JudikaturJustiz15Os106/11v

15Os106/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Philipp H***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. März 2011, GZ 122 Hv 120/10a 180, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil im Umfang der Schuldsprüche II./3./, II./3./a./ und II./4./a./, demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, des Ausspruchs gemäß § 266 Abs 1 StPO sowie im Zuspruch eines Betrags von 66.363,39 Euro an die Privatbeteiligte Hildegard H***** aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die teilkassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche, Aussprüche über Adhäsionsansprüche und einen Verfolgungsvorbehalt (§ 263 Abs 2 StPO) hinsichtlich weiterer Anklagefakten enthält, wurde Philipp H***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall und 15 StGB (I./A./ und I./B./2./), des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 erster und zweiter Fall StGB (II./1./), des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 und 2, 15 StGB (II./2./), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 3 StGB (II./3./), des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB (II./3./a./), des Vergehens (richtig: der Vergehen) der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 StGB (II./4./a./) sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./5./) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz -

I./ in Wien mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig durch Täuschung über Tatsachen, zu Handlungen, die die Nachgenannten in einem 3.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten,

A./ ...

B./ verleitet, nämlich

2./ im Zeitraum von Jänner 2009 bis März 2009 durch die Vorspiegelung, die Visa Kreditkarte der Hildegard H***** mit deren Einwilligung zu benützen, das Unternehmen C***** zur Bezahlung der von ihm und seiner Mittäterin bezogenen Waren und Leistungen verpflichten und Hildegard H***** zum Ersatz der vom Unternehmen C***** bezahlten Beträge verpflichten zu dürfen, unter Verwendung eines entfremdeten unbaren Zahlungsmittels, nämlich der Visa Karte lautend auf Hildegard H*****, Angestellte der Unternehmen Ca*****, Al M*****, Me***** und Al M***** zur Ausfolgung von Waren und Erbringung von Leistungen, wodurch Hildegard H***** mit insgesamt 4.098,65 Euro am Vermögen geschädigt wurde;

II./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten Theerarat K***** (§ 12 StGB) Hildegard H*****

1./ in der Zeit von 26. Dezember 2008 bis 24. Oktober 2009 in Wien und in verschiedenen Unterkünften in Ägypten widerrechtlich gefangen gehalten, wobei sie die Freiheitsentziehung länger als einen Monat aufrecht hielten und auf solche Weise begingen, dass sie der Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, indem Philipp H***** Hildegard H***** am 26. Dezember 2008 in Wien in seinen Pkw zerrte, diesen versperrte und ihr bewusstseinsverändernde Tabletten verabreichte, sie in die Türkei und in der Folge nach Ägypten brachte, wo er sie im Zusammenwirken mit Theerarat K***** in verschiedenen Unterkünften in Kairo und im Bereich Hurghada in unmöblierten Zimmern meist ohne Fenster und teils mit verschmutzten Matratzen ohne ausreichende Verpflegung bis zu ihrer Flucht am 24. Oktober 2009 einsperrte;

2./ (im Ausland, aber auch in Österreich) mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zu Handlungen und Duldungen, die sie am Vermögen schädigten bzw schädigen sollten, wobei Philipp H***** und Theerarat K***** die Erpressung gewerbsmäßig und gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortgesetzt begingen, indem sie ca zehn Monate hindurch oftmals Hildegard H***** Schläge teils mit Schuhen und Tritte versetzten, ihr bewusstseinsverändernde Tabletten verabreichten, sie mit Handschellen fesselten und einen Elektroschocker gegen sie anwandten, wodurch sie die unter Punkt II./3./ genannten Verletzungen erlitt, sowie sie mit dem Umbringen bedrohten,

a./ genötigt

aa./ in der Zeit von 26. Dezember 2008 bis 24. Oktober 2009 zur Verwendung ihres Vermögens, wie zB Verkauf ihrer AUA-Aktien und Überweisung des Erlöses auf ihr Konto, sowie zur Bekanntgabe ihres Codes für die Bankomat- und Visakarte und zur Duldung der Behebung in zahlreichen Angriffen von insgesamt 31.681,56 Euro von ihrem Konto Nr. ***** bei der U***** AG mit ihrer Bankomatkarte sowie 592,30 Euro mit ihrer Visa-Kreditkarte,

