JudikaturBVwG

W256 2288320-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. Dezember 2024

Spruch

W256 2288320-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geboren am XXXX StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Jänner 2024, Zl. 1328229403/223195032, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungzu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) im österreichischen Bundesgebiet. In der Folge wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu seinen Fluchtgründen an, in Syrien herrsche Bürgerkrieg, er wolle keine Waffen tragen und nicht sterben.

Am 29. September 2023 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA, belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, er werde vom syrischen Regime wegen des Militärdiensts gesucht. Außerdem sei er von Angehörigen von HTS in Idlib festgenommen und misshandelt worden, weil er nicht am Mittagsgebet teilgenommen habe. Er habe auch Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch HTS.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gem. § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Aussagen des Beschwerdeführers über den Ausreisezeitpunkt aus Syrien widersprüchlich gewesen seien. Die angeblichen Misshandlungen durch Al Nusra lägen viele Jahre zurück, außerdem könnte sich der Beschwerdeführer dem Schutz der syrischen Behörden unterstellen. Der Beschwerdeführer könnte sich zudem vom Militärdienst freikaufen.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aus Gewissensgründen sowie politischen Gründen den Wehrdienst für jegliche Gruppierung verweigere. Ein Freikauf komme für ihn nicht infrage, weil er kein verbrecherisches Regime unterstützen wolle. Er befürchte bei Rückkehr nach Syrien eine Einziehung zum Militärdienst des Regimes bzw. eine Verfolgung durch HTS. Eine legale und sichere Rückreise über die Türkei oder den Irak sei nicht möglich. Auch aufgrund seiner illegalen Ausreise und Asylantragstellung in Europa werde ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Schließlich habe er während des Studiums auch an vielen Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen. Als Herkunftsregion des Beschwerdeführers sei Aleppo Stadt anzunehmen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Am 8. Mai 2024 erfolgte eine Bescheidberichtigung gemäß § 62 Abs 4 AVG in Bezug auf den Namen des Beschwerdeführers.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden den Verfahrensparteien folgende Länderinformationen zum Parteiengehör übermittelt:

„1. LIB Version 11, 27.03.2024

2. EUAA Country Guidance Februar 2023

3. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021

4. The Danish Immigration Service: Treatment Upon Return, Mai 2022

5. EUAA-Bericht Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, Juni 2021

6. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Sicherheitslage in Syrien mit bes. Fokus auf Regierungsstreitkräfte, 14.11.2022

7. Country of origin information (COI), Syria Recruitment to Opposition Groups, December 2022

8. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien, Rekrutierungspraxis der syrischen Regierungsstreitkräfte, 14.11.2022“

Mit Eingabe vom 26. November 2024 übermittelte der Beschwerdeführer „Fotos von der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime in Wien“.

Am 2. Dezember 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er werde vom syrischen Regime wegen des Wehrdiensts sowie der Teilnahme an Demonstrationen gesucht. Außerdem sei sein Vater bedroht worden, weil er sein Auto nach einer Beschlagnahme zurückgefordert habe. Schließlich fürchte er eine Zwangsrekrutierung durch HTS angesichts seines Studienabschlusses sowie eine weitere Verfolgung wegen einer falschen Verdächtigung im Jahr 2014.

Im Anschluss an die Verhandlung brachte der Beschwerdeführer eine ergänzende Stellungnahme ein. Außerdem gewährte das Gericht am 4. Dezember 2024 den Parteien Gehör zu zwei weiteren Länderberichten der Staatendokumentation zu den Grenzübergängen bzw. der aktuellen HTS-Offensive.

Am 18. Dezember 2024 gewährte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu der durch den Sturz des Assad-Regimes geänderten Situation in Syrien. Am Folgetag langte eine Stellungnahme dazu ein. Darin wurde im Wesentlichen auf die behauptete Verfolgung durch HTS verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und sunnitischer Moslem (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1 f; Niederschrift des BFA, S. 7; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 4).

Er wurde am XXXX in Syrien in der Provinz Idlib in XXXX geboren, wuchs aber im Wesentlichen in Aleppo Stadt auf, wo er bis etwa 2012 lebte, als seine Familie wieder nach Idlib zog, um dem syrischen Regime zu entgehen. Ende März 2014 reiste der Beschwerdeführer aus Syrien in die Türkei aus, von wo er im August 2022 nach Europa weiterreiste. In Aleppo besuchte der Beschwerdeführer 12 Jahre lang die Schule. Im Anschluss studierte er zwei Jahre lang an der Universität Aleppo und erhielt ein Abschlusszeugnis im Bereich CNC-Technik. Darüber hinaus arbeitete er im Lebensmittelhandel (Niederschrift der Erstbefragung, S. 2, 3; Niederschrift des BFA, S. 5, 6, 7; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 5, 6, 7).

