JudikaturJustiz9Ob5/07m

9Ob5/07m – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf sowie Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Notburga M*****, Hausfrau, *****, vertreten durch Dr. Franz Lethmüller, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die beklagte Partei Roland B*****, Student, *****, vertreten durch Dr. Andreas König ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert EUR 36.340), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. November 2006, GZ 1 R 241/06k-28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zwar hat es das Berufungsgericht unterlassen, ausdrücklich im Spruch der Entscheidung über den Wert des Entscheidungsgegenstands, der hier nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, abzusprechen (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO), doch ist aus den Entscheidungsgründen (S 18) eindeutig ersichtlich, dass es den Entscheidungsgegenstand mit einem über EUR 20.000 liegenden Betrag bewertet wissen wollte. Eine formelle Nachholung des unterbliebenen Ausspruchs durch das Berufungsgericht konnte daher unterbleiben (8 ObA 333/97z ua).

Der Revisionswerber versucht zunächst, die Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision damit zu begründen, dass das Berufungsgericht die Parteien ohne vorherige Erörterung mit seiner rechtlichen Beurteilung der Sache „überrascht“ habe. Es habe damit gegen die Erörterungs- und Anleitungspflicht nach den §§ 182, 182a ZPO verstoßen. Richtig ist, dass das Gericht die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (§§ 182, 182a ZPO; RIS-Justiz RS0037300 ua). Nicht jede Abweichung in der rechtlichen Beurteilung zwischen Erstgericht und Berufungsgericht ist jedoch schon als „Überraschungsentscheidung“ im vorstehenden Sinn zu werten (vgl 1 Ob 283/00z ua). Gegenstand des vorliegenden Prozesses ist die Feststellung der Ungültigkeit des mündlichen Testaments vom 1. 1. 2004 der am 13. 1. 2004 verstorbenen Schwester der Klägerin (bzw Ziehmutter des Beklagten). Zur Untermauerung ihrer jeweiligen Rechtsstandpunkte berief sich nicht nur die Klägerin, sondern auch der Beklagte ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl etwa S 5, 7 und 9 der Klagebeantwortung sowie S 7 und 8 der Berufungsbeantwortung des Beklagten). Die „Überraschung“ des Beklagten als Revisionswerber, dass das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung tatsächlich auf der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aufbaute, ist daher nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist der Revisionswerber darauf zu verweisen, dass die Frage, ob das Überraschungsverbot verletzt wurde, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt, denen regelmäßig keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (10 Ob 35/01x ua).

Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers liegt hier aber auch keine erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechts vor. Das Familien- und Erbrechts-Änderungsgesetz (FamErbRÄG) 2004, BGBl I 2004/58, schaffte durch Aufhebung der §§ 584 bis 586 ABGB in Art I Z 29 das mündliche außergerichtliche Testament wegen der Missbrauchsgefahr und zum Schutz der gesetzlichen Erben ab und reduzierte es auf eine bloße Notform (§ 597 ABGB nF; RV 471 BlgNR 22. GP 1, 11, 29; Apathy in KBB § 597 Rz 1; Koziol/Welser II 13 506; Spitzer , Neues zu letztwilligen Verfügungen, NZ 2006, 77 [78] ua; vgl bereits die Bedenken von Kralik [Erbrecht³ 136] wegen des häufigen Missbrauchs mündlicher Privattestamente in der Praxis). Auf letztwillige Verfügungen, die vor dem 1. 1. 2005 errichtet wurden (bzw worden sein sollen), ist jedoch das FamErbRÄG 2004 noch nicht anzuwenden. Es gelten daher im vorliegenden Fall noch die §§ 584 bis 586 ABGB (Art IV § 3 Abs 1 Z 1 FamErbRÄG 2004).

