JudikaturJustiz7Ob6/04i

7Ob6/04i – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Juli 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Mira G*****, vertreten durch Engin Deniz Reimitz Schönherr Hafner Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei W***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Rechtsanwälte OEG Dr. Kostelka Reimer Fassl in Wien, wegen EUR 37.854,18 s A und EUR 67.462,23 s A, über die Revisionen der klagenden und widerbeklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 37.854,18) und der beklagten und widerklagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 90.559,01) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2003, GZ 4 R 111/03b 54, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 27. Februar 2003, GZ 24 Cg 155/02f, 40 Cg 15/02p 49, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden und widerbeklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Revision der beklagten und widerklagenden Partei wird, soweit sie sich gegen die Entscheidung im Verfahren 24 Cg 155/02f (Klage) richtet, zurückgewiesen, im Übrigen, soweit sie sich gegen die Entscheidung im Verfahren 40 Cg 14/02p (Widerklage) richtet, hingegen Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie nicht schon hinsichtlich eines Zuspruches aus der Widerklage im Umfang von EUR 14.757,40 samt 4 % Zinsen seit 30.11.2001 unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind, werden dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teiles insgesamt zu lauten haben wie folgt:

"Zu 24 Cg 155/02f:

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei EUR 37.854,18 samt 10,7 % Zinsen seit 27. 7. 1997 zu bezahlen und die mit EUR 18.535,87 (darin enthalten EUR 2.849,46 an USt und EUR 1.439,05 an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen, beides binnen 14 Tagen.

Zu 40 Cg 14/02p:

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei EUR 67.462,23 samt 4 % Zinsen seit 30. 11. 2001 zu bezahlen und die mit EUR 7.251,55 (darin enthalten EUR 1.027,11 an USt und EUR 1.088,90 an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen, beides binnen 14 Tagen.

Die Aufrechnungseinrede wird abgewiesen."

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit EUR 3.319,27 (darin enthalten EUR 287,71 an USt und EUR 1.593. - an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (hinsichtlich Widerklage, Berufung) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit EUR 971,03 (darin enthalten EUR 161,84 an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (hinsichtlich Klage, Berufungsbeantwortung) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit EUR 3.881,91 (darin enthalten EUR 293,15 an USt und EUR 2.123, - an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hinsichtlich Klage, Revision) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit EUR 3.225,67 (darin enthalten EUR 183,78 an USt und EUR 2.123. - an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hinsichtlich Widerklage, Revision) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit EUR 798,49 (darin enthalten EUR 133,08 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hinsichtlich Klage, Revisionsbeantwortung) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bis September 1996 war die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) gewerberechtliche Geschäftsführerin der M***** GmbH (in der Folge Gesellschaft), die bis Anfang 1997 einen Brautkleidhandel in *****, betrieb. Diese Gesellschaft schloss mit der Beklagten und Widerklägerin (in der Folge: Beklagte) eine Geschäfts- und Betriebsversicherung mit Wertanpassung für den Versicherungsort ***** ab. Risiko und Deckungsumfang umfassten "die Textilwarenhandlung/Braut und Abendkleider" laut den einzelnen Punkten des Versicherungsvertrages. Darunter waren auch Wasserschäden an Waren und Einrichtungen erfasst.

Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) und die Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden (AWB) zugrunde.

Gemäß Art 8 ABS finden auf die Veräußerung der versicherten Sache uneingeschränkt die Bestimmungen der §§ 69 bis 71 VersVG Anwendung. Gemäß Art 12 ABS ist der Versicherer von der Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt oder sich bei der Ermittlung des Schadens oder der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig macht. Gemäß Art 7 Abs 1 lit d AWB darf der Versicherungsnehmer den durch den Schadensfall herbeigeführten Zustand, solange der Schaden nicht ermittelt ist, ohne Zustimmung des Versicherers nicht verändern.

Die Gesellschaft veräußerte ihr Unternehmen an die Klägerin, sodass diese seit 7. 1. 1997 den Brautkleidhandel als nicht protokolliertes Einzelunternehmen weiter betreibt. Die Unternehmensveräußerung wurde der Beklagten "fahrlässigerweise" nicht angezeigt.