ab./ am 12. Mai 2009 zur Schenkung ihrer Liegenschaft EZ 1732 KG *****, mit der Adresse W*****, in einem Wert von 280.000 Euro;

b./ zu nötigen versucht,

bc./ am 12. Mai 2009 zur Schenkung ihrer Liegenschaft EZ 1673, KG *****, mit der Adresse W*****, in einem nicht mehr näher festzustellenden Wert, wobei die Schenkung noch nicht im Grundbuch eingetragen worden ist,

bd./ in der Zeit von 26. Dezember 2008 bis 24. Oktober 2009 zur Aufnahme von Darlehen über 150.000 US Dollar und 20.000 US Dollar von Maria St*****, 50.000 Euro von Walter W***** und (wie das Erstgericht festhielt irrig: vgl US 17 unten iVm ON 69 S 29) eines nicht mehr näher festzustellenden Betrags von Peter W*****,

3./ in der Zeit von 26. Dezember 2008 bis 24. Oktober 2009 (im Ausland) in oftmaligen Angriffen durch Versetzen von Schlägen mit der Hand und mit der Faust gegen Gesicht und Körper und mit Schuhen, durch Tritte gegen den Körper, durch Anwendung eines Elektroschockers und durch zu enges Anlegen von Handfesseln Hildegard H***** vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen verschobenen Bruch der 10. Rippe, Schürfwunden, Blutergüsse und Prellungen zur Folge hatte und unter Zufügung besonderer Qualen begangen wurde;

3./a./ am 24. Oktober 2009 (in Ägypten) dadurch Hildegard H***** fahrlässig am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt, dass er diese im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten Theerarat K***** als Mittäterin in einem Zimmer der Wohnung einsperrte, was Hildegard H*****, um aus ihrer Gefangenschaft zu entfliehen, dazu veranlasste, sich aus dem Fenster des Zimmers abzuseilen, wobei sie zu Boden springen musste und dabei eine an sich schwere Verletzung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich den Bruch des 7. Halswirbelkörpers mit anschließenden, länger andauernden Lähmungserscheinungen, erlitt, somit die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte;

4./a./ sich im Oktober 2009 in Ägypten die Bankomatkarte und Visa-Kreditkarte der Hildegard H*****, sohin ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz verschafft, dass er durch dessen Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig bereichert werde, indem er ihr die genannten Karten wegnahm;

5./ in der Zeit von Mitte 2008 bis Ende Oktober 2009 (in Österreich und im Ausland) eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich der Identität der österreichischen Staatsbürgerschaft, gebraucht werde, nämlich den Reisepass lautend auf Hildegard H*****.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie verfehlt - worauf bereits die Generalprokuratur zutreffend hingewiesen hat - ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung folgender Beweisanträge:

1./ auf Beischaffung der Krankenhausunterlagen aus Ägypten zum Beweis dafür (ON 179 S 15 f),

a./ „dass die Geschädigte beim Fensterputzen aus dem Fenster hinausgefallen ist und sich nicht abgeseilt hat“ (zu II./3./a./),

b./ „dass die Verletzungen bereits vorhanden waren bzw vom Sturz herrührten und nicht im Zusammenhang mit einer Behandlung durch einen Elektroschocker zurückzuführen sind“ (zu II./3./),

c./ dass der Rippenbruch nicht vom Angeklagten verursacht wurde (zu II./3./);

2./ auf Beischaffung des Polizeiprotokolls „über den Vorfall“ (zu II./3./a./ und II./3./),

a./ „zum Beweis dafür (ON 179 S 17), dass der Angeklagte die Taten nicht begangen hat und die Verletzungen nicht aufgrund von Handlungen des Angeklagten hervorgerufen wurden“,

b./ zum Beweis dafür (ON 179 S 17), „dass die Verletzte offenbar psychische Probleme hatte und es wahrscheinlich auch deshalb zu dem Sturz aus dem Fenster kam“;

3./ auf Ergänzung des (gerichtsmedizinischen) Sachverständigengutachtens nach Einlangen des Polizeiprotokolls und der Krankengeschichte;

