JudikaturJustiz9Ob92/06d

9Ob92/06d – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mariette M*****, 2. Dietmar M*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagten Parteien 1. Irma N*****, 2. Marianne B*****N*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Entfernung (Streitwert EUR 3.000) und Unterlassung (Streitwert EUR 3.000), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 15. Mai 2006, GZ 3 R 91/06i-22, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom 28. Dezember 2005, GZ 4 C 703/05t-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 574,30 (darin enthalten EUR 95,72 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ über Antrag der Kläger nach § 508 ZPO nachträglich die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass keine neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage existiere, auf welche Weise ein Miteigentümer an der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Sache eine Dienstbarkeit ersitzen könne. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Tatsächlich ist beim vorliegenden Fall eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Die Kläger stützen ihre Behauptung, ihnen stehe als Eigentümern des herrschenden Grundstücks eine Grunddienstbarkeit des Gehrechts gegen die Beklagten als Eigentümer des benachbarten dienenden Grundstücks zu, einerseits auf eine Vereinbarung zwischen den Voreigentümern dieser Grundstücke, andererseits auf Ersitzung. Die angebliche Vereinbarung oder Umstände, die auf eine konkludente Vereinbarung der Voreigentümer schließen ließen, waren nicht feststellbar. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass im seinerzeitigen Schenkungs- und Teilungsvertrag zwischen den Voreigentümern vom 20. 5. 1976 gerade nicht - wie von der Klägern zugrundegelegt - dem Voreigentümer des Grundstücks der Kläger, sondern vielmehr umgekehrt dem Voreigentümer des Grundstücks der Beklagten eine Dienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht) eingeräumt wurde (Pkt VIII. des Vertrags, Beil ./11). Die außerbücherliche Ersitzung einer Dienstbarkeit des Gehrechts setzt die redliche und echte Ausübung des entsprechenden Rechtsbesitzes im eigenen Namen durch mindestens 30 Jahre voraus (§ 1470 ABGB; RIS-Justiz RS0011657 ua). Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist grundsätzlich die Ausübung des Rechts im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken in bestimmtem Umfang erforderlich (2 Ob 2267/96p, SZ 69/180 ua). Für den Eigentümer des belasteten Grundstücks muss erkennbar sein, dass der den Rechtsbesitz Behauptende die Benützung der fremden Sache so ausübt, als hätte er ein Recht (1 Ob 4/82, SZ 55/30; 7 Ob 637/94; RIS-Justiz RS0010135 ua).

Der Ersitzende hat Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen, wobei es genügt, wenn das Bestehen des Besitzes zu Beginn und am Ende der Ersitzungszeit feststeht (6 Ob 323/99i; RIS-Justiz RS0034251 ua). Im vorliegenden Fall haben sich die Beklagten ab September 2004 durch das Anbringen von Pflöcken und Absperrbändern der Ausübung eines Gehrechts der Kläger widersetzt. Die ersitzenden Kläger müssen daher unter Beweis stellen, dass die Ersitzungszeit bereits vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen war. Ob dies tatsächlich der Fall ist, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls (vgl 6 Ob 323/99i), denen regelmäßig keine darüber hinausgehende erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Um die zeitliche Voraussetzung einer 30 Jahre währenden Ersitzung zu erfüllen, müssen die Kläger - zurückgerechnet ab dem widersetzenden Verhalten der Beklagten ab September 2004 - auch auf die vor dem bereits genannten Schenkungs- und Teilungsvertrag vom 20. 5. 1976 gelegene Zeit ab September 1974 zurückgreifen, in der der Voreigentümer des Grundstücks der Kläger zusammen mit dem Voreigentümer des Grundstücks der Beklagten auch noch Miteigentümer des dienenden Grundstücks war. Wenn auch Dienstbarkeiten ihrem Wesen nach beschränkte dingliche Nutzungsrechte an fremden Sachen sind (Kiendl-Wendner in Schwimann, ABGB³ V § 472 Rz 1 ua), entspricht es der herrschenden Auffassung, dass eine Dienstbarkeit eines Miteigentümers auch an der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Sache möglich ist (Feil, Dienstbarkeiten Rz 1; 1 Ob 406/54, SZ 27/172; 5 Ob 70/91; 4 Ob 545/95; 5 Ob 2121/96i; RIS-Justiz RS0011528 ua).

