5R51/25a – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Engers als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Rofner und Mag. Kitzbichler als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , vertreten durch Mag. Markus Abwerzger MMag. René Schwetz Rechtsanwälte GesbR in 6020 Innsbruck, gegen die beklagte Partei C* GmbH , vertreten durch Lenfeld Leys Sonderegger Rechtsanwälte in 6500 Landeck, wegen (eingeschränkt) EUR 12.171,84 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 21.3.2025, **-24, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen ihrer Vertreter die mit EUR 1.564,92 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die (ordentliche) Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Ehegatte der Klägerin, G* B*, geb ** (im Folgenden: Ehegatte), zog im Jahr 2005 aus der gemeinsamen Ehewohnung aus. Am 15.12.2018 wurde er mit Liegetrauma und Delir bei schwerer Alkoholkrankheit, nachdem er bereits vier Tage in seiner Wohnung gelegen hatte, in das von der Beklagten betriebene Krankenhaus F* (im Folgenden: Krankenhaus) eingeliefert und dort stationär aufgenommen. Er zeigte bereits im Zeitpunkt der Aufnahme das Bild einer Sepsis, sohin einen lebensbedrohlichen Zustand, der entsteht, wenn die körpereigenen Abwehrreaktionen gegen eine Infektion die Organe und das Gewebe schädigen. Im Labor fielen deutlich erhöhte Entzündungswerte, ein akutes Nierenversagen und eine schwere Anämie (Blutarmut) auf. Der Fokus der Sepsis blieb zunächst unklar.
Am 18.12.2018 kam es bei einem Besuch der Klägerin im Krankenhaus zu Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihrem Ehegatten, der deshalb das Krankenhauspersonal am 19.12.2018 sowie am 20.12.2018 trotz Belehrung über die Konsequenzen anwies, keine weiteren Besuche seiner Familie zuzulassen und keine Behandlungsunterlagen an diese herauszugeben. Eine psychiatrische Abklärung bezüglich kognitiver Beeinträchtigungen erfolgte zu keinem Zeitpunkt; vom Personal des Krankenhauses wurde der Zustand des Ehegatten als orientiert und klar eingeschätzt und wurden keine Anzeichen für eine kognitive Beeinträchtigung erkannt.
Am 18.12.20218 wurde der Ehegatte aufgrund seines schlechten Allgemeinzustands auf die Intensivstation verlegt; am 20.12.2018 erfolgte die Rückverlegung auf die Normalstation. Der Arztbrief hält diesbezüglich (auszugsweise) fest:
„Diagnose:
Sepsis mit unklarem Fokus, DD Durchwanderungsperitonitis bei Darminfekt
Akutes Nierenversagen bei Crush-Niere
Z.n. Sturz (wie genau unklar)
Akutes Leberversagen
Chron. C2-Abusus
Anämie, Gabe von insgesamt 3 EK's (2 EK's am 16.12., 1 EK am 18.12.)
Herr B* wird am 18.12. mit zunehmender Somnolenz bei septischem Zustandsbild zur weiteren Therapie und Observatio an unsere Intensivstation übernommen. Bei fehlendem Fokus (AbdomenCT nicht richtungsweisend) wird die bestehende antibiotische Therapie mit Unasyn auf Meropenem umgestellt, zudem erhält der Pat. parenteral Flüssigkeit. Aufgrund der Unruhe, welche wir dem chron. C2-Abusus zuschreiben, sind kurzfristige Dexdor-Gaben notwendig. Es wird mit Seroquel begonnen, was vom Pat. gut toleriert wird, hierunter ist er auch gut führbar. Aufgrund der ausgeprägten Anämie, wobei ein Blutungsfokus fehlt, verabreichen wir dem Pat. am 16.12. sowie 18.12. insgesamt 3 Erythrozyten-Konzentrate. Während des gesamten Aufenthaltes präsentiert sich der Pat. kardiorespiratorisch stabil, eine Vasopressoren-Gabe bzw. eine intensivierte Atemtherapie sind nicht notwendig.
