JudikaturJustiz3Ob70/03w

3Ob70/03w – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Sailer, Dr. Vogel, Dr. Schramm und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Leonhard Romig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei F***** reg.Gen.m.b.H., ***** vertreten durch Rechtsanwälte Weissborn Wojnar, Kommandit Partnerschaft in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei M***** AG, ***** vertreten durch Dr. Axel Nepraunik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 81.772,27 EUR sA und Feststellung (Streitwert 7.267,28 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2003, GZ 16 R 271/02v 127, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. Juli 2002, GZ 5 Cg 24/00m 118, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 191 Grundbuch U*****, auf der sie ein Unternehmen zur Erzeugung von Spielkarten und Spielen betreibt. Die beklagte Partei ist Eigentümerin der angrenzenden Liegenschaft EZ 202. Auf dieser Liegenschaft hat sie im Jahr 1986 ein Wohnhaus errichtet, Bauführerin war die Nebenintervenientin. Schon im Zuge des Baubewilligungsverfahrens war der beklagten Partei bekannt, dass die klagende Partei in ihrem Unternehmen mit Druckereimaschinen arbeitet, die Lärm erzeugen.

Im Jahr 1991 stellte die klagende Partei eine neue Druckmaschine in ihrem Drucksaal auf, was das Magistratische Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk mit Bescheid vom 3. 5. 1991 bewilligte. Ab März 1992 beschwerten sich Mieter des benachbarten Wohnhauses der beklagten Partei über Lärmbelästigungen durch die Maschinen der klagenden Partei. Das Magistratische Bezirksamt leitete daraufhin Nachforschungen durch Schallmessungen ein. Am 21. 10. 1992 führte es eine Augenscheinsverhandlung durch, an der auch ein Vertreter der klagenden Partei beteiligt war. Schon bei dieser Verhandlung wurde erörtert, dass die Lärmbelästigung der Anrainer offensichtlich auf einem Baufehler bei der Errichtung des Wohngebäudes beruhe (Amtssachverständiger Dr. W*****), ebenso dass eine Behebung dieses Zustandes mittels Seilschnittverfahrens möglich und sinnvoll wäre. Die Magistratsabteilung 37, Baupolizei, gab im Verfahren am 21. 4. 1993 eine Stellungnahme ab. Im Jahr 1993 beschwerten sich weitere Anrainer, der ORF intervenierte. In einer weiteren Stellungnahme teilte die Baupolizei am 2. 6. 1993 mit, sie habe keine Abhilfemöglichkeit. Ende 1993 intervenierte auch die Volksanwaltschaft. Am 17. 2. und 3. 3. 1994 fanden weitere Augenscheinsverhandlungen, am 3. 3. 1994 mit Lärmpegelmessung statt. Deren Ergebnis stufte der Amtsarzt in seiner Stellungnahme vom 17. 3. 1994 als gesundheitsschädigend ein. In einer weiteren Verhandlung am 21. 3. 1994 präzisierte der Amtsarzt sein Gutachten. Bei dieser Verhandlung war auch die klagende Partei vertreten. Aufgrund der Verfahrensergebnisse ordnete das Magistratische Bezirksamt mit Bescheid vom 21. 4. 1994 an, dass die im Jahr 1991 aufgestellte Druckmaschine lediglich an Werktagen Montag bis Freitag in der Zeit von 6 bis 22 Uhr betrieben werden darf. Gegen diesen Bescheid erhob die klagende Partei Rechtsmittel. Nach weiteren Schallpegelmessungen, amtsärztlichen Gutachten und Stellungnahmen zog die klagende Partei ihre Berufung am 25. 10. 1996 zurück, weil eine weitere Einschränkung der Betriebszeiten drohte. Der im Auftrag der Gewerbebehörde von der klagenden Partei beigezogene Sachverständige DI Walter P***** führte in seiner Stellungnahme vom 16. 5. 1994 die Ursache für die Körperschallübertragungen darauf zurück, dass im Bereich der Gebäudetrennfuge Körperschallbrücken vorhanden seien. Er ging davon aus, dass die körperschalldämmende Trennfuge zwischen den Gebäudeaußenmauern unzureichend ausgebildet sei. Der Vertreter der klagenden Partei erlangte hievon am 17. 5. 1994 Kenntnis. Am 24. 10. 1996 schränkte die Gewerbebehörde den Betrieb der Druckmaschine auf die Zeit von 6 bis 18 Uhr ein. Ein weiterer gewerbebehördlicher Bescheid vom 12. 12. 1999 sieht eine weitere Einschränkung der Betriebsdauer der Druckereimaschine an Werktagen auf die Zeit von 7 bis 18 Uhr vor.

