JudikaturJustiz4Ob235/06x

4Ob235/06x – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred S*****, vertreten durch Dr. Peter Rosenthal, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach ***** Anna S*****, vertreten durch Dr. Christoph Aigner und Dr. Thomas Feichtinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Herausgabe (Streitwert 18.707,48 EUR) und Zahlung von 118,18 EUR s.A., infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 5. September 2006, GZ 3 R 120/06x-12, mit welchem infolge Berufung der Beklagten das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. März 2006, GZ 1 Cg 182/04p-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am 9. November 2001 verstorbene Erblasserin hatte ihre Tochter zur Erbin eingesetzt und dem Kläger ihr Bargeld und ihre Bankguthaben vermacht. Ihren Sohn, den Vater des Klägers, hatte sie nicht bedacht. Zum Nachlass gehören zwei Sparbücher mit Einlageständen von 11.927,40 EUR und 6.780,08 EUR sowie Bankguthaben von insgesamt 118,18 EUR. Der reine Nachlass (Aktiva abzüglich Erblasser- und Erbgangschulden) hat einen Wert von 20.942,56 EUR. Der Nachlass ist noch nicht eingeantwortet.

Der Kläger begehrt von der Verlassenschaft die Herausgabe der beiden Sparbücher, hilfsweise die Zahlung von 18.707,48 EUR samt 5 % Zinsen ab dem 10. November 2001, sowie die Zahlung von 118,18 EUR samt Zinsen. Gemäß § 685 ABGB sei das Vermächtnis sogleich fällig; vor der Einantwortung sei der Nachlass zur Leistung verpflichtet. Die beklagte Verlassenschaft wandte ein, der Legatsanspruch sei voraussichtlich von der Kürzung nach § 783 ABGB betroffen. Der Vater des Klägers habe gegen „die Beklagte" (später richtig gestellt: gegen die Erbin) aufgrund einer am 27. Dezember 2000 erfolgten Schenkung eines Liegenschaftsanteils einen Pflichtteilsanspruch von 36.336,42 EUR geltend gemacht. Er vernachlässige dabei zwar, dass ihm seine Eltern bereits im Jahr 1974 einen Hälfteanteil dieser Liegenschaft geschenkt hätten. Dennoch sei derzeit nicht klar, in welcher Höhe der Anspruch zu Recht bestehe. Das Bestehen des Anspruchs sei erst im Prozess zu klären. Ansprüche auf den Schenkungspflichtteil seien in erster Linie aus dem Nachlass zu decken. Bestehe der vom Vater des Klägers geltend gemachte Anspruch zu Recht, reiche der Nachlass zur Deckung nicht aus. Daher bestehe der Anspruch des Klägers (gemeint: derzeit) nicht zu Recht. Der Ausgang des vom Vater des Klägers geführten Verfahrens sei präjudiziell: Sollte er unterliegen und ihm kein Pflichtteil zuerkannt werden, sei die Beklagte selbstverständlich bereit, das Legat zu erfüllen. Sonst müsste das Legat um die dem Vater zugesprochenen Beträge, gegebenenfalls bis auf Null, reduziert werden. Bis zur Klärung dieser Vorfrage sei das Verfahren zu unterbrechen.