Nach der bis zum 31. 12. 2004 geltenden Rechtslage musste, wer mündlich testieren wollte, vor drei fähigen Zeugen, welche zugleich gegenwärtig und zu bestätigen fähig waren, dass in der Person des Erblassers kein Betrug oder Irrtum unterlaufen sei, ernstlich seinen letzten Willen erklären (§ 585 ABGB). Nach § 586 ABGB musste eine mündliche letzte Anordnung auf Verlangen eines jeden, dem daran gelegen war, durch die übereinstimmende eidliche Aussage der drei Zeugen bestätigt werden, widrigenfalls diese Erklärung des letzten Willens unwirksam war (§ 601 ABGB). Mit der bloßen Erklärung des Erblassers war somit die für die Gültigkeit eines Testaments erforderliche Form noch nicht erfüllt. Auch die Zeugen hatten beim Zustandekommen des Testaments mitzuwirken (RIS-Justiz RS0012487 ua). § 586 ABGB wurde von der ständigen Rechtsprechung nicht als Beweisregel, sondern als Formvorschrift gesehen, die einen zum rechtlichen Bestand der letztwilligen Verfügung erforderlichen Solennitätsakt bildete (2 Ob 277/50, SZ 23/10; RIS-Justiz RS0007607 ua). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO stellt sich insoweit nicht. Wie der Oberste Gerichtshof schon zu 1 Ob 522/89, SZ 62/60 (ebenso 4 Ob 2256/96k ua) erkannt hat, kommt es nicht darauf an, ob die übereinstimmenden Aussagen der Testamentszeugen Voraussetzung der Gültigkeit der letztwilligen Verfügung oder ihrer Wirksamkeit sind. Existenz und Inhalt der behaupteten letztwilligen Verfügung können jedenfalls nicht anders als durch die übereinstimmenden Aussagen der Testamentszeugen bewiesen werden ( Welser in Rummel , ABGB³ § 584 bis 586 Rz 8 mwN; 1 Ob 522/89; 4 Ob 2256/96k ua). Dabei ist zur Vermeidung von Missbräuchen besonders streng zu prüfen, ob einerseits der ernstliche Testierwille, das heißt das Bewusstsein des Erblassers, jetzt eine letztwillige Verfügung zu errichten, und auch das Bewusstsein der Zeugen, einem Testierakt beizuwohnen, vorliegen (RIS-Justiz RS0012416 ua). Zweck dieses Erfordernisses einer gültigen Testamentszeugenschaft ist es, als Entsprechung zu dem vom Erblasser geforderten Testierwillen auch auf der Seite der Erklärungsempfänger nur solche Personen als Testamentszeugen anzusehen, die nicht nur beiläufig und zufällig die Willensäußerung gehört haben, also Zufallszeugen waren, sondern das Bewusstsein hatten, dass die Erklärung ausdrücklich an sie mit dem Zweck gerichtet war, zu einem späteren Zeitpunkt die Absicht des Erblassers bestätigen zu können (4 Ob 2256/96k; 8 Ob 247/02k ua).

Über Antrag des Beklagten wurden die Testamentszeugen im Verlassenschaftsverfahren über den Inhalt der Erklärung und über jene Umstände unter Eid vernommen, von denen die Gültigkeit der letztwilligen Anordnung abhängt, wie die Testierabsicht des Erblassers und das Bewusstsein der Zeugenschaft (§§ 65 f AußStrG aF [s § 205 AußStrG nF, BGBl I 2003/111). Im Anschluss daran wurde nach der bedingten Erbserklärung der Klägerin auf Grund des Gesetzes auch die bedingte Erbserklärung des Beklagten auf Grund des mündlichen Testaments vom 1. 1. 2004 zu Gericht angenommen und der Klägerin im Erbrechtsprozess die Klägerrolle zugewiesen. Während für den Bereich des Verlassenschaftsverfahrens die Wahrung der äußeren Form des mündlichen Testaments zur Erbringung des Erbrechtsausweises hinreicht, der Nachweis der Testierabsicht und des Bewusstseins der Zeugeneigenschaft daher dort nicht erforderlich ist, sind Testierabsicht und Bewusstsein der Zeugeneigenschaft als Voraussetzung für die Gültigkeit der letztwilligen Anordnung im Rahmen des Erbrechtsstreits zu prüfen (7 Ob 635/80; 1 Ob 539/84; 10 Ob 534/94; 4 Ob 2256/96k; 7 Ob 60/99w ua). Ging nun das Berufungsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung davon aus, dass Existenz und Inhalt der behaupteten letztwilligen Verfügung nicht anders als durch die übereinstimmenden Aussagen der Testamentszeugen bewiesen werden können, so entspricht dies der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 2256/96k; 3 Ob 30/02m ua). Nur wenn die Partei im Verlassenschaftsverfahren keine Möglichkeit zur Befragung der Testamentszeugen vorfand, kann die formgültige und wirksame Errichtung einer privaten mündlichen letztwilligen Verfügung auch durch Tatsachen bewiesen werden, die nach einer neuerlichen Vernehmung der Testamentszeugen im Prozess auf Grund freier richterlichen Beweiswürdigung in Ergänzung deren eidlichen Aussagen im Verlassenschaftsverfahren festgestellt werden (3 Ob 30/02m; RIS-Justiz RS0116240 ua). Dies war jedoch hier nicht der Fall. Der rechtsanwaltlich vertretene Beklagte war bei der eidlichen Vernehmung der Testamentszeugen zugegen und hat auch von seinem Fragerecht Gebrauch gemacht.