Während des Aufenthaltes kommt es zu einem Disput mit den Angehörigen des Pat. (Exfrau, 2 Kinder). Der Pat. wünscht dezidiert weder Besuche noch Befundauskunft an die Angehörigen, dies wird der Exfrau mitgeteilt. Die einzige Bezugsperson ist Frau I*, Bekannte. Nach unauff. Aufenthalt transferieren wir den Pat. am 20.12. 2018 mit stabilen Vitalparametern auf die Normalstation.“
Unter antibiotischer Behandlung besserten sich die Entzündungswerte und konnte eine vorübergehende Stabilisierung erreicht werden. Im weiteren Verlauf traten jedoch septische Embolien im Gehirn und ein Multiorganversagen auf; die Entzündungswerte stiegen trotz antibiotischer Therapie erneut an, am ehesten bedingt durch einen multiresistenten Staphylokokken-Stamm. In der Folge erlitt der Ehegatte erneut einen Krampfanfall und verstarb letztlich 6.2.2019 an den Folgeschäden.
Eine Verlassenschaftsabhandlung unterblieb mangels EUR 5.000,00 übersteigender Aktiven. Die Klägerin trug die Kosten der Bestattung ihres Ehegatten von EUR 3.092,28 sowie des Grabsteins von EUR 9.079,56, in Summe sohin EUR 12.171,84.
Im Verfahren ** des Erstgerichts (im Folgenden: Herausgabeverfahren) begehrte die Klägerin die Herausgabe einer Abschrift sämtlicher Behandlungs- und Krankenunterlagen ihres Ehegatten für den Zeitraum ab 15.12.2018 von der Beklagten. In diesem Verfahren wurde ein Gutachten eines internistischen Sachverständigen eingeholt, in dem dieser mehrere 100 Seiten an Behandlungsunterlagen aufarbeitete, ohne dass der Klägerin darin Einsicht gewährt wurde. Das Herausgabebegehren wurde mit Urteil des Erstgerichts vom [richtig] 16.2.20 2 3 abgewiesen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 25.5.2023, 2 R 56/23m; darin führte es auszugsweise aus:
„2.2. Der Berufungswerberin ist beizupflichten, dass die Feststellungen zur Behandlung Ergebnis eines insofern mangelhaften Verfahrens sind. Die Klägerin begehrt im vorliegenden Verfahren die Herausgabe von Unterlagen, um überhaupt erst beurteilen zu können, ob sie mit Erfolg Ansprüche aufgrund eines Behandlungsfehlers geltend machen kann. Dieses Begehren kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass Feststellungen zur Behandlung nach einem Beweisverfahren getroffen werden, in dem die Klägerin keine (vollständige) Einsicht in diese Unterlagen hatte. Auch in Rechnungslegungsverfahren ist das Manifestationsverfahren beispielsweise vom Verfahren über den Leistungsanspruch getrennt zu führen (RIS-Justiz RS0035069). Wenn in derartigen Fällen nicht nur über Rechnungslegungsbegehren, sondern auch das unbestimmte Leistungsbegehren entschieden wird, liegt darin ein Verfahrensmangel vor (T3, T5, vgl auch RIS-Justiz RS0035079). Die vorliegende Konstellation ist nach Ansicht des Berufungsgerichts damit vergleichbar.
2.3. Die Grundsätze eines fairen Verfahrens im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK gebieten außerdem Waffengleichheit zwischen den Parteien (9 ObA 1/04v). Das rechtliche Gehör wird in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RIS- Justiz RS0005915). Das rechtliche Gehör ist (nur) gewahrt, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, äußern können (T17, ebenso RIS-Justiz RS0005915).
Das ist hier nicht der Fall. Die beklagte Partei stellte dem Sachverständigen Unterlagen zur Verfügung. Dieser prüfte und bewertete ausgehend davon die Behandlung des Ehemanns der Klägerin, ohne dass ihr im Verfahren Einsicht darin gewährt wurde. Zu den Grundlagen des Gutachtens konnte sie sich daher nicht äußern. Grundsätzlich bewirkt eine derartige Gehörsverletzung eine Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Nichtigkeitsgründe wirken absolut, dh, dass sie auch ohne vorherige Parteienrüge wahrgenommen werden müssen; sie sind in ihrer Beachtlichkeit nicht davon abhängig, ob sie zu Gunsten oder zum Nachteil einer Partei bzw des Rechtsmittelwerbers wirken (Pimmer in Fasching/Konecny 3IV/1 § 477 ZPO Rz 3). Es handelt sich dabei um schwerwiegende Verletzungen des Verfahrensrechts, die eine amtswegige Wahrnehmung unabhängig von der Richtigkeit der angefochtenen Sachentscheidung erfordern. Die Relevanz des Nichtigkeitsgrunds für das Ergebnis der Sachentscheidung ist dabei nicht zu prüfen (Lovrek in Fasching/Konecny 3IV/1 § 503 ZPO Rz 23).