Schon im Jahr 1995 war es zu einem Wasserrohrbruch gekommen, durch den Waren der Gesellschaft, nämlich 230 Brautkleider, Schaden litten, der durch die Wi***** AG beglichen wurde. Die Klägerin entfernte damals alle verwertbaren Accessoires und beseitigte den unbrauchbaren Rest. Die beschädigten Kleider wurden der Klägerin belassen.

Als sich die Klägerin im August 1997 im Ausland befand, ereignete sich im Haus ***** neuerlich ein Wasserrohrbruch, wodurch Wasser durch die Decke in das Geschäftslokal der Klägerin eindrang. Die vorhandenen 200 Kleider wurden durchfeuchtet und verschimmelten teilweise. Rund 1/3 dieser Kleider war von der Klägerin zugekauft worden, die übrigen hatte die Klägerin selbst angefertigt. Die Klägerin arbeitete die zugekauften Kleider selbst um und entfernte ausschließlich aus diesem Grund die Etiketten aus den Kleidungsstücken.

Am 11. und 12. August 1997 besichtigten die Sachverständigen der beklagten Versicherung das Geschäftslokal und begutachteten die dort befindlichen Waren und Einrichtungen. Alle vom Sachverständigen besichtigten Kleider wiesen noch Feuchtigkeit und neue Schimmelbildung auf. Die besichtigten Kleider waren nicht ident mit den beschädigten Kleidern aus dem Jahr 1995. Über (von der Klägerin) entfernte Etiketten wurde nicht gesprochen; dieser Umstand wurde vom Sachverständigen als gegebene Tatsache hingenommen. Bei der ersten, sehr kurzen Befundaufnahme erwähnte die Klägerin gegenüber dem Sachverständigen, die Brautkleider alle selbst angefertigt zu haben. Sie dachte dabei nicht daran, die Versicherungsleistung der Beklagten oder deren Leistungspflicht zu beeinflussen. Der Sachverständige maß dieser Angabe auch keine besondere Bedeutung bei, da er sich zuerst die Kleider anschauen und dann die weitere Vorgangsweise bestimmen wollte. Am selben Tag richtete der Rechtsvertreter der Klägerin eine vorläufige Schadensaufstellung an die Beklagte, in der nach zugekauften und selbst angefertigten Brautkleidern unterschieden wurde und die zugekauften Brautkleider mit einem Stückpreis von S 2.300 und die handgefertigten mit einem Stückpreis von S 2.100 angegeben wurden. Für den Sachverständigen war bei der Schadensbegutachtung (von vornherein) ohne Weiteres erkennbar, dass ein Teil der Kleider Handelsware war. Über sein Ersuchen übermittelte ihm die Klägerin ein Konvolut von Einkaufsrechnungen. Der Wert der beschädigten Ware betrug, ausgehend von einem durchschnittlichen Wiederbeschaffungswert von S 2.052 (= EUR 149,12) pro Kleid S 430.155 (= EUR 31.260,58). Der Gesamtschaden inklusive Einrichtungsgegenständen und Accessoires ergibt den Klagsbetrag.

Der Oberste Gerichtshof gab mit Beschluss vom 26. 9. 2001, 7 Ob 102/01b, der außerordentlichen Revision der Beklagten Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Vorliegen von der Klägerin angelasteten Obliegenheitsverletzungen auch in Bezug auf § 71 Abs 1 VersVG wurde abschließend verneint. Lediglich die Frage, ob der Klägerin allenfalls ein dolus coloratus beim Entfernen der Etiketten aus den zugekauften Kleidern anzulasten sei, konnte mangels entsprechender Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Ausschließlich aus diesem Grund wurden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen. Auf Grund des vollstreckbaren Urteils des Berufungsgerichtes (§ 505 Abs 4 ZPO) bezahlte die Beklagte über Aufforderung der Klägerin vom 14. 3. 2001 an diese den zugesprochenen Kapitalbetrag zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz, sohin insgesamt EUR 67.462,23.