4./ auf Ausforschung und Vernehmung,

a./ der zuständigen Bearbeiterin beim ägyptischen Automobilclub in Kairo in der Umgebung Tachrier für die Ausstellung des Carnet de Passage,

b./ der zuständigen Beamten der ägyptischen Hafenpolizei von Port Nuweiba,

c./ des Anwalts und der Dolmetscherin, die die Schenkung in Kairo beglaubigten und in den dortigen Akten unterschrieben haben,

d./ des Geschäftsführers bzw des Personals des Can***** in Hurghada neben dem Wohnhaus O***** der Firma I*****, und des Geschäftsführers des Restaurants ‚Ch*****’ in Hurghada, Nähe der S*****straße,

zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte seine Mutter nicht erpresst und zu irgendetwas gezwungen hat“ (ON 179 S 19 f);

5./ auf ergänzende Vernehmung der Zeugin Hildegard H*****, „weil der Angeklagte noch etliche Fragen an sie stellen möchte“ (ON 179 S 21).

Dem Beschwerdevorbringen zuwider wurden durch die Abweisung dieser Beweisanträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Vorauszuschicken ist, dass die Richtigkeit der Begründung für eine abweisliche Entscheidung nicht unter Nichtigkeitssanktion steht, wenn dem Antrag bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs im Ergebnis keine Berechtigung zukam (RIS Justiz RS0121628). Ein prozessordnungskonform gestellter Beweisantrag darf nur abgelehnt werden, wenn er auf die Aufnahme unzulässiger, unverwertbarer oder unmöglicher Beweise abzielt, das Beweisthema offenkundig oder für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung ist, das beantragte Beweismittel nicht geeignet ist, eine erhebliche Tatsache zu beweisen oder das Gericht das Beweisthema ohnehin als erwiesen annimmt (§ 55 Abs 2 StPO). Auf erhebliche Tatsachen ist ein Beweisantrag dann gerichtet, wenn bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs eine erfolgversprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen zu erwarten ist, mit anderen Worten, wenn der unter Beweis zu stellende Umstand mit Blick auf die bereits vorliegenden Beweisergebnisse in der Lage ist, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen (RIS-Justiz RS0116987, RS0107445). Beweisanträge auf Vernehmung von Zeugen müssen sich auf eine bestimmte Tatsachenbehauptung beziehen, die durch den Zeugen erwiesen werden soll. Das Zeugnis ist ein Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, die der Vergangenheit angehören. Subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlussfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge können als solche nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände (RIS-Justiz RS0097540, RS0097545). Anträge, die nicht erkennen lassen, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung ist, die also mit dem Ziel gestellt werden, erst abzuklären, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten sei oder ob überhaupt Beweismittel auffindbar sind, deren Heranziehung der Wahrheitsfindung dienlich sein können, laufen auf eine bloße Erkundungsbeweisführung hinaus und sind aus Z 4 nicht relevant (RIS-Justiz RS0099841, RS0099353). Erst im Rechtsmittel zur Antragsfundierung erstattetes Vorbringen ist unbeachtlich, weil die Antragsberechtigung stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

Zu 1./a./ und 1./c./: Der Antragsteller verabsäumte darzulegen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme mit Blick auf das vorliegende gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten, wonach bei einem Sturz aus einem ca vier Meter über dem Boden gelegenen Fenster über den festgestellten Bruch der Halswirbelsäule hinaus weitere im Zuge der Behandlung im AKH nicht festgestellte Knochenbrüche der Extremitäten zu erwarten  wären, sodass der Sturz oder Sprung aus geringerer Höhe erfolgt sein muss (ON 171 S 83 f und S 99 f), das behauptete Ergebnis (Sturz aus Fensterhöhe beim Fensterputzen und nicht nach einem Abseilen aus geringerer Höhe) erwarten lasse, zumal auch der im Zuge der Röntgenaufnahme im AKH festgestellte Rippenbruch länger zurückliegen musste als der Vorfall vom 24. Oktober 2009 (ON 171 S 77, S 87 und S 99 f).

