JudikaturJustiz4Ob28/21b

4Ob28/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Hon. Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragsteller 1. „F*“ * GmbH, *, und 2. C* A*, beide vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen die Antragsgegnerin Mag. E* G*, vertreten durch Mag. Martin Reichegger, Rechtsanwalt in Göfis, wegen Zustimmungserklärung (§ 835 ABGB), über den Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 1. Oktober 2020, GZ 2 R 217/20g 6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 1. September 2020, GZ 20 Nc 4/20a 3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, den Antragstellern die mit 1.495,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im Übrigen sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens weitere Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

Text

Begründung:

[1] Die Antragsgegnerin ist zur Hälfte, die Erstantragstellerin zu 3/10 und der Zweitantragsteller zu 2/10 Miteigentümer des – im Zuge einer Realteilung im Jahr 1942 geschaffenen – etwa 93 m² großen, länglichen und unasphaltierten Straßengrundstücks Nr * (in der Folge: „Weg“ bzw „Weggrundstück“); die am Weg liegenden Liegenschaften der Parteien sind mit dem Weggrundstück realrechtlich so verbunden, dass das Miteigentum an diesem den jeweiligen Eigentümern der (nunmehr den Parteien gehörenden) anliegenden Grundstücke zukommt. Nur über diesen Weg, der von der öffentlichen Straße im rechten Winkel abgeht, haben die Liegenschaften der Antragsgegnerin und – an dieser vorbei – der Erstantragstellerin Zugang zum öffentlichen Straßennetz, wohingegen die Liegenschaft des Zweitantragstellers sowohl an die öffentliche Straße als auch an den Weg angrenzt.

[2] Die Parteien liegen seit Jahren wegen des Wegs im Streit.

[3] Im – nach Unterbrechung noch offenen – Verfahren 8 Nc 2/14k des Erstgerichts streben die Antragsteller an, die Zustimmung der Antragsgegnerin zur Asphaltierung de s gesamten Wegs zu ersetzen.

[4] Nachdem am 7. 11. 2013 im Auftrag der Erstantragstellerin ein auf dem Weg an der Einmündung zur öffentlichen Straße wachsender, 40 Jahre alter Fliederbusch umgeschnitten worden war, beantragten die Antragsteller im Verfahren 7 Msch 1/17k des Erstgerichts, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Entfernung des Fliederbaums einschließlich des noch auf dem Weggrundstück bestehenden Baumstumpfes sowie der daran anschließenden Asphaltierung der Grundstücksfläche, auf der sich zuvor der Fliederbaum befunden habe, zuzustimmen, hilfsweise die Entfernung des Fliederbaums einschließlich des derzeit noch bestehenden Baumstumpfes und die daran anschließende Asphaltierung der Grundstücksfläche, auf der sich zuvor der Fliederbaum befunden habe, zu genehmigen.

[5] Das Erstgericht genehmigte am 16. 8. 2018 die Entfernung des Fliederbusches und wies die übrigen Anträge ab. Eine Zustimmung zu bereits erfolgten Veränderungen komme nicht in Frage, wohl aber die gerichtliche Genehmigung der Entfernung des Baums, die eindeutig vorteilhaft und im Interesse aller Miteigentümer sei, um gefahrlos und ohne Sichtbehinderung auf die öffentliche Straße ausfahren zu können und die Zufahrt von Einsatzfahrzeugen jeder Art problemlos zu ermöglichen. Die Entfernung des Baumstumpfes und die Asphaltierung des Teilstücks, auf dem sich dieser befinde, lägen dagegen nicht im eindeutigen Interesse der Miteigentumsgemeinschaft.

[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung am 22. 11. 2018 zu 1 R 223/18d; dies blieb unangefochten.

[7] Zu 30 Nc 1/18f des Erstgerichts beantragten die Antragsteller eine Benützungsregelung hinsichtlich des Weges. Mit Beschluss vom 26. 9. 2019 sprach das Erstgericht aus, die Parteien seien als Miteigentümer des Weggrundstücks berechtigt, über dieses uneingeschränkt zu gehen und zu fahren, um zu ihren mit diesem Grundstück realrechtlich verbundenen Grundstücken zu gelangen; hinsichtlich der Erstantragstellerin bestehe dieses Fahrrecht im Zuge der geplanten Verbauung auch für Baufahrzeuge, insbesondere LKWs und Traktoren. Die Antragsgegnerin sei schuldig, das Befahren des Weges entsprechend dieser gerichtlichen Benützungsregelung zu dulden (und weiters das Abstellen von Kraftfahrzeugen auf dem Weg zu unterlassen).

[8] Das Rekursgericht bestätigte am 10. 12. 2019 zu 1 R 250/19a diese Entscheidung (mit einer – oben bereits berücksichtigten – Maßgabe).

[9] Der Oberste Gerichtshof wies am 26. 2. 2020 zu 1 Ob 21/20z den dagegen erhoben Revisionsrekurs zurück.

