JudikaturVwGH

Ra 2015/18/0192 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 2015

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2015, Zlen. 1) W192 2108965- 1/3E, 2) W192 2108962-1/3E, 3) W192 2108961-1/3E und 4) W192 2108959-1/3E, betreffend Asylangelegenheiten (mitbeteiligte Parteien: 1. M, geboren 1988, und drei weitere mitbeteiligte Parteien, alle vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Der Antrag der mitbeteiligten Parteien auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird zurückgewiesen.

1. Die Revisionswerberin wies mit Bescheiden jeweils vom 26. Mai 2015 die Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) Polen für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Unter einem wurde die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gemeinsamen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt und behob die bekämpften Bescheide mit der Begründung, dass die Anträge der mitbeteiligten Parteien aufgrund der Bestimmung zum Familienverfahren (§ 34 AsylG 2005) nicht zurückgewiesen werden hätten dürfen, weil der Antrag auf internationalen Schutz des Ehegatten der erstmitbeteiligten Partei bereits zugelassen worden sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, mit der ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden ist. Die Revisionswerberin begründet diesen Antrag unter anderem damit, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Dublin III-Verordnung in Kürze ablaufen werde. Ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wäre daher jedenfalls Österreich für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz der mitbeteiligten Parteien zuständig. Die der Revision zu Grunde liegenden Rechtsfragen wären dann nicht länger relevant. Interessen der mitbeteiligten Parteien seien nicht berührt, weil sie sich auch nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung weiterhin im Asylverfahren befinden würden.

2. Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision keine aufschiebende Wirkung. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch gemäß § 30 Abs. 2 VwGG auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Ungeachtet der offenbar nicht auf Amtsrevisionen zugeschnittenen Formulierung des § 30 Abs. 2 VwGG ist die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auch bei einer Amtsrevision zulässig (vgl. VwGH vom 29. Jänner 2015, Ra 2015/12/0007, mwN). Als "unverhältnismäßiger Nachteil für die revisionswerbende Partei" ist im Fall einer Amtsrevision jedoch eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem "privaten" Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt (vgl. VwGH vom 27. Jänner 2015, Ra 2015/20/0002, mwN).

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, und es wurden die verwaltungsbehördlichen Bescheide behoben. Durch eine solche Entscheidung werden subjektive Rechte, etwa auf Beachtung der im Beschluss des Verwaltungsgerichtes ausgesprochenen Rechtsansicht gestaltet; auch eine solche Entscheidung ist daher einem Vollzug im Sinne einer Umsetzung in die Wirklichkeit zugänglich und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. etwa VwGH vom 30. Juni 2015, Ra 2015/01/0010, mwN).

3. Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-Verordnung lauten auszugsweise wie folgt:

"Artikel 29

Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

(...)

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. (...)"

4. Der Dublin III-Verordnung liegt erkennbar der Gedanke zu Grunde, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-Verordnung unterbrochen sein soll, wenn einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt.

Wenngleich die Dublin III-Verordnung primär für den Asylwerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf festlegt (vgl. Art. 29 Abs. 1 iVm Art 27 Abs. 3 Dublin III-Verordnung), schließt dies nicht aus, dass auch dem Rechtsbehelf der belangten Behörde, eine solche Wirkung zukommen kann, insbesondere um zu verhindern, dass diesem Rechtsbehelf jegliche Effektivität genommen wird.

Wie die Revisionswerberin zu Recht vorbringt, würde das rechtliche Interesse an einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vorliegende Revision wegfallen, wenn der Revision die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wird. Eine damit einhergehende unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen ist damit evident.

5. Im Übrigen haben die mitbeteiligten Parteien ihrerseits bereits in ihrer Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid den Antrag gestellt, das BVwG möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Das BVwG hat jedoch, ohne darüber zu entscheiden, das angefochtene Erkenntnis erlassen. Würde nun der Verwaltungsgerichtshof der vorliegenden Revision die aufschiebende Wirkung zuerkennen, so wäre dieser Antrag wieder unerledigt und das BVwG erneut berufen, über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf aufschiebende Wirkung zu entscheiden. Gemäß § 17 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wäre diesem insbesondere dann stattzugeben, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten würde. Eine allenfalls drohende Verletzung der mitbeteiligten Parteien in diesem verfahrensgegenständlich relevanten Grundrecht kann damit verhindert werden, sodass auch keine zwingenden Interessen der mitbeteiligten Parteien der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im hg. Verfahren entgegenstehen.

6. Dem - vor Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Frist und sohin rechtzeitig gestellten - Antrag der Revisionswerberin war daher stattzugeben.

7. Die mitbeteiligten Parteien haben in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Kosten für den Schriftsatzaufwand verzeichnet.

Dieser Antrag auf Aufwandersatz ist unzulässig, weil für Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in den §§ 47 bis 56 VwGG kein Aufwandersatz vorgesehen ist, sodass gemäß § 58 VwGG jede Partei den ihr im Provisorialverfahren erwachsenden Aufwand selbst zu tragen hat (vgl. etwa VwGH vom 6. Februar 2014, AW 2013/04/0054, mwN).

Der Antrag auf Aufwandersatz war daher zurückzuweisen. Wien, am 7. Oktober 2015

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