Kommt es nun aber nur auf die im Verlassenschaftsverfahren unter Eid abgelegten Aussagen der Testamentszeugen an, dann konnte das Berufungsgericht diese Aussagen als Tatsachen seiner Entscheidung zugrundelegen. Beide Prozessparteien beriefen sich im Verfahren erster Instanz ausdrücklich auf die Ergebnisse der Einvernahme dieser Zeugen im Verlassenschaftsverfahren. Keine der Parteien behauptete, die Zeugen hätten anders als protokolliert ausgesagt; deren Standpunkte differierten nur in der rechtlichen Beurteilung der protokollierten Aussagen. Was die Zeugen im Verlassenschaftsverfahren aussagten, steht somit außer Streit. Ein Tatsachengeständnis ist in Verfahren, die nicht vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht sind, der Entscheidung - abgesehen von hier nicht maßgebenden Ausnahmen - ungeprüft zugrundezulegen. Das gilt auch für Entscheidungen der Rechtsmittelinstanzen (3 Ob 30/02m ua).

Hinsichtlich der Beurteilung des von den Testamentszeugen unter Eid berichteten Sachverhalts vom 1. 1. 2004 ist davon auszugehen, dass „ernstlich“ seinen letzten Willen zu erklären (§ 585 ABGB) bedeutet, dass der Erblasser die Absicht gehabt haben muss, „gerade jetzt“ den letzten Willen zu erklären (1 Ob 522/89 ua). Dass bei der Erblasserin am 1. 1. 2004 eine derartige Testierabsicht vorlag, wird vom Berufungsgericht auf Grund der eidlichen Angaben zumindest zweier Testamentszeugen bezweifelt. Dass die Erblasserin ua auch davon sprach, sie habe bereits „etwas Schriftliches“ gemacht, spricht zwar nicht gegen die Möglichkeit, dass sie dennoch am 1. 1. 2004 ein mündliches Testament errichten wollte (vgl 4 Ob 2256/96k); insoweit ist dem Revisionswerber zu folgen. Dieser Umstand spricht allerdings auch nicht dafür. Es wäre an der Erblasserin gelegen, deutlich zu machen, in welchem Verhältnis Vergangenes zu aktuellen Erklärungen und Absichten stehen soll.

Das Berufungsgericht hat aber nicht nur Zweifel an der Testierabsicht der Erblasserin, sondern auch am Zeugenbewusstsein eines Zeugen, während es bei den beiden weiteren Zeugen das Zeugenbewusstsein sogar verneint. Beim „Zeugenbewusstsein“ geht es, wie schon erwähnt, um das Bewusstsein einer Person, dem Testierakt einer anderen Person beizuwohnen, um das Bewusstsein, die letztwillige Äußerung eines anderen nach dessen Tod bekunden zu können (vgl RIS-Justiz RS0012497 ua). Zutreffend verwies schon das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung, dass das (hier fehlende) Wissen um die gesetzlich normierten Erfordernisse einer gültigen mündlichen letztwilligen Verfügung keine Voraussetzung für das Zeugenbewusstsein darstellt (RIS-Justiz RS0012491 ua). Gar nicht zu wissen, dass es überhaupt eine mündliche letztwillige Verfügung gibt, geht noch darüber hinaus und wird bei einem potentiellen Zeugen die Annahme des Bewusstseins, einem Testierakt beizuwohnen, nicht unbedingt fördern. Inwieweit dieser Umstand letztlich das erforderliche Zeugenbewusstsein ausschließt, hängt von den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls ab. Diese Frage kann hier aber schon deshalb auf sich beruhen, weil ohnehin bereits die übrigen Zweifel des Berufungsgerichts der Bestätigung des mündlichen Testaments vom 1. 1. 2004 entgegenstehen. Im Übrigen ist der Revisionswerber darauf zu verweisen, dass die Auslegung der Erklärungen der Testamentszeugen eine Frage der Beurteilung konkreter Erklärungen im Einzelfall ist, die regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellt (8 Ob 247/02k ua). Von einem Verstoß des Berufungsgerichts gegen „fundamentale Auslegungsgrundsätze“ kann keine Rede sein. Da vom Revisionswerber keine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts aufgezeigt wird, ist seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Rechtssätze
9