Zu 1./b./: Der Antragsteller bezeichnete zunächst nicht deutlich und bestimmt, welche Verletzungen bereits vorhanden gewesen sein und welche bei dem „Sturz“ vom 24. Oktober 2009 entstanden sein sollen, welche Tatsachen somit überhaupt bewiesen werden sollten. Soweit sich der Antrag erkennbar (auch) auf die aus der Misshandlung mit einem Elektroschocker während der Gefangenschaft resultierenden, weiß vernarbten Wunden an den Unterarmen (US 14 und US 18) bezog (vgl ON 171 S 93), verabsäumte er die gebotene Begründung, weshalb die begehrte Beweisaufnahme angesichts der vom Angeklagten selbst vorgelegten Fotos aus der Zeit vor der Flucht der Hildegard H***** aus der Gefangenschaft (Beilage ./B zu ON 144) und des vorliegenden gerichtsmedizinischen Gutachtens, wonach sich die Angaben des Opfers zur Entstehung der vernarbten Wunden aus medizinischer Sicht nicht widerlegen lassen (ON 171 S 71 ff, insbesondere S 77, S 81 f, S 91 ff, S 99 f), einen maßgeblichen Einfluss auf die Beweiswürdigung erwarten lasse.

Zu 2./a./: Zur Relevanz des begehrten Beweises führte der Angeklagte aus, die Angaben des Opfers im Polizeiprotokoll seien zu berücksichtigen (ON 179 S 17 f) und es ließen sich aus dem Polizeiprotokoll Schlüsse ziehen, „ob ein Fenstersturz durch Fensterputzen oder ein Springen stattgefunden hat“ (ON 179 S 29 f). Bereits aus der Formulierung des Antrags ergibt sich, dass die begehrte Beweisaufnahme auf einen bloßen Erkundungsbeweis hinausliefe. Im Übrigen legte der Beschwerdeführer nicht dar, weshalb das Polizeiprotokoll den Angeklagten entlastende Erhebungsergebnisse in Ägypten beinhalten sollte, zumal in einem Amtsvermerk der Polizei vom 16. November 2009 festgehalten ist, laut Interpol sei im Zuge der Erhebungen durch die ägyptischen Behörden zum Vorfall vom 24. Oktober 2009 (II./3./a./) erstmals der Verdacht der Fremdeinwirkung durch den Angeklagten geäußert worden, das Opfer darauf jedoch nicht näher eingegangen, weil es erst nach seiner Rückkehr nach Österreich detaillierte Angaben machen wollte (ON 86 S 21 f, S 33). Soweit zur Relevanz auch ausgeführt wurde, „normalerweise, wenn die Polizei eine Aufnahme macht, wird die Lage des Verletzten festgehalten, insbesondere auf Grund von Spuren ergibt sich dann, wo der Anprall gewesen ist und mit welchem Körperteil man aufgekommen ist und wie hoch der Sturz gewesen ist“ (ON 179 S 31), lief die Antragstellung neuerlich auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus, weil durch die Beischaffung der polizeilichen Unterlagen aus Ägypten erst geklärt werden sollte, ob von diesen überhaupt eine weitere Aufklärung zu erwarten sei.

Zu 2./b./: Der Antrag ließ einerseits nicht erkennen, weshalb das vom Angeklagten behauptete Ergebnis der Beweisaufnahme, nämlich psychische Probleme des Opfers, zu erwarten sei. Im Übrigen liefe die Antragstellung gleichfalls auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus, weil durch die Beischaffung der polizeilichen Unterlagen aus Ägypten erst geklärt werden sollte, ob von diesen eine weitere Aufklärung zu erwarten sei.

Zu 3./: Der Beweisantrag verlor ohne Erweiterung der dem Gericht im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Beweisaufnahmen erkennbar seine Relevanz, zumal er mit den zu 1./ und 2./ geforderten Beweisaufnahmen junktimiert worden war.

