JudikaturJustiz8Ob139/22g

8Ob139/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch die HSP Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G* GmbH, *, vertreten durch die Neulinger Mitrofanova Čeović Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 862.916,25 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 21. September 2022, GZ 4 R 125/22p 36, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 10. August 2022, GZ 57 Cg 86/21g 32, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen über die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und den Widerspruch gegen das Versäumungsurteil vom 29. Oktober 2021 werden aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Nach den Feststellungen des Erstgerichts hatte die Beklagte ihre Büroräume in der Steuerberatungskanzlei ihres Buchhalters, den sie auch zur Entgegennahme von Poststücken bevollmächtigt hatte. Auch im Firmenbuch war die Adresse der Steuerberatungskanzlei als Geschäftsanschrift der Beklagten eingetragen. Es befand sich dort zwar kein Firmenschild der Beklagten, doch hat der Buchhalter der Beklagten, wenn er anwesend war, die an die Beklagte gerichteten Sendungen übernommen. Die gegenständliche Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung wurde der Beklagten an dieser Adresse durch Hinterlegung mit 9. 9. 2021 zugestellt, wobei die Hinterlegungsanzeige im Sekretariat der Steuerberatungskanzlei hinterlassen wurde.

[2] Am 16. 9. 2021 bewilligte das Firmenbuchgericht die Änderung der Geschäftsanschrift der Beklagten auf die benachbarte Liegenschaft. Das Erstgericht wurde davon nicht verständigt. Die Beklagte behielt aber vorerst die Büroräume in der Steuerberatungskanzlei. Nachdem keine Klagebeantwortung einlangte, erließ das Erstgericht am 29. 10. 2021 ein Versäumungsurteil, das der Beklagten mit 30. 11. 2021 an der Adresse der Steuerberatungskanzlei durch Hinterlegung zugestellt wurde, wobei die Hinterlegungsanzeige im Sekretariat hinterlassen wurde. Da kein Rechtsmittel einlangte, bestätigte das Erstgericht am 17. 1. 2022 die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils.

[3] Am 15. 3. 2022 beantragte die Beklagte die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und erhob Widerspruch gegen das Versäumungsurteil. Der Postzusteller hätte erkennen müssen, dass die Steuerberatungskanzlei keine Abgabestelle sei, weil nichts darauf hingedeutet habe, dass sich dort die Geschäftsanschrift oder der Sitz der Beklagten befinde. Die Hinterlegungsanzeigen seien der Beklagten nie zugekommen, sodass die Beklagte erst nachträglich Kenntnis vom Verfahren erlangt habe.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ab und den Widerspruch zurück. Da die Beklagte es verabsäumt habe, das Gericht nach § 8 Abs 1 ZustG über die Änderung der Abgabestelle zu informieren, sei das Versäumungsurteil durch Hinterlegung wirksam zugestellt worden. Der Widerspruch sei dementsprechend verspätet.

[5] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass die Bestätigung der Vollstreckbarkeit und die Zurückweisung des Widerspruchs aufgehoben wurde. Wenngleich der Buchhalter der Beklagten das Versäumungsurteil entgegennehmen hätte können, sei eine Zustellung an den Postbevollmächtigten durch Hinterlegung unzulässig. Dem festgestellten Sachverhalt lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte an der Adresse der Steuerberatungskanzlei eine Abgabestelle gehabt habe, zumal bloße (unbesetzte) Büroräume keine Abgabestelle begründen würden. Verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung würden zu Gunsten der Beklagten ausschlagen. Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Zustellung an einen Postbevollmächtigten durch Hinterlegung vorliege.