2.4. Im vorliegenden Fall kann nach Ansicht des Berufungsgerichts aber dennoch von einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen werden. Zum einen sind die von der Gehörsverletzung betroffenen Feststellungen für die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs irrelevant. Im Verfahren ist – wie bereits ausgeführt – nicht zu klären, ob die beklagte Partei Behandlungs- oder Aufklärungsfehler zu verantworten hat, sondern ob die Klägerin einen Anspruch auf Herausgabe von Krankenunterlagen hat. Außerdem liegt den detaillierten Feststellungen des Erstgerichts zum Behandlungsverlauf jedenfalls in dieser Form kein korrespondierendes Parteienvorbringen zugrunde. Zum ganz überwiegenden Teil sind die Feststellungen daher ohnehin überschießend (RS0040318 [T2]; RS0036933 [T10, T11, T12]; RS0037972 [T11]; RS0112213 [T1, T4]) und daher auch aus diesem Grund nicht zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0040318).“
Im Weiteren verneinte das Berufungsgericht jedoch die Aktivlegitimation der Klägerin für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des verstorbenen Ehegatten bzw der Verlassenschaft aus einer allenfalls fehlerhaften Behandlung durch die Ärzte des Krankenhauses. Auch auf § 1327 ABGB könne die Klägerin ihr rechtliches Interesse nicht stützen, weil sie keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch habe und freiwillige Unterhaltszahlungen keine Ansprüche nach § 1327 ABGB rechtfertigen und damit auch kein rechtliches Interesse an der Herausgabe der Krankenunterlagen begründen würden; auf einen Anspruch (auch) auf Trauerschmerzengeld habe sie ihre Herausgabeklage indes nicht gestützt.
Die gegen dieses Berufungsurteil erhobene ordentliche Revision der Klägerin wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 18.6.2024, 6 Ob 131/23t, zurück. Soweit das Berufungsgericht nicht von möglichen künftigen gesetzlichen Unterhaltsansprüchen der Klägerin ausgegangen sei und auch die freiwilligen Zahlungen nicht als anspruchsbegründend im Sinn des § 1327 ABGB angesehen habe, sei darin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin könne ein berechtigtes Interesse nicht erfolgreich auf einen Anspruch gegen die Krankenhausbetreiberin auf Ersatz eines Trauerschadens mit oder ohne Krankheitswert stützen, bedürfe bereits deshalb keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof, weil die Klägerin und ihr Ehegatte seit 2005 getrennt lebten, der Ehegatte ab diesem Zeitpunkt die Scheidung gewünscht habe und die Klägerin nach einem Rechtsstreit gegen ihn Exekution geführt habe. Auf einen Anspruch auf Ersatz der Begräbniskosten habe sich die Klägerin in erster Instanz nicht gestützt, weshalb darauf nicht mehr eingegangen werden könne.
Dieser Sachverhalt, teilweise ergänzt um den näheren Inhalt der Entscheidungen der zweiten und dritten Instanz im Herausgabeverfahren (vgl RIS-Justiz RS0121557 [T4]), steht im Berufungsverfahren unbekämpft fest (§ 498 Abs 1 ZPO).
Mit ihrer am 3.2.2022 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von EUR 56.915,30 sA (darin EUR 20.000,00 Trauerschmerzengeld, EUR 24.743,46 Unterhalt und EUR 12.171,84 Begräbniskosten) und erhob das mit EUR 20.000,00 bewertete Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden aus der nicht lege artis durchgeführten Behandlung ihres Ehegatten. Mit Schriftsatz vom 3.12.2024 (ON 13) ließ sie das Feststellungsbegehren fallen und schränkte das Zahlungsbegehren auf EUR 12.171,84 sA (Begräbniskosten) ein.