Die klagende Partei begehrte einerseits 81.772,28 EUR sA als Ersatz für bisherige Schadensbehebungsmaßnahmen und andererseits die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle Schäden, die der klagenden Partei daraus erwüchsen, dass aufgrund gewerberechtlicher Vorschreibungen zeitlich eingeschränkte Betriebszeiten verfügt würden, deren Grund unzumutbare oder gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen seien, die durch Körperschallübertragungen zwischen den aneinander grenzenden Gebäuden der Streitteile hervorgerufen würden. Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin hätten es bei den Aushubarbeiten für die Errichtung der Tiefgarage auf dem Nachbargrundstück der klagenden Partei unterlassen, die bestehenden Fundamente des Betriebsgebäudes der klagenden Partei zu sichern und zu unterfangen, wodurch es zu Setzungen gekommen sei. Darüber hinaus sei entgegen den der Baubewilligung zugrunde liegenden Plänen die ordnungsgemäße Ausbildung einer Setz und Dehnfuge zwischen den beiden Feuermauern unterlassen worden. Schon anlässlich der Bauverhandlung habe die klagende Partei darauf hingewiesen, dass mit Lärmbelästigungen aus der angrenzenden Betriebsanlage zu rechnen sei und daher ausreichende Lärmschutzmaßnahmen vorzusehen wären. Erst im August 1994 habe die klagende Partei ein Gutachten über die Möglichkeiten der Vermeidung von Körperschallimmissionen erhalten, aus dem für sie erkennbar gewesen sei, dass die zu den gewerbebehördlichen Betriebseinschränkungen führende Ursache jene unsachgemäßen Baumaßnahmen seien, die die beklagte Partei als Bauherr und die Nebenintervenientin als Bauführer aus Anlass der Aushubarbeiten und der Errichtung des angrenzenden Gebäudes zu vertreten hätten. Erst mit Rechtskraft des Bescheides der Gewerbebehörde, mit der der klagenden Partei die Einschränkung der Betriebszeiten auferlegt worden sei, sei für sie absehbar gewesen, dass ein Schaden entstehe. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die klagende Partei die Möglichkeit gehabt, Ersatzansprüche zu stellen.

