in das Recht auf Privatleben dar.
II.3.5.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:
- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:
Der BF reiste am 06.09.2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als „BFA“ bezeichnet) vom 01.07.2015, 1030896910/14946427, stattgegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:
Der BF verfügt über die festgestellten privaten Anknüpfungspunkte.
- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens
Aufgrund des langjährigen und rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich ist von der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens auszugehen.
Es bleibt jedoch auch festzuhalten, dass der BF nicht gezwungen ist, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihm frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
- Grad der Integration
Der BF reiste am 06.09.2014 in Österreich ein. Er lebt mit keiner Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und ist für niemanden sorgepflichtig. Der BF war zu folgenden Zeiten im Bundesgebiet legal berufstätig: von 14.09.2015 bis 26.08.2016 als Arbeiter bei XXXX in Niederdorf, von 04.09.2017 bis 26.10.2017 als Arbeiterlehrling beim XXXX in Wien, vom 01.04.2019 bis 20.04.2019 und vom 05.08.2019 bis 29.08.2019 als Arbeiter bei der XXXX KG in Klagenfurt, vom 23.04.2019 bis 26.04.2019 als Arbeiter bei der XXXX KG in Klagenfurt. Die restliche und somit überwiegende Zeit lebte er von Sozialleistungen. Im Bundesgebiet lebt ein Bruder mit seiner Familie, es besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis. Der BF brach auf eigenen Wunsch den Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie ab. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Im konkreten Fall war festzuhalten, dass der BF keine nennenswerte, seiner Aufenthaltszeit in Österreich entsprechende Integration aufweist. Vielmehr war diese als unterdurchschnittlich zu bewerten.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
- Bindungen zum Herkunftsstaat
Der BF verbrachte die ersten 21 Jahre und somit weit mehr als die Hälfte seines Lebens in Armenien, wurde dort sozialisiert, bekennt sich zum dortigen Glauben und spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. In XXXX leben noch die Eltern, eine Schwester, Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, es handelt sich um ca. 15 Personen. Die Mutter ist als Putzfrau bei einer Bank beschäftigt, der Vater ist Gemüsehändler. Sowohl die Eltern, als auch die Schwester verfügen über Eigentumswohnungen. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinen Eltern. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.
- strafrechtliche Unbescholtenheit
Mit Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022, XXXX , wurde der BF gem. § 21 Abs. 1 StGB in einem forensisch-therapeutischen Zentrum eingewiesen, weil ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, das Verbrechen des versuchten Mordes gem. §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wäre.
Die vom BF begangene Tat ist zu den schwersten Verbrechen überhaupt zu zählen. Dabei ist insbesondere die Deliktsqualifikation (Mord im Sinne des § 75 StGB [dass es beim Versuch blieb, ändert an der inneren Tatseite, nämlich den Vorsatz des Täters zur Tatzeit, ein Menschenleben zu beenden], es wurde keine privilegierende Form festgestellt) hervorzuheben. Der BF hat durch sein Verhalten das Grundinteresse der Gesellschaft an Ruhe, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit für Personen und an sozialem Frieden beeinträchtigt, indem er in das allerhöchste Rechtsgut überhaupt, nämlich das Leben, eingriff. Das Delikt griff sowohl der Art als auch der Schwere nach massiv in das geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens ein.
- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Der BF ist seit 06.09.2014 in Österreich durchgehend aufhältig.
Der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") darf zwar nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden. Dieser Aspekt hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann. Das gilt insbesondere bei einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt (vgl. VwGH vom 09.03.2023, Ra 2022/18/0294, mit Verweis auf VwGH vom 19.12.2019, Ra 2019/21/0282).
Demnach kommt auch diesem Gesichtspunkt im gegenständlichen Fall keine maßgebliche Bedeutung mehr zu.
- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer
Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.
- Auswirkung der allgemeinen Lage in Armenien auf den BF
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.
Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Armenien ist zu berücksichtigen, dass –wie bereits mehrfach erwähnt- gem. § 1 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, die Republik Armenien als sicherer Herkunftsstaat gilt und ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).
Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.
Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen BF grundsätzlich nicht mehr möglich, den Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.
Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.
Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.
Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf: im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.
Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.
Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war. Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.
Der Gesetzgeber sieht die Möglichkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch vor, wenn wegen der dem Fremden angelasteten Tathandlung eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ausgesprochen wird, weil die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht (§ 53 Abs. 6 FrPolG 2005). Ein Verschulden an der von ihm ausgehenden Gefährdung muss ihm - in Einklang mit Art. 9 Abs. 3 der RL 2003/109/EG - nicht angelastet werden (vgl. VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081).
II.3.5.6. Wie in der Beweiswürdigung bereits dargestellt, stellt der BF eine massive Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Der BF wurde mit Urteil des LG Klagenfurt, weil er, wäre er zurechnungsfähig gewesen, das Verbrechen des versuchten Mordes gem. §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wäre, gem. § 21 Abs. 1 StGB in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingewiesen. Diese Unterbringung ist einer Verurteilung iSd § 53 Abs. 3 Z 1, 2 und 5 FPG gleichzuhalten.
Diesem Urteil liegt zugrunde, weil er am 22. Januar 2022 in Klagenfurt unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20,0) beruht, versucht hat, XXXX XXXX u töten, indem er mit einem ca. 28cm langen Messer mit einer Klingenlänge von 15cm unzählige Stiche gegen Kopf, Schulter- und Oberkörperbereich versetzte, mithin eine Tag begangen hat, die ihm außer diesem Zustand als das mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen wäre und nach seiner Person, seinem Zustand und der Art der Tat zu befürchten ist, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich schwere Körperverletzungs- und Tötungsdelikte, begehen werde.
Die Feststellung, wonach rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht vorliegen, stellt eine gewichtige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen dar (z. B. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).
Zur Klarstellung sei an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, dass sich im Falle des durch den BF verwirklichten Sachverhalt hier nicht die strafrechtliche, sondern ausschließlich die fremdenrechtliche Betrachtungsweise zum Tragen kommt, welche schon ihrem Wesen nach von der ersteren abweicht. So ist für die Beurteilung nicht das Vorliegen der rechtskräftigen Bestrafung oder Verurteilung, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich, demzufolge ist auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (VwGH vom 22.3.2011, 2008/21/0246 mwN, auch Erk. vom 16.11.2012, 2012/21/0080).
Im gegenständlichen Fall zeigt die der Verurteilung zugrundeliegende Tat doch klar, dass der BF nicht davor zurückschreckt, sich über die österreichische Rechtsordnung hinwegzusetzen. Der BF zeigt zudem keine Einsicht und versuchte vielmehr sein Verhalten zu beschwichtigen. Eine echte Reue zeigte er zu keinem Zeitpunkt. Er sieht sich vielmehr als Opfer der Umstände und hätte beinahe eine unschuldige Passantin getötet, nur, weil er vom AMS keine Unterstützung mehr erhielt und durch seine abscheuliche Tat bezweckte, in ein Gefängnis zu gelangen um dort kostenlos versorgt zu werden.
Ein in fremdenrechtlicher Sicht relevantes Wohlverhalten nach der Tat liegt im gegenständlichen Fall nicht vor, weil sich der BF nach wie vor in einem forensisch-therapeutisches Zentrum befindet und vom Facharzt für Psychotherapie und Neurologie, Dr. XXXX , in seinem Sachverständigengutachten vom 09.02.2022, XXXX , festgestellt wurde, dass der BF an einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) leidet, welche sich in erster Linie in Form wahnhafter Einengungen darstellt. Entsprechend dem klaren, nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Gutachten des SV Dr. XXXX sind mit Blick auf das dargestellte Krankheitsbild, das einer geistig seelischen Abartigkeit von höherem Grad entspricht, auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen bzw. Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen, wie z.B. gefährliche Drohung, schwere Körperverletzung, Totschlag bis hin zu Mord, zu erwarten. Weiters führte Dr. XXXX aus, dass in Bezug auf die Gefährlichkeit insbesondere die völlige Uneinsichtigkeit in seine Erkrankung als besonders erschwerend erscheint. Der BF sieht sich selbst als nicht krank an. Der nächste Überprüfungstermin wurde vom forensisch-therapeutischen Zentrums XXXX mit Ende Juli 2025 bekannt gegeben.
Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung [bzw. nunmehr Rückehrentscheidung] von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen ("marriage-based relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0527; 23.02.2011, 2011/23/0097; 08.09.2010, 2008/01/0551, mwH); zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK begründet, stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 28.06.2011, 2008/01/0527 mit Hinweisen auf die diesbezügliche EGMR-Judikatur). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen, wie z.B. zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, zwischen Geschwistern, zwischen Onkel/Tanten und Neffen/Nichten usw., fallen jedoch nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. z.B. VwGH 02.08.2016; Ra 2016/20/0152).
Im gegenständlichen Fall ist vor allem zu beachten, dass aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des BF das öffentliche Interesse an seiner Außerlandesbringung besonders schwer wiegt und eine Interessensabwägung daher nicht zugunsten eines aufrechten Privat- und Familienlebens ausschlagen kann. Zudem wurde fallgegenständlich festgestellt, dass der BF zwar über ein schützenswertes Privat- jedoch über kein aufrechtes Familienleben verfügt.
Dem BF mag im Hinblick auf die Gesamtsituation und den insgesamt langjährigen Aufenthalt in Österreich durchaus ein sehr gewichtiges Interesse am Verbleib in Österreich zuzubilligen sein; dennoch ergibt eine Gewichtung der widerstreitenden Interessen im Sinne der obzitierten Judikatur ein klares Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot.
Unter Zugrundelegung der Abwägungskriterien und der Ermittlungsergebnisse (einschließlich der Beschwerdeangaben) ergibt sich resümierend Folgendes:
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist insgesamt davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt.
Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
II.3.6. Abschiebung, Frist für freiwillige Ausreise
II.3.6.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.
Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.
Es erfolgte daher zu Recht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, weswegen die Beschwerde gegen die Spruchpunkt IV. und V. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.
II.3.6.2 Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt; die Frist beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Vom BFA wurde die Frist mit 0 (null) Tagen festgelegt. Eine Frist von 0 Tagen ist jedoch denkunlogisch und sohin unmöglich. Hätte das BFA keine Frist für die freiwillige Ausreise festlegen wollen, wären die Abs. 1a und 4 des § 55 FPG die korrekte Norm gewesen. Dies würde allerdings eine zurückweisende Entscheidung gemäß § 68 AVG oder eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG, bzw. die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG voraussetzen.
II.3.6.3. Solches wurde jedoch nicht dargetan. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die in concreto für eine längere Frist sprächen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides war demgemäß mit der Maßgabe als unbegründet abzuweisen, dass die Frist für die Ausreise 14 Tage ab Enthaftung zu laufen beginnt.
II.3.7. Zum Einreiseverbot
II.3.7.1. § 53 FPG lautet:
(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
II.3.7.2. Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl. ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs. 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht. Es ist festzuhalten, dass -wie schon nach bisheriger Rechtslage (vgl. E 20. November 2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen auch an dieser Stelle nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrundeliegende Verhalten abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum früher geltenden § 63 FPG (IdF vor dem FrÄG 2011), der die Festlegung der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltsverbotes regelte, war ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet), wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann.
§ 53 Abs. 3 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten (obgenannten) Kriterien, die bei der Verhängung des Einreiseverbots und seiner Dauer zur Anwendung gelangen sollen, kein Wandel stattgefunden hat. Aus diesem Grund erachtet das Gericht diese auch nach wie vor als anwendbar.
Aus der Formulierung des § 53 Abs. 2 FPG ergibt sich, dass die dortige Aufzählung nicht als taxativ, sondern als demonstrativ bzw. enumerativ zu sehen ist ("Dies ist insbesondere dann anzunehmen, "), weshalb die bB in mit den in Z 1 – 9 leg. cit expressis verbis nicht genannten Fällen, welche jedoch in ihrer Interessenslage mit diesen vergleichbar sind, ebenso ein Einreisverbot zu erlassen hat.
Der ständigen Judikatur des VwGH zufolge, ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH vom 25.01.2018, Ra. 2018/21/0004 sowie VwGH vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0507, und vom 25. April 2013, Zl. 2013/18/0056, jeweils mwN). Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen kann, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0193; vgl. auch VwGH vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0185 und vom 22. Mai 2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013). Wenn sich die Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als 8 Jahren nicht erfüllt, kann die diesem Aufenthaltsverbot zugrundeliegende Zukunftsprognose grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117).
Bei der im Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot gebotenen Prognosebeurteilung kommt es nicht (nur) auf die strafgerichtlichen Verurteilungen als solche an (vgl. VwGH vom 20. November 2008, 2008/21/0603). Es ist vielmehr eine - aktuelle - Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Fremden vorzunehmen und die Frage zu beantworten, ob sich daraus (weiterhin) eine maßgebliche Gefährdung ableiten lässt (VwGH vom 25.04.2013, Zl. 2012/18/0072).
II.3.7.3. Vor dem Hintergrund dieser Judikaturlinien wurden bereits verschiedenste Fallkonstellationen im Rahmen von Einzelfallbeurteilungen jeweils unter Zugrundelegung der sich ergebenden maßgeblichen Gefährdung und in weiterer Folge der Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG, welche u.a. zu einer "reduzierten Gefährlichkeit“ des Mitbeteiligten führen kann, beurteilt.
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 2. 4. 2015, 27945/10, Sarközi and Mahran v. Austria zur Verhängung eines Aufenthaltsverbots nach mehrmaliger strafgerichtlicher Verurteilung trotz eines minderjährigen Kindes mit einem österreichischen Staatsbürger festgehalten, dass va die Schwere der sieben strafgerichtlichen Verurteilungen und die Tatsache, dass der BF bei ihrer letzten Straftat bewusst gewesen sein muss, dass eine Ausweisung droht, zu berücksichtigen war. Hingewiesen wurde auf die räumliche Nähe zwischen dem Wohnort ihrer Familie (XXXX) und Bratislava, wohin sie abgeschoben wurde.
In der Entscheidung vom 15.11.2012, Bsw. 52873/09, Shala gg. Schweiz wurde ein aus dem Kosovo stammender und im Rahmen eines Familiennachzugs im Alter von 7 Jahren in die Schweiz gekommen BF nach mehreren strafrechtlichen Verurteilungen eine Ausweisung für die Dauer von 10 Jahren ausgesprochen, nachdem er 18 Jahren in der Schweiz gelebt hatte. Der BF wurde 2003 wegen fahrlässiger Körperverletzung, grober Verletzung von Straßenverkehrsregeln sowie pflichtwidrigem Verhalten bei einem Unfall zu einer bedingten 3-monatigen Freiheitsstrafe und wegen grober Verletzung von Straßenverkehrsregeln zu einer 30-tägigen Freiheitsstrafe verurteilt. 2004 erhielt der BF wegen Rauferei eine bedingte Freiheitsstrafe von 45 Tagen. Im Jahr 2007 wurde er wegen Missbrauchs einer Fernmeldeanlage sowie versuchter Erpressung zu einer Geldstrafe verurteilt und wurde die Bewährung für die 45-tägige Freiheitsstrafe aufgehoben. Unter Artikel 8 EMRK machte er vor dem Gerichtshof geltend, seine Wegweisung sei aufgrund der fehlenden Möglichkeit, sich im Kosovo beruflich zu integrieren, unverhältnismäßig. Angesichts der mehrmaligen Straftaten des Beschwerdeführers, der Beschränkung der Einreisesperre auf 10 Jahre und des engen Bezugs, den er noch zu seinem Herkunftsland habe, befand der Gerichtshof, dass die von den Schweizer Behörden vorgenommene Abwägung der privaten Interessen des Beschwerdeführers mit dem Interesse der Schweiz, die Einwanderung zu kontrollieren, verhältnismäßig ausgefallen war.
Die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes wegen zahlreicher strafbarer Handlungen gegen fremdes Eigentum und körperliche Integrität ist auch bei einem rund 19 Jahre dauernden Aufenthalt des Fremden in Österreich gerechtfertigt, wenn der Zeitpunkt des Wegfalls der maßgeblichen Umstände für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes wegen der trotz zwischenzeitlicher Verurteilungen wiederholt begangenen und in ihrer Schwere noch gesteigerten Straftaten nicht vorhergesehen werden kann (VwGH 17.02.2006, 2005/18/0666).
Schon die Verhinderung von (vorsätzlichen und fahrlässigen) Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit von Personen stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar (VwGH 09.11.2009, Zl. 2006/18/0318; VwGH 29.11.2006, Zl. 2006/18/0339).
II.3.7.4. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert (vgl VwGH 30.07.2014, 2013/22/0281). Der Aufenthalt des BF stellt eine derartige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, die ein Einreiseverbot erforderlich macht.
Die materielle Rechtskraft des Schuldspruches bewirkt, dass dadurch - vorbehaltlich einer allfälligen Wiederaufnahme des Strafverfahrens - mit absoluter Wirkung, somit gegenüber jedermann, bindend festgestellt ist, dass der Verurteilte die strafbare Handlung entsprechend den konkreten Tatsachenfeststellungen des betreffenden Urteiles rechtswidrig und schuldhaft begangen hat (vgl. VwGH vom 24. April 2002, Zl. 2001/18/0258).
Das dem BF vorzuwerfende Fehlverhalten ist in den Feststellungen ausführlich dargestellt und sind die insgesamt zur Erlassung eines Einreiseverbotes führenden Ausführungen zur Gefährdungsprognose und dem Fehlverhalten des BF in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert.
II.3.7.5. Einer Verurteilung nach § 53 Abs. 3 Zif 1., 2 und 5 FPG ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.
In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 24.03.2015, Ra 2014/21/0049; 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
Der Prognose einer vom Fremden ausgehenden Gefahr steht auch nicht entgegen, dass die Gefährlichkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber sogar die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch wegen Tathandlungen vorgesehen, die im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen wurden (vgl. VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081).
Auch für das (nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige) Einreiseverbot iSd § 53 FPG, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird, gilt, dass wie bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK seine Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist.
Bei Beurteilung der Frage, ob dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 30.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179; 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. etwa in Zusammenhang mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren wegen des Verbrechens des versuchten Mordes: VwGH 26.09.2022, Ro 2022/20/001, mwN).
Unter Berücksichtigung der angeführten Judikatur ist für den vorliegenden Fall Folgendes auszuführen:
Festzuhalten bleibt in aller Deutlichkeit, dass die vom BF begangene Tat, wegen welcher er in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gem. § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen wurde, zu den schwersten Verbrechen überhaupt zu zählen ist. Dabei ist insbesondere die Deliktsqualifikation (Mord im Sinne des § 75 StGB [dass es beim Versuch blieb, ändert an der inneren Tatseite, nämlich den Vorsatz des Täters zur Tatzeit, ein Menschenleben zu beenden], es wurde keine privilegierende Form festgestellt) hervorzuheben. Der BF hat durch sein Verhalten das Grundinteresse der Gesellschaft an Ruhe, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit für Personen und an sozialem Frieden beeinträchtigt, indem er in das allerhöchste Rechtsgut überhaupt, nämlich das Leben, eingriff. Das Delikt griff sowohl der Art als auch der Schwere nach massiv in das geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens ein. Demgemäß muss auch die diesbezügliche Zukunftsprognose negativ ausfallen und kann auch in Hinkunft nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer keine weiteren strafbaren Handlungen begehen wird.
Damit ist davon auszugehen, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG). Wenngleich es zutrifft, dass nicht jedem durch eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG begründetem öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes das gleiche Gewicht zukommt, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie im vorliegenden Fall unter Hinweis auf die Art der begangenen Tat und die damit verbundene Einweisung in ein forensisch-therapeutischen Zentrum die Ansicht vertreten hat, es bedürfe keiner weiteren Erörterung, dass damit die Voraussetzungen für ein unbefristetes Einreiseverbot erfüllt seien. Abgesehen davon, dass jeder Bruch der Rechtsordnung eine den öffentlichen Interessen widerstreitende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, handelt es sich vorliegend im Hinblick auf die Schwere des Deliktes gemäß § 75 StGB und der darin zum Ausdruck kommenden bewussten Geringschätzung menschlichen Lebens zudem um eine Tatsache, deren Eignung, jenes Maß an Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie auch - wie von der belangten Behörde angenommen - der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer (vgl. Art. 8 Abs. 2 MRK) zu begründen, das die Verhängung eines Einreiseverbotes über den BF dringend geboten erscheinen lässt, offen zutage liegt. Angesichts dessen bedurfte es - entgegen der Meinung der Beschwerde - keiner weiteren, ins einzelne gehender Darlegungen seitens der belangten Behörde (insbesondere nicht dahingehend, ob durch den Verbleib des BF im Bundesgebiet eine "unerträgliche Gefahr einer neuerlichen strafbaren Handlung konkret zu erwarten wäre"), um ihrer Entscheidung das besonders große Gewicht der für die Erlassung eines Einreiseverbotes gegen den Beschwerdeführer sprechenden öffentlichen Interessen in rechtlich unbedenklicher Weise zugrunde legen zu dürfen. …“).
Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/21/0194). Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Risikoprognose bei Wegfall der medizinischen Betreuung im Zeitpunkt der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug ist der Ansicht der belangten Behörde, wonach das vom BF gezeigte Verhalten eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, beizutreten zumal der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG im vorliegenden Fall erfüllt ist, und dadurch das Vorliegen einer solchen Gefahr indiziert ist (VwGH 27.01.2015, 2013/22/0298; vgl. VwGH 30.07.2014, 2013/22/0281).
Wie bereits von der belangten Behörde in Bezug auf die Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den BF dargelegt, ist beim BF allein aufgrund dessen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von entsprechenden Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen, wenngleich diesen eine maßgebliche Relevanz vor dem Hintergrund der Ausführungen zu dessen strafrechtlichem Fehlverhalten abzusprechen ist. Der BF war während seines über zehnjährigen Aufenthaltes etwa ein Jahr und vier Monate legal berufstätig, den überwiegenden Teil seines Aufenthaltes im Bundesgebiet lebte er von Sozialleistungen des österreichischen Staates. Eine sonstige Integration ist dessen ungeachtet nicht feststellbar. Er lebt seit 2015 mit keiner Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und ist für niemanden sorgepflichtig. Im Bundesgebiet lebt ein Bruder mit seiner Familie, es besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis. Der BF brach auf eigenen Wunsch den Kontakt zu seinem Bruder und dessen Familie ab. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Seit der Inhaftierung bzw. Anhaltung im forensisch-therapeutischen Zentrums Göllersdorf wurde er von niemanden besucht. Anhaltspunkte in Bezug auf relevante soziale Kontakte, vor der Unterbringung, sind nicht hervorgekommen und auch nicht behauptet worden. Folgerichtig sind keine Anhaltspunkte feststellbar, wer den BF vor weiteren, schweren, Straftaten abhalten sollte.
II.3.7.6. Der Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des verhängten Einreiseverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten sei, steht aus den obigen Erwägungen nach Ansicht des Gerichtes nichts entgegen und ist diese auch verhältnismäßig.
Wie bereits festgestellt und ausführlich erörtert, wurde mit rechtskräftigem Urteil des LG Klagenfurt vom 06.07.2022 die Unterbringung des BF in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB angeordnet, weshalb nicht nur der Tatbestand des § 53 Abs. 3 FPG, sondern auch jener des Abs. 6 FPG erfüllt ist, weswegen der Spruchteil um den entsprechenden Passus zu ergänzen war.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.