Soweit für das Berufungsverfahren von Relevanz brachte sie vor, die Behandlung ihres Ehegatten im Krankenhaus sei nicht lege artis erfolgt. Die Krankendokumentation sei mangelhaft, woraus ihm gesundheitliche Nachteile entstanden seien. Lebensnotwendige Untersuchungen, wie etwa eine Gastroskopie, seien nicht durchgeführt worden, ebenso wenig eine antibiotische Sofortbehandlung; ferner sei der Ehegatte zu früh von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt worden. Über die einzelnen Behandlungen sei er nicht aufgeklärt worden. Schließlich sei ein rechtzeitiger Transfer an die J*, um dort die notwendige Behandlung insbesondere des akuten Leberversagens vorzunehmen, unterblieben. Das gesamte Krankheitsbild hätte einer umgehenden intensivmedizinischen weiteren Diagnoseerklärung, Behandlung und Überwachung (ua mit einer forcierten Diurese/Ausscheidung Wasser-/Elektrolytbilanzierung, täglichem Wiegen, pharmakologischer Therapie mit N-Acetylcystein usw) in der J* bedurft. Das zur Behandlung des deliranten Zustandsbilds verabreichte Medikament Seroquel sei hingegen aufgrund seiner leber- und nierenbelastenden Wirkung kontraindiziert gewesen. Auch die Infektion mit dem Krankenhauskeim habe sich der Ehegatte im Krankenhaus zugezogen. Die Entscheidung, die Behandlung abzubrechen, sei rechtswidrig gewesen. Aufgrund all dieser Versäumnisse sei letztlich der Tod eingetreten. Gemäß § 1327 ABGB habe ihr die Beklagte die Begräbniskosten in Höhe von EUR 12.171,84 (EUR 3.092,28 für die Beerdigung und EUR 9.079,56 für den Grabstein) zu ersetzen, die sie getragen habe.
Die Beklagte verweigere ihr als Erbin und Unterhaltsberechtigte zu Unrecht die Herausgabe der Krankengeschichte des Ehegatten. Die Klägerin begehrte daher die Vorlage sämtlicher Behandlungs- und Krankenunterlagen, um genau feststellen zu können, welche konkrete Fehlbehandlung im Krankenhaus unterlaufen sei (ON 6, ON 13). Das im Herausgabeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten sei mangelhaft und könne sie dieses nicht überprüfen, solange sie keinen Einblick in die vollständige Krankengeschichte habe. Die seinerzeitige ablehnende Äußerung des Ehegatten hätte die Beklagte nicht befolgen dürfen, weil er zu einer freien Willensbildung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Sie habe ein auf § 1327 ABGB gestütztes rechtliches Interesse an der Herausgabe der genannten Unterlagen.
Die Beklagte stellte die Höhe der begehrten Begräbniskosten sowie den Umstand, dass die Klägerin diese bezahlt hat, außer Streit, bestritt jedoch ein Fehlverhalten ihres medizinischen Personals ebenso wie eine Verpflichtung zur Herausgabe der Krankengeschichte des Ehegatten. Auch sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert, weil sie nicht Erbin sei und keine rechtliche Verpflichtung für sie bestanden habe, die Begräbniskosten zu begleichen. Die Behandlung sei lege artis erfolgt und der Ehegatte umfassend aufgeklärt worden. Ein Transfer an ein anderes Krankenhaus sei nicht indiziert gewesen. Bereits im Zeitpunkt der Aufnahme habe sich der Ehegatte in einem lebensbedrohlichen Zustand befunden. Die Prognose sei – auch bei einem optimalen intensivmedizinischen Management – äußerst schlecht gewesen und sei es in der Folge zu einem Multiorganversagen mit Sepsis gekommen, woran der Ehegatte schlussendlich verstorben sei. Der im Herausgabeverfahren bestellte Sachverständige sei zum Ergebnis gelangt, dass den behandelnden Personen kein Fehler anzulasten sei; sein Gutachten genüge für die Beurteilung, dass Behandlung und Aufklärung lege artis erfolgt seien. Der Ehegatte habe mehrfach betont, keinen Kontakt zur Klägerin zu wünschen, und habe jegliche medizinische Auskunft an sie untersagt.