Die beklagte Partei und die auf ihrer Seite dem Verfahren beigetretene Nebenintervenientin beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten Verjährung ein. Der klagenden Partei sei bereits seit 1992 bekannt gewesen, dass es zu Problemen durch Schallübertragung der Gebäude komme. Die Ursache der Körperschallübertragung, auf die sie ihr Begehren auch stütze, sei zumindest seit dem Gutachten des Sachverständigen DI P***** vom 16. 5. 1994 bekannt. Darüber hinaus seien Setzungsschäden durch Rissbildungen an der Feuermauer bereits bald nach Gebäudeerrichtung, also bereits 1986/87 erkennbar geworden. Die klagende Partei hätte ihr Feststellungsinteresse bereits damals geltend machen müssen. Die beklagte Partei sei außerdem zu einer besonderen Schallisolierung nicht verpflichtet, die Vorschriften der Bauordnung über Schalldämmung und schutz dienten keinesfalls dem Nachbargebäude, lediglich die Benützer des eigenen Hauses seien gegen Immissionen zu schützen. Der Anrainer könne aus diesen Vorschriften kein Recht ableiten. Überdies seien sämtliche Auflagen erfüllt und das Gebäude nach dem Stand der Technik errichtet worden; die Bauführung sei daher ordnungsgemäß.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Sowohl für die von der klagenden Partei erhobenen Schadenersatzansprüche als auch für nachbarrechtliche Ansprüche gemäß § 364b ABGB gelte gemäß § 1489 ABGB die dreijährige Verjährungsfrist, die mit Kenntnis von Schaden und Schädiger sowie des Kausalzusammenhangs beginne. Die Verjährungsfrist beginne nicht erst mit dem tatsächlichen Schadenseintritt, sondern grundsätzlich schon mit der Kenntnis des Geschädigten von der schädigenden Handlung, sofern ein Schadenseintritt zu diesem Zeitpunkt bereits vorhersehbar sei. Die klagende Partei habe schon im Verfahren vor der Gewerbebehörde im Jahr 1992 Kenntnis davon erlangt, dass aufgrund von Schallübertragungen in die Wohnungen des Nachbarhauses mit Betriebseinschränkungen zu rechnen sei. Jedenfalls mit der Erlassung des Bescheids vom 21. 4. 1994 sei eine Betriebseinschränkung vorhersehbar gewesen. Schon aus der gutachtlichen Stellungnahme des Sachverständigen DI P***** vom 16. 5. 1994 sei der klagenden Partei auch der Kausalzusammenhang klar geworden. Die am 16. 6. 1997 erstmals mit Feststellungsklage erhobenen Ansprüche seien daher verjährt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Es sah die fehlende Trennfuge zwischen den Gebäuden der Streitteile und die damit bestehende Körperschallbrücke als Schadensursache an. Bereits am 21. 10. 1992 sei dieser Baufehler beschrieben worden, die Verjährungsfrist sei schon damals in Gang gesetzt worden, weil Schaden und Ursachenzusammenhang sowie die Person des Ersatzpflichtigen so weit bekannt geworden seien, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg hätte eingebracht werden können. Seien die Schadenswirkungen bereits vorhanden und ließen sie sich ohne Zweifel auf das schädigende Verhalten einer Person zurückführen, so sei es nicht erforderlich, die genaue schadensstiftende Handlung zu kennen. Mit dem Entstehen des Erstschadens werde auch die Verjährung für "zeitlich gedehnte Teilschäden" ausgelöst. Der drohenden Verjährung eines Anspruchs auf Ersatz künftiger vorhersehbarer Schäden habe der Geschädigte durch Erhebung einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist vorzubeugen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete außerordentliche Revision der klagenden Partei ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, zulässig; sie ist auch berechtigt.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Schaden, den die klagende Partei ersetzt verlangt (einschließlich der Feststellung der Haftung), nicht in einer mangelhaften Bauausführung sei es eine schadensstiftende Bodenvertiefung, sei es eine unzureichende Trennfuge besteht, sondern in der die Nutzungsmöglichkeiten der Betriebsliegenschaft der klagenden Partei einschränkenden, von der Gewerbebehörde in Abänderung des früheren Bewilligungsstands verfügten Betriebsbeschränkung für die Druckmaschine Heidelberg Speedmaster CG 102 VL. Durch diese Betriebsbeschränkung ist jener rechtlich als Nachteil zu beurteilende Zustand eingetreten, an dem die klagende Partei ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen Zustand hat, was nach stRsp als Schaden anzusehen ist (RIS Justiz RS0022537). Gegenstand dieses Verfahrens ist daher der von der klagenden Partei erhobene Anspruch auf Ersatz des in der Betriebsbeschränkung liegenden Schadens (Feststellungsbegehren) und darüber hinaus jenes Aufwands, den die klagende Partei zur Abwehr oder Verminderung des Schadens gemacht hat (Kosten der Gebäudetrennung mittels Seilschnitts).

Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt nach hL und stRsp mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RIS Justiz RS0034951, RS0034524; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3, § 1489, Rz 3 mwN).

Diese kurze Verjährung von Ersatzansprüchen (§ 1489 erster Satz ABGB) wird (aber) nicht vor dem tatsächlichen Eintritt eines Schadens in Gang gesetzt (verstärkter Senat SZ 68/238; RIS Justiz RS0083144). Nach der sogenannten "gemäßigten Einheitstheorie" kann also die dreijährige Verjährungsfrist nicht vor Eintritt eines ersten (Teil )Schadens (Primärschadens) zu laufen beginnen (M Bydlinski aaO mwN). Für nicht vorhersehbare schädigende Wirkungen eines Ereignisses wird ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme oder sobald - nach einem "Primärschaden" im erörterten Sinn mit künftigen Schäden mit Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, eine neue Verjährungsfrist in Gang gesetzt (RIS Justiz RS0034559, RS0034527; M. Bydlinski aaO mwN). Die zur Begründung des Verjährungseinwands von der beklagten Partei und der Nebenintervenientin ins Treffen geführten (offenbar geringfügigen) Setzungsschäden im Zuge oder unmittelbar nach Errichtung des Wohnhauses der beklagten Partei waren daher nicht geeignet, den Lauf der Verjährungsfrist für die nunmehr zu beurteilenden Ersatzansprüche in Gang zu setzen. Offenkundig war für niemanden und daher auch nicht für die klagende Partei absehbar, dass die (geringfügige) Bewegung des Gebäudes bei oder nach dessen Errichtung Anfang der Achtzigerjahre mehr als zehn Jahre später zu Betriebsbeschränkungen für die klagende Partei führen werden, weil deren Druckereibetrieb infolge gesteigerter Körperschallübertragung in das benachbarte Wohnhaus der beklagten Partei eingeschränkt werden musste.

