JudikaturJustiz1Ob97/12i

1Ob97/12i – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. August 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen T***** S*****, über die Revisionsrekurse der Betroffenen, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. März 2012, GZ 43 R 65/12w, 66/12t 52, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 14. November 2011, GZ 45 P 113/11a 17, und vom 15. Dezember 2011, GZ 45 P 113/11a 30, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 17 wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 30 wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird dem Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Nach der Erstanhörung der Betroffenen bestellte das Erstgericht eine Rechtsanwältin zur Verfahrenssachwalterin (§ 119 AußStrG) sowie zur einstweiligen Sachwalterin (§ 120 AußStrG) zur Vertretung der Betroffenen vor Gerichten, Behörden, Dienststellen und Sozialversicherungsträgern sowie bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgingen, außerdem zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten.

Voranzustellen ist, dass die von der Betroffenen in zweiter und dritter Instanz erhobenen Rechtsmittel jeweils von einem Rechtsanwalt verfasst wurden, den sie selbst gewählt und bevollmächtigt hatte. Dies ist zulässig, weil sich aus der Aktenlage kein Anhaltspunkt für ihre offenkundige Unfähigkeit, den Zweck der Vollmacht zu erkennen, und damit die Unwirksamkeit der Bevollmächtigung ergibt (RIS Justiz RS0008539; RS0006540).

I) In Punkt 3 des Beschlusses ON 17 ermächtigte das Erstgericht die einstweilige Sachwalterin, nicht mündelsichere Wertpapiere der Betroffenen in mündelsichere umwandeln zu lassen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

1. § 275 Abs 3 ABGB verweist für Sachwalterschaft und Kuratel auf die sinngemäße Anwendung der §§ 229 bis 234 ABGB in Vermögensangelegenheiten. Nach § 229 Abs 2 ABGB gelten die §§ 154 Abs 3 und 4 ABGB für Vertretungshandlungen und Einwilligungen in Vermögensangelegenheiten sinngemäß. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Aufsicht über die Verwaltung des Vermögens Pflegebefohlener finden sich in den §§ 133 ff AußStrG.

2. Die einstweilige Sachwalterin wurde (auch) mit der Vermögensverwaltung der Betroffenen betraut. Zu deren Vermögen gehört unter anderem eine Liegenschaft sowie ein Wertpapierdepot mit einem Kurswert von über 200.000 EUR zum 13. 9. 2011. Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin hat das Pflegschaftsgericht bei einem (hier vorliegenden) nennenswerten Vermögen (§ 133 Abs 1 AußStrG) die Vermögensverwaltung durch einen Sachwalter nicht nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für das Wohl der Betroffenen zu überwachen (RIS Justiz RS0126331; vgl 5 Ob 139/00b = RIS Justiz RS0008461 [T3] zu § 193 AußStrG 1854; Zankl/Mondel in Rechberger , AußStrG, § 133 Rz 3 mwN). Die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung 2 Ob 17/02t betraf die Verwaltung des Vermögens einer Minderjährigen durch deren Eltern, die anderen Kriterien unterliegt, als jene durch einen Sachwalter (vgl RIS Justiz RS0008461).

3. Zudem missversteht die Revisionsrekurswerberin in ihren Argumenten den Inhalt der angefochtenen Entscheidung: Das Erstgericht ermächtigte die einstweilige Sachwalterin, eine von ihr im Rahmen der Vermögensverwaltung vorgeschlagene Maßnahme zu treffen (vgl dazu § 154 Abs 3 ABGB, der im Sachwalterrecht aufgrund der Verweise durch § 275 Abs 3 iVm § 229 Abs 2 ABGB sinngemäß anzuwenden ist). Es erteilte aber keinen ausdrücklichen Auftrag (§ 133 Abs 4 AußStrG). Dass diese Ermächtigung den Interessen der Betroffenen zwingend zuwiderliefe, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf.