Zu 4./a./ bis d./: Nach dem Vorbringen könnten diese Zeugen Begegnungen mit dem Opfer in Ägypten bestätigen (ON 179 S 19 f; vgl dazu auch ON 171 S 7 ff). Da das Schöffengericht diesen Umstand ohnehin als erwiesen annahm (US 11 und 24), wurde der Beweisantrag in dieser Hinsicht ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Im Übrigen legte der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern eine Vernehmung dieser Zeugen zum Beweisthema bezogen auf den Antragszeitpunkt eine erfolgversprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen erwarten ließ (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 341), zumal bereits die Zeugin Helga Ha***** bestätigt hatte, ihr sei bei einer beruflichen Begegnung mit dem ansonsten nicht näher bekannten Opfer nichts aufgefallen (ON 162 S 11 ff), und Hildegard H***** selbst angegeben hatte, teils mangels Aussicht auf Erfolg, teils aufgrund von falschen Versprechungen in Situationen mit Außenkontakt nicht auf ihre missliche Situation aufmerksam gemacht zu haben (ON 162 S 51 f, S 59 f, S 107 f, S 115, S 125 f).

Zu 5./: Der Angeklagte unterließ in seinem Beweisantrag die gebotene Darlegung, worüber die in der Hauptverhandlung bereits eingehend vernommene Zeugin Hildegard H***** ergänzend befragt werden sollte. Das Begehren erschöpft sich somit ebenfalls in unzulässiger Erkundungsbeweisführung (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 330 f).

Die Mängelrüge (Z 5) läuft mit einer eigene Beweiswerterwägungen enthaltenden Bestreitung der Darstellung der Zeugin Hildegard H*****, auf welche sich das Urteil mit ausführlicher Auseinandersetzung mit deren Angaben, der dazu konträren Verantwortung des Angeklagten sowie den übrigen Beweisergebnissen (US 20 ff) stützt, im Wesentlichen auf eine im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung hinaus. Das Vorbringen vernachlässigt zur Gänze die vom Erstgericht angestellten Erwägungen zu einem misslungenen Fluchtversuch des Opfers, zur Versäumung anderer möglicher Fluchtgelegenheiten, zu für Dritte unauffälligen Außenkontakten des Opfers während aufrechter Gefangenschaft und zur Unterlassung der Offenbarung der misslichen Lage des Opfers insbesondere auch anlässlich einer in Begleitung des Angeklagten erfolgten Vorsprache bei der Österreichischen Botschaft in Kairo. Die Annahme der Tatrichter, das Opfer habe teils unter dem Eindruck bereits erlebter Gewalt, impliziten Drohungen, einem misslungenen Fluchtversuch und teils falschen Versprechungen des Angeklagten seine Notlage in solchen Situationen nicht mitgeteilt und bis zum 24. Oktober 2009 keine weiteren Fluchtversuche unternommen, sondern seine Zwangslage erst im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts nach dem Vorfall vom 24. Oktober 2009 thematisiert, als es dem Zugriff des Angeklagten entzogen war (US 24 f, US 28 ff), ist unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Die Behauptungen über Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) also die in ihren wesentlichen Teilen unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts einer Aussage oder Urkunde in den Entscheidungsgründen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 467) sowie über vermeintliche Widersprüche (Z 5 dritter Fall) zwischen Feststellungen über entscheidende Tatsachen und deren Referat im Erkenntnis, von Feststellungen zueinander, von zu getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen zueinander oder zwischen Feststellungen und den dazu angestellten Erwägungen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 437) wurden nicht konkretisiert (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO). Sie sind daher einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.

Dem der Sache nach erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter sowohl mit der Aussage der Zeugin Ha***** (US 24, 28) als auch mit dem Umstand, dass der Angeklagte das Tatopfer im Spital in Ägypten aufsuchte (US 19, 28), ohnedies auseinandergesetzt.

Ob Hildegard H***** dem Angeklagten nach ihrer Rückkehr nach Wien freiwillig Geldzuwendungen zukommen lassen hat, betrifft keine entscheidende oder erhebliche Tatsache.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen, dass das Urteil zum Nachteil des Angeklagten mit Rechtsfehlern mangels Feststellungen behaftet ist.