Es entspricht stRsp, dass im Falle von Unklarheit, ob die klagende Partei überhaupt einen Schaden erleiden werde und hierüber ein Rechtsstreit anhängig ist, der Eintritt des Schadens erst mit Eintritt der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung angenommen werden kann, die in dem Verfahren ergeht, das über den Schadenseintritt entscheidet (zuletzt 6 Ob 141/03h; RIS Justiz RS0083144 [T 1], [T 14] und [T 17]). Diese Regel ist auch auf Fälle anzuwenden, in denen wie im vorliegenden Fall der Schadenseintritt vom Ausgang eines Verwaltungsverfahrens abhängt. Der Umstand, dass das gegen die klagende Partei geführte gewerbebehördliche Verfahren ihr niemals einen Vorteil verschaffen konnte, weil es dort nur um die Notwendigkeit zusätzlicher Auflagen (Beschränkungen) ging, ändert daran nichts. Immerhin wäre ein Verfahrensausgang denkbar gewesen, welcher keine Änderung des vorherigen Zustands bewirkt hätte, was gleichbedeutend mit der Verhinderung eines Schadensereignisses gewesen wäre. Das Verfahren an sich bewirkt noch keinen Schaden, der den Lauf der Verjährungsfrist auslöst. Allfällige im Verwaltungsverfahren nicht ersatzfähige Aufwendungen (etwa Vertretungskosten) sind mit der Einleitung eines Verfahrens vor der Gewerbebehörde von Amts wegen nicht notwendigerweise verbunden. Die mit der Behauptung und dem Beweis für den Eintritt der Verjährung belastete beklagte Partei (RIS Justiz RS0034456, RS0037797 [T 1], [T 3]; M. Bydlinski aaO Rz 7) hat in erster Instanz nicht behauptet, dass der klagenden Partei im Gewerbeverfahren seit 1992 Vertretungskosten erwachsen seien, die als den Lauf der Verjährungsfrist auslösender "Primärschaden" anzusehen wären. Überdies wäre es nicht sachgerecht, dass der klagenden Partei ihre Bemühungen zur Abwendung des Schadenseintritts (Beschränkungen der Einsatzmöglichkeit der Druckmaschine) durch Beteiligung, insbesondere Erhebung von Rechtsmitteln im Gewerbeverfahren insoferne zum Nachteil gereichen sollen, als die Verjährungsfrist während des anhängigen Gewerbeverfahrens läuft (allenfalls sogar abläuft), obwohl der Schadenseintritt solange offen bleibt. Das folgt aus dem Wesen der Schadenverhinderungs bzw minderungspflicht nach § 1304 ABGB. Danach kann der Geschädigte den Beginn der Anspruchsverjährung nur nicht durch die Ergreifung offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen also im Fall eines nicht mehr abwendbaren und daher bereits unabänderlichen Schadens hinausschieben. Das entspricht der stRsp des Obersten Gerichtshofs zu § 2 Abs 2 AHG (1 Ob 9/03k; 1 Ob 199/00x; 1 Ob 373/98d = SZ 72/51) als spezifische Ausprägung der Rettungspflicht nach § 1304 ABGB (siehe dazu zuletzt Schragel , AHG3 [2003] Rz 180 f). Die Anspruchsverjährung kann daher nicht in Gang gesetzt werden, solange das Scheitern der Rettungsversuche des schließlich Geschädigten zur Vermeidung oder Minderung eines Schadens noch nicht feststeht. Es kann aber auch die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz eines auf dem Boden einer ex ante Beurteilung aussichtsreichen und daher zweckmäßigen Rettungsaufwands zur Abwendung des Eintritts eines bestimmten (anderen) Schadens nicht schon in Gang gesetzt werden, ehe noch der Erfolg oder Misserfolg der zweckmäßig ergriffenen Rettungsmaßnahme feststeht (1 Ob 9/03k).