[10] Nunmehr (am 5. 8. 2020) beantragen die Antragsteller , die Antragsgegnerin sei schuldig, der Entfernung des Fliederbaumstumpfes samt Wurzelgeflecht auf dem Weg zuzustimmen. Im Verfahren 30 Nc 1/18 sei insbesondere der Erstantragstellerin ein uneingeschränktes, sich über den ganzen Weg erstreckendes Geh- und Fahrrecht eingeräumt und die Antragsgegnerin verpflichtet worden, das Befahren des Weges zu dulden und sämtliche Störhandlungen zu unterlassen. Faktisch werde das Befahren der gesamten Wegbreite durch den am Rand befindlichen Baumstumpf des vormals bestandenen Fliederbaumes beeinträchtigt. Die Erstantragstellerin beabsichtige, die Wegfläche zu asphaltieren und ihren Weganteil sowie die dahinterliegenden Grundstücke insoweit zu nutzen, dass über die asphaltierte Wegfläche zu der Liegenschaft der Erstantragstellerin zugefahren werden könne, welche sie verbaue bzw einer Verbauung zugänglich machen wolle. Die Antragsgegnerin verweigere die Zustimmung zur Entfernung des Baumstumpfes.

[11] Das Erstgericht wies den Antrag a limine aufgrund entschiedener Rechtssache zurück. Gegenüber dem Verfahren 7 Msch 1/17k des Erstgerichts lägen Parteienidentität und Identität des gestellten Begehrens vor. Da sich die Antragsteller dort auch auf eine unter anderem aus dem Baumstumpf resultierende Zufahrtsbeschränkung sowie darauf berufen hätten, dass die Entfernung des Baumstumpfes zur Asphaltierung der Wegparzelle notwendig sei, liege auch Identität des behaupteten rechtserzeugenden Sachverhalts vor. Dass nunmehr eine Entscheidung über ein Geh- und Fahrrecht der Antragsteller betreffend dieses Grundstück vorliege, sei keine Umstandsänderung, zumal im Verfahren 7 Msch 1/17k die Berechtigung der Antragsteller zum Fahren auf dieser Wegparzelle nicht strittig, sondern vielmehr Voraussetzung der Argumentation der damaligen Antragsteller gewesen sei, was damals auch die Antragsgegnerin nicht substanziell bestritten habe.

[12] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Antragsteller hätten nicht aufgezeigt, inwieweit sich durch die Benützungsregelung zu 30 Nc 1/18f die vormals dem Verfahren 7 Msch 1/17k zugrundegelegten rechtserzeugenden Tatsachen verändert hätten.

[13] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteigt und ließ nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob eine Veränderung der Individualisierungsmomente des Rechtsschutzanspruchs schon darin liege, dass nachfolgend eine gerichtliche Benützungsregelung ergangen sei.

[14] Mit ihrem Revisionsrekurs beantragen die Antragsteller die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen.

[15] Die Antragsgegnerin beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[16] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[17] 1.1. Gegenstand der richterlichen Beschlussfassung nach § 835 ABGB ist die Frage, ob gegen den Willen eines Miteigentümers eine wichtige Veränderung ohne Einschränkung oder unter Bedingungen (Sicherstellung) bewilligt oder überhaupt abgelehnt wird. Das Gesetz stellt für diese richterliche Ermessensentscheidung keine bindenden Richtlinien auf; die Entscheidung hängt vielmehr davon ab, ob die Veränderung offenbar (also eindeutig) vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig ist. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls und vom Standpunkt der Gesamtheit aller Miteigentümer und nicht allein von jenem des Mehrheitseigentümers aus zu beurteilen ( 9 Ob 6/11i mwN). Der Beschluss des Außerstreitrichters ist eine im Wesentlichen von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung (RIS Justiz RS0013703 [T7]; RS0013650 [T2]).

[18] 1.2. Streitigkeiten zwischen den Teilhabern über die mit der Verwaltung und Benützung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängenden Rechte und Pflichten sind auch dann nach § 838a ABGB im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden, wenn der Auseinandersetzung eine Vereinbarung der Miteigentümer oder eine Benützungsregelung zugrunde liegt (vgl RS0013563 [T15, T17, T20, T23]; RS0132879 ).

[19] 2.1. Auch Entscheidungen im Verfahren außer Streitsachen kommt materielle Rechtskraft zu ( RS0007171 ), die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist ( RS0007477 ); im Außerstreitverfahren ergangene Entscheidungen entfalten daher Einmaligkeitswirkung und Bindungswirkung (§ 43 AußStrG; RS0007171 [T13]; RS0041572 [T3]). Dies schließt zwischen gleichen Parteien die neuerliche Anhängigmachung eines gleichen Begehrens, das auf den gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gestützt ist, aus und verwehrt die Sachverhandlung und Entscheidung über dieses idente Rechtsschutzbegehren ( RS0041115 [T4], RS0007477 [T3]). Nachträglichen Tatbestandsänderungen hält die materielle Rechtskraft daher nicht stand (vgl RS0007140 ; RS0007201 ).