Der Kläger replizierte, dass das Verfahren zwischen seinem Vater und der Erbin nicht präjudiziell sei. Der Vater habe die Erbin geklagt, weil der Nachlass zur Deckung seiner Pflichtteilsansprüche aufgrund der zu Lebzeiten vorgenommenen Schenkung „in keinem Fall" ausreiche. Wohl reiche die Verlassenschaft aber aus, um den Legatsanspruch des Klägers zu erfüllen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte den Inhalt (einschließlich der rechtlichen Beurteilung) des im Verfahren zwischen dem Vater des Klägers und der Erbin ergangenen erstinstanzlichen Urteils fest. Dort sei dem Vater des Klägers ein „Pflichtteil" von 2.889,87 EUR zugesprochen worden. Ausgehend vom Wert der Schenkung an die Beklagte (gemeint: Erbin) von 139.000 EUR betrage der Schenkungspflichtteil des (dortigen) Klägers - ohne Berücksichtigung der Schenkung an diesen selbst - 34.750 EUR, davon sei die von ihm selbst erhaltene Schenkung abzuziehen. Die Erbin habe durch die Schenkung von 139.000 EUR mehr als den ihr nach Einrechnung der Schenkung gebührenden „erhöhten Pflichtteil" von 40.351,29 EUR erhalten. Bei Verkürzung des Pflichtteils hätten die Erben und Legatare verhältnismäßig zu dessen vollständiger Entrichtung beizutragen. Die Erbin habe dem Vater des Klägers den Schenkungspflichtteil zu leisten, während der Nachlass die Vermächtnisse zu erfüllen habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Gemäß § 783 ABGB müssten bei Verkürzung des Pflichtteils sowohl die eingesetzten Erben als auch die Legatare verhältnismäßig zur vollständigen Entrichtung beitragen. Solange der Erbe (der Nachlass) die (konkrete) Gefahr der Unzulänglichkeit des Nachlasses bescheinigen könne, habe er gegenüber dem Legatar insoweit eine aufschiebende, den Verzug und die Verjährung hemmende Einrede. Der Legatar könne diese Einrede abwehren, indem er eine entsprechende Sicherstellung leisten.

Auch der Schenkungspflichtteil sei zunächst bis zur Höhe des Wertes des reinen Nachlasses vom „Erben" zu berichtigen. Die Erblasserin habe zwei Kinder hinterlassen, daher betrage der Pflichtteil jedes Kindes ein Viertel. Dabei sei zwischen Nachlass- und Schenkungspflichtteil zu unterscheiden. Der Nachlasspflichtteil sei vom reinen Nachlass von 20.942,56 EUR zu berechnen und betrage daher (jeweils) 5.235,64 EUR. Zur Ermittlung des Schenkungspflichtteils sei nicht nur die Schenkung an die Erbin (Wert: 139.000 EUR), sondern auch jene an den Vater des Klägers (Wert 31.860,12 EUR) heranzuziehen. Insgesamt ergebe das 170.860,12 EUR; ein Viertel davon sei 42.715,03 EUR. Davon müsse sich der Vater des Klägers die bereits erhaltene Schenkung abziehen lassen, sodass sich für ihn ein restlicher Schenkungspflichtteil von 10.854,91 EUR ergebe. Vermehrt um den Nachlasspflichtteil führe das zu einem erhöhten Pflichtteil von 16.090,55 EUR. Der Erbin stehe ein Nachlasspflichtteil von 5.235,64 EUR zu; einen Schenkungspflichtteil könne sie nicht begehren, weil sie sich insofern die ihr gemachte Schenkung anrechnen lassen müsse.

Angesichts dieser Pflichtteilsansprüche von insgesamt 21.326,19 EUR sei der Nachlass erschöpft. Die Beklagte habe daher die Gefahr von dessen Unzulänglichkeit bescheinigen können, weswegen - mangels Angebots einer Sicherstellung durch den Kläger - die Vermächtnisklage abzuweisen sei. Die Entscheidung hänge von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO ab, weil Rechtsprechung dazu fehle, ob „die Selbständigkeit des Schenkungspflichtteils auch bei dessen rechnerischer Ermittlung zu berücksichtigen" sei.

Rechtliche Beurteilung

Die auf Klagsstattgebung gerichtete Revision des Klägers ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass die Erblasserin dem Kläger die verfahrensgegenständlichen Legate vermacht hat und dass dafür bis zur Einantwortung der Nachlass haftet (RIS-Justiz RS0012283). Strittig ist, ob und in welcher Weise sich der beklagte Nachlass auf Pflichtteilsansprüche berufen kann (bzw berufen hat), die vor den Legaten zu erfüllen sind und seinen Wert aufzehren.

