JudikaturBVwG

W189 2308410-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
30. Juli 2025

Spruch

W189 2308410-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.01.2025, Zl. 1327074904-223088937, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.07.2025 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine Staatsangehörige von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 02.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Sie gab an, zuletzt in XXXX gewohnt zu haben und der Religionsgemeinschaft des Islam sowie der Volksgruppe der Somali anzugehören. Sie habe zuletzt als Hausfrau gearbeitet. Ihre Eltern, ihr Ehemann und ihr Bruder seien verstorben. In Somalia habe sie einen Sohn und zwei Töchter. Sie habe außerdem einen Sohn, der an einem ihr nicht bekannten Ort in der EU lebe. Die BF habe Somalia im Jänner 2022 legal mit einem somalischen Reisepass in die Türkei verlassen. Den Pass habe sie verloren. Ihre Schleppung habe sie selbst organisiert. Zu ihrem Ausreisegrund gab sie zu Protokoll, dass Mitglieder der Al Shabaab ihren Sohn wegen Zwangsrekrutierung mitgenommen hätten. Ihr Sohn sei zum Glück geflohen. Die Mitglieder seien zu ihr gekommen und hätten ihren Mann getötet. Sie sei aus XXXX zu ihrem Bruder geflohen, der in Mogadischu lebe. Dort hätten die Mitglieder der Terrorgruppe ihren Bruder und seine Frau getötet. Daher habe sie sich entschieden, ihr Heimatland zu verlassen. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat fürchte sie um ihr Leben.

2. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) am 05.12.2024 wurde die BF zu ihrem Fluchtgrund und ihren Lebensumständen näher befragt.

3. Mit Bescheid des BFA vom 13.01.2025 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihr wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht am 03.07.2025 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht nicht fest. Sie ist eine Staatsangehörige von Somalia und gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime sowie dem Clan der Hawiye, Subclan Abgal, Subsubclan XXXX an. Sie ist in dem nordöstlich von Mogadischu gelegenen Küstenort XXXX , Region Middle Shabelle, geboren und aufgewachsen. Dort heiratete sie ihren Ehemann, mit dem sie eine Landwirtschaft mit Kühen und Ziegen betrieb und vier Kinder (zwei Töchter und zwei Söhne) bekam. Nachdem die BF mit ihrer Familie ein Jahr in der Stadt Jowhar lebte, zogen sie acht Jahre vor der Ausreise der BF nach Europa gemeinsam aus freien Stücken in die Stadt Mogadischu, Bezirk XXXX , wo die BF ein Lebensmittelgeschäft betrieb und sich dadurch ein neues Leben aufbaute.

Entgegen dem Vorbringen der BF reiste sie nicht deswegen aus Somalia aus, weil sich ihr Sohn einer Rekrutierung durch die Al Shabaab entzogen habe und die Gruppierung sowohl ihren Ehemann, als auch ihren Bruder und dessen Ehefrau ermordet sowie der BF mit dem Tod gedroht habe. Diese Vorfälle sind nicht passiert und es waren und sind weder die BF noch ihre Angehörigen einer Bedrohung durch die Al Shabaab ausgesetzt.

Dementsprechend leben ihr Ehemann und ihr Bruder mit seiner Ehefrau ebenso wie ihre zwei Töchter und ein Sohn sowie ihr Schwager weiterhin in Mogadischu und besteht auch Kontakt zu ihnen. Bei der BF handelt es sich dadurch in ihrem Heimatort auch nicht um eine alleinstehende, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau, sondern untersteht sie dem Schutz ihrer Angehörigen und ihres Clans. Ebenso wenig droht ihr in Somalia eine erneute Genitalverstümmelung.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

1.2.1. Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

1.2.2. Frauen

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).

Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).

Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).

Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).

Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).

Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).

Sexuelle Gewalt - Puntland: Nur in Puntland kriminalisiert ein Gesetz alle Formen sexueller Gewalt (MBZ 6.2023; vgl. UNFPA 14.4.2022), Vergewaltigung ist explizit verboten (Sahan/SWT 9.2.2024). Es gibt eine von UNFPA unterstützte, mobile Rechtshilfe-Klinik, die Frauen und Mädchen aus vulnerablen und marginalisierten Gruppen berät und rechtlich unterstützt (GN 10.11.2022a). Insgesamt wird das o. g. Gesetz aber nicht ausreichend implementiert, manche Gerichte entscheiden weiterhin nach dem alten Strafgesetz (MBZ 6.2023). Zudem überwiegt oft der Druck der Ältesten, wonach ein Opfer den Täter heiraten muss, oder aber Kompensation bezahlt wird (AQ21 11.2023).

Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).