Mit Beschlussvom 4.1.2025 trug das Erstgericht der Beklagten die Vorlage der Behandlungs- und Krankenunterlagen des Ehegatten für den Behandlungszeitraum 15.12.2018 bis einschließlich 6.2.2019 auf (ON 16). Der prozessuale Herausgabeanspruch sei nach § 304 Abs 1 Z 1 ZPO berechtigt. Die Beklagte habe das internistische Gutachten samt Ergänzungen aus dem Herausgabeverfahren vorgelegt, dessen Grundlage wiederum jene Behandlungsdokumentation sei, in die sie der Klägerin die Einsicht verwehre. Damit berufe sich die Beklagte aber mittelbar auf diese Unterlagen, sodass sie deren Herausgabe nicht verweigern dürfe. Den gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Beklagten wies das Erstgericht mit Beschlussvom 9.1.2025 mit Verweis auf § 319 Abs 2 ZPO zurück (ON 19). Die Beklagte teilte daraufhin mit Schriftsatz vom 16.1.2025 mit, dem Vorlageauftrag nicht nachzukommen (ON 21). In der darauffolgenden Tagsatzung vom 4.3.2025 schloss die Erstrichterin die Verhandlung ohne – über die Einsichtnahme in Urkunden und Verlesung des Akts des Herausgabeverfahrens hinausgehende – Beweisaufnahme (ON 23).
Mit dem bekämpften Urteil wies das Erstgericht das – nach Einschränkung noch gegenständliche – Zahlungsbegehren ab. Über den eingangs zusammengefasst referierten Sachverhalt hinaus traf es zu sämtlichen nachstehenden Umständen Negativfeststellungen :
In seiner Beweiswürdigungbegründete das Erstgericht diese Negativfeststellungen mit einem Verweis auf § 307 Abs 2 ZPO. Die Beklagte habe sich zwar zum Beweis ihrer Prozessbehauptungen auf die im Herausgabeverfahren eingeholten Gutachten gestützt, allerdings habe das Berufungsgericht (gemeint im Herausgabeverfahren) „zu der dort gewählten Vorgangsweise klar Stellung bezogen“. Auch wenn Beweisverwertungsverbote im eigentlichen Sinn der ZPO fremd seien, würden Feststellungen zu medizinischen Fragestellungen, die mangels Behandlungsunterlagen ausschließlich auf diese Gutachten gestützt werden könnten, zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin auch in diesem Verfahren und damit zu einer Nichtigkeit der Entscheidung führen; die genanten Gutachten seien somit de facto nicht verwertbar. Positive Feststellungen im Sinn des klägerischen Vorbringens kämen nicht in Betracht, zumal ein ungünstiger Verlauf samt möglichem Tod bei einer Einlieferung eines Patienten mit Liegetrauma und Delir bei schwerer Alkoholkrankheit nicht so unwahrscheinlich sei, dass man „der Beklagten“ bloß aufgrund der Verweigerung der Herausgabe der Behandlungsunterlagen einen Fehler unterstellen könnte. Dasselbe gelte angesichts der schweren Grunderkrankung, die einen natürlichen Tod nahelege, auch für die Annahme, dass (verkürzt) rechtswidriges Einschreiten der behandelnden Ärzte die Wahrscheinlichkeit eines (vorzeitigen) Todes nicht bloß unwesentlich erhöht habe. Auch die kognitiven Fähigkeiten des Ehegatten könnten ohne Behandlungsunterlagen nicht eingeschätzt werden. Zusammengefasst könne die Beklagte, insoweit und solange sie eine Beweisaufnahme durch Einsichtnahme in die Gutachten des Herausgabeverfahrens verlange, die Vorlage der Behandlungsdokumentation im Sinn des § 304 Abs 1 Z 1 ZPO nicht verweigern. Das bedeute im Umkehrschluss, dass sie eine Beweisaufnahme durch Einsichtnahme in diese Gutachten (gemeint: deren Verwertung) so lange nicht erfolgreich fordern könne, als sie die Vorlage der (mittelbaren) Grundlagen dafür verweigere. Damit bleibe das eigentliche Anliegen der Klägerin auch in diesem Verfahren ungeklärt.