4. Ihre Ausführungen lassen nicht erkennen, inwieweit die Umwandlung von nicht mündelsicheren Wertpapieren in mündelsichere (§ 230b ABGB) dem Gebot, Mündelgeld sicher, aber auch ertragreich zu veranlagen (1 Ob 210/10d = JBl 2011, 501 = iFamZ 2011/195, 256 [ Hengl ] mwN; Hopf in KBB 3 §§ 230 bis 230e Rz 2 mwN). widersprechen sollte. Es wird nicht ausreichend konkret dargelegt, welcher Ertragsverlust mit der Umschichtung ihres Vermögens verbunden wäre. Angesichts der (als allgemein bekannt vorausgesetzten) zuletzt andauernden Volatilität der Finanzmärkte ist nicht zwingend damit zu rechnen, dass die von der Revisionsrekurswerberin selbst zugestandenen massiven Kursverluste (als Folge der Finanzmarktkrise 2008) ausgeglichen werden und sich das Halten nicht mündelsicherer Wertpapiere als für sie in jedem Fall wirtschaftlich günstigere Maßnahme erweisen könnten. Die im Revisionsrekurs vermisste Bestellung eines Sachverständigen für das Börsen oder Bankwesen wäre nach § 230e Abs 1 ABGB nur dann zwingend, wenn die Veranlagung von Mündelgeld nicht in den von den §§ 230a bis d ABGB erfassten Anlageformen erfolgen soll, was hier gerade nicht der Fall ist. Wäre die Umschichtung des Vermögens gar nicht als vom Gericht zu genehmigende Maßnahme des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs anzusehen gewesen (vgl dazu Hopf aaO Rz 4 mwN), wäre die Betroffene durch die Ermächtigung ohnehin nicht beschwert, könnte die Sachwalterin in diesem Fall sogar ohne Genehmigung des Gerichts vorgehen (vgl 1 Ob 211/08y = EvBl 2009/74, 507 [ Nademleinsky ] mwN).

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

II) Mit Beschluss ON 30 bestellte das Erstgericht die einstweilige Sachwalterin und Verfahrenssachwalterin nach § 268 ABGB zur (endgültigen) Sachwalterin. Diese soll denselben Kreis von Angelegenheiten besorgen wie als einstweilige Sachwalterin.

1. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen, den ihr selbst gewählter Rechtsanwalt verfasst hatte, nicht Folge. Die Vertretungsbefugnis eines Verfahrenssachwalters erlösche nach § 119 Satz 3 AußStrG 2005 [im Gegensatz zur alten Rechtslage nach § 238 Abs 1 AußStrG 1854] nicht bereits mit der Anzeige der Bevollmächtigung eines von der betroffenen Person selbst gewählten Vertreters, sondern erst mit der konstitutiven Enthebung des Verfahrenssachwalters durch das Gericht. Welcher inhaltliche und zeitliche Spielraum dem Gericht in diesem Zusammenhang eingeräumt werde und welche Rechtsfolgen eine unterbliebene rechtzeitige Enthebung nach sich ziehe, bleibe jedoch offen. In diesem Fall habe die Betroffene zwar noch vor der Erörterung des Sachverständigengutachtens in der Tagsatzung vom 12. 12. 2011 die Bevollmächtigung ihres selbst gewählten Rechtsanwalts bekanntgegeben, aber weder dessen Teilnahme an der Tagsatzung noch die Umbestellung der Verfahrenssachwalterin beantragt. Das Erstgericht sei daher nicht dazu veranlasst gewesen, den Rechtsanwalt der Betroffenen der Tagsatzung beizuziehen und ihn zum neuen Verfahrenssachwalter zu bestellen. Der Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Bevollmächtigung am 1. 12. 2011 und der Tagsatzung sei zudem für eine Prüfung, ob im Sinn des Gesetzes die Bekanntgabe eines „geeigneten Vertreters“ erfolgt sei, zu kurz gewesen. Das Rekursgericht bezeichnete aus diesen Erwägungen die Vorgangsweise des Erstgerichts als zutreffend, das der Tagsatzung nur die Vertreterin der geladenen Verfahrenssachwalterin sowie die ebenfalls geladene Betroffene beigezogen hatte, nicht aber deren (sie zur Tagsatzung begleitenden) frei gewählten Rechtsanwalt. Die im Rekurs vorgetragenen Bedenken gegen die Person der nach § 268 ABGB bestellten Sachwalterin teilte es nicht.

Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Klärung der Rechtsfrage zu, ob nach der neuen Rechtslage die bisherige Verfahrenssachwalterin oder der bestellte Vertreter (oder beide?) zur Vertretung der Betroffenen in der Tagsatzung berechtigt gewesen seien.

Der Revisionsrekurs der Betroffenen ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen berechtigt.

1. Nach § 119 Satz 2 AußStrG hat das Gericht, für die betroffene Person einen Verfahrenssachwalter zu bestellen, wenn sie keinen gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter hat oder dessen Interessen und diejenigen der betroffenen Person einander widerstreiten. Nach Satz 3 der zitierten Bestimmung ist der Verfahrenssachwalter zu entheben, sobald die betroffene Person einen geeigneten Vertreter gewählt hat. Stimmen Anträge, die die betroffene Person, ihr gesetzlicher Vertreter und der Verfahrenssachwalter gestellt haben, nicht überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen (Satz 4 leg cit).

2. In ihrem Revisionsrekurs bekämpft die Betroffene die Rechtsansicht des Rekursgerichts nicht, dass die Vertretungsbefugnis eines Verfahrenssachwalters erst durch den konstitutiv wirkenden Beschluss über seine Enthebung ende. Nach ihrer eigenen Argumentation war also die Verfahrenssachwalterin noch befugt, sie bei der Tagsatzung vom 12. 12. 2011 zu vertreten. Ungeachtet dessen durfte sie sich (wie schon eingangs der Begründung dargelegt) bei der Tagsatzung durch ihren selbstgewählten Rechtsanwalt, der sich auf die erteilte Vollmacht berufen hatte, vertreten lassen, weil sie grundsätzlich selbständig verfahrensfähig blieb (2 Ob 173/08t = JBl 2009, 320 mwN; Zankl/Mondel aaO Rz 3 mwN) und Anhaltspunkte für ihre offenkundige Unfähigkeit, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen, nicht vorlagen. Schon aus diesen Überlegungen wäre ihr Rechtsvertreter der Tagsatzung beizuziehen gewesen. Eines Antrags, ihm die Teilnahme zu ermöglichen bzw ihn zum neuen Verfahrenssachwalter zu bestellen, hatte es nicht bedurft.

3. Die Betroffene macht in diesem Zusammenhang als Revisionsrekursgründe des § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (§ 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) sowie den Mangel der (nach ihrer Diktion) gesetzmäßigen Vertretung (§ 58 Abs 1 Z 2 AußStrG) geltend. Das Vorliegen des Anfechtungsgrundes des § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG kann die Revisionsrekurswerberin schon insofern nicht darlegen, als sie ja selbst von der aufrechten Vertretungsbefugnis der Verfahrenssachwalterin ausgeht und ihr frei gewählter Rechtsanwalt zweifellos nicht als ihr gesetzlicher Vertreter anzusehen ist. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG wirkt nach der Rechtsprechung (RIS Justiz RS0120213) nicht absolut; seine Verletzung führt nicht zwingend zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Dasselbe gilt für den Anfechtungsgrund des § 58 Abs 1 Z 2 AußStrG (vgl 2 Ob 174/08i = SZ 2008/159 mwN). Um die Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Verfahrensverstöße darzulegen, müsste die Revisionsrekurswerberin ausführen, welche konkreten Anträge (an das Gericht) bzw Fragen (an die Sachverständige) ihr Rechtsvertreter gestellt hätte, wäre er der Tagsatzung vom 12. 12. 2011 beigezogen worden (RIS Justiz RS0120213 [T9]). Ihr Hinweis, er hätte „entsprechende Fragen“ (welche zu welchem Thema?) an die Sachverständige stellen können, reicht dazu nicht aus.

