(1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen
1. auf Antrag eines Gerichtes;
2. von Amts wegen, wenn er die Verordnung in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte;
3. auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist;
4. auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels;
5. einer Bundesbehörde auch auf Antrag einer Landesregierung oder der Volksanwaltschaft;
6. einer Landesbehörde auch auf Antrag der Bundesregierung oder, wenn landesverfassungsgesetzlich die Volksanwaltschaft auch für den Bereich der Verwaltung des betreffenden Landes für zuständig erklärt wurde, der Volksanwaltschaft oder einer Einrichtung gemäß Art. 148i Abs. 2;
7. einer Aufsichtsbehörde nach Art. 119a Abs. 6 auch auf Antrag der Gemeinde, deren Verordnung aufgehoben wurde.
Auf Anträge gemäß Z 3 und 4 ist Art. 89 Abs. 3 sinngemäß anzuwenden.
(1a) Wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist, kann die Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 4 durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden. Durch Bundesgesetz ist zu bestimmen, welche Wirkung ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 4 hat.
(1b) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 3 oder 4 bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
(2) Wird in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Rechtssache, in der der Verfassungsgerichtshof eine Verordnung anzuwenden hat, die Partei klaglos gestellt, so ist ein bereits eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung dennoch fortzusetzen.
(3) Der Verfassungsgerichtshof darf eine Verordnung nur insoweit als gesetzwidrig aufheben, als ihre Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als er sie in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zur Auffassung, dass die ganze Verordnung
1. der gesetzlichen Grundlage entbehrt,
2. von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde oder
3. in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde,
so hat er die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Dies gilt nicht, wenn die Aufhebung der ganzen Verordnung offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei zuwiderläuft, die einen Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 oder 4 gestellt hat oder deren Rechtssache Anlass für die amtswegige Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens gegeben hat.
(4) Ist die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob die Verordnung gesetzwidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.
(5) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem eine Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, verpflichtet die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt, die sechs Monate, wenn aber gesetzliche Vorkehrungen erforderlich sind, 18 Monate nicht überschreiten darf.
(6) Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.
(7) Für Rechtssachen, die zur Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 4 Anlass gegeben haben, ist durch Bundesgesetz zu bestimmen, dass das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, eine neuerliche Entscheidung dieser Rechtssache ermöglicht. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4.
Rückverweise
B-VG · Bundes-Verfassungsgesetz
Art. 139
…Bundesregierung oder, wenn landesverfassungsgesetzlich die Volksanwaltschaft auch für den Bereich der Verwaltung des betreffenden Landes für zuständig erklärt wurde, der Volksanwaltschaft oder einer Einrichtung gemäß Art. 148i Abs. 2; 7. einer Aufsichtsbehörde nach Art. 119a Abs. 6 auch auf Antrag der Gemeinde, deren Verordnung aufgehoben wurde. Auf…
Art. 139a
…Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Kundmachungen über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages). Art. 139 ist sinngemäß anzuwenden.…
Art. 140a
…und gesetzesergänzenden Staatsverträge und auf die Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, ist Art. 140, auf alle anderen Staatsverträge Art. 139 sinngemäß mit folgenden Maßgaben anzuwenden: 1. Ein Staatsvertrag, dessen Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit der Verfassungsgerichtshof feststellt, ist mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Erkenntnisses von…
VfGG · Verfassungsgerichtshofgesetz 1953
§ 57 F. Bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen (Art. 139 B-VG)
…im Einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (Art. 139 Abs. 1 Z 3 B-VG), so ist auch darzutun, inwieweit die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist. (2) Von einem…
§ 61
…Die vorstehenden Bestimmungen dieses Abschnittes sind sinngemäß anzuwenden: 1. auf Anträge eines Gerichtes (Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG), die die Entscheidung begehren, dass die angefochtene Verordnung oder bestimmte Stellen einer solchen gesetzwidrig waren (Art. 89 Abs. 3 B-VG); 2. wenn…
§ 59
…die die Verordnung erlassen hat, und der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde des Bundes oder des Landes zuzustellen. Lautet es auf Aufhebung, so muss in der gemäß Art. 139 Abs. 5 B-VG zu erlassenden Kundmachung zum Ausdruck gebracht werden, dass die Verordnung oder bestimmte Stellen derselben durch das genau zu bezeichnende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aufgehoben worden ist…
§ 57a
…erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, die Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (Art. 139 Abs. 1 Z 4 B-VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig: 1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§ 111a AußStrG…
ZPO · Zivilprozessordnung
§ 528b
…Art. 139 Abs. 1 Z 4, Art. 139a, Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. d und Art. 140a B-VG richten sich nach den Bestimmungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 – VfGG, BGBl. Nr. 85/1953. Die Verständigung des Verfassungsgerichtshofes von der Antragstellung ist zum…
TGO · Gemeindeordnung 2001 – TGO, Tiroler
§ 128 § 128
…oder Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (Art. 144 B-VG) zu erheben oder einen Antrag auf Aufhebung einer Verordnung nach § 122 Abs. 2 an den Verfassungsgerichtshof (Art. 139 B-VG) zu stellen.…
Bgld. LVwGG · Burgenländisches Landesverwaltungsgerichtsgesetz
§ 9 Einzelrichterinnen, Einzelrichter, Senate
…auch die Stellung von Anträgen gemäß Art. 89 Abs. 2 bis 4, Art. 139 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1 und Art. 140a Abs. 1 B-VG zu.…
WStV · Wiener Stadtverfassung
§ 138a Verlautbarungen im Landesgesetzblatt, Abweichungen
…B-VG), 8. der Kundmachungen der Landesregierung über die Aufhebung von Verordnungen durch den Verfassungsgerichtshof sowie über Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes, dass eine Verordnung gesetzwidrig war (Art. 139 Abs. 5 B-VG), 9. der Kundmachungen der Landesregierung über Aufhebungen von Wiederverlautbarungen durch den Verfassungsgerichtshof sowie über Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes, dass bei der Wiederverlautbarung eines Landesgesetzes die Grenzen…