Dass die klagende Partei die Berufung gegen die Betriebsbeschränkung ihrer Druckmaschine missbräuchlich oder in Kenntnis ihrer Aussichtslosigkeit erhoben hätte, hat die beklagte Partei nicht konkret behauptet und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Das Argument, der Beginn der Verjährungsfrist dürfe nicht von der klagenden Partei durch ihr zu missbilligendes Verhalten im Gewerbeverfahren hinausgezögert werden, verfängt daher nicht. Überdies werfen sowohl die beklagte Partei als auch deren Nebenintervenientin der klagenden Partei an anderer Stelle entgegen obigem Vorbringen vor, die Rechtsmittelmöglichkeiten gegen die gewerbebehördliche Betriebsbeschränkung nicht ausgeschöpft zu haben, weil die klagende Partei ihre Berufung im Oktober 1996 zurückgezogen habe.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der von der klagenden Partei im Juni 1997 klageweise geltend gemachte Schadenersatzanspruch im Hinblick auf den Eintritt der Rechtskraft der den Schaden begründenden gewerbebehördlichen Betriebsbeschränkung im Oktober 1996 noch nicht verjährt ist. Dies gilt in gleicher Weise für die von der klagenden Partei auf §§ 364a und 364b ABGB gestützten Ersatzansprüche, für die auch die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB gilt (RIS Justiz RS0010690; Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 364a Rz 10 mwN).

Da der von der beklagten Partei erhobene Verjährungseinwand somit nicht durchschlägt, ist die Berechtigung des von der klagenden Partei erhobenen Schadenersatzanspruchs, allenfalls des aus dem Nachbarrecht abgeleiteten Anspruchs zu prüfen. Zur Schaffung der für eine abschließende Beurteilung erforderlichen Tatsachengrundlage sind die Urteile der Vorinstanzen daher aufzuheben.

Dem von der Nebenintervenientin gegen die Schlüssigkeit des klageweise geltend gemachten Anspruchs ist aber bereits jetzt zu erwidern:

Die klagende Partei behauptet, die beklagte Partei habe die nach den Konsensplänen vorgesehene, damit aber nach der Baubewilligung vorgeschriebene "Setz und Dehnfuge" zwischen den Feuermauern der benachbarten Gebäude der Streitteile nicht ordnungsgemäß ausgeführt, was den behaupteten Schaden herbeigeführt habe. Sie macht damit eine Schutzgesetzverletzung im Sinne des § 1311 ABGB geltend. Ebenso wie Bestimmungen der Bauordnung (vgl SZ 59/92; ImmZ 1990, 287 = MietSlg 42.153 uva) sind auch Auflagen, die im Rahmen der Baubewilligung erteilt werden, als Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB anzusehen. Der Schutzzweck der Norm, hier die (unter anderem) dem Schallschutz dienenden Vorschrift der Baubewilligung über die Setz und Dehnfuge, ergibt sich aus ihrem Inhalt. Das anzuwendende Schutzgesetz ist teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten sollte (stRsp RIS Justiz RS0008775; Harrer in Schwimann, ABGB2, § 1311, Rz 8 mwN).