2. Auch Pflichtteilsansprüche sind vor der Einantwortung gegen den Nachlass zu richten (RIS-Justiz RS0012293, RS0012282 T2). Sie gehen Legaten vor (6 Ob 670/80 = RIS-Justiz RS0012660; Welser in Rummel3 § 690 ABGB Rz 3) und gehören daher nach einer Reihe von Entscheidungen zu den „pflichtmäßigen Auslagen" iSv § 692 ABGB, die bei Unzulänglichkeit des Nachlasses zu einer Kürzung der Legate berechtigen (5 Ob 591/83 = EvBl 1983/158 mwN; RIS-Justiz RS0012654; Welser aaO § 692 ABGB Rz 2, Eccher in Schwimann3 Vorbem §§ 690 - 693 ABGB Rz 1; Kralik, Erbrecht 242; Apathy in KBB § 692 Rz 1). Diese Bestimmung gilt nach ständiger Rsp auch für den ruhenden Nachlass (RIS-Justiz RS0012664). Andere Entscheidungen sehen den Grund für die Legatskürzung demgegenüber in § 783 ABGB, der nicht bloß ein Verweis auf § 692 ABGB sei, sondern eigenständige Bedeutung habe (7 Ob 512/90 = SZ 63/39; 1 Ob 627/91 = SZ 65/7; RIS-Justiz RS0012895; Eccher aaO § 783 ABGB Rz 1, 3; Zemen, Zur Kürzung der Vermächtnisse nach § 783 ABGB, ÖJZ 1985, 65 mwN; anders Kralik, Erbrecht 316). Diese Rechtsprechungsketten stehen miteinander nicht im Widerspruch. Denn das österreichische Erbrecht kennt zwei verschiedene, voneinander unabhängige Formen der Legatsreduktion, nämlich einmal nach § 692 ABGB, wenn die Vermächtnisse den Reinnachlass übersteigen, und zum anderen nach § 783 ABGB, wenn dem Noterben der gebührende Pflichtteil nicht oder nicht vollständig ausgemessen wurde (1 Ob 627/91 = SZ 65/7). Im Ergebnis überschneiden sich die beiden Regelungen: § 783 ABGB betrifft die materielle Beitragspflicht von Legataren zur Deckung des Pflichtteils (RIS-Justiz RS0012895 T1). Er greift auch dann ein, wenn der Erbe eine unbedingte Erbantrittserklärung abgegeben hat (1 Ob 627/91 = SZ 65/7) oder wenn der Nachlass zur Deckung des Pflichtteils und der Legate an sich ausreicht (Apathy aaO § 783 Rz 2); dennoch muss der Legatar gegenüber dem Erben verhältnismäßig zur Deckung des Pflichtteils beitragen (7 Ob 547/92 = SZ 65/73; vgl RIS-Justiz RS0012897). Damit geht § 783 ABGB über die Legatsreduktion nach § 692 ABGB hinaus, die nur bei einem unzureichendem Nachlass oder nach der Einantwortung, bei bedingter Erbantrittserklärung anwendbar ist. Die Legate werden danach (nur) so weit gekürzt, dass die Berichtigung des Pflichtteilsanspruchs überhaupt möglich ist, dh ohne Bedachtnahme auf eine zusätzliche Beitragspflicht des Legatars gegenüber dem Erben (vgl zur Abgrenzung der beiden Bestimmungen Apathy aaO § 783 Rz 2 mwN).

Wenn die Pflichtteilsansprüche - wie hier behauptet - den Wert des Nachlasses übersteigen, führen beide Bestimmungen zum selben Ergebnis: der Vermächtnisnehmer geht - wie auch der Erbe, soweit er nicht selbst pflichtteilsberechtigt ist (RIS-Justiz RS0012653) - leer aus.

3. Im vorliegenden Fall hat sich die beklagte Verlassenschaft nur darauf gestützt, dass eine Pflichtteilsforderung dem Legatsanspruch vorgehe. Damit hat sie sich in der Sache nur auf die Legatskürzung nach § 692 ABGB berufen; eine darüber allenfalls hinausgehende Beitragspflicht nach § 783 ABGB hat sie nicht behauptet. Es kann daher offen bleiben, ob diese Bestimmung von der Verlassenschaft überhaupt in Anspruch genommen werden könnte.

