Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, in den Rechtssachen der Revisionen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 13. Mai 2025, 1. W175 2306950 1/12E, 2. W175 2306948 1/7E und 3. W175 23069441/12E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. S S, 2. K K, und 3. A K, alle vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf Dietrich Straße 19/5), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
1Die Erstmitbeteiligte ist die Mutter des minderjährigen Zweitmitbeteiligten und des volljährigen Drittmitbeteiligten. Die mitbeteiligten Parteien sind libanesische und türkische Staatsangehörige und stellten nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 12. November 2024 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2Mit Bescheiden je vom 20. Jänner 2025 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte fest, dass Kroatien gemäß Art. 20 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (im Weiteren: Dublin IIIVO) für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei und ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der mitbeteiligten Parteien an. Es stellte zudem fest, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Kroatien zulässig sei.
3 Gegen diese Bescheide brachten die mitbeteiligten Parteien jeweils am 28. Jänner 2025 Beschwerden beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, die mit Schreiben vom 30. Jänner 2025 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurden.
4 Am 8. Mai 2025 wurden die mitbeteiligten Parteien nach Kroatien abgeschoben.
5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen je vom 13. Mai 2025 gab das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 BFA VG statt und behob die bekämpfen Bescheide. Die Erhebung einer Revision erklärte es jeweils für gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig.
6 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit hier von Relevanz nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung fest, dass das Verfahren über den Asylantrag des Ehemannes der Erstmitbeteiligten und Vaters der zweitund drittmitbeteiligten Parteien zugelassen und dessen Antrag in erster Instanz negativ beschieden worden sei. Das Beschwerdeverfahren sei im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes bei ebendiesem anhängig gewesen, weshalb aufgrund von § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 eine Zurückweisung der Anträge der erst und zweitmitbeteiligten Parteien nicht mehr in Betracht käme. Hinsichtlich des volljährigen Drittmitbeteiligten sei wegen dessen inniger familiärer Bindung zu den erst und zweitmitbeteiligten Parteien, dem Kindeswohl des Zweitmitbeteiligten, der einer wesentlichen Bezugsperson beraubt werden würde, und einem sonst vorliegenden massiven Eingriff in ein „durchgehend bestehendes Familienleben“ vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO Gebrauch zu machen gewesen.
7 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden Revisionen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt zur Zulässigkeit der außerordentlichen Amtsrevisionen im Wesentlichen vor, die Anwendung der Kriterien des III. Kapitels der Dublin IIIVO zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates würde nicht zur Zuständigkeit Österreichs führen. Zudem könne mit Blick auf § 34 Abs. 4 AsylG 2005 dem Gesetz keine Anordnung entnommen werden, wonach sämtliche Verfahren im Familienverband, die bereits in verschiedenen Instanzen anhängig seien, ebenfalls unter einem geführt werden müssten. Auch liege bei den Ausführungen, die Überstellung der mitbeteiligten Parteien stelle einen unzulässigen Eingriff in das Privat und Familienleben dar, ein Begründungsmangel vor. In den Erkenntnissen fänden sich hierzu offensichtlich fehlerhafte, teils widersprüchliche Ausführungen.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revisiongesondert gemäß § 28 Abs. 3 VwGG vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
12Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a AsylG 2005 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung nach § 9 Abs. 2 BFAVG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
13Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits in nahezu gleichartigen Fallkonstellationen mit der Frage der Voraussetzungen für die Begründung der Zuständigkeit Österreichs im Familienverfahren auseinandergesetzt und sich in den Erkenntnissen vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/18/0192 bis 0195, sowie vom 19. Oktober 2023, Ra 2022/19/0093 bis 0094, ausführlich mit einem Vorbringen befasst, wie es auch im hier gegenständlichen Fall erstattet wurde. Darin wurde ausgesprochen, dass das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III Verordnung auszuüben istund damit eine Zurückweisungsentscheidung nach § 5 AsylG 2005 zu unterbleiben hat, wenn einer Außerlandesbringung Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK entgegenstehen, oder die Regelung über das Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 eine einheitliche Entscheidung in Bezug auf ein Familienmitglied, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich inhaltlich zu behandeln ist, erfordern. Die Zurückweisung der Anträge der mitbeteiligten Parteien war aufgrund des bereits zugelassenen Verfahrens des Ehemanns der Erstmitbeteiligten und Vaters der zweit bis viertmitbeteiligten Parteiennicht mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005 vereinbar. Dies hatwenn die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen gemäß § 5 AsylG 2005, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages des Familienvaters, nicht mehr in Betracht kommt im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III Verordnung zur Folge. Damit ist keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) verbunden. Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich in der Regel schon von Art. 10 und Art. 11 Dublin IIIVerordnung erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen wie den vorliegenden kommt daher die nationale Regelung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zum Tragen.
14Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse verwiesen.
15 Die belangte Behörde legt in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen nicht dar, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Begründung in den angefochtenen Erkenntnissen von der oben zitierten Rechtsprechung abgewichen wäre. Somit zeigen die Revisionen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG auf.
16 Weiters macht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Zulässigkeitsbegründung mit seinem Vorbringen, dem Bundesverwaltungsgericht sei bei den Ausführungen, die Überstellung der mitbeteiligten Parteien stelle einen unzulässigen Eingriff in das Privat und Familienleben dar, einen Begründungsmangel geltend.
17Sofern in diesem Zusammenhang vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht plausibel dargestellt, weshalb eine Überstellung der mitbeteiligten Parteien nach Kroatien einen unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle, und es sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen, lässt die revisionswerbende Behörde eine konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung mit ihren Vorbringen vermissen (vgl. VwGH 26.3.2025, Ra 2025/20/0091, mwN). Insbesondere verabsäumt sie es, konkret auszuführen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und aufgrund welcher Umstände diese zu anderen Entscheidungen hätten führen können.
18 In den Revisionen wird sohin keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juli 2025