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. In Syrien (Idlib) leben noch sein Vater sowie vier Brüder und eine Schwester, ein weiterer Bruder wohnt im Libanon. Der Vater besitzt ca. 3 ha Grund (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 3; Niederschrift des BFA, S. 4; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 6, 7).

Aleppo Stadt (samt näherer Umgebung) steht derzeit unter der Kontrolle der islamistischen Gruppierung HTS (https://syria.liveuamap.com/).

Durch eine Ende November 2024 gestartete Großoffensive der Gruppierung HTS gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 8. Dezember 2024 zu einem Machtwechsel in Syrien: Assad setzte sich nach Russland ab, die HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung. Die Soldaten der von Assad befehligten Syrischen Arabischen Armee wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in das nunmehr von HTS kontrollierte Gebiet rund um Aleppo Stadt eine Zwangsrekrutierung oder Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung durch das syrische Regime drohen würde. Außerdem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Syrien oder Österreich Verfolgung durch das (nicht mehr existierende) syrische Regime zu erwarten hätte.

Schließlich konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seitens HTS eine zwangsweise Rekrutierung oder eine Bestrafung im Zusammenhang mit einem Vorfall Anfang 2014 zu erwarten hätte.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf. Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA. Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte. Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (LIB S. 155 f).

Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:

Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. (…)

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.

(…)

Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.

(…)

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben. (…)

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln sowie zum Teil aus den in dieser Hinsicht jeweils glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen – Angaben zu zweifeln.

Was den Ausreisezeitpunkt betrifft, besteht eine Divergenz zwischen den Angaben des Beschwerdeführers in der polizeilichen Erstbefragung und seinen späteren Aussagen im Verfahren. Da er letztere Aussagen (Ausreise im März 2014) im Wesentlichen gleichlautend tätigte und insofern kein Grund für eine bewusste Falschaussage bei der Erstbefragung ersichtlich ist, war der März 2014 als Ausreisezeitpunkt festzustellen.

Dass Aleppo Stadt (samt näherer Umgebung) aktuell (nach dem Ende November 2024 gestarteten Großangriff) unter der Kontrolle von HTS steht, ergibt sich aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/ (Zugriff zum Entscheidungszeitpunkt) sowie aus dem damit übereinstimmenden Vorbringen des Beschwerdeführers.

Die aktuelle politische Lage nach dem Sturz des Assad-Regimes ergibt sich aus den zitierten Auszügen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Dezember 2024. Angesichts dieser Entwicklungen gibt es derzeit keine staatliche Wehrpflicht in Syrien. Mangels einer staatlichen Wehrpflicht droht dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in das nunmehr von HTS kontrollierte Gebiet keine zwangsweise Rekrutierung zu einem staatlichen Wehrdienst.

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime von Präsident Assad, sei es u.a. in Bezug auf seine Wehrdienstverweigerung oder wegen der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen, ist nach dem Sturz dieses Regimes und der Machtübernahme durch eine oppositionelle Übergangsregierung nicht mehr anzunehmen.

Was die angeblichen Demonstrationsteilnahmen betrifft, ist aber noch Folgendes auszuführen, zumal es die generelle Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch in seinem weiteren Vorbringen betrifft:

Der Beschwerdeführer brachte erst in der Beschwerde vor, dass er in Aleppo während seiner Studienzeit an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen habe. Als Grund des späten Vorbringens führte er an, dass es sowohl bei der Erstbefragung als auch vor dem BFA Schwierigkeiten mit dem Dolmetscher aufgrund dessen Akzentes gegeben habe, weil er ein Ägypter gewesen sei. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass der Dolmetscher vor der Polizei und dem BFA nicht ident war. Derartige Schwierigkeiten in beiden Fällen, sodass der Beschwerdeführer das betreffende Vorbringen jeweils mit keinem Wort erstatten hätte können, sind auch angesichts der jedenfalls beim BFA nachweislich erfolgten Rückübersetzung sowie der Erklärung des Beschwerdeführers, er habe alles verstanden (Niederschrift S. 14), nicht anzunehmen. Schon allein deshalb ist das Vorbringen wenig glaubhaft.

