7Ob113/25f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und durch die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* KG, *, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei P* Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch UGP Ullmann Geiler Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Entfernung und Unterlassung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. Mai 2025, GZ 4 R 14/25z-39, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ * KG *, bestehend aus GSt Nr *, samt dem darauf errichteten Gebäude. Auf dem Grundstück befinden sich nördlich, südlich und westlich des Gebäudes unbebaute Außenflächen. Im westlichen Bereich führt eine Zufahrt von einer nordwestlich gelegenen öffentlichen Straße in annähernd gerader Linie zu den südlich des Gebäudes gelegenen Außenflächen.
[2] Zwischen der Klägerin als Verpächterin und der Beklagten als Pächterin besteht auf Grundlage eines Pachtvertrags vom 14. 6. 1988 samt Nachtrag vom 8. 11. 1999 ein Pachtverhältnis hinsichtlich des Gebäudes und der Außenflächen des Grundstücks mit Ausnahme bestimmter Abstell und Garagenflächen, welche bei der Klägerin verblieben. Der Pachtvertrag enthält unter anderem eine Bestimmung, wonach die Beklagte zur ausschließlichen Benützung der unbebauten Flächen der Liegenschaft berechtigt und lediglich die Zufahrt freizuhalten ist.
[3] Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen,
1. eine von der nordwestlichen Ecke des Gebäudes zur westlichen Grundstücksmauer über die Zufahrt gespannte Kette zu entfernen,
2. Behinderungen an der Zufahrt durch Spannen einer Kette, Abstellen von PKWs und gleichwirkende Handlungen zu unterlassen, sowie
3. die nördlich des Gebäudes gelegenen Außenflächen außerhalb der von der Beklagten mitgepachteten Abstellplätze von abgestellten Fahrzeugen von a) Besuchern, b) Kunden, c) Lieferanten, d) Mitarbeitern der Beklagten und e) der Beklagten selbst freizuhalten.
[4] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, Behinderungen der Zufahrt durch Parken von PKWs und gleichwirkende Handlungen in Hinkunft zu unterlassen. Die weiteren Begehren wies es ab.
[5] Das Berufungsgericht gab den dagegen erhobenen Berufungen beider Parteien keine Folge. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Rechtliche Beurteilung
[6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.
[7] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[8] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371). Gleiches gilt, wenn der angebliche Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht einmal Gegenstand des Berufungsverfahrens war. Ein nicht geltend gemachter Mangel des Verfahrens erster Instanz kann mit der Revision nicht nachgetragen werden (RS0043111; RS0042963 [T30]).
[9] 2.2. Die Klägerin rügt in ihrer Revision, den Entscheidungen der Vorinstanzen sei ein Lageplan zugrunde gelegt worden, in den das Erstgericht nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und ohne Vorbringen der Parteien zur Kennzeichnung einer abweichenden Parkflächeneinteilung eine rote Linie eingezeichnet habe. Dadurch sei ein wesentlicher Verfahrensmangel verwirklicht worden.
[10] 2.3. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin in ihrer Berufung behaupteten Mängel des Verfahrens erster Instanz, wonach von einer roten Linie oder einer ähnlichen Einteilung nie die Rede gewesen und diese nicht einmal von der Beklagten behauptet worden sei, geprüft und verneint. Sie können in dritter Instanz daher nicht erneut geltend gemacht werden. Soweit sie mangels näherer Geltendmachung in der Berufung nicht einmal Gegenstand des Berufungsverfahrens waren, können sie umso weniger in der Revision gerügt werden. Wenn die Klägerin darüber hinaus eine zur Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO führende Verletzung des rechtlichen Gehörs behauptet, kann davon im vorliegenden Fall einer beschreibenden Markierung durch das Erstgericht auf einem im erstinstanzlichen Verfahren als Beweismittel vorgelegten Lageplan keine Rede sein (vgl RS0107383).