Rechtlichbejahte das Erstgericht die Aktivlegitimation der Klägerin im Sinn des § 1327 ABGB, weil sie die Begräbniskosten tatsächlich getragen habe. Sie dringe mit ihrem Anspruch aber dennoch nicht durch, weil das Vorliegen eines Behandlungsfehlers oder einer rechtswidrigen weil eigenmächtigen Behandlung, der bzw die kausal für den Tod ihres Ehegatten gewesen wären, unter Zugrundelegung der getroffenen Negativfeststellungen völlig ungeklärt geblieben sei. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer fristgerechten Berufungsbeantwortung , dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Da die Durchführung einer Berufungsverhandlung nach Art und Inhalt des geltend gemachten Rechtsmittelgrunds nicht erforderlich ist, war über die Berufung in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden (§ 480 Abs 1 ZPO). Dabei erweist sie sich aus folgenden Erwägungen als nicht berechtigt :
1. Die Berufungswerberin verficht den Standpunkt, die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis und einer „damit einhergehenden“ Beweislastumkehr seien gegeben. Nach der Rechtsprechung werde der Anscheinsbeweis als sachgerecht angesehen, wenn konkrete Beweise zu konkret behaupteten Umständen vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden könnten und gleichsam ein allgemeiner, für jedermann in vergleichbarer Weise bestehender Beweisnotstand gegeben sei. In der Regel sei dies der Fall, wenn es sich um Umstände handle, die allein in der Sphäre des Gegners lägen und daher nur ihm bekannt oder durch ihn beweisbar seien. Zum Beweisnotstand des Beweispflichtigen müsse hinzutreten, dass nur dem Gegner die genauen Kenntnisse der Tatumstände bzw die Beweise zur Verfügung stünden und es ihm nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne Weiteres zumutbar sei, die erforderliche Aufklärung zu geben; außerdem müsse die nach den allgemeinen Grundsätzen beweispflichtige Partei den eigenen Behauptungs- und Beweispflichten in zumutbarem Maß nachgekommen sein. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Ohne Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen habe die Klägerin keine Möglichkeit, die Kausalität der Behandlungsfehler für den Todeseintritt zu beweisen. Ihr obliege ferner der Beweis eines ärztlichen Kunstfehlers oder zumindest „eines hohen Grads von Wahrscheinlichkeit“ für dessen Vorliegen; auch dieser Beweis werde nur dann gelingen können, wenn der Geschädigte vom Schädiger in die Lage versetzt werde, dessen Arbeit – im konkreten Fall durch Einsicht in die Behandlungsunterlagen – zu überprüfen. In Fällen, in denen ein Herausgabeanspruch zur Erlangung der Krankengeschichte aber verneint werde, liege ein massives Rechtsschutzdefizit vor, dem nur mit einer „den Schadenseintritt betreffenden“ Beweislastumkehr Abhilfe geschaffen werden könne. Die Beklagte hätte demzufolge beweisen müssen, dass die Behandlung lege artis erfolgt sei und gehe die vorliegende „non liquet“-Situation sohin zu ihren Lasten. Das Erstgericht hätte somit davon ausgehen müssen, dass der Tod des Ehegatten auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sei, was wiederum zur Klagstattgebung hätte führen müssen.
2. Entgegen diesen Rechtsmittelausführungen stellt die konkrete Konstellation aber weder einen Anwendungsbereich für den Anscheinsbeweis dar noch kehrt sich die Beweislast für das Vorliegen eines Kunstfehlers um.
2.1. Zunächst ist der Argumentation im Rechtsmittel zu entgegnen, dass sie die Begrifflichkeiten in unzulässiger Weise miteinander vermengt: Der Anscheinsbeweisist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RIS-Justiz RS0040274), nicht aber eine Verschiebung oder Umkehr der Beweislast (RS wie vor [T3]). Er beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS-Justiz RS0040266). Die wichtigsten Anwendungsgebiete sind dort, wo formelhafte, typische Kausalabläufe bestehen oder typische Verhaltensweisen stets gleichartige und zuverlässige Schlüsse auf bestimmte innere Zustände eines Menschen zulassen, also beim Beweis des Kausalzusammenhangs oder des Verschuldens (RS wie vor [T3]). Fehlt es an der Typizität eines Geschehensablaufs, ist ein Anscheinsbeweis nicht zulässig (RIS-Justiz RS0040287 [T3]). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt seine Anwendung nicht (RS wie vor [T5]).
Ob in einem bestimmten Fall ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob also die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass anstelle eines vom Gesetz geforderten Tatbestandsmerkmals ein anderes bewiesen werden darf, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung; ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist, ist hingegen der Beweiswürdigung zuzuordnen (RIS-Justiz RS0022624 [T1]; RS0040196 [T17, T18]; 10 Ob 66/09t).
