JudikaturJustiz1Ob128/18g

1Ob128/18g – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. August 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** K*****, und 2. M***** B*****, beide vertreten durch die RA Dr. Franz P. Oberlercher RA Mag. Gustav H. Ortner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei Dr. E***** W*****, vertreten durch Mag. Rolf Gabron, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen Einverleibung einer Dienstbarkeit und Zwischenantrag auf Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 4. Mai 2018, GZ 3 R 54/18b 46, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 2. Jänner 2018, GZ 3 C 640/14h 41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist Eigentümerin des südlich einer Bundesstraße gelegenen Grundstücks 717/1. Das östlich daran anschließende Grundstück 717/3 steht im Miteigentum der beiden Kläger. Ihnen dient als Zufahrtsweg zum Hof ihres Grundstücks ein – auf ihrem Grundstück beginnender – Weg, der im Ausmaß von 40 m² auch über das Grundstück der Beklagten verläuft.

Die Kläger begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, der Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Fahrzeugen aller Art über das Grundstück 717/1 auf der (näher konkretisierten) Asphaltfläche zuzustimmen. Nach Aufhebung der Vorentscheidungen im ersten Rechtsgang durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 1 Ob 47/17v stellten sie den Zwischenantrag auf Feststellung, dass ihnen diese Dienstbarkeit auf der genannten Asphaltfläche des Grundstücks der Beklagten zukommt.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Zwischenantrag auf Feststellung und dem Einverleibungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Es erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen fehle, ob bzw inwieweit der Umfang einer schlüssig zustande gekommenen Dienstbarkeit im Urteil über den Bestand der Dienstbarkeit festzulegen sei und ob jahrzehntelanges Zuwarten mit einer Klage auf Einverleibung einer schlüssig zustande gekommenen Dienstbarkeitsvereinbarung „bereits für sich einen schlüssigen Verzicht auf die Einverleibung bedeutet“.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels zu beantwortender erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

1. Die übereinstimmende Bejahung der Zulässigkeit eines Zwischenantrags auf Feststellung durch das Erstgericht und das Berufungsgericht ist – auch wenn sie formell nicht in Beschlussform erfolgt – vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbar (RIS Justiz RS0039492 [T2]). Die Frage der Zulässigkeit des Zwischenantrags der Kläger, die die Beklagte aufwirft, kann daher an den Obersten Gerichtshof nicht mehr herangetragen werden (2 Ob 4/12w mwN).

2. Auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.

2.1. Seit der Neufassung des § 480 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009 ist ein Antrag auf Abhaltung einer Berufungsverhandlung nicht mehr vorgesehen. Das Berufungsgericht entscheidet vielmehr im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens, ob eine mündliche Verhandlung – etwa aufgrund der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache – notwendig ist (RIS Justiz RS0126298; RS0127242). Ist eine abschließende Sacherledigung – wie im vorliegenden Fall – ohne eine Berufungsverhandlung möglich, ist es nach § 480 Abs 1 ZPO kein Verfahrensmangel, die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigen (RIS Justiz RS0125957).

2.2. Grundsätzlich kann mit der Behauptung einer unzureichenden Beweiswürdigung der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht dargetan werden, sofern sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt befasst und nachvollziehbare – wenn auch gegebenenfalls nur kurz begründete – Erwägungen dazu angestellt hat (RIS Justiz RS0043150; RS0043371). Es ist nicht notwendig, dass jedes einzelne Beweisergebnis in der Begründung aufgegriffen und behandelt wird (vgl RIS Justiz RS0040180 [T1]). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht die Rede davon sein, dass sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung erhobenen Tatsachenrüge nur so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen zur Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten wurden. Zudem bekämpfte sie in ihrer Berufung die – nunmehr monierte – Feststellung zur Teilnahme ihrer Mutter bei der Bauverhandlung am 12. 1. 1977 gar nicht.

3. Die Parteien stellten inhaltlich außer Streit, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten, ihre Mutter, jedenfalls seit 1978 Eigentümerin des Grundstücks 717/1 gewesen war. Die erstmals in der Revision aufgestellten abweichenden Behauptungen zu den damaligen Eigentumsverhältnissen verstoßen gegen das Neuerungsverbot und sind unbeachtlich (§ 504 Abs 2 ZPO).