Für die Reichweite der österreichischen Strafgerichtsbarkeit kommt es darauf an, ob es sich um eine Inlands- oder um eine Auslandstat handelt. § 62 StGB normiert die uneingeschränkte Geltung der österreichischen Strafgesetze für alle Straftaten, die im Inland von wem immer an wem immer begangen worden sind; maßgebend ist allein der inländische Tatort. Ein solcher liegt nach § 67 Abs 2 StGB vor, wenn der Ort im Inland liegt, an dem der Täter gehandelt hat oder (nach dem Tatplan) hätte handeln sollen oder ein dem Tatbild entsprechender Erfolg ganz oder zum Teil eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen. Dabei genügt es, wenn im Inland bloß ein Zwischenerfolg eingetreten ist oder nach den Vorstellungen des Täters hier hätte eintreten sollen, oder dass der Täter eine Phase der Ausführung in Österreich gesetzt hat (RIS-Justiz RS0092073, RS0091851, RS0091842, RS0091861). Eine an mehreren Orten begangene einzige Tat, etwa ein Dauerdelikt, ist dann, wenn wenigstens einer von diesen Tatorten im Inland liegt, im Sinn des § 67 Abs 2 StGB insgesamt als Inlandstat zu beurteilen (RIS-Justiz RS0092155). Auch wenn ein Teil von im Rahmen einer gleichartigen Verbrechensmenge (RIS-Justiz RS0116736 und RS0119552) begangenen Angriffen in Österreich und ein Teil im Ausland stattfand, sind alle diese Taten § 62 StGB zu unterstellen (vgl 11 Os 76/11b).

Demzufolge ist beim Betrug Tatort auch jener Ort, an welchem es zum effektiven Verlust an Vermögenssubstanz kommt, den ein Dritter als spezifische Folge des deliktischen Geschehens erleidet. Im Fall der Verwendung einer österreichischen Kreditkarte im Ausland trifft der Schaden unmittelbar jenes inländische Kreditkartenunternehmen, das die Kreditkarte ausgegeben hat und dem Berechtigten die Honorierung garantiert (RIS-Justiz RS0092066). Bei Vollendung eines unmittelbaren Vermögensschadens im Ausland tritt bei Schadensüberwälzung ins Inland der Rechtsprechung zufolge ein dem Tatbild des Betruges entsprechender Erfolg auch im Inland ein (RIS-Justiz RS0092095).

Vorliegend wurden zum Bestehen eines inländischen Tatorts hinsichtlich des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (I./), der als Dauerdelikt angelegten und in Österreich begonnenen zehnmonatigen Freiheitsentziehung nach § 99 StGB (II./1./), der nach den Feststellungen durch die längere Dauer qualifizierten, als Handlungseinheit zu beurteilenden schweren Erpressung nach §§ 144, 145 Abs 2 Z 1 und 2 StGB (II./2./; vgl Kienapfel/Schmoller , StudB BT II § 145 Rz 12) und der Unterdrückung des Reisepasses der Hildegard H***** (II./5./), welchen die Genannte dem Angeklagten über sein mit dem Vorsatz auf Unterdrückung dieser Urkunde an sie gerichtetes Ersuchen noch vor ihrer Entführung von Wien aus im Postweg ins Ausland übermittelt hatte, zureichende Feststellungen getroffen (vgl US 9, 10 bis 12, 15 bis 18, 31).

Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie unter den Voraussetzungen des § 64 StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall (nur) bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 StGB).

Lagen außer in einem der in § 64 StGB bezeichneten Fälle sowohl die Handlung des Täters als auch der Eintritt des Erfolgs zur Gänze im Ausland, bedarf es entsprechender Feststellungen zur Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung (RIS-Justiz RS0092377).

Die Taten in Betreff vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung (II./3./ und II./3./a./) wurden nach den Feststellungen (US 14, 18, 31) ausschließlich im Ausland verübt.

Der Tatort der (neuerlichen) Entfremdung der Bankomatkarte und der Visa-Kreditkarte des Opfers im Oktober 2009 (II./4./a./) lag ausschließlich im Ausland (US 19).