1.2.3. Weibliche Genitalversütmmelung und –beschneidung (FGM/C)

Arten bzw. Typen der Beschneidung: Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65f). Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM/C, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM/C vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (Gudniinka Fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (Gudniinka Sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29), laut einer dritten Quelle WHO Typ IV (MoHDSL/UNFPA 2021) und schließlich laut einer vierten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). Demnach wird die Sunna nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (Sunna Kabir) und die kleine Sunna (Sunna Saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 41ff/66f). De facto kann laut Quellen unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern laut einer Quelle oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Bei einer Studie aus Somaliland wird die Sunna hingegen als WHO Typ IV bezeichnet ("... andere verletzende Prozeduren an den weiblichen Genitalien für nicht-medizinische Zwecke, z. B. einstechen, durchstechen, einritzen, ausschaben, verätzen."). Teilnehmer der Studie beschreiben zwei Arten der Sunna: Einerseits jene Form, bei welcher eine eingeschränkte Beschneidung ("Small Cut") sowie ein Vernähen mit ein oder zwei Stichen erfolgt; andererseits eine mildere Form, bei welcher die Klitoris mit einer Nadel eingestochen wird und keine weiteren Misshandlungen erfolgen - insbesondere kein Vernähen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Prävalenz: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 22.4.2024; vgl. AA 23.8.2024) und bleibt die Norm (Landinfo 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022). Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

Trend weg von der Infibulation und hin zu Sunna: Die Infibulation ist insgesamt zurückgedrängt worden, dies wird von zahlreichen Quellen bestätigt (Omer2/ALRC 17.3.2023; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015; FGMCRI o.D.; Landinfo 14.9.2022; LIFOS 16.4.2019, S. 14f/39; DIS 1.2016, S. 7; FIS 5.10.2018, S. 30f; PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22ff; BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 1f). Der Trend geht in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022).

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 69). Viele Menschen – v. a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022), der gesellschaftlich auf Akzeptanz trifft (Landinfo 14.9.2022). So werden in Mogadischu junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Eine Rolle spielen hierbei religiöse Überlegungen. Bei einer Studie in Somaliland haben religiöse Führer angegeben, dass alle Rechtsschulen des Islam die Infibulation bzw. die pharaonische Beschneidung verbieten. Demgegenüber ist die Sunna gemäß der in Somalia am meisten verbreiteten Shafi'i-Schule obligatorisch, während z. B. die Hanafiya eine Beschneidung zwar zulässt, diese aber nicht fordert (MoHDSL/UNFPA 2021).

Gesellschaft: Außerdem sprachen sich in einer Umfrage aus dem Jahr 2017 42,6 % gegen die Tradition von FGM aus (AV 2017, S. 19). Allerdings gaben nur 15,7 % an, dass in ihrer Gemeinde („Community“) FGM nicht durchgeführt wird (AV 2017, S. 25). Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation, während es kaum Unterstützung für eine völlige Abschaffung von FGM gab (CEDOCA 9.6.2016, S. 7). Die Unterstützung für FGM/C ist jedenfalls gesunken (BMC/Yussuf/et al. 2020, S. 2). Zum Beispiel wurden in Cadaado (Mudug) im November 2020 nur noch 28 von 278 Eingriffen als Infibulation ausgeführt, im Dezember waren es 22 von 222. Dahingegen sind es Anfang 2019 noch über 200 Infibulationen pro Monat gewesen. Auch hier hat sich die Sunna durchgesetzt (RE 15.2.2021). Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht so weit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als Sunna bezeichnet wird (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 70).

Wer eine Beschneidung veranlasst bzw. entscheidet: Nach Angaben mehrerer Quellen liegt üblicherweise die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; Landinfo 14.9.2022, S. 11; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85; MoHDSL/UNFPA 2021). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. wird die Entscheidung "manchmal" gemeinsam getroffen (MoHDSL/UNFPA 2021). Laut einer Quelle geht es bei dieser Entscheidung aber weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022).

Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f) oder aber eine vermeintlich gemeinsame Entscheidung für eine mildere Sunna wird nachträglich von der Mutter - ohne Wissen des Vaters - zu einer Infibulation "korrigiert" (MoHDSL/UNFPA 2021). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter oft maßgeblich in die Entscheidung involviert (Landinfo 14.9.2022, S. 11; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 85) bzw. üben sie signifikanten Einfluss aus (UNFPA 8.10.2023). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). In einer somaliländischen Studie wird angegeben, dass Mütter die Schlüsselrolle spielen, an zweiter Stelle stehen die Großmütter. Manchmal fordern Mädchen auch selbst eine Beschneidung ein (MoHDSL/UNFPA 2021).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26).

Motivation: Der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, ist der Druck, sozialen Erwartungen und Normen gerecht zu werden (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 82). FGM gilt als Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die somalische Kultur gelten die "drei weiblichen Schmerzen" als integraler Bestandteil des Frauseins: Die Beschneidung, die Hochzeitsnacht und das Gebären. Nicht zuletzt glauben viele Frauen, dass die Beschneidung im Islam verpflichtend vorgesehen ist (MoHDSL/UNFPA 2021).

Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73). Es herrscht die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung (MoHDSL/UNFPA 2021). Mitunter üben nicht-beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Die Beschneidung wird als Ehre für ein Mädchen erachtet, als Investition in die Zukunft. Das Mädchen wird dadurch von der Gesellschaft akzeptiert, gilt als züchtig und verheiratbar und gewährleistet voreheliche Jungfräulichkeit (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 38f; Landinfo 14.9.2022, S. 11). Außerdem gilt eine Infibulation als ästhetisch (Landinfo 14.9.2022, S. 10; vgl. UNFPA 4.2022).