Doch auch die nähere Erläuterung in der Verhandlung sieht das erkennende Gericht als nicht stimmig an: Der Beschwerdeführer will zwar zum einen genau wissen, dass während der regimekritischen Demonstrationen Befürworter des Regimes „Daten und Informationen weitergegeben“ hätten (Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 8). Woher er diese Information nehme, konnte er jedoch nicht nachvollziehbar erklären, wobei er sich auf die vage Aussage beschränkte, seine Nachbarn in Aleppo hätten ihn informiert, dass er seitens des Regimes gesucht werde. Noch weniger glaubhaft schilderte der Beschwerdeführer angebliche persönliche Bedrohungen seitens des Regimes: „Immer als ich unterwegs war und ich einen Checkpoint passieren musste, wurde ich bedroht. Mir wurde gesagt ‚heute bist du davongekommen, morgen vielleicht nicht‘. Ich musste dann einen anderen Weg finden, um rein- bzw. rauszukommen.“ Es entspricht nicht dem aus den Länderinformationen bekannten Vorgehen des syrischen Regimes, einen ertappten politischen Gegner einfach so davonkommen zu lassen, ohne irgendwelche Repressalien zu verhängen oder auch nur ein Bestechungsgeld zu fordern. Zudem überzeugt auch die Aussage des Beschwerdeführers nicht, er habe durch seinen Aufschub des Militärdiensts bis 2012 unbehelligt in Aleppo leben können (Verhandlungsschrift S. 9). Denn der Aufschub betraf eben nur den Militärdienst, und nicht allfällige Repressalien wegen Demonstrationsteilnahmen. Auch der Verweis auf die Internetseite „Zaman Alwasel“ ging fehl, zumal der Beschwerdeführer in seiner ergänzenden Stellungnahme im Anschluss an die Verhandlung einräumte, dass auf dieser Seite lediglich das „Gesuchtwerden“ wegen des Militärdiensts aufscheine. All diese Ungereimtheiten mindern die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch in Bezug auf sein Vorbringen HTS betreffend.

Schließlich ist noch auf das Vorbringen rund um eine angebliche Verfolgung durch Al Nusra/HTS im Zusammenhang mit einem Vorfall Anfang 2014 einzugehen: Dazu ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer eine solche Verfolgung in der polizeilichen Erstbefragung nicht erwähnte, sondern dort nur vom Bürgerkrieg und einem drohenden Tod im Krieg sprach. Zwar dient die Erstbefragung nicht der näheren Ermittlung der Fluchtgründe (§ 19 Abs 1 AsylG), zumindest schlagwortartig hätte der Beschwerdeführer sein entsprechendes Vorbringen aber jedenfalls erstatten können.

Vor dem BFA (Niederschrift S. 8 ff) sagte er aus, dass Personen, die zur Al Nusra (jetzt: HTS) gehört hätten, ihn am 8. Jänner 2014 festgenommen hätten, weil er nicht am Mittagsgebet teilgenommen habe. In der Folge hätten sie ihn in einen kleinen Raum verbracht und mehrere Wochen lang täglich gefoltert, wobei der Beschwerdeführer im Detail die Foltermethoden schilderte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sei er dann drei Richtern vorgeführt worden, die ihn befragt hätten. Im Zuge dessen sei er mehrmals zur Mitarbeit bei Al Nusra aufgefordert worden, zum einen bei der Reparatur von Waffen angesichts seines Studiums, zum anderen beim Dolmetschen aufgrund seiner Englischkenntnisse. Er habe das alles abgelehnt, sei dann in ein Gefängnis verbracht und schließlich am 28. Jänner 2014 mit einer Geldstrafe von $ 150 freigelassen worden. „Im Abstand von 10-15 Tagen“ sei dann eine Person zu ihm nach Hause gekommen, „um mich wieder zum Glauben zu bekehren, mich zu belehren“. Aus Angst habe er dann seine Ausreise aus Syrien organisiert und sei Ende März schließlich ausgereist.