4. Ein vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz kann auch im Außerstreitverfahren in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0030748; RS0050037). Dieser Grundsatz wird nach der Rechtsprechung nur „durchbrochen“, wenn es das Wohl des Kindes erfordert, was im Regelfall nur in Obsorge und Besuchsrechtsverfahren von Bedeutung ist (RIS Justiz RS0030748 [T6]). Ob diese „Durchbrechung“ auch im Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters relevant sein könnte, wie die Revisionsrekurswerberin offenbar meint, muss hier nicht geklärt werden: Sie behauptet eine unzureichende Erörterung des ihrer Auffassung nach widersprüchlichen Sachverständigengutachtens als Folge nicht gestellter Fragen an die Sachverständige durch ihren Rechtsanwalt bzw die Vertreterin der Verfahrenssachwalterin, ohne eben die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Fragen der Widersprüchlichkeit eines Sachverständigengutachtens und der Notwendigkeit, dieses zu ergänzen, betreffen außerdem solche der Beweiswürdigung (vgl RIS Justiz RS0043414). Diese sind der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz ist (RIS Justiz RS0006737), grundsätzlich entzogen.

5. Die dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts zugrundegelegte Frage nach dem Zeitpunkt der Beendigung der Vertretungsbefugnis des Verfahrenssachwalters wäre damit für die Lösung der im Revisionsrekurs angerissenen Probleme ohne Bedeutung. Die Verfahrenssachwalterin erhob auch keine Rechtsmittel und brachte keine Revisionsrekursbeantwortungen ein. Ihre in zweiter Instanz erstattete Rekursbeantwortung hat das Rekursgericht unbekämpft zurückgewiesen. Die Frage der Behandlung allfällig widersprechender Anträge (§ 119 Satz 4 AußStrG) stellt sich damit für dieses Rechtsmitttelverfahren nicht (mehr).

6. Da die Beschlüsse der Vorinstanzen über die Bestellung eines (endgültigen) Sachwalters aber aus anderen Überlegungen aufzuheben sind, die im Anschluss dargelegt werden, sieht sich der erkennende Senat veranlasst, zu § 119 Satz 3 AußStrG Stellung zu nehmen.

7. Die Entscheidung des Erstgerichts lässt nämlich offen, ob die in § 279 ABGB für die Auswahl des Sachwalters vorgesehene Reihenfolge eingehalten wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung (RIS Justiz RS0123297) ist primär eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahe stehenden Person empfohlene Person zu bestellen. Mangels Wahl bzw Anregung oder auch bei fehlender Eignung der vorgeschlagenen Person hat das Gericht sekundär einen geeigneten, der behinderten Person nahestehenden Menschen auszuwählen. Lässt sich eine derartige Person nicht ausfindig machen, ist (mit dessen Zustimmung) der örtlich zuständige Sachwalterverein nach § 1 VSPAG zu betrauen. Ist ein Vereinssachwalter beispielsweise mangels freier Kapazität nicht verfügbar, ist ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) zu bestellen. Nur wenn die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ist von vornherein ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) zu bestellen.

8. Die Vorinstanzen befassten sich zwar mit dem Wunsch der Betroffenen auf Bestellung eines Bekannten zum Sachwalter, beschränkten sich aber in ihrer Begründung zur Auswahl des Sachwalters auf den Hinweis, dass es keine in Betracht kommenden Angehörigen gebe. Die Notwendigkeit der Bestellung einer Rechtsanwältin zur Sachwalterin wird nicht begründet. Die Höhe des Vermögens der Betroffenen rechtfertigt für sich allein nicht die zwingende Annahme, dass die Besorgung ihrer Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere. Auch ein nicht juristisch gebildeter Sachwalter kann in der Lage sein, allenfalls nach Beratung durch Fachleute wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, die im Interesse der betroffenen Person sind.

9. Aus diesen Überlegungen ist eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unvermeidbar. Im fortgesetzten Verfahren könnte sich die Frage nach der Vertretungsbefugnis der Verfahrenssachwalterin stellen, wenn diese für die Betroffene Verfahrensschritte setzt, beispielsweise Rechtsmittel erhebt. Die Bestellung zum Sachwalter nach § 268 ABGB würde ja erst mit Rechtskraft des entsprechenden Bestellungsbeschlusses wirksam (RIS Justiz RS0120299 [T1]).

10. § 238 Abs 1 AußStrG 1854 ordnete ausdrücklich das Erlöschen der Vertretungsmacht des Verfahrenssachwalters allein schon durch die Anzeige der Bevollmächtigung eines selbst gewählten Vertreters gegenüber dem Gericht an. Eines Beschlusses über die Enthebung bedurfte es nicht (RIS Justiz RS0012240 [T1]).