2.2.Ein Anwendungsgebiet findet der Anscheinsbeweis im Arzthaftungsrecht: Liegt ein ärztlicher Behandlungsfehler vor, genügt für den Kausalitätsbeweis der Anscheinsbeweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit durch den Patienten. Gelingt dieser, obliegt es dem Beklagten, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit – durch Entkräftung des ihn belastenden Anscheinsbeweises – ernsthaft zweifelhaft zu machen. Dazu muss er darlegen, dass andere Schadensursachen wahrscheinlicher sind als die ihm unterlaufene Sorgfaltswidrigkeit (RIS-Justiz RS0106890 [T34]; RS 0038222 [T6]).
2.3.Aus diesen allgemeinen Grundsätzen ist für den Standpunkt der Berufungswerberin aber nichts zu gewinnen, fehlt es doch hier an einer typischen formelhaften Verknüpfung zwischen einer tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement. Die dargestellte Erleichterung im Arzthaftungsrecht betrifft nur den Kausalitätsbeweis, nicht hingegen den Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers, den der Patient unverändert zu führen hat (RIS-Justiz RS0026412 [T11]; RS0106890 [T10]; RS0026209). Läge also ein Kunstfehler vor, könnte sich die Klägerin für den Beweis der Kausalität allenfalls auf die Regeln des Anscheinsbeweises stützen, nicht jedoch, wenn wie hier die behaupteten Behandlungsfehler – auf die in erster Instanz ebenfalls vorgetragene Verletzung von Aufklärungs- und Dokumentationspflichten kommt das Rechtsmittel nicht mehr zurück – gar nicht erwiesen sind. Eine Anwendung des Anscheinsbeweises auch dafür ist mangels Typizität eines Geschehensablaufs aber nicht zulässig.
2.4. Auch dem Argument, ein aus der Verweigerung der Herausgabe der Krankengeschichte des Ehegatten resultierendes Rechtsschutzdefizit gebiete eine Beweislastumkehr dahin, dass die Beklagte als Krankenhausbetreiberin das Nichtvorliegen von Behandlungsfehlern beweisen müsste, ist nicht beizupflichten.
Nach § 307 Abs 2 ZPO ist die Nichtbefolgung eines Vorlageauftrags frei zu würdigen, unterliegt also der richterlichen Beweiswürdigung. Das Gesetz spricht hier – dogmatisch verfehlt – von „Ermessen“ ( Kodek in Fasching/Konecny 3III/1 § 307 ZPO Rz 13; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack , ZPO-TaKom 2§ 307 ZPO Rz 3; 8 ObA 9/15d). Das von der Berufungswerberin verortete Rechtsschutzdefizit besteht sohin nicht, zumal sie sich gegen eine aus ihrem Blickwinkel unrichtige Würdigung der Weigerung der Beklagten zur Urkundenvorlage mittels Beweisrüge – die sie jedoch nicht ausführt – zur Wehr setzen hätte können. Indes besteht auf rechtlicher Ebene kein Raum für die Annahme einer im Gesetz nicht vorgesehenen Beweislastumkehr. Dies zeitigt aber die Konsequenz, dass die getroffenen, von der Berufungswerberin nicht mit Beweisrüge bekämpften Negativfeststellungen („non liquet“) entgegen der in der Rechtsrüge vertretenen Ansicht nicht zu Lasten der Beklagten, sondern, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, zu Lasten der Klägerin ausschlagen, die für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers beweispflichtig ist.
3. Der Rechtsrüge und damit der Berufung insgesamt ist daher ein Erfolg zu versagen.
4. Soweit man die – nicht recht verständlichen und den Anforderungen an eine judikaturkonform ausgeführte Beweisrüge nicht genügenden (vgl Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 471 ZPO Rz 15; RIS-Justiz RS0041835 [T4]) – Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbeantwortung betreffend „Feststellungsmängel und/oder sekundäre Feststellungsmängel“ (ON 33 S 3) inhaltlich als Anschlussrüge behandeln wollte, die auf die „Ersatzfeststellung“ abzielt, die Kausalität sei ungeklärt geblieben, genügt der Hinweis, dass das Erstgericht diesbezüglich ohnehin ausschließlich Negativfeststellungen getroffen hat.
5.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Beklagte verzeichnete die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung rechtzeitig und tarifkonform.
6.Da eine Rechtsfrage mit der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen war, ist auszusprechen, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist (§ 500 Abs 2 Z 3 ZPO).