Die erstgerichtliche Annahme, dass das gesamte Geschehen somit auch jenes, bei dem sowohl die Tathandlung im Ausland gesetzt, als auch der unmittelbare Handlungserfolg im Ausland eintrat der (originären) österreichischen Gerichtsbarkeit nach §§ 62, 67 StGB unterliege, weil der Handlungsort im Ausland auf eine widerrechtliche Verbringung des Opfers aus dem Inland zurückzuführen sei und auch der Erfolg nur aufgrund der strafbaren Verbringung ins Ausland dort eintreten habe können, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

Mangels inländischen Wohnsitzes des Angeklagten, der österreichischer Staatsangehöriger ist (§ 64 Abs 1 Z 7 StGB), hängt die Anwendung österreichischen Rechts auf die zuvor bezeichneten, im Ausland begangenen Taten (II./3./, II./3./a./ und II./4./a./) von der Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit ab (§ 65 Abs 1 Z 1 StGB).

Das Fehlen von Feststellungen zur Strafbarkeit dieser Handlungen im Tatortstaat und deren allfälliger Verjährung war vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten des Angeklagten aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; vgl RIS-Justiz RS0092267 [T1], Ratz , WK-StPO § 281 Rz 634).

Der Vollständigkeit halber wird zum Schuldspruch II./2./ angemerkt, dass der Angeklagte nach den maßgeblichen Konstatierungen Hildegard H***** tatplangemäß über einen Zeitraum von ca zehn Monaten durch den wiederholten Einsatz diverser Erpressungsmittel zu wiederholten vermögensschädigenden Leistungen veranlasste, das Schöffengericht diese fortlaufende, gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortgesetzte Tatbildverwirklichung als tatbestandliche Handlungseinheit zusammenfasste (vgl dazu Ratz , WK-StPO § 281 Rz 521; RIS-Justiz RS0122006) und dieses von einem einheitlichen Erpressungsvorsatz getragene Tatgeschehen insgesamt als (lediglich) ein Verbrechen der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 und Z 2 sowie 15 StGB (verfehlt in Bezug auf die Bezeichnung auch als „teils versuchte“ schwere Erpressung) wertete.

Dass einige der im Urteil exemplarisch dargestellten Tathandlungen mangels unmittelbar durch das abgenötigte Verhalten bewirkter Vermögensschädigung des Opfers bzw diesbezüglicher Feststellungen (vgl Eder-Rieder in WK 2 § 144 Rz 17 ff; Kienapfel/Schmoller StudB II, § 144 Rz 32, 50) derzeit nicht abschließend als Erpressung einstufbar sind, sondern insbesondere die Nötigungen zur Überweisung des Erlöses von Aktienverkäufen auf das Konto des Opfers bei einer österreichischen Bank, die nachfolgende Nötigung der Hildegard H***** zur Bekanntgabe des Codes für die Bankomat- und Visakarte und die spätere Geldbehebung von ihrem Konto unter Verwendung dieser widerrechtlich erlangten Zahlungsmittel (II./2./a./aa./) bzw die Nötigung der Hildegard H***** zur telefonischen Kontaktaufnahme mit Walter W***** und Maria St***** zwecks Aufnahme eines Darlehens (II./2./b./bd./) bei Vorliegen der jeweils tatbestandsessentiellen Kriterien Nötigungen (§ 105 StGB), Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e StGB) oder Diebstahl (§ 127 StGB; vgl RIS-Justiz RS0121847) begründen könnten, kann aus § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO auf sich beruhen. Denn die zum Erpressungsgeschehen insgesamt getroffenen Urteilskonstatierungen tragen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung die vorgenommene Subsumtion dieses einheitlichen Handlungskomplexes als ein Verbrechen nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 (insoweit mit der hinreichenden Feststellung zur Intention des Angeklagten auf erpresserische Erlangung künftiger Pensionszahlungen der Hildegard H***** [US 9 f, 33]) und Z 2 StGB.

Das angefochtene Urteil war daher _ in (teilweiser) Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) im Umfang der Schuldsprüche II./3./, II./3./a./ und II./4./a./ sowie im Strafausspruch, ferner mangels ausschließlicher Zuordnung zu den von der Aufhebung nicht betroffenen Schuldsprüchen (vgl US 6 und US 36) auch im Zuspruch eines Betrags von 66.363,39 Euro an die Privatbeteiligte Hildegard H***** bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) aufzuheben und die Strafsache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die teilkassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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  • RS0122006OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).