Die für die Anwendung des § 692 ABGB entscheidende Unzulänglichkeit des Nachlasses ist im Prozess vom beklagten Erben bzw von der beklagten Verlassenschaft zu beweisen (RIS-Justiz RS0012663). Solange nur die Gefahr der Unzulänglichkeit besteht, genügt deren Bescheinigung (7 Ob 619/90; Apathy aaO § 692 Rz 3; Welser aaO § 692 ABGB Rz 9); die Einrede kann dann durch eine - hier nicht angebotene - Sicherstellung abgewehrt werden (Apathy, Welser aaO). Das Berufungsgericht hat diese Rechtslage grundsätzlich richtig wiedergegeben. Es hat allerdings nicht ausreichend beachtet, dass die Parteien dazu ein widersprüchliches Vorbringen erstattet haben, und es ist teilweise über dieses Vorbringen hinausgegangen. Der Kläger hat schlüssig behauptet, dass ihm die Erblasserin Legate ausgesetzt habe. Die beklagte Verlassenschaft wandte dagegen ein, dass der Vater des Klägers gegen die Erbin einen Schenkungspflichtteil in einer Höhe geltend mache, die den Wert des Nachlasses übersteige und dieser - von ihr bestrittene - Anspruch gegebenenfalls aus dem Nachlass zu decken wäre. Damit brachte sie vor, dass wegen des geltend gemachten Schenkungspflichtteils die Gefahr der Unzulänglichkeit des Nachlasses als Voraussetzung einer Legatsreduktion bestehe.

Der Kläger zeigt zutreffend auf, dass das Berufungsgericht über dieses Vorbringen hinausgegangen ist, indem es auch die Nachlasspflichtteile der Erbin und des Vaters des Klägers in die Berechnung einbezogen hat. Auf diese (nahe liegenden) Ansprüche hat sich die beklagte Verlassenschaft in erster Instanz - aus welchem Grund auch immer - nicht gestützt.

Das hilft dem Kläger aber nicht weiter. Denn er selbst hat in erster Instanz vorgebracht, dass der Nachlass zur Deckung des Anspruchs seines Vaters auf den Schenkungspflichtteil nicht ausreiche. Damit wurde seine Klage unschlüssig. Denn wenn schon Pflichtteilsansprüche nicht gedeckt werden können, dann muss angesichts der oben dargestellten Rangordnung von Pflichtteilsberechtigten und Legataren ein - selbst nicht pflichtteilsberechtigter - Legatar erst recht erfolglos bleiben.

In Wahrheit wäre die Klage daher schon allein aufgrund dieses Vorbringens abzuweisen gewesen. Eine mit dieser Erwägung begründete Bestätigung der Berufungsentscheidung kommt allerdings nicht in Betracht, weil auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer von ihnen nicht bedachten Rechtsansicht überraschen darf (9 ObA 66/90, 10 ObS 291/01v; 9 Ob 251/01d) und das Gericht, bevor es ein unbestimmtes, unschlüssiges oder widerspruchsvolles Begehren abweist, dessen Verbesserung anregen muss. Darauf ist auch von Amts wegen Bedacht zu nehmen, wenn die klagende Partei die Notwendigkeit einer Schlüssigstellung - wie hier - nicht selbst erkannte (1 Ob 73/03x; siehe ferner RIS-Justiz RS0117576). Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben.

4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Kläger zur Klarstellung seines in sich widersprüchlichen Standpunkts aufzufordern haben. Wenn er an seiner Behauptung zum Bestehen einer den Nachlasswert übersteigenden Pflichtteilsforderung seines Vaters festhalten sollte, wird die Klage abzuweisen sein. Andernfalls wird das Erstgericht in seiner Entscheidung klarzustellen haben, ob und in welchem Ausmaß es die Gefahr der Nachlassunzulänglichkeit als bescheinigt ansieht. Dazu wird zunächst die beklagte Verlassenschaft ein konkretes Vorbringen zu erstatten haben. Letztlich ist noch anzumerken, dass die Berechnung des Schenkungspflichtteils nach der vom Berufungsgericht zutreffend erläuterten Methode zu erfolgen hat.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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