Entgegen der insbesondere von der Nebenintervenientin vertretenen Auffassung ist davon auszugehen, dass die allgemeinen und im konkreten Fall für die Trennfuge der benachbarten Gebäude der Streitteile angeordneten Schallschutzvorschriften nicht nur der Sicherheit und Lebensqualität der Bewohner des von der beklagten Partei errichteten Wohnhauses dienen, sondern gleichzeitig auch dem schutzwürdigen Interesse der klagenden Partei, den auf ihrer Liegenschaft bereits lange vor Errichtung des Wohnhauses der beklagten Partei betriebenen Druckereibetrieb aufrecht zu erhalten. Hiebei ist zu berücksichtigen, dass ein lebendes Unternehmen steten Veränderungen unterliegt und sich fortentwickelt. Auch eine gewisse Erweiterung, Veränderung und Erneuerung eines Betriebs ist diesem wesensimmanent und daher stets mitzuberücksichtigen. Es ist daher der klagenden Partei zumindest zuzubilligen, jenen Spielraum auszunützen, der im Falle der Einhaltung der für die Fuge der benachbarten Gebäude der Streitteile erlassenen Vorschriften (Ausführung laut dem der Baubewilligung zugrunde gelegten Einreichplan) für die Veränderung/Erweiterung des Druckereibetriebs gegenüber jenem Zustand verbleibt, der zum Zeitpunkt der Baubewilligung für das Haus der beklagten Partei erreicht war. Sollte sich also herausstellen, dass die Herstellung der die beiden Nachbargebäude der Streitteile trennenden Fuge entsprechend dem Einreichplan den Betrieb der Druckmaschine Heidelberg Speedmaster durch die klagende Partei ohne Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Bewohner des Hauses auf der Liegenschaft der beklagten Partei, insbesondere ohne Betriebseinschränkungen, erlaubt hätte, so wäre die beklagte Partei im Falle festgestellten Vorliegens der weiteren Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch bzw nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch für die Verletzung der Vorschriften betreffend die Trennfuge haftbar. Der Standpunkt der Nebenintervenientin liefe im Ergebnis auf das nach der erläuterten Rechtslage nicht zu billigende Ergebnis hinaus, dass die beklagte Partei den Baubewilligungsbescheid folgenlos habe verletzen dürfen, um die klagende Partei als Nachbarin gerade dadurch zu einer deren Produktion beeinflussenden Beschränkung des Betriebs ihrer Druckmaschine nach gewerberechlichen Gesichtspunkten zu zwingen und sich auf diese Weise ihrer eigenen baurechtlichen Verpflichtung, Maßnahmen gegen Lärmeinwirkungen zu ergreifen, auf Kosten der klagenden Partei zu entledigen.

Ebensowenig vermag der erkennende Senat der von der Nebenintervenientin vertretenen Ansicht beizutreten, dass Voraussetzung für einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB sei, dass der Schaden am Gebäude selbst entstanden sein müsse, was von der klagenden Partei nach ihrem eigenen Vorbringen aber verneint worden sei. Weder der Gesetzestext ("ein Grundstück darf nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden oder das Gebäude des Nachbars die erforderliche Stütze verliert, ...") noch die von der Nebenintervenientin ins Treffen geführte Entscheidung SZ 41/42 schließen die verschuldensunabhängige Ersatzpflicht für Vermögensschäden des Nachbarn aus, die als direkte Folge einer Zustandsveränderung am Nachbargebäude eintreten. Davon abgesehen können die durch die bauvorschriftswidrige Annäherung des Nachbargebäudes eingetretenen Körperschallbrücken, die eine Beschränkung der Nutzbarkeit eines Gebäudes verursachen, durchaus auch als Schaden an diesem Gebäude selbst (nachteilige Veränderung seiner Eigenschaften) aufgefasst werden.

Aus der in stRsp grundsätzlich anerkannten Bindung der Gerichte an Bescheide von Verwaltungsbehörden, auch wenn diese unvollständig oder sonst fehlerhaft sind (RIS Justiz RS0037096; Schragel in Fasching2 § 190 ZPO Rz 14 mwN), kann nicht abgeleitet werden, dass die von der klagenden Partei behaupteten Baumängel (Nichteinhaltung baubehördlicher Vorschriften, insbesondere durch nicht plan und damit bewilligungsgemäße Ausführung der Trennfuge zwischen den benachbarten Gebäuden der Streitteile) bereits deshalb nicht vorliegen, weil für das Wohngebäude der beklagten Partei eine rechtskräftige Benützungsbewilligung besteht. Nur das was die Verwaltungsbehörde verfügt hat, ist für das Gericht verbindlich, nicht aber die Begründung eines Verwaltungsbescheids (RIS Justiz RS0036948, insbes MietSlg 27.163 = EvBl 1976/192; Schragel aaO Rz 18 mwN). Hier ist ferner nicht der Zustand des Gebäudes etwa zum Zeitpunkt der Erteilung der Benützungsbewilligung, sondern mehr als zehn Jahre später bei Inbetriebnahme der Druckmaschine Heidelberg Speedmaster maßgeblich, sollte der beklagten Partei ein baukonsenswidriger Mangel im Bereich der Trennfuge nach allen bisherigen Erwägungen anlastbar sein, also ein Mangel, auf den die Baubehörde bei Erteilung der Benützungsbewilligung gar nicht Rücksicht nehmen konnte.

Zur Prüfung der Voraussetzung des von der klagenden Partei erhobenen Schadenersatz bzw nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sind daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und ist dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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