Die Klägerin begehrt zuletzt in der Klage von der beklagten Versicherung EUR 37.854,18 aus dem bestehenden Versicherungsverhältnis. Beim Versicherungsfall seien Brautkleider im Wert von EUR 31.260,58 sowie diverse Einrichtungsgegenstände beschädigt worden.

Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen arglistiger Täuschung durch die Klägerin. Bereits im Juli 1995 sei es im selben Objekt zu einem Wasserschaden gekommen. Die Klägerin versuche, neuerlich Ersatz zumindest für einen Großteil der bereits damals beschädigten Kleider zu erlangen. Sie habe ihre Obliegenheit verletzt, indem sie die beschädigte Ware vernichtet und die Aufklärung des Schadensumfangs durch Nichtherausgabe von Geschäftsunterlagen vereitelt habe. Der Anspruch sei nunmehr, nachdem das Klagebegehren mit Schriftsatz vom 14. 3. 2002 auf Kosten eingeschränkt und in der Folge wieder ausgedehnt worden sei, verjährt.

Die Beklagte begehrt mit Widerklage die Rückzahlung von EUR 67.462,23, die die Beklagte der Klägerin nach Zustellung des Berufungsurteiles im Verfahren 24 Cg 155/02f zur Hintanhaltung von angedrohten Exekutionsschritten geleistet habe, da die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt worden sei. Nachdem der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 26. 9. 2001, 7 Ob 102/01b, der außerordentlichen Revision der Beklagten Folge gegeben, die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen habe, habe die Beklagte am 29. 11. 2001 die Rückzahlung des genannten Betrages verlangt. Die Beklagte habe lediglich aufgrund des Berufungsurteiles geleistet, sodass sie gemäß § 1435 ABGB nunmehr nach Aufhebung des Berufungsurteiles das Geleistete zurückfordern könne.

Die Klägerin bestritt das Widerklagebegehren mit der Begründung, dass die Beklagte die Zahlung nicht aufgrund des vom Obersten Gerichtshof aufgehobenen Urteiles geleistet habe, sondern aufgrund des bestehenden Versicherungsvertrages. Weiters wandte die Klägerin gegen den Widerklagsanspruch ihre im Verfahren 24 Cg 155/02f (= 28 Cg 51/98g) geltend gemachte Klagsforderung compensando bis zur Höhe des Klagsbetrages ein.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und wies das Widerklagebegehren ab. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass der Klägerin weder eine die Schadensfeststellung erschwerende oder verhindernde Obliegenheitsverletzung vorwerfbar noch ein dolus coloratus zur Last zu legen sei. Der Verjährungseinwand der Beklagten sei unberechtigt, weil die Klagseinschränkung mangels Vortrages in der mündlichen Verhandlung nicht wirksam geworden sei. Dem Klagebegehren sei daher Erfolg zuzuerkennen, dem Widerklagebegehren hingegen nicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahingehend ab, dass es das Klagebegehren zu 24 Cg 155/02f abwies und dem Widerklagebegehren zu 40 Cg 14/02p unter Abweisung des Widerklagemehrbegehrens im Umfang von EUR 14.757,40 samt 4 % Zinsen seit 30. 11. 2001 stattgab, ohne über die Aufrechnungseinrede der Klägerin formell im Spruch zu entscheiden. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass bereits abschließend erledigte Streitpunkte nicht wieder aufgerollt werden könnten. Im Sinne des Aufhebungsbeschlusses des Obersten Gerichtshofes zu 7 Ob 102/01b sei nur mehr die Frage des Vorliegens des dolus coloratus auf Seiten der Klägerin zu prüfen gewesen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei ein solcher der Klägerin nicht vorzuwerfen. Das Klagebegehren habe aber dennoch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht mehr bestanden, da die Beklagte mit ihrer Zahlung den Anspruch der Klägerin auf Versicherungsleistung erfüllt habe. Erfüllungswille sei nämlich nicht Voraussetzung der Erfüllungswirkung. Dies gelte auch für eine Zahlung unter Vorbehalt der Rückforderung. Bestehe die Schuld, so erlösche sie durch die Zahlung trotz Vorbehalts. Folgerichtig habe die Klägerin ihr Begehren zunächst auf Kosten eingeschränkt. Das neuerliche Begehren des ursprünglichen Punktums habe aber zur Klagsabweisung führen müssen. Weder der Verjährungseinwand noch jener der Unzulässigkeit der Aufrechnung gemäß § 1440 ABGB komme daher zum Tragen. Die Entscheidung zum Widerklagebegehren stützte das Berufungsgericht darauf, dass ein Anspruch nach § 1435 ABGB nicht nur den Wegfall der Leistungsgrundlage voraussetze, sondern auch das Nichtbestehen der Schuld. Das Widerklagebegehren sei daher im Umfang des Kapitalsbetrages und der Zinsen (Zahlung zum Verfahren 24 Cg 155/02f) nicht berechtigt, wohl aber im Umfang der Verfahrenskosten (Zahlung zum Verfahren 24 Cg 155/02f) , weil sich der Anspruch auf Kostenersatz ungeachtet seiner öffentlich rechtlichen Natur ausschließlich nach den Regeln der ZPO richte und vor der Entscheidung über den Hauptanspruch nicht bestehe. Als öffentlich rechtlicher Anspruch käme eine Aufrechnung nicht in Betracht, weshalb das Widerklagebegehren im Umfang von EUR 14.757,40 berechtigt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Besonderheit des Widerklagebegehrens zulässig sei.