[20] 2.2. Bei Beurteilung der res iudicata im Außerstreitverfahren liegt ebenso wie im Zivilprozess Identität des Entscheidungsgegenstands dann vor, wenn der mit dem neuen Antrag geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Anspruchsgrundes, ident mit jenem des anderen Verfahrens ist ( RS0127546 ). Der Entscheidungsgegenstand wird daher durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vorgebrachten Tatsachen (Sachverhalt) bestimmt, nicht aber durch (vorweggenommene) Repliken auf vom Prozessgegner eingewendete anspruchsvernichtende Tatsachen (vgl RS0039255; RS0037522).

[21] 3.1. Zur Entscheidung im Vorverfahren zu 30 Nc 1/18f des Erstgerichts bzw 1 R 250/19a des Rekursgerichts, mit der eine Benützungsregelung über das gegenständliche Weggrundstück getroffen wurde, führte der Oberste Gerichtshof bereits zu 1 Ob 21/20z aus, dass eine gerichtlich angeordnete Benützungsregelung denknotwendig mit einer Änderung der bisherigen Nutzung verbunden ist, bedürfte es doch ansonsten gar keiner Entscheidung durch das Gericht. Dass es hier durch die (geplante) Errichtung von drei Wohnhäusern nicht zu einem übermäßigen Gebrauch/Belastung des im gemeinsamen Eigentum stehenden Weggrundstücks oder der in Alleineigentum stehenden Liegenschaft (samt Wohnhaus) der Antragsgegnerin kommt, die den gemeinsamen Weg bisher als „ihren“ Parkplatz benutzt hat (und ihn auch weiterhin so nutzen möchte), ist unbedenklich. Die gegenteilige Annahme würde im Ergebnis zum Ausschluss der Erstantragstellerin vom Gebrauch der widmungsgemäßen Nutzung ihrer Grundstücke führen, die über die gemeinsame Weganlage zu erreichen sind und zu denen schon im Zeitpunkt der Begründung des Miteigentums am Weg auch eine Bauparzelle gehörte.

[22] 3.2. Soweit im früheren Verfahren 7 Msch 1/17k eine Interessenabwägung vorgenommen und die Entfernung des Baumstumpfes als nicht im eindeutigen Interesse der Miteigentümergemeinschaft stehend angesehen worden war, hat sich die Sachlage zwischenzeitig daher insofern geändert, als seitdem eine denknotwendig mit einer Änderung der bisherigen Nutzung verbundene Benützungsregelung über das Weggrundstück getroffen wurde.

[23] 4.1. Die Antragsteller berufen sich in ihrem Antrag ausdrücklich auf diese jüngere Benützungsregelung, aus der sie die Berechtigung ihres Anspruchs auch ableiten. Schon damit unterscheiden sich die zur Begründung des Sachantrags ins Treffen geführten Tatsachen von denjenigen im früheren Vorverfahren 7 Msch 1/17k.

[24] 4.2. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Geltendmachung des nunmehrigen Sachantrags stehe die Identität des Streitgegenstands und daher die Einmaligkeitswirkung der Vorentscheidung entgegen, erweist sich damit als nicht tragfähig: Ob die Behauptungen der Antragsteller zutreffen und sich ihre Argumente als stichhältig erweisen, ist nach dem Gesagten eine Frage der Antragsberechtigung.

[25] 5.1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher ersatzlos zu beheben.

[26] 5.2. Soweit der Revisionsrekurs einen Verstoß gegen die Geschäftsverteilung des Erstgerichts geltend macht, kann ein solcher, zumal er in der Begründung beider Vorinstanzen verneint wurde (vgl RS0114196), nicht aufgegriffen werden (vgl RS0132654 ).

[27] 5.3. Auf die sonstigen zur Begründung des Revisionsrekurses ins Treffen geführten Argumente muss nicht mehr eingegangen werden.

[28] 6. Die Kostenentscheidung in Ansehung des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 78 Abs 1 und 2 AußStrG: Die erstmals im Revisionsrekursverfahren am Verfahren beteiligte Antragsgegnerin ist in ihrer Beantwortung dem Rechtsmittelantrag der Antragsteller entgegengetreten und hat damit einen Zwischenstreit eröffnet, in dem sie unterlegen ist (1 Ob 233/12i; Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I² § 78 [2019] Rz 49; vgl 10 Ob 63/16m).

[29] Im Übrigen löste das amtswegige Aufgreifen der Frage der entschiedenen Rechtssache durch die Vorinstanzen keinen (einer separaten kostenersatzrechtlichen Beurteilung zugänglichen) Zwischenstreit aus ( 9 Ob 27/14g ; 1 Ob 236/08z). Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass die Sache noch nicht iSd § 78 Abs 1 AußStrG erledigt ist.

Rechtssätze
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