In der Verhandlung bestätigte der Beschwerdeführer diese Angaben (Verhandlungsschrift S. 10). Hinsichtlich der weiteren Rekrutierungsversuche nach seiner Freilassung Ende Jänner 2014 sagte er Folgendes aus (Verhandlungsschrift S. 12): „Sie sind alle sieben bis zehn Tage mittels Boten zu mir und haben ihn beauftragt, dass er mich zurechtweist. Sie haben gehofft, dass ich mich so anschließe oder mich überzeugen lasse, dass sie doch nicht so schlimm sind, wie in meinen Vorstellungen. Als sich diese Besuche häuften, habe ich den Entschluss gefasst, auszureisen. Sie sind in diesem Zeitraum vier bis fünf Mal insgesamt zu mir gekommen.“ Dabei fällt (abgesehen von einer gewissen zeitlichen Divergenz zwischen „10-15 Tagen“ und „sieben bis zehn Tagen“) vor allem auf, dass der Beschwerdeführer hier den Grund der Besuche in einer versuchten Zwangsrekrutierung verortet, während er vor dem BFA ausdrücklich gemeint hat, man habe versucht, ihn zum Glauben zu bekehren. Eine derartige Absicht passt aber wiederum nicht zur Aussage des Beschwerdeführers in der Verhandlung, dass die Mitglieder von Al Nusra ihm am Ende seiner Haft „geglaubt“ hätten, dass er kein Ungläubiger oder Oppositioneller sei (Verhandlungsschrift S. 11).

Abgesehen von diesen Widersprüchen in sich und dem fehlenden Vorbringen in der Erstbefragung ist auch auf das LIB (S. 155 f) zu verweisen, wonach die HTS grundsätzlich keine zwangsweisen Rekrutierungen vornimmt, sondern in erster Linie auf religiös und ideologisch loyale Freiwillige setzt, an denen es grundsätzlich auch nicht mangelt. Mag es auch im Einzelfall nicht ausgeschlossen sein, dass jemand, der für diese Gruppierung besonders brauchbar und wichtig erscheint, doch zwangsweise zu rekrutieren versucht wird, konnte der Beschwerdeführer eine solche Gefahr gerade nicht glaubhaft machen: Denn hätte al Nusra den „Wert“ des Beschwerdeführers im Zuge seiner Haft und der Befragungen tatsächlich erkannt, wäre es abwegig, dass man ihn gegen schlichte Bezahlung einer Geldstrafe freigelassen hätte. Auch die angeblich wiederholten (laut Beschwerdeführer vier bis fünfmal erfolgten) Besuche eines HTS-Angehörigen bis zu seiner Ausreise deuten gerade darauf hin, dass HTS ihn freiwillig zu gewinnen statt zwangsweise zu rekrutieren versuchte. Der Beschwerdeführer brachte nicht vor, dass während dieser Besuche in irgendeiner Weise Gewalt angewendet oder Drohungen ausgesprochen worden wären. Gerade seine Aussage in der Verhandlung, „sie haben gehofft, dass ich mich so anschließe oder mich überzeugen lasse, dass sie doch nicht so schlimm sind, wie in meinen Vorstellungen“ (Verhandlungsschrift S. 12), weist darauf hin, dass man eben versucht hat, ihn von der Ideologie von HTS zu überzeugen bzw. herauszufinden, ob er für eine Mitarbeit loyal genug sei. Gleiches (Überzeugungsarbeit statt Zwang) gilt für seine Aussage vor dem BFA (Niederschrift S. 9 f): „Er sagte mir, sie lassen mich frei, ich kann aber nachdenken, zurückkehren, für sie arbeiten, dann hätte ich eine gute Position bei ihnen.“ Gegen eine Zwangsrekrutierung spricht letztlich auch die vom Beschwerdeführer indirekt bestätigte Tatsache, dass seine im HTS-Gebiet lebenden Familienangehörigen keinen Repressionen seinetwegen ausgesetzt sind („Sie versuchen sich zu distanzieren“: Verhandlungsschrift S. 12). Eine Gefahr der zwangsweisen Rekrutierung kann daher vor diesem Hintergrund und angesichts der Länderberichte nicht erkannt werden.

Was eine angeblich weiterhin drohende Bestrafung wegen der ursprünglichen falschen Verdächtigung im Zusammenhang mit dem Mittagsgebet betrifft, so deutete der Beschwerdeführer in der Verhandlung lediglich unsubstantiiert an, es sei bereits ein Akt mit seinem Namen erstellt worden und HTS wolle alle loswerden, die verdächtigt werden, mit der syrischen Regierung zusammenzuarbeiten (Verhandlungsschrift S. 11). Aus diesen vagen Mutmaßungen kann aber nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer trotz seiner Freilassung gegen eine Geldstrafe von HTS weiterhin wegen des Vorfalls im Jänner 2014 verfolgt werden würde, zumal er selbst im Widerspruch gegen eine weitere Verdächtigung wie oben geschildert aussagte, man habe ihm am Ende der Befragungen „geglaubt“ und ihn sogar für eine Zusammenarbeit gewinnen wollen.