Lediglich gegen die Abweisung des Klagebegehrens zu 24 Cg 155/02f (EUR 37.854,18 sA) richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Gegen die Klagsabweisung zu 24 Cg 155/02f und gegen die Abweisung des Widerklagebegehrens zu 40 Cg 14/02p im Umfang von EUR 52.704,83 s. A. wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahingehend, dass "das Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen und dem Widerklagebegehren zur Gänze kostenpflichtig stattgegeben werde", in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben. Die Beklagte begehrt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, sie ist auch berechtigt. Die Revision der Beklagten ist, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klagebegehrens zu 24 Cg 155/02f wendet, nicht zulässig, im Übrigen ist sie zur Widerklage zu 40 Cg 14/02p zulässig und berechtigt.

Zur Revision der Beklagten gegen das Urteil zu 24 Cg 155/02f (Klage):

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass der Klagsbetrag vor Schluss der Verhandlung bezahlt worden sei. Eine Kompensation aufgrund einer eingewendeten Gegenforderung nahm es also nicht vor. Der Beklagten fehlt daher die Beschwer zur Anfechtung dieser Entscheidung. Der Rechtsmittelwerber muss nämlich nach herrschender Auffassung grundsätzlich formell beschwert sein. Die formelle Beschwer liegt dann vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht (Kodek in Rechberger2, vor § 461 ZPO Rz 10 mwN). Erachtet sich der Rechtsmittelwerber nicht durch den Spruch, sondern nur durch die Begründung der Entscheidung beschwert, so fehlt ihm die Beschwer, sodass sein Rechtsmittel unzulässig ist (vgl RIS Justiz RS0041848).

Zur Revision der Klägerin gegen das Urteil zu 24 Cg 155/02f (Klage):

Zutreffend haben die Vorinstanzen und die Klägerin im Gegensatz zur Beklagten erkannt, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Beschluss vom 26.9.2001, 7 Ob 102/01b, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, die Vorentscheidungen lediglich zur Prüfung des Vorliegens eines allfälligen dolus coloratus auf Seiten der Klägerin, als sie die Etiketten aus den zugekauften, aber von ihr veränderten Kleider entfernte, aufgehoben hat. Nur in diesem Umfang war die Rechtssache neuerlich zu verhandeln. Die übrigen Rechtsfragen wurden vom Obersten Gerichtshof bereits auf der Grundlage des damals festgestellten Sachverhaltes abschließend entschieden. Diese Streitpunkte können im fortgesetzten Verfahren somit nicht mehr aufgerollt werden (RIS Justiz RS0042031). Auf die Ausführungen der Beklagten, die zu diesen abschließend bereits behandelten Rechtsfragen nochmals Stellung nimmt, ist daher nicht weiter einzugehen.

Wie vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung 7 Ob 102/01b ausgesprochen, ist die Beweiswürdigung der Vorinstanzen in der Revision nicht bekämpfbar.