4. Der Erwerbstitel einer Dienstbarkeit ist – neben den anderen in § 480 ABGB genannten Fällen – zumeist ein Vertrag, der nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent (§ 863 ABGB) geschlossen werden kann (RIS Justiz RS0114010; RS0111562). Die Beurteilung des Vorliegens einer konkludenten Willenserklärung hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanz vor, die im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RIS Justiz RS0043253 [T1, T2, T8, T18, T21]; vgl RS0044358 [T14, T23]). Dieser Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits im Vorprozess der Parteien zu 6 Ob 155/00p das schlüssige Zustandekommen einer Grunddienstbarkeitsvereinbarung über wechselseitige Wegerechte bejaht, weil die Liegenschaftseigentümer jahrelang unbeanstandet die auf dem Grundstück des jeweils anderen Nachbarn liegenden Stücke eines einheitlichen Zufahrtswegs befahren und begangen haben, die Beklagte nicht nur die „Geltendmachung ihres Eigentumsrechts“ durch 16 Jahre unterließ, sondern auch positive Handlungen setzte.

Nach den Feststellungen im vorliegenden Verfahren führten die Kläger die Asphaltierung des Zufahrtswegs im Jahr 1978 im Bereich des Grundstücks 717/1 nach voriger Rücksprache mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten durch, ohne dass dies von „der Beklagten oder“ ihrer Rechtsvorgängerin beanstandet wurde. Die Kläger sowie deren Mieter und die Postzusteller fuhren nach der Asphaltierung mit diversen Fahrzeugen (aller Art) über den Zufahrtsweg zum westlichen Eingangsbereich beim Hof auf das Grundstück 717/3. Auch Leute der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten befuhren den asphaltierten Weg (und zwar auch den Bereich auf dem Grundstück der Kläger).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Verhaltensweisen der Beteiligten, insbesondere die Rücksprache der Kläger bei der Asphaltierung des Wegs in einer bestimmten Breite mit der damaligen Eigentümerin des dadurch in Anspruch genommenen Grundstücks, von der keine Einwände erhoben wurden, keinen anderen Schluss zuließen, als dass die Eigentümerin des Nachbargrundstücks mit dem Befahren des Asphaltbereichs – also mit dem Entstehen einer Dienstbarkeit auf ihrem asphaltierten Grundstücksteil – einverstanden gewesen sei, und dass das Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht eine „reine Duldung“ gewesen sei und zur konkludenten Einräumung einer Dienstbarkeit auf den ca 40 m² des Grundstücks 717/1 der Beklagten geführt habe, ist nicht korrekturbedürftig. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Ansicht, dass die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten später in Abrede gestellte Vereinbarung eines Zufahrtsrechts ihre konkludente Zustimmung zur Asphaltierung und Benützung des Wegs nicht mehr beseitigen konnte. Die Offenkundigkeit dieses Wegverlaufs schließt eine Unkenntnis der Beklagten, die das Grundstück von ihrer Mutter 1986 erwarb, aus (6 Ob 155/00p), sodass der behauptete „lastenfreie“ Eigentumserwerb nicht stattfand. Unbedenklich ist weiters die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass den Klägern nicht bloß ein obligatorisches, sondern ein gegen den jeweiligen Eigentümer der Nachbarliegenschaft wirkendes Recht eingeräumt werden sollte, war diesen doch ersichtlich an einer dauerhaft gesicherten Zufahrt gelegen.

