JudikaturJustiz1Ob1538/95

1Ob1538/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roman Horst L***** ***** vertreten durch Dr.Johann-Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hermine P***** vertreten durch Dr.Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2,382.000 S sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 14.Dezember 1994, GZ 17 R 247/94-29, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger kaufte von der Beklagten eine in der Einflugschneise des Flughafens Schwechat liegende, von dort etwa 10 km entfernte Liegenschaft in Wien-Eßling mit einem Verkehrswert von mindestens 2,418 Mio S um 4,8 Mio S; nach Punkt V. des schriftlichen Kaufvertrags übernahm die Beklagte keine Haftung für ein bestimmtes Flächenausmaß sowie eine bestimmte Beschaffenheit und Lage des Kaufgegenstands. Beschaffenheitsangaben des Vermittlers beziehen sich auf ein Zeitungsinserat "22, Grünlage, Einfamilienvilla, ..." und eine Objektbeschreibung "Ruhelage am Stadtrand". Nach seinem jetzt noch relevanten Vorbringen vertraute er irrigerweise auf die Richtigkeit der Prospektangaben des Vermittlers, das Haus befinde sich in einer Ruhelage am Stadtrand. Dieser Mangel sei ihm von der Beklagten arglistig verschwiegen worden. Die genannte Objektbeschreibung "Ruhelage" trug nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen beim Kläger nicht zum Kaufentschluß bei. Der Kläger und seine Gattin besichtigten mehrmals die Liegenschaft und hielten sich dort zum Teil mehrere Stunden auf; die Ruhelage war niemals Gegenstand von Erörterungen der Streitteile. Die Beklagte hatte sich nie durch Flugzeuglärm belästigt gefühlt. Dem Kläger war sowohl die Lage des Flughafens Schwechat als auch die Tatsache der Anflugrichtung der Piste bekannt; er hatte im Zuge von Auslandsreisen sehr häufig Flugzeuge benützt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten - soweit jetzt noch relevant - die Anpassung des ausdrücklich aufrecht erhaltenen Kaufvertrags wegen List bzw Irrtums durch Zahlung eines Vergütungsbetrags (§ 872 ABGB) von zuletzt 2,382 Mio S sA. Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

a) Der Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 503 Z 1, § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nicht vor, weil er nach herrschender Auffassung (vgl Kodek in Rechberger, § 477 ZPO Rz 12) nur bei völligem Mangel der Gründe, nicht jedoch auch bei einer mangelhaften Begründung gegeben ist.

Auch die Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegen, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

b) Der von der zweiten Instanz allerdings nicht geprüfte Einwand der List ist nicht gerechtfertigt. Wer von dem anderen Teile durch List ... zu einem Vertrage veranlaßt worden, ist ihn zu halten nicht verbunden (§ 870 ABGB). Diese Gesetzesbestimmung ermöglicht dem Getäuschten die Anfechtung des Vertrags, also seine Aufhebung wegen des unterlaufenen Willensmangels, ohne zwischen Geschäfts- und Motivirrtum oder zwischen wesentlichem und unwesentlichem Irrtum zu unterscheiden (Gschnitzer in Klang2 IV/1 109 f, 113). List ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (WBl 1987, 345 ua; Rummel in Rummel2, § 870 ABGB Rz 2), indem der Erklärende entweder absichtlich mittels Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Verschweigung wahrer Tatsachen oder durch zumindest bewußte Ausnützung eines bereits vorhandenen Irrtums zur Willensäußerung bewogen wird (vgl JBl 1990, 175; SZ 55/51; 6 Ob 521/94 uva; Koziol-Welser, Grundriß10 I 135). Listige Irreführung beim Vertragsabschluß setzt daher in tatsächlicher Hinsicht stets Irreführungsabsicht voraus (6 Ob 521/94); der Täuschende muß positive Kenntnis haben, daß a) der andere Teil irrt und b) dieser Irrtum einen Einfluß auf den Willensentschluß hat, somit kausal war (JBl 1990, 175; SZ 41/33; 8 Ob 202/83 ua; Apathy in Schwimann, § 870 ABGB Rz 2); grobe Fahrlässigkeit reicht insoweit nicht aus (MietSlg 41.038; 7 Ob 579/94; 3 Ob 577/92 = ecolex 1992, 452; 5 Ob 1084/92 ua; Rummel aaO § 870 ABGB Rz 2; Apathy aaO § 870 ABGB Rz 2; Gschnitzer aaO). Der Anfechtende muß nicht nur das Vorliegen von List nach allgemeinen Regeln behaupten und beweisen (MietSlg 41.039; NZ 1987, 317; SZ 53/108 = MietSlg 32/28 ua); insofern gibt es keine Erleichterung durch den Anscheinsbeweis (SZ 51/52; Rummel aaO § 870 Rz 2).