Aufgrund des ergänzten Verfahrens steht nunmehr fest, dass das Entfernen der Etiketten in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Versicherungsleistung erfolgt ist, ein dolus coloratus (die rechtlichen Grundsätze dazu wurden bereits in der Entscheidung 7 Ob 102/01b ausführlich dargelegt, worauf zu verweisen ist) kann aufgrund der nunmehrigen Feststellungslage daher der Klägerin nicht angelastet werden. Da ihr auch keine Obliegenheitsverletzungen vorwerfbar sind bzw sie den Kausalitätsgegenbeweis erbracht hat, besteht der geltend gemachte Deckungsanspruch grundsätzlich zu Recht.

Die Beklagte hat nun über Aufforderung der Klägerin im Hinblick auf die Entscheidung des Berufungsgerichtes im ersten Rechtsgang, in der die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, den Klagsbetrag samt Zinsen und Kosten bezahlt. Die Erhebung einer außerordentlichen Revision hemmt den Eintritt der Vollstreckbarkeit der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung nicht (§ 505 Abs 4 letzter Satz ZPO). Dies hat seinen Grund darin, dass die außerordentliche Revison als Rechtsmittel gegen den verfahrensrechtlichen Ausspruch des Berufungsgerichtes auf Nichtzulassung der ordentlichen Revision und damit inhaltlich gegen einen Beschluss aufgefasst wird und dem Rekurs sonst auch keine aufschiebende Wirkung zu kommt (1337 Blg NR XV.GP, S 19). Durch diese Regelung soll auch erreicht werden, dass eine außerordentliche Revison nicht nur zur Verzögerung erhoben wird, obwohl dem Revisionswerber die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels klar ist (1337 Blg NR XV.GP, S 19). Die Vollstreckung eines mit außerordentlicher Revison bekämpften Urteils soll jedoch nicht soweit durchgeführt werden, dass unwiederbringliche Nachteile entstehen, weshalb die Aufschiebung der Exekution vorgesehen ist (1337 Blg NR XV.GP, S 21).

Eine Vertragsschuld wandelt sich zwar durch ein stattgebendes Urteil in eine Judikatsschuld um, es tritt dadurch aber keine Novation ein (SZ 25/74; SZ 74/50; SZ 74/126). Eine Umwandlung tritt nur dann ein, wenn das Urteil in Rechtskraft erwächst, nicht vorher. Durch die ausdrückliche gesetzliche Anordung des § 505 Abs 4 ZPO fallen ausnahmsweise im Fall einer außerordentlichen Revision die Vollstreckbarkeit und Rechtskraft des Urteils nicht zusammen. In diesem Fall bestehen der materiellrechtliche, klagsweise geltend gemachte Anspruch und die vollstreckbare, noch nicht rechtskräftig festgestellte Judikatschuld auf Grund des Berufungsurteiles bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Klagsanspruch bzw Aufhebung des Berufungsurteiles durch den Obersten Gerichsthof nebeneinander. Vor Rechtskraft des Berufungsurteiles ist also die Umwandlung in eine (alleinige) Judikatschuld noch nicht eingetreten, sodass die Zahlung der Judikatschuld während des Schwebezustandes nicht sofort zu einer Tilgung des materiellrechtlichen Anspruchs führt. Dies entspricht auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers, der nur Verzögerungen wegen aussichtsloser Rechtsmittel verhindern und nicht eine generelle durch nichts begründete Besserstellung eines Klägers bewirken wollte, der sich eben im fortzusetzenden Verfahren auf kein Urteil zu seinen Gunsten stützen kann. Die außerordentliche Revison verliert ja auch in diesem Fall den "Rekurscharakter", der vom Gesetzgeber als Grund für die fehlende aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels genannt wurde. Wird also auf Grund eines Berufungsurteiles, gegen das nur eine außerordentliche Revision erhoben werden kann und auch erhoben wird, der Klagsbetrag samt Nebengebühren und Kosten zur Verhinderung der Exekutionsführung geleistet, so ist dies grundsätzlich auch vom Leistungsempfänger als Zahlung einer Judikatschuld aufzufassen. Wird die Entscheidung rechtskräftig, so wandelt sich die Vertragsschuld in eine Judikatschuld um und diese ist durch die bereits erfolgte Zahlung getilgt. Wird aber das Berufungsurteil aufgehoben, so erfolgt die durch die Rechtskraft aufschiebend bedingte Umwandlung nicht und die Zahlung der Judikatschuld hat auf den Bestand des materiellrechtlichen Anspruches keinen Einfluss, er wird dadurch nicht getilgt. Gibt nun der Oberste Gerichtshof der außerordentlichen Revision Folge und hebt die Entscheidung der Vorinstanzen auf, so steht dem Leistenden noch vor Abschluss des fortzusetzenden Verfahrens ein Rückforderungsanspruch nach § 1435 ABGB zu, da der Grund der Bezahlung, nämlich das vollstreckbare Urteil, nachträglich weggefallen ist (SZ 58/204 mwN).