Durchführung: Die Mehrheit der Beschneidungen wird von traditionellen Beschneiderinnen (Guddo) vorgenommen (MoHDSL/UNFPA 2021). Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (UNFPA 4.2022; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021; FGMCRI o.D.). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (Landinfo 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021; vgl. MoHDSL/UNFPA 2021) und in erster Linie dann, wenn die Eltern nur eine Sunna durchführen lassen wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). FGM/C erfolgt also zunehmend im medizinischen Bereich – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. In Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM Clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f).

Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73f). Auch eine somaliländische Quelle berichtet, dass die Beschneidung mit einer Feier in der Nachbarschaft verbunden ist (MoHDSL/UNFPA 2021). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).

Alter bei der Beschneidung: Diesbezüglich gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos sowie UNFPA nennen ein Alter von 5-10 bzw. 5-9 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39; vgl. UNFPA 8.10.2023). Eine größere Studie aus dem Jahr 2020 nennt für Somalia folgende Zahlen: 71 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren ist im Alter von 5-9 Jahren beschnitten worden, 28 % im Alter von 10-14 Jahren und jeweils unter 1 % unter 5 und über 15 Jahren (DNS/Gov Som 2020). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (FGMCRI o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt demnach auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (Landinfo 14.9.2022).

In Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). In einer Studie aus dem Jahr 2020 werden für Somaliland folgende Zahlen genannt: 57 % der Mädchen wurden im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, 41 % zwischen 10 und 14 Jahren, 1 % noch danach (MoPNDSL 2021).

Eine Quelle erklärt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022). Auch in der Studie aus dem Jahr 2020 ist dieser Trend zu erkennen. Unter den 40-49-jährigen Frauen wurden 67 % im Alter von 5-9 Jahren beschnitten, bei der Gruppe der 15-19-jährigen sind es hingegen 73 % (DNS/Gov Som 2020). Auch in Somaliland ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna laut Angaben einer Quelle auf 5-8 Jahre gesunken (PC/Powell/Yussuf 1.2018, S. 22). In den Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2020 ist ein derartiger Trend hingegen nicht ablesbar (MoPNDSL 2021).

Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S. 6).

Abolition: In der Diaspora nimmt die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (Landinfo 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften z. B. in Borama, Garoowe oder Mogadischu, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich die Haushalte gemeinschaftlich gegen jegliche Art von FGM (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65). Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 65; vgl. Landinfo 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41). So kann es auch vorkommen, dass in der Diaspora lebende Mädchen „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen werden, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Andererseits nimmt der Druck in der jüngeren Generation ab, manche junge Menschen sehen keinen Grund für die Stigmatisierung und Diskriminierung von Unbeschnittenen (MoHDSL/UNFPA 2021).

Eine andere Quelle erklärt, dass der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung darstellt, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen eine Beschneidung ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (Landinfo 14.9.2022). Jedenfalls gibt es trotz aller Widrigkeiten sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9) und auch Frauen, die sich offen dazu bekennen. So berichtet etwa eine Studienteilnehmerin, dass sie als Kind sehr an ihrer Verstümmelung gelitten hat. Deswegen hat sie ihre Töchter nicht beschneiden lassen und drängt auch andere Eltern zu diesem Schritt. Einige wenige Teilnehmerinnen an der besagten Studie haben offen erklärt, ihre Töchter nicht anrühren zu wollen (MoHDSL/UNFPA 2021). Manche Mütter in Gemeinden, wo Aufklärung hinsichtlich der negativen Folgen einer Genitalverstümmelung stattgefunden hat, bekennen sich offen dazu, dass an ihren Töchtern eine solche nicht vorgenommen worden ist (ÖB Nairobi 10.2024).

Mehrere Studien zeigen, dass 2-4 von 100 Frauen nicht beschnitten sind (MoHDSL/UNFPA 2021; vgl. DNS/Gov Som 2020). Beschneiderinnen berichten von einem geringeren Einkommen, weil Eltern ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen (MoHDSL/UNFPA 2021).

1.2.4. Reinfibulation, Defibulation

Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).

Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).

Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).

Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).

Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).

Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).

Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).

1.2.5. Arbeitsmarkt

Generell finden Frauen v. a. im informellen Sektor Beschäftigung, vielen mangelt es aber an Bildung (AQ21 11.2023). Gerade für vom Land in Städte ziehende Frauen bietet sich deswegen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an (VOA/Maruf 11.4.2023). Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft oder stellen Gebetsmatten her (VOA/Maruf 11.4.2023). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM/Fanning 6.2018, S. 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, S. 24f; vgl. OXFAM/Fanning 6.2018, S. 10). Viele der Hunderten Straßenreiniger in Mogadischu sind Witwen und die alleinigen Geldverdiener ihrer Familien. Das höchste hier verfügbare Einkommen beträgt 150 US-Dollar im Monat; manche bekommen Essensrationen. Die Stadtverwaltung versucht auch, männliche Reinigungskräfte anzuwerben, hat aber wenig Erfolg. