JudikaturJustiz10Ob4/24x

10Ob4/24x – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen S*, geboren * 2020, *, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Rechtsvertretung Bezirk 22, 1220 Wien, Simone-de-Beauvoir-Platz 6, wegen vorläufigen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Mutter I*, vertreten durch Dr. Michael Hasenöhrl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Oktober 2023, GZ 45 R 355/23y 21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 5. Juni 2023, GZ 29 Pu 89/21v 5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekursbeantwortung des Minderjährigen wird zurückgewiesen.

Der Revisionsrekurs der Mutter wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Schreiben vom 30. Jänner 2023 (ON 1) zeigte der Minderjährige unter anderem an, dass er bei N* lebe und die Wiener Kinder- und Jugendhilfe bis zur rechtskräftigen Beendigung des Obsorgeverfahrens der vorläufige gesetzliche Vertreter des Minderjährigen sei.

[2] Mit am 17. Mai 2023 beim Erstgericht eingelangtem Antrag vom 12. Mai 2023 beantragte (unter anderem) der Minderjährige die Mutter zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 30 EUR von 1. Mai 2021 bis 30. September 2022 und von 220 EUR ab 1. Oktober 2022 zu verpflichten. Gleichzeitig stellte er den Antrag, die Mutter gemäß § 382a EO zu vorläufigem Unterhalt von 120,60 EUR monatlich zu verpflichten. Die Mutter erbringe nicht die beantragte Unterhaltsleistung und es bestehe kein Unterhaltstitel. In Anbetracht des (näher bezifferten) Bezugs der Mutter liege ein Unterhaltsbetrag von 30 EUR jedenfalls in der Leistungsfähigkeit der Mutter.

[3] Das Erstgericht verpflichtete mit einstweiliger Verfügung die Mutter ab 17. Mai 2023 bis auf Weiteres, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Erledigung des Unterhaltsfestsetzungsantrags, einen vorläufigen Unterhalt von 30 EUR zu Handen des gesetzlichen Vertreters zu zahlen, und zwar die bis zur Zustellung der einstweiligen Verfügung fällig gewordenen Beträge sofort und die weiterhin fällig werdenden Beträge jeweils spätestens am Ersten eines jeden Monats im Voraus. Das Mehrbegehren wies es ab.

[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Soweit die Mutter kritisiere, vor Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht gehört worden zu sein, sei zu betonen, dass über Anträge auf Erlassung von einstweiligen Verfügungen nach § 382a EO stets ohne Anhörung des Antragsgegners zu entscheiden sei. Der Minderjährige sei seiner Behauptungs- und Bescheinigungspflicht insofern nachgekommen, als er eine Verletzung der Unterhaltsverpflichtung der Mutter schlüssig darlegen habe können. Den Rekursausführungen, wonach sich der Minderjährige in Voller Erziehung der Stadt Wien befinde und Unterhalt und nicht Kostenersatz gemäß §§ 36, 37 WKJHG 2013 begehrt worden sei, sei zu entgegnen, dass die Möglichkeit des Jugendwohlfahrtsträgers, die Kosten der Vollen Erziehung (auch) „gemäß § 33 JWG“ durchzusetzen dem Unterhaltsberechtigten nicht die Legitimation zur Durchsetzung seines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs gegenüber dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil nehme.

[5] Dagegen richtet sich der – nachträglich vom Rekursgericht zugelassene – Revisionsrekurs der Mutter mit dem (erkennbaren) Antrag, den Antrag auf Zuerkennung vorläufigen Unterhalts zur Gänze abzuweisen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[6] In der Revisionsrekursbeantwortung des Minderjährigen beantragt dieser, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Der Umstand, dass am Vorlagebericht für das gegenständliche Rechtsmittel – entgegen der Vorlagepflicht nach § 10 Abs 2 RpflG und dem Richtervorbehalt des § 16 Abs 2 Z 1 RpflG – nur eine Unterschrift der zuständigen Diplomrechtspflegerin ersichtlich ist, führt in der vorliegenden Konstellation nicht zu einer Rückstellung des Akts an das Erstgericht (vgl RS0125601 [T2]).

[9] 2. Das Verfahren über eine einstweilige Verfügung nach § 382a EO richtet sich – mit hier unerheblichen Ausnahmen – nach den Bestimmungen der Exekutionsordnung (RS0006135 [T5]). Demnach gelten die Verweisungen in § 402 Abs 4 und § 78 EO auf die ZPO, auch wenn die einstweilige Verfügung im Rahmen eines außerstreitigen Verfahrens erlassen wird (4 Ob 126/21i Rz 10; 10 Ob 44/06b).

[10] 3. Die Revisionsrekursbeantwortung ist verspätet.

[11] 3.1. Der Beschluss, mit dem das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs doch für zulässig erklärte und dem Minderjährigen die Beantwortung des Revisionsrekurses freistellte, wurde dem Minderjährigen am 6. Dezember 2023 zugestellt, sodass die (gemäß § 402 Abs 3 EO) 14-tägige Frist zur Einbringung der Revisionsrekursbeantwortung mit diesem Zeitpunkt zu laufen begann (§ 507a Abs 2 Z 2, § 508 Abs 5, § 521a Abs 2, § 528 Abs 2a ZPO iVm § 402 Abs 4, § 78 EO).

[12] 3.2. Auch im Sicherungsverfahren ist die Beantwortung eines vom Rekursgericht nach Abänderungsantrag doch für zulässig erklärten ordentlichen Revisionsrekurses durch den Revisionsrekursgegner beim Rekursgericht einzubringen (§ 507a Abs 3 Z 1, § 508 Abs 5, § 521a Abs 2, § 528 Abs 2a ZPO iVm § 402 Abs 4, § 78 EO; RS0041584 [T16]). Wenn die Rechtsmittelbeantwortung beim unzuständigen Gericht eingebracht wurde und erst von diesem dem zuständigen Gericht übersendet wurde, ist die Zeit dieser Übersendung in die Rechtsmittelfrist einzurechnen (RS0041584). Die am 22. Dezember 2023 in Kopie und am 19. Jänner 2024 im Original, also jeweils nach Fristende, beim Rekursgericht eingelangte Revisionsrekursbeantwortung ist somit als verspätet zurückzuweisen.

[13] 4. Die Zulässigkeit eines Revisionsrekurses richtet sich auch im Sicherungsverfahren über eine einstweilige Verfügung nach § 382a EO gemäß § 402 Abs 4, § 78 EO nach § 528 ZPO (RS0002321 [T9, T11]).

[14] 4.1. Der Revisionsrekurs ist zwar weder nach § 528 Abs 2 Z 1 ZPO (vgl 4 Ob 86/12v) noch nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (§ 402 Abs 1 Satz 2 EO) jedenfalls unzulässig.

[15] 4.2. Der Revisionsrekurs muss allerdings eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO aufzeigen. Der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt nur dann vor, wenn ausgehend vom festgestellten Sachverhalt dargelegt wird, dass die rechtliche Beurteilung durch das Rekursgericht unrichtig erscheint (RS0043603; RS0043312). Diesen Anforderungen wird der Revisionsrekurs der Mutter nicht gerecht.

[16] 4.2.1. Die Beurteilung des Rekursgerichts, der Minderjährige habe in seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO die Verletzung der Unterhaltspflicht durch die Mutter schlüssig dargelegt (vgl RS0006131), wird im Revisionsrekurs nicht bekämpft, sodass darauf nicht näher einzugehen ist.

[17] 4.2.2. Auf die vom Revisonsrekurs und vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, inwiefern ein Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber den Eltern infolge Legalzession nach § 37 Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 (WKJHG 2013) auf den Kinder- und Jugendhilfeträger übergegangen und der Minderjährige deswegen noch zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen aktivlegitimiert ist, kommt es nicht entscheidend an.

[18] Voraussetzung einer Legalzession nach dieser Bestimmung wäre nämlich, dass vom Kinder- und Jugendhilfeträger Volle Erziehung gewährt wurde („bei Gewährung der Vollen Erziehung […] durch den Kinder- und Jugendhilfeträger“), die zu Kosten für den Kinder- und Jugendhilfeträger und einem Ersatzanspruch gegenüber den Eltern im Sinn des § 36 WKJHG 2013 führten . Dem Antragsvorbringen und dem der Entscheidung zugrunde gelegten Akteninhalt ( zur Berücksichtigung allfälliger Erhebungsergebnisse siehe RS0119185) sind aber keine Umstände zu entnehmen, die auf eine solche Gewährung der Vollen Erziehung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger im Sinn des § 30 WKJHG 2013 schließen lassen würden . Insbesondere deutet die vom Minderjährigen behauptete Fremdunterbringung darauf nicht hin, weil sich daraus keine ausdrücklich statuierte (hoheitliche) Anordnung mit Kostenfolgen für den Kinder- und Jugendhilfeträger (vgl RS0112860 [T3, T4]) ergibt.

[19] Der in diesem Zusammenhang (im Rekurs und im Revisionsrekurs) geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel liegt somit nicht vor. Die Feststellungsgrundlage ist nämlich nur dann mangelhaft, wenn (entscheidungserhebliche) Tatsachen zu Umständen fehlen, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317). Dies ist hier nicht der Fall.

[20] Die erstmalige Behauptung der für den Forderungsübergang gemäß § 37 WKJHG 2013 erforderlichen Tatsachen (der Anordnung der Vollen Erziehung durch den Kinder- und Jugendhilfeträger mit Kostenfolgen für diesen) im Rekurs und im Revisionsrekurs verstößt demgegenüber gegen das – auch im Rekursverfahren nach der Exekutionsordnung (RS0042091; RS0002371) und auch im Sicherungsverfahren (RS0002395 [T1]; RS0041965 [T5]) geltende – Neuerungsverbot und ist somit unbeachtlich.

[21] 4.2.3. Soweit im Revisionsrekurs als Verfahrensmangel gerügt wird, weder das Erstgericht noch das Rekursgericht hätten den Pflegschaftsakt beigeschafft, aus dem sich die Fremdunterbringung des Minderjährigen ergeben hätte, wurde ein darin allenfalls liegender Verfahrensmangel vom Rekursgericht erkennbar verneint. Ein in zweiter Instanz verneinter Verfahrensmangel kann auch im Revisionsrekursverfahren über eine einstweilige Verfügung nicht mehr geltend gemacht werden (RS0097225 [T7]). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung umgangen werden, das Rekursverfahren sei – weil das Rekursgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (vgl RS0042963 [T4, T58]).

Rechtssätze
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