5. Soll eine bücherliche Eintragung aufgrund eines Urteils erfolgen, genügt es, dass es den Liegenschaftseigentümer zur Einwilligung in die Einverleibung verpflichtet und damit dem daraus Berechtigten den Anspruch auf die Einräumung eines bücherlichen Rechts vermittelt. Der Rechtsgrund, dessen Vorliegen als Vorfrage in der Begründung des Urteils zu klären war, braucht im Spruch, der die Grundlage für die Einverleibung – hier der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens – ist, nicht angeführt zu werden (RIS Justiz RS0004558; RS0004572; 1 Ob 122/17y mwN). Darin, dass das Berufungsgericht davon ausging, dass zwischen den Parteien eine bindende schlüssige Vereinbarung besteht, nach der die Beklagte zur Einwilligung in die Einverleibung verpflichtet ist, liegt keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Das Erstgericht hat einen Lageplan als integrierenden Bestandteil zum Gegenstand des Urteilsspruchs erklärt und auf den darin in bestimmter Farbe dargestellten Zufahrtsweg Bezug genommen. Dadurch ist der Verlauf des vom Urteilsspruch erfassten Zufahrtswegs auf dem Grundstück der Beklagten ausreichend bestimmt. Die Beschreibung von Wegerechten durch Bezugnahme auf einen Lage oder Vermessungsplan oder auf eine Skizze, die zum Gegenstand des Urteilsspruchs gemacht werden, ist nach der Rechtsprechung zulässig (vgl nur 7 Ob 228/13z mwN).

6. Ein Verzicht nach § 1444 ABGB kann nicht nur ausdrücklich, sondern im Sinn des § 863 ABGB auch stillschweigend erfolgen (RIS Justiz RS0014090 [T1]). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein konkludenter Verzicht vorliegt, ist allerdings Zurückhaltung und besondere Vorsicht geboten (RIS Justiz RS0014190 [T1]; RS0014420 [T1]). Ein Verzicht darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS Justiz RS0014190 [T10]), wenn also ein darauf gerichteter Wille des Berechtigten aus den festgestellten Verhältnissen eindeutig hervorgeht (RIS Justiz RS0014234). Die bloße Untätigkeit des Berechtigten auch durch einen längeren Zeitraum ist für sich allein noch kein Grund, Verzicht anzunehmen (RIS Justiz RS0014190 [T9, T11]; vgl auch RS0014420), umso weniger das Zuwarten mit Schritten zur Einverleibung bei laufender Ausübung des Wegerechts. Beweispflichtig für einen Verzicht auf die (Einverleibung der) Dienstbarkeit ist die Beklagte (vgl RIS Justiz RS0039929 [T1]).

Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Kläger nicht bereits in einem der zahlreichen früheren Verfahren zwischen den Parteien ein Einverleibungsbegehren gestellt haben, schade ihnen nicht, weil sie dazu nicht „verpflichtet gewesen“ seien, von ihnen also in diese Richtung kein „Handeln müssen“ zu verlangen gewesen sei und nach den allgemeinen Gebräuchen in Bezug auf die Einverleibung der Dienstbarkeit für sie keine „Handlungspflicht“ bestanden habe, ist nicht korrekturbedürftig, meint das Berufungsgericht damit doch ersichtlich, ihr Verhalten habe keinen Anlass für die Beklagte geboten, es als (eindeutigen) konkludenten Verzicht zu verstehen. Die Beklagte vermag auch keine Umstände und Verhaltensweisen der Kläger aufzuzeigen, aus denen sich ein Verzicht auf die (Einverleibung der) Dienstbarkeit ergeben würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das auf dem Grundstück der Beklagten zu Gunsten der mittlerweile verstorbenen Mutter nach § 364c ABGB verbücherte Belastungs und Veräußerungsverbot bis zu ihrem Tod grundsätzlich eine allgemeine Grundbuchsperre für sämtliche rechtsgeschäftlichen oder zwangsweise begehrten, vom Verbot erfassten Eintragungen bewirkte, was auch für Dienstbarkeiten gilt (vgl 1 Ob 114/06f). Wenn die Kläger im Hinblick darauf die klageweise Geltendmachung der Einverleibung der vereinbarten Dienstbarkeit über einen längeren Zeitraum unterließen, spricht dies – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht für einen Rechtsverzicht ihr gegenüber.

7. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 40 Abs 1 und § 41 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen, sodass ihr Schriftsatz nicht als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme angesehen werden kann (RIS Justiz RS0035962 [T16]; RS0035979 [T9]).

Rechtssätze
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