[6] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers , mit dem er die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung anstrebt; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil er zur Rechtsansicht des Rekursgerichts einer Klarstellung bedarf. Er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[9] 1. Nach § 13 Abs 2 ZustG darf auch an eine gegenüber dem Zustelldienst oder der Gemeinde zur Empfangnahme solcher Dokumente bevollmächtigte Person zugestellt werden, soweit dies nicht durch einen Vermerk auf dem Dokument ausgeschlossen ist. § 13 Abs 2 ZustG verlangt nicht, dass die Bevollmächtigung gegenüber der Post erklärt wurde, sie muss nur gegenüber der Post bestehen, sodass sie auch – wie im vorliegenden Fall – durch Erklärung gegenüber dem Vertreter begründet werden kann (RIS Justiz RS0106118).

[10] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 3 Ob 45/08a ausgesprochen, dass eine nach § 13 Abs 2 ZustG bevollmächtigte Person den Empfänger nur bei einer Zustellung durch Ausfolgung vertritt, ihm bei vorübergehender Abwesenheit aber nicht durch Hinterlegung nach § 17 ZustG zugestellt werden kann, weil er im Gegensatz zum Zustellungsbevollmächtigten nach § 9 ZustG nicht Empfänger ist. Ungeachtet der Kritik von Stumvoll in Fasching / Konecny 3 § 13 ZustG Rz 16 ff ist im vorliegenden Fall eine Zustellung an den Postbevollmächtigten schon deshalb zu verneinen, weil er weder in der Zustellverfügung noch am Schriftstück als Empfänger oder sonst wie bezeichnet wurde, sodass die Dokumente nicht für ihn, sondern für die Beklagte hinterlegt wurden.

[11] 3. Eine wirksame Zustellung an die Beklagte setzt nach § 13 Abs 1 ZustG voraus, dass es sich bei der Steuerberatungskanzlei um eine Abgabestelle handelte. Nach § 2 Z 4 ZustG ist „Abgabestelle“ unter anderem der Sitz, die Betriebsstätte oder der Geschäftsraum des Empfängers. Unter „Sitz“ ist jener Raum zu verstehen, an dem die (zentrale) Verwaltung der juristischen Person tatsächlich geführt wird ( Walter / Mayer , Zustellrecht § 4 ZustG Anm 9; Gitschthaler in Rechberger / Klicka 5 § 2 ZustG Rz 11). Die Eintragung der Geschäftsanschrift im Firmenbuch bedeutet für sich genommen noch nicht, dass an dieser Adresse wirksam zugestellt werden könnte (RS0110249). Ist der handelsrechtliche Sitz einer Gesellschaft eine „reine Briefkastenadresse“, tritt an die Stelle dieses Sitzes als Abgabestelle jener Ort, an dem deren Hauptverwaltung tatsächlich geführt wird (RS0110127). Das Erstgericht hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, wo die Hauptverwaltung der Beklagten erfolgt.

[12] 4. Wohl aber hatte die Beklagte nach den Feststellungen des Erstgerichts ihre Büroräume in der Steuerberatungskanzlei ihres Buchhalters. Die Hinterlegung an einer Betriebsstätte oder an einem Geschäftsraum kann nur dann die Rechtsfolgen des § 17 Abs 3 ZustG auslösen, wenn der Empfänger sich dort tatsächlich regelmäßig aufhält (RS0083662; RS0083915; RS0083956). Ein unbesetztes Büro, das nicht regelmäßig aufgesucht wird, ist dementsprechend keine Abgabestelle (6 Ob 99/07p). Das gilt selbst dann, wenn der Empfänger Vorsorge getroffen hat, dass für ihn einlangende Post gesammelt wird, er sie abholen kann und er auch vom Einlangen wichtiger Poststücke verständigt wird (10 Ob 42/12t).