11. Schon der eindeutige Wortlaut des neuen § 119 Satz 3 AußStrG („ist zu entheben, sobald“) spricht nach Ansicht des erkennenden Senats für die auch in der Lehre befürwortete ( Zankl/Mondel aaO § 119 Rz 5; Hengl / Mänhardt in Barth/Ganner , Handbuch des Sachwalterrechts², 572; in diesem Sinn wohl auch Maurer , Sachwalterrecht 3 [2007] § 119 AußStrG Rz 28) Interpretation, dass im Gegensatz zur alten Rechtslage die Vertretungsbefugnis des Verfahrenssachwalters nicht bereits mit der Anzeige der Bevollmächtigung eines geeigneten, selbst gewählten Vertreters der betroffenen Person „erlischt“, sondern ein konstitutiver Beschluss des Gerichts notwendig ist. Ein selbst gewählter Vertreter kann die betroffene Person nur unter zwei Voraussetzungen neben dem bestellten Verfahrenssachwalter vertreten: 1) Die betroffene Person darf nicht offenbar unfähig sein, die Wirkungen der Bevollmächtigung zu erkennen. 2) Ihr bevollmächtigter Vertreter muss nach dem Wortlaut des § 119 Satz 3 AußStrG „geeignet“ sein: Die Vertretung durch nicht eigenberechtigte Personen (§ 4 Abs 1 AußStrG) oder Winkelschreiber wäre beispielsweise grundsätzlich ausgeschlossen ( Maurer aaO Rz 19 mwN).

12. Das Gericht hat sich demnach vor Fassung des Enthebungsbeschlusses vom Vorliegen beider Voraussetzungen zu überzeugen. Bejaht es dies, stellt erst der Enthebungsbeschluss klar, dass die in § 119 Satz 1 AußStrG geforderte ( Zankl/Mondel aaO Rz 1 mwN) Vertretung der betroffenen Person im Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters sichergestellt ist.

13. Ergebnis: Nach § 119 Satz 3 AußStrG endet die Vertretungsbefugnis des Verfahrenssachwalters nicht bereits mit dem Zeitpunkt, in dem dem Gericht die Bevollmächtigung eines von der betroffenen Person selbst gewählten Vertreters angezeigt wird. Der Beschluss des Gerichts, mit dem der Verfahrenssachwalter enthoben wird, wirkt konstitutiv.

Rechtssätze
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  • RS0123297OGH Rechtssatz

    30. November 2023·3 Entscheidungen

    Nach den Gesetzesmaterialien verfolgt der neue § 279 ABGB unter anderem das Ziel, jene Personenkreise abschließend zu regeln, die für die Bestellung als Sachwalter potenziell in Frage kommen. Dabei ist ein Stufenbau vorgesehen. Primär ist als Sachwalter eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahe stehenden Person empfohlene Person (§ 279 Abs 1 Satz 2 ABGB) heranzuziehen. Sekundär (mangels Wahl beziehungsweise Anregung oder bei fehlender Eignung der vorgeschlagenen Person) ist ein der betroffenen Person nahe stehender Mensch zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 2 ABGB). Ist eine solche geeignete Person nicht verfügbar, ist (mit dessen Zustimmung) der örtlich zuständige Sachwalterverein nach § 1 VSPAG zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 1 ABGB). Ist ein Vereinssachwalter nicht verfügbar (etwa mangels freier Kapazitäten), so ist ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) oder - mit ihrer Zustimmung - eine andere geeignete Person zu bestellen (§ 279 Abs 3 Satz 2 ABGB). Rechtsanwälte und Notare (nicht aber Berufskandidaten) trifft nach Maßgabe des § 274 Abs 2 ABGB die Verpflichtung, Sachwalterschaften zu übernehmen. Nur wenn die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person besondere Fachkenntnisse erfordert, ist von Vornherein - je nach der notwendigen Expertise - ein Rechtsanwalt oder Notar beziehungsweise der Sachwalterverein zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 4 ABGB). Unter Berücksichtigung dieser Prioritätenreihung muss aber im Mittelpunkt der Entscheidung über die Auswahl eines Sachwalters immer das Wohl der betroffenen Person stehen.