Im Ergebnis ist daher – selbst bei Wahrunterstellung der wesentlichen Ereignisse rund um die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers – eine drohende zwangsweise Rekrutierung oder Bestrafung seitens HTS für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten – dem Beschwerdeführer übermittelten – Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch nichts substantiiert Gegenteiliges vorgebracht hat.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2021/234 (im Folgenden: AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78 (im Folgenden: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 2011/337, 9 [im Folgenden: Statusrichtlinie] verweist).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).

Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art 9 Abs 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn 19, mwN).

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der VwGH geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK angeführten Gründen erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (VwGH 11.10.2000, 2000/01/0326).

Die Heranziehung zum Militärdienst durch die Behörden eines souveränen Staates erlangt dann Asylrelevanz, wenn eine Schlechterstellung, schlechtere Behandlung oder Unterwerfung unter ein strengeres Strafregime bestimmter, nach Religion oder sozialer Gruppe oder politischer Gesinnung abgegrenzter Personen der zum Wehrdienst herangezogenen Personen droht. Dieser Maßstab gilt aber nicht bei der Zwangsrekrutierung durch eine Rebellenarmee. Die Zwangsrekrutierung durch eine christliche Rebellenarmee, welche alle männlichen Christen ab einem bestimmten Lebensjahr umfasst, bildet allein für sich keinen Asylgrund (VwGH 08.09.1999, 99/01/0167).

Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen durch die Milizen der Asylwerber auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).

Als Verfolgungshandlungen gegen Wehrdienstverweigerer kommen – im Lichte des Unions-rechts – insbesondere solche nach Art. 9 Abs. 2 lit. b, c und e Statusrichtlinie in Betracht, also etwa diskriminierende bzw. unverhältnismäßige Maßnahmen, Strafverfolgung oder Bestrafung (Art. 9 Abs. 2 lit. b und c) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 fallen (Art. 9 Abs. 2 lit. e); Letzteres betrifft u.a. Fälle, in denen der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde, einschließlich solcher, in denen der Asylwerber nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (vgl. EuGH 26.02.2015, C-472/13, Rs. Shepherd). Hätte der Wehrpflichtige seinen Militärdienst im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs abzuleisten, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, so besteht nach den Ausführungen des EuGH eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem – allenfalls noch nicht bekannten – Einsatzgebiet dazu veranlasst sein würde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung der betreffenden Verbrechen teilzunehmen (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 28, mit Hinweis auf EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ).

Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie müssen die Verfolgungshandlungen, denen derjenige, der gemäß dieser Bestimmung als Flüchtling anerkannt werden möchte, nach seinen Angaben ausgesetzt ist, aus seiner Verweigerung des Militärdienstes resultieren. Die Verweigerung des Wehrdienstes muss das einzige Mittel darstellen, das es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie zu entgehen (vgl. VfGH 20.09.2022, E 1138/2022, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH). Der Umstand, dass der Antragsteller kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, schließt daher jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie aus, sofern er nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand (vgl. EuGH 26.02.2015, C-472/13, Rs. Shepherd, Rn. 45 f).

Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EUAA, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Hinblick auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 erst dann zu prüfen, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber „in der Heimatregion seines Herkunftsstaats“ Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. etwa VwGH 25.05.2020, Zl. Ra 2019/19/0192).

Der VwGH hält in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Ra 2023/18/0370) fest, dass in Fällen, in denen Asylwerber nicht aufgrund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang aufgrund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten (Zustand innerer Vertreibung), der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen ist. Ob ein solches „Fuß fassen“ gelang, hängt laut VwGH davon ab, ob der Asylwerber „enge Bindungen“ zum neuen Ort entwickeln konnte. Bisweilen wandte der Gerichtshof das Kriterium der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf den Zufluchtsort an (siehe Erkenntnis zu 2005/01/0057).