Dies bedeutet also im vorliegenden Fall, dass die Beklagte eine vollstreckbare, aber noch nicht rechtskräftige Judikatschuld bezahlte. Das musste aus dem Zusammenhang mit dem Urteil und der Erhebung der außerordentlichen Revision, mit der ja das Bestehen des materiellrechtlichen Anspruchs bestritten wird, auch der Klägerin unzweifelhaft klar sein. Dem Parteiwillen entsprechend sollte also die Judikatschuld und nicht die noch daneben bestehende Vertragsschuld getilgt werden. Nach dem Aufheben des Berufungsurteils durch den Obersten Gerichtshof zu 7 Ob 102/01b bestand dann im Hinblick auf § 1435 ABGB für die Klägerin kein Grund mehr, die Zahlung zu behalten. Es ist also kurz gesagt nach Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichtes auf Grund einer außerordentlichen Revision der Vermögensstand wie vor Urteilsfällung wiederherzustellen.

Die Klägerin hat zwar diese Rechtslage zunächst verkennend mittels Schriftsatzes die Klage auf Kosten des Revisionsverfahrens eingeschränkt, dieser Schriftsatz wurde aber im Hinblick auf die Widerklage der Beklagten und ihrem Vorbringen, dass sie lediglich wegen der drohenden Exekutionsführung die Judikatschuld gezahlt habe, in der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen. Ein Schriftsatz wird aber erst mit dem Vortrag wirksam (§ 176 ZPO; RIS Justiz RS0034965; RS0034759). Die Einschränkung des Klagebegehrens darf zwar mittels Schrifsatzes erfolgen, zur Wirksamkeit der Prozesserklärung bedarf es aber - im Gegensatz zur Klagsrücknahme - des mündlichen Vortrages in der Tagsatzung (§ 208 Abs 1 Z 1 ZPO; EvBl 1982/141). Da also der Schriftsatz auf Einschränkung des Klagebegehrens nicht zum Vortrag gelangte, ist auch der Einwand der Beklagten, dass der Klagsanspruch infolge Einschränkung auf Kosten nunmehr im Zeitpunkt der Ausdehnung bereits verjährt sei, nicht berechtigt.

Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben.

Zur Revision der Beklagten zum Verfahren 40 Cg 14/02p (Widerklage):

Wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, ist die Beklagte gemäß § 1435 ABGB berechtigt, ihre Zahlungen, die lediglich im Hinblick auf die vollstreckbare Entscheidung des Berufungsgerichtes zur Hintanhaltung von Exekutionsschritten geleistet wurden, nach Aufhebung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof zurückzufordern.

Die Klägerin wandte als Gegenforderung ihre Klagsforderung zu 24 Cg 155/02f ein. Abgesehen davon, dass bei einem Zahlungsbegehren die Tilgungswirkung der Eventualaufrechnung erst mit der Rechtskraft der Entscheidung eintritt und daher bei der Beurteilung des Widerklagebegehrens noch nicht über die Tilgungswirkung der Gegenforderung abgesprochen werden kann (vgl 10 Ob 205/01x, 6 Ob 361/97z, RIS Justiz RS0109614), ist der Kompensationseinwand hier aber auch unzulässig.