[11] 2.4. Der von der Klägerin zusätzlich behauptete Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens (Verstoß gegen § 405 ZPO) wurde in der Berufung nicht geltend gemacht und kann mit der Revision damit nicht nachgetragen werden (RS0041240 [T2]; RS0043111; RS0042963 [T30]).
[12] 3.1. Die Revision wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanzen, wonach der Beklagten mit dem Nachtrag zum Pachtvertrag eine Berechtigung zum Parken nicht nur auf ganz konkreten, im Lageplan eingezeichneten Abstellplätzen, sondern auf der gesamten westlich gelegenen Außenfläche – mit Ausnahme der Zufahrt und jener Liegenschaftsteile, welche der Klägerin zugewiesen waren – eingeräumt worden sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung seien vielmehr ausschließlich die nordwestlich gelegenen Abstellplätze, nicht aber die gesamte Außenfläche, Vertragsgegenstand gewesen.
[13] 3.2. Bei der Auslegung von Verträgen iSd § 914 ABGB ist ausgehend vom Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen ( RS0044358 ). Lässt sich ein vom objektiven Erklärungswert abweichender Wille der Parteien nicht feststellen ( RS0017915 [T28]; RS0017834 ), ist der Vertrag unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (vgl RS0017902 ) und der Übung des redlichen Verkehrs (vgl RS0017781 ) so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (vgl RS0113932 ). Der Rechtsfrage, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, kommt grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung zu ( RS0044298 ; RS0042776 ), außer es wird in Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares und aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt ( RS0042776 [T1, T3]).
[14] 3.3. Der objektive Erklärungswert verliert jedoch seine Bedeutung, wenn sich die Parteien in der Sache einig sind. Es gilt dann ihr übereinstimmender Wille, unabhängig davon, ob die Ausdrucksmittel diesen Willen nach objektiven Kriterien zutreffend wiedergeben ( RS0014005 ; vgl RS0017839 ; RS0016236 ).
[15] 3.4. Nach dem vom Berufungsgericht seiner Entscheidung gemäß § 498 Abs 1 ZPO zugrunde gelegten und daher den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhalt verstanden die beiden Geschäftsführer der Parteien den Nachtrag zum Pachtvertrag dahin, dass die Beklagte südwestlich der – vom Erstgericht zur besseren Veranschaulichung und Beschreibung im Lageplan verwendeten – roten Linie, mit Ausnahme der Zufahrt, uneingeschränkt zum Parken berechtigt ist. Darauf gestützt nahm das Berufungsgericht einen übereinstimmenden Parteiwillen hinsichtlich des ausschließlichen Nutzungsrechts der Beklagten – mit den dargestellten Ausnahmen – an der westlich gelegenen Außenfläche an. Damit kommt es auf den objektiven Erklärungswert allfälliger Willenserklärungen oder die Frage nach der „richtigen“ Vertragsauslegung nicht mehr entscheidend an (vgl RS0017811 ; RS0017783 ). Soweit die Klägerin der Beurteilung der Vorinstanzen daher eine von ihr behauptete unrichtige Auslegung des Nachtrags zum Pachtvertrag entgegensetzt, wird damit eine aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht aufgezeigt. Wenn die Klägerin insofern versucht, in der Revision Feststellungen zu bekämpfen, ist sie darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz und eine Beweisrüge in dritter Instanz unzulässig ist (vgl RS0069246 ).
[16] 3.5. Mit ihren Revisionsausführungen, dem vom Berufungsgericht vertretenen Ergebnis stehe entgegen, dass nach dem bindenden Sachverhalt eine vom Wortlaut des Vertrags abweichende Absicht der Parteien nicht festgestellt werden konnte, übersieht die Klägerin, dass sich diese Feststellung auf den Pachtvertrag vom 14. 6. 1988 und nicht auf dessen Nachtrag bezieht.
[17] 3.6. Das Berufungsgericht hat hinreichend begründet, warum das Klagebegehren auf Freihaltung der nördlich des Gebäudes gelegenen Außenflächen außerhalb der im Lageplan eingezeichneten Abstellplätze nicht berechtigt sei. Die Revisionsausführungen, das Berufungsurteil sei nicht überprüfbar, verfangen somit nicht.
[18] 4.1. Die Vorinstanzen legten den Pachtvertrag dahin aus, dass die westlich gelegene Zufahrt von der Beklagten nicht uneingeschränkt und jederzeit freizuhalten, sondern nach den Bestimmungen des Pachtvertrags eine Einschränkung zu betrieblich notwendigen Zwecken (wie etwa Ladetätigkeiten) zulässig sei. Das vertraglich geregelte Zufahrtsrecht der Klägerin sei also im Umfang zumutbarer und betriebsnotwendiger Tätigkeiten der Beklagten eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund und in Abwägung der gegenseitigen Interessen müsse die Klägerin die Anbringung einer Kette dulden, die der Verhinderung von Verstößen gegen die behördlich angeordneten Ladezeiten und der Vermeidung weiterer Verwaltungsstrafen diene. Dieses Auslegungsergebnis ist nicht korrekturbedürftig.
[19] 4.2. Soweit die Klägerin in ihrer Revision damit argumentiert, die Absperrung der Zufahrt durch eine gespannte Kette stelle jedenfalls eine Behinderung dar, was vom Berufungsgericht negiert werde, geht sie nicht auf die Beurteilung der Vorinstanzen ein. Diese gingen nämlich ohnehin von einer Einschränkung des Zufahrtsrechts der Klägerin durch die gespannte Kette aus, welche Einschränkung aber vom Pachtvertrag gedeckt, betrieblich notwendig und in Abwägung der gegenseitigen Interessen der Parteien von der Klägerin hinzunehmen sei.
[20] 4.3. Aus ihrem Verweis auf die Rechtsprechung zur Ausübung von Dienstbarkeiten ist für die Klägerin nichts gewonnen. Im vorliegenden Fall sind nicht die Rechte aus einer Dienstbarkeit, sondern die sich aus dem Pachtverhältnis zwischen den Parteien ergebenden Rechte und Pflichten zu beurteilen. Doch auch sonst zeigt die Revision mit diesen Ausführungen kein zu korrigierendes Auslegungsergebnis auf. Der Dienstbarkeitsberechtigte muss sich iSd § 484 ABGB jene Einschränkungen gefallen lassen, die die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden (vgl RS0011733 [T5]). Bei der Beurteilung, ob dem Dienstbarkeitsberechtigten Erschwernisse zuzumuten sind, sind bei gebotener Interessenabwägung Natur und Zweck der Dienstbarkeit zu berücksichtigen (vgl RS0106411 ). Eine derartige Abwägung hat auch im Fall der Errichtung eines unversperrten Schrankens, Gatters oder Tores bzw der Anbringung einer unversperrten Kette zu erfolgen, welche Maßnahmen nach der Rechtsprechung dem Berechtigten nicht ohne weiteres zuzumuten sind ( 10 Ob 83/16b ; 5 Ob 196/22t ; RS0106411 ). Die somit gemäß § 484 ABGB vorzunehmende Interessensabwägung ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig und wirft daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf ( RS0011733 [T11]; RS0016369 [T10]). Eine solche Interessenabwägung nahmen die Vorinstanzen unter Zugrundelegung der Regelungen des Pachtvertrags gerade auch vor.
[21] 4.4. Mit ihren Revisionsausführungen, aufgrund der Anbringung der Kette habe sich die Belastung durch Ladevorgänge noch gesteigert, entfernt sich die Klägerin letztlich vom festgestellten Sachverhalt. Danach wurde die Kette zur Unterbindung von Ladevorgängen außerhalb der behördlich angeordneten Zeiten angebracht und haben sich diese Ladevorgänge dadurch deutlich reduziert.
[22] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.