Die jüngste Rechtsprechung behandelte zwei ähnlich gelagerte Fälle zu Syrien als Herkunftsland, die aber doch unterschiedlich entschieden wurden: in seinem Erkenntnis zu Ra 2021/19/0024 hatte der VwGH einen Fall zu beurteilen, wo eine syrische Staatsangehörige, die ursprünglich aus Aleppo stammte, die letzten vier Jahre vor ihrer Ausreise in Afrin gelebt hatte, weil die Sicherheitslage in Aleppo schlecht gewesen und das Haus der dortigen Asylwerberin zerstört worden sei. Während ihres Aufenthaltes in Afrin habe sie sich nicht ohne Kleidungsverhüllung in die Öffentlichkeit gewagt und sich vor Vergewaltigung gefürchtet. Sie habe sich in Afrin als Frau nicht frei bewegen können und habe in Angst vor geschlechterspezifischen Verfolgungshandlungen gelebt. Ausgehend davon wertete der Gerichtshof den Aufenthalt in Afrin nicht als freiwillige Neuansiedelung, sondern als Zustand innerer Vertreibung, und nahm den ursprünglichen Wohnort in Aleppo als Heimatregion an.

Anders entschied der VwGH in der Entscheidung zu Ra 2021/19/0442, wo eine syrische Staatsangehörige ebenfalls wegen des Krieges von Aleppo nach Afrin gezogen war, in Afrin aber bereits zuvor in ihrer Kindheit aufgewachsen war und dort bis zu ihrer Eheschließung gelebt hatte. Dieser langjährige Aufenthalt von klein auf in einem Dorf nahe Afrin schlage sich laut VwGH auch darin nieder, dass die Asylwerberin in der Verhandlung ihre Übersiedlung nach Afrin als Rückkehr in ihr Heimatdorf dargestellt und in der Beschwerde Afrin als Heimatstadt bezeichnet habe. Fallbezogen billigte der Gerichtshof die Einschätzung, die Asylwerberin habe in Afrin (wieder) Fuß fassen können, weshalb ihre Heimatregion dort zu verorten sei.

In der rezenten Entscheidung zu Ra 2023/18/0370 wiederum verwies der VwGH auf die relativ kurze Zeit von drei Jahren (gegenüber zwölf Jahren am Geburtsort), die der dortige Asylwerber an seinem Zufluchtsort verbracht hatte. Trotz Verwandten und Arbeitstätigkeit am Zufluchtsort wären vor allem angesichts des unfreiwilligen Umzugs und des jungen Alters (15 bei der Ausreise aus Syrien) die Beziehungen zum Geburtsort näher zu prüfen gewesen.

Auf Basis der dargestellten Rechtsprechung ist als Heimatregion des Beschwerdeführers im Herkunftsland das Gebiet um Aleppo Stadt anzusehen, zumal er dort zwar nicht geboren wurde, jedoch zumindest seine Kindheit und Jugend bis zum Alter von etwa zwanzig Jahren verbrachte, zur Schule ging, studierte und arbeitete. Die nachfolgende kurze Zeit von nur rund zwei Jahren an seinem Geburtsort in Idlib kann angesichts des unfreiwilligen und nur kurzen Umzugs dorthin außer Betracht bleiben. In diesem Zusammenhang betont der VwGH in seiner bisherigen Judikatur, dass die Tatsache der Unfreiwilligkeit eines Umzugs im Herkunftsland zu berücksichtigen ist und in einem solchen Fall („Zustand innerer Vertreibung“) die Herkunftsregion nicht ohne weiteres am letzten Wohnort anzunehmen ist (zur bisherigen Judikatur vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370; 09.03.2023, Ra 2022/19/0317; 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; 30.04.2021, Ra 2021/19/0024). Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen ist im Ergebnis das Gebiet um Aleppo Stadt als Herkunftsregion des Beschwerdeführers anzusehen.

Wie festgestellt, droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine nunmehr von HTS kontrollierte Herkunftsregion keine zwangsweise Rekrutierung oder Verfolgung durch das nicht mehr existierende syrische Regime.

Schließlich konnte in Bezug auf seine Herkunftsregion auch keine drohende Zwangsrekrutierung oder Bestrafung seitens HTS festgestellt werden.

Im Ergebnis ist es dem Beschwerdeführer somit insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen für sich genommen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass dem Beschwerdeführer gerade aufgrund seiner individuellen Situation zum Entscheidungszeitpunkt der Status des subsidiär Schutzberechtigten von der belangten Behörde bereits zuerkannt wurde.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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