[13] 5. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers führt der Umstand, dass in der Steuerberatungkanzlei regelmäßig eine nach § 13 Abs 2 ZustG zur Entgegennahme von Schriftstücken bevollmächtigte Person anwesend war, für sich genommen noch nicht zur Wirksamkeit der Zustellung. § 17 ZustG macht die Wirksamkeit der Zustellung nämlich davon abhängig, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustG ist aber nur, wer nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften vertretungsbefugt ist (RS0083868). Dies würde im Fall der Beklagten die regelmäßige Anwesenheit ihres Geschäftsführers in der Steuerberatungskanzlei erfordern. Die regelmäßige Anwesenheit einer nach § 13 Abs 2 ZustG bevollmächtigten Person reicht demgegenüber nicht aus, um eine Abgabestelle zu begründen, an der durch Hinterlegung zugestellt werden kann.

[14] 6. Die Behauptung der Beklagten, dass der Zusteller mangels Firmenschild der Beklagten keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass sich der Geschäftsführer der Beklagten regelmäßig in der Steuerberatungskanzlei aufhält, kann nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führen. Freilich darf eine Hinterlegung nach § 17 Abs 1 ZustG nur erfolgen, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger bzw der Vertreter iSd § 13 Abs 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Dadurch sollen unwirksame Zustellungen vermieden und der Empfänger vor allfälligen sich daraus ergebenden Nachteilen geschützt werden. Nach dem Gesetzeszweck hat der subjektive Eindruck des Zustellers aber keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Zustellung, wenn sich der Empfänger bzw ein Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustG tatsächlich regelmäßig an der Abgabestelle aufhält und damit die objektiven Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung erfüllt sind (9 ObA 13/89; Wiederin , Zustellung bei Abwesenheit des Empfängers, ZfV 1988, 222 und 375, 378; Stumvoll in Fasching / Konecny 3 § 17 ZustG Rz 6).

[15] 7. Sollte der Geschäftsführer der Beklagten im Zeitpunkt der Zustellung der Klage, nicht aber im Zeitpunkt der Zustellung des Versäumungsurteils regelmäßig in der Steuerberatungskanzlei anwesend gewesen sein, hätte er die Änderung der Abgabestelle dem Gericht nach § 8 Abs 1 ZustG unverzüglich mitteilen müssen. Die Missachtung dieser Verpflichtung hat zur Folge, dass die Zustellung nach § 8 Abs 2 ZustG durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgen kann, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Zusteller die neue Abgabestelle der Beklagten durch eine Firmenbuchabfrage leicht in Erfahrung bringen hätte können, steht dies einer Hinterlegung nach § 8 Abs 2 ZustG nicht entgegen, weil das das Gericht im vorliegenden Fall gar keinen Grund hatte, solche Nachforschungen anzustellen, sodass es die von der Beklagten behauptete Abgabestelle auch nicht feststellen könnte (RS0115726). Sollte es die Beklagte verabsäumt haben, das Gericht nach § 8 Abs 1 ZustG von der Änderung der Abgabestelle zu verständigen, würde die Hinterlegung des Versäumungsurteils nach § 17 ZustG unabhängig vom Vorliegen einer Abgabestelle eine wirksame Zustellung begründen (RS0115725).

[16] 8. Im Ergebnis hängt die Rechtskraft des Versäumungsurteils davon ab, ob sich der Geschäftsführer im Zeitpunkt der Zustellung des Versäumungsurteils oder zumindest im Zeitpunkt der Zustellung der Klagsschrift regelmäßig in den Büroräumlichkeiten der Steuerberatungskanzlei aufgehalten hat. Das Rekursgericht hätte die Wirksamkeit der Zustellung nicht mit dem Argument verneinen dürfen, dass dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen ist, ob die Steuerberatungskanzlei als Abgabestelle zu qualifizieren ist. Richtig ist zwar, dass bei verbleibenden Zweifeln keine rechtswirksame Zustellung angenommen werden darf (RS0133684; vgl auch RS0040471 [T4]). Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung ist aber insoweit stets von Amts wegen vorzunehmen (RS0001639; RS0036440). Das Fehlen der erforderlichen Feststellungen begründet deshalb auch einen sekundären Feststellungsmangel, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

[17] 9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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