Der Beweis dieser beiden Tatsachen ist dem Kläger nicht gelungen. Ob der Irreführende absichtlich oder doch bewußt vorgegangen ist, ob er Unrichtiges vorgetäuscht hat oder ob der Irregeführte dadurch zur Einwilligung gebracht wurde, ist als eine der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogene Frage der Beweiswürdigung eine solche tatsächlicher Natur (SZ 41/33; 5 Ob 1084/92; 8 Ob 202/83 uva).

c): Die Beklagte hat einen allfälligen Irtum des Klägers weder adäquat veranlaßt, noch mußte er ihr aus den Umständen offenbar auffallen (§ 871 Abs 1 ABGB); der Tatbestand der rechtzeitiger Aufklärung kommt hier nicht in Betracht. Zwar gilt gemäß § 871 Abs 2 ABGB der Irrtum eines Teils über einen Umstand, über den ihn der andere nach geltenden Rechtsvorschriften aufzuklären gehabt hätte, immer als Irrtum über den Inhalt des Vertrags und nicht bloß als solcher über den Beweggrund oder den Endzweck. Wer gesetzlich vorgeschriebene Aufklärungspflichten verletzt, hat den Irrtum des Partners stets veranlaßt (SZ 66/41; Apathy aaO § 871 ABGB Rz 11). Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen sprachen die Streitteile vor Abschluß des Kaufvertrags nicht über die "Ruhelage" der Liegenschaft und machten sie auch nicht zum Gegenstand ihrer Kaufvertragsverhandlungen. Es ist daher der vom Kläger erhobene Irrtumseinwand nicht unter dem Gesichtspunkt von entsprechend unrichtigen Äußerungen der Beklagten oder des Vermittlers, sondern ausschließlich unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob die Beklagte (bzw der für sie einschreitende Vermittler) ihre Aufklärungspflicht als Verkäuferin gegenüber dem Kläger als Käufer verletzte. Eine allgemeine Aufklärungspflicht des Verkäufers besteht nicht; grundsätzlich muß jeder Teil seine eigenen Interessen selbst wahrnehmen (JBl 1992, 711 = ÖBA 1993, 408 mit Anm von Koch ua). Eine Aufklärungspflicht ist nur dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsatzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte. Diese Schutzpflicht endet an der Grenze objektiver Voraussehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Vertragspartners. Art und Ausmaß der Aufklärungspflicht richten sich nach der Beschaffenheit und Funktionsweise des Kaufgegenstands sowie nach dem vorauszusetzenden Wissensstand des Käufers und somit nach den Umständen des Einzelfalls. Generelle Aussagen, wann und in welchem Umfang eine Aufklärungspflicht besteht, sind kaum möglich, es kommt, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, auf die Übung des redlichen Verkehrs (RZ 1993/95; JBl 1992, 450; JBl 1982, 36 ua) für den betreffenden Geschäftstyp (JBl 1982, 36; zuletzt 1 Ob 564/95 = ecolex 1995, 485) an. "Aus den Umständen offenbar auffallen" muß ein Irrtum, wenn er bei verkehrsüblicher Sorgfalt erkennbar gewesen wäre oder der Partner wenigstens Verdacht hätte schöpfen müssen (3 Ob 564/94 = ecolex 1995, 634; JBl 1988, 783; SZ 51/144 ua). Maßgeblich ist, ob der Gegner des Anfechtenden objektiv bei der im Verkehr üblichen und nach Treu und Glauben vorausgesetzten Aufmerksamkeit den Irrtum bemerken oder wenigstens den Verdacht eines Irrtums schöpfen hätte können (JBl 1988, 783; SZ 51/144 mit zust Anm von Pfersmann in ÖJZ 1982, 61 ua). Den Verkäufer einer Liegenschaft trifft im allgemeinen keine Aufklärungspflicht über einen offenkundigen Mangel, noch muß ihm insoweit ein Irrtum des Käufers auffallen. Schon deshalb versagt hier auch die Irrtumsanfechtung des Klägers.

d) Während die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen zur Anwendung der Tatbestände nach den §§ 870, 871 und 872 ABGB den Kläger trifft (SZ 66/41, SZ 53/108), ist es Sache des Beklagten, darzulegen und zu beweisen, daß der Vertrag vom Kläger auch dann geschlossen worden wäre, wenn er den Beklagten über den wahren Sachverhalt aufgeklärt hätte, somit seinem Fehlverhalten keine Relevanz zukäme (SZ 66/41; JBl 1987, 521). Wenn dem Beklagten dieser Beweis nicht gelingt, muß geprüft werden, ob der Geschäftsirrtum des Klägers ein unwesentlicher Irrtum in dem Sinn war, daß beide Vertragsparteien den Vertrag ohne Irrtum ebenfalls abgeschlossen hätten, wenn auch mit einem anderen Inhalt (etwa geringerem Entgelt); dabei ist der hypothetische Parteiwillen zu ermitteln, wie normale Parteien redlicherweise gehandelt hätten (SZ 66/41, SZ 53/108, SZ 50/35 ua). Ist danach eine Vertragsanpassung unmöglich, kommt es zur Vertragsaufhebung, wobei gemäß § 877 ABGB die zum Vorteil des Klägers erbrachten Leistungen des Beklagten zu veranschlagen sind. Im vorliegenden Fall muß auf die Rechtsansicht der zweiten Instanz, die in der Frage der Vertragsanpassung auf das tatsächliche Verhalten der Beklagten im Prozeß abstellt, nicht mehr geprüft werden, weil die Irrtumsanfechtung schon aus anderen Gründen scheitert. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellt sich demnach nicht.

Es kommt auch nicht mehr darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einem wesentlichen Irrtum Vertragsanpassung nach § 872 ABGB verlangt werden kann, wie der Vergütungsbetrag richtig zu ermitteln ist (vgl SZ 64/32, SZ 54/88, SZ 53/108) und ob dazu ausreichende Feststellungen getroffen wurden sowie ob ein Teil des geltend gemachten Vergütungsbetrags bereits verjährt ist.

Rechtssätze
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