Gemäß § 1440 ABGB sind eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Stücke kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation. Über die ausdrücklichen gesetzlichen Aufrechnungsverbote hinaus kann aber die Interpretation der Schuld begründenden Norm ergeben, dass wegen schutzwürdiger Interessen an einer effektiven Leistung im Einzelfall die Aufrechnung deshalb ausgeschlossen ist, weil der Missbrauch des Aufrechnungsrechtes oder Retentionsrechtes geradezu als Vertrauensbruch zu werten ist (RIS Justiz RS0033960, RS0103256). Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist aber § 1440 ABGB auch auf vergleichbare Fälle durch Analogie anzuwenden (Dullinger in Rummel II/33, § 1414 ABGB, Rz 7 mwN). Im Hinblick auf die oben dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers, Schutz nur gegen mutwillige Revisionen zu gewähren, wäre es geradezu als Vertrauensbruch zu werten, würde man den im Berufungsverfahren nur vorläufig Obsiegenden ohne Grund nach Aufhebung des Berufungsurteils dadurch weiter schützen, dass er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen materiellrechtlichen Anspruch das auf die nicht mehr bestehende Judikatschuld Geleistete (§ 1435 ABGB) behalten dürfte. Es ist daher in analoger Anwendung des § 1440 ABGB unzulässig, einem nach Aufhebung des Berufungsurteiles erhobenen Anspruch auf Rückzahlung des auf die vollstreckbare Judikatschuld geleisteten Betrages einredeweise die geltend gemachte Klagsforderung, deren Bestand nun wieder ungeklärt ist, entgegenzuhalten.

Wird eine Aufrechnungseinrede trotz Fehlens der Aufrechenbarkeit erhoben, so ist sie abzuweisen, ohne dass auf den Bestand oder den Nichtbestand der Gegenforderung näher einzugehen wäre (RIS Justiz RS0033996; Fasching, Lehrbuch2, Rz 1293; Rechberger in Rechberger, § 392 ZPO2, Rz 13).

Es obliegt nun den Parteien, die Aufrechnung der Forderungen vorzunehmen.

Es war daher spruchgemäß vorzugehen.

Die Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Verfahren gründet sich auf § 41 ZPO. Werden mehrere Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, sind die Kosten ab Verbindung auf Basis des Gesamtstreitwertes zu berechnen, dann aber auf die einzelnen Streitsachen anteilsmäßig aufzuteilen (RIS Justiz RS0035812, RS0035947). Auf die Klage entfallen rund 36 %, auf die Widerklage rund 64 %. Es waren die im Zeitpunkt der Erbringen der Leistungen geltende Tarifansätze zu Grunde zu legen. Die Klägerin und die Beklagte obsiegten in den jeweils von ihnen eingeleiteten Verfahren zur Gänze.

Die Kosten der Klägerin für den Widerspruch zu Protokoll, die Bekanntgabe vom 14. 8. 2000 und die nicht vorgetragene Klagseinschränkung waren nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.

Die Verbindung der Verfahren erfolgte erst am Ende der Tagsatzung vom 26. 6. 2002 und es wurde nicht zum führenden Verfahren (Klage) verhandelt, was bei der Kostennote der Beklagten, die die Tagsatzung im übrigen zweimal in Rechnung stellte, zu berücksichtigen war. Die Schriftsätze vom 9. 7. 2002 und vom 26. 11. 2002 dienten nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, das Vorbringen bezieht sich auf bereits durch die Entscheidung 7 Ob 102/01b erledigte Streitpunkte.

Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO unter Berücksichtigung der Aufteilung der Kosten auf die verbundenen Verfahren.

Die Kostenentscheidung im Revisionsverfahren basiert auf §§ 50, 41 ZPO unter Berücksichtigung der Aufteilung der Kosten auf die verbundenen Verfahren. Die Klägerin obsiegt im führenden Verfahren (Klage), nur darauf bezieht sich die Revision, zur Gänze. Die Kosten der Revision der Beklagten entfallen zu 58 % auf die Widerklage, zu 42 % auf die Klage. Da die Klägerin auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Beklagten mangels Beschwer (hinsichtlich der Klage) hingewiesen hat, waren ihr 42 % der Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Rechtssätze
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