Miteigentümer können Dienstbarkeiten an einem im Miteigentum stehenden Grundstück auch ersitzen (Kiendl-Wendner aaO § 473 Rz 4; 9 Ob 2020/96s ua). Wie aber bereits ausgeführt, gilt bereits allgemein, dass für den Eigentümer des belasteten Grundstücks erkennbar sein muss, dass der den Rechtsbesitz Behauptende die Benützung der fremden Sache so ausübt, als hätte er hiezu ein Recht (RIS-Justiz RS0010135 ua). Der zu einer Ersitzung erforderliche Rechtsbesitz wird also dadurch erworben, dass ein - wirkliches oder angebliches - Recht gegen jemanden gebraucht wird und dieser sich fügt (RIS-Justiz RS0108666 ua). Dies gilt auch für den Fall des Miteigentums. Der Rechtsvorgänger der Kläger war nun aber schon zufolge seines Miteigentumsrechts zur Benützung des Grundstücks - und damit auch zum Gehen auf diesem Grundstück - berechtigt. Entscheidend ist daher, dass der ersitzende Miteigentümer eine Tätigkeit entfalten musste, die sich nicht bloß als Ausübung seines Miteigentumsrechts darstellte, sondern gegenüber dem anderen Miteigentümer die Absicht kundtat, mit dieser Tätigkeit ein Alleinrecht auszuüben (1 Ob 595/53, SZ 26/289; vgl auch 1 Ob 506/82 ua).

Die Kläger erwähnten zwar in erster Instanz, dass auch durch einen Miteigentümer ersessen werden kann, führten hiezu aber nichts Konkretes aus, sondern stützten sich darauf, dass hier die Rechtseinräumung zwischen den Miteigentümern konkludent durch einvernehmliche Nutzung vereinbart worden sei (ON 12). Eine derartige Vereinbarung war jedoch, wie schon erwähnt, nicht objektivierbar. Von den Klägern wurden in erster Instanz keine Behauptungen und Beweise in der Richtung vorgebracht, dass ihr Rechtsvorgänger im Zusammenhang mit der Benützung des fraglichen Wegs über das in seinem Miteigentum stehende Grundstück gegenüber dem anderen Miteigentümer die Absicht kundgetan habe, damit ein Alleinrecht auszuüben. Hieraus kann daher nicht in der Revision - entgegen der nachträglichen Zulassung durch das Berufungsgericht - eine für die Lösung des Falls erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abgeleitet werden. Im Übrigen gälte auch in diesem Zusammenhang, dass die Frage, ob der (Mit )Eigentümer des belasteten Grundstücks erkennen kann, dass Benützungshandlungen in Ausübung eines Alleinrechts erfolgen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt, denen regelmäßig keine darüber hinausgehende erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (vgl 7 Ob 637/94; RIS-Justiz RS0033021 ua).

Richtig ist, dass bei einem Auseinanderfallen des bisher gleichen Eigentums an zwei Grundstücken, wobei der Erwerber des dienenden Grundstücks die bisher faktisch bestehende Dienstbarkeit derselben kannte oder im Hinblick auf offenkundige Verhältnisse kennen musste, stillschweigend eine Dienstbarkeit entstehen kann (Kiendl-Wendner aaO § 480 Rz 3, § 481 Rz 7; 1 Ob 1/84, SZ 57/38; 1 Ob 271/03i; RIS-Justiz RS0011643 ua). Es genügt, wenn vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrgenommen werden konnten, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (8 Ob 134/63, SZ 36/92 ua). Eine derartige Konstellation liegt jedoch hier nicht vor. Selbst wenn man aber die vorstehenden Grundsätze sinngemäß auch auf den Fall anwendet, dass ein Miteigentümer des dienenden Grundstücks zum Alleineigentümer wird, gilt wiederum das Vorgesagte, dass von den Klägern in erster Instanz nicht behauptet wurde, dass der Miteigentümer des dienenden Grundstücks (= auch Voreigentümer des herrschenden Grundstücks der Kläger) für den anderen Miteigentümer (= späteren Alleineigentümer) des dienenden Grundstücks erkennbar ein Alleinrecht ausgeübt habe. Zusammenfassend erbrachte das durchgeführte Verfahren keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die Ersitzung des gegenständlichen Gehrechts bereits vor dem Jahr 1976 begonnen habe. Die von den Klägern behauptete Ersitzung scheitert somit schon an der erforderlichen Dauer von mindestens 30 Jahren, sodass auf die allfälligen Auswirkungen einer Lücke in den Jahren 1985-1988, in denen keine Ausübung des Gehrechts festgestellt wurde, und des Umstands, dass auch in den anschließenden Jahren 1988-1994 der Weg von den Klägern „nur selten" benutzt wurde, gar nicht mehr eingegangen zu werden braucht (vgl RIS-Justiz RS0011702 ua). Da die Entscheidung des vorliegenden Falls jedenfalls nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt, ist die Revision der Kläger - ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht - zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagten haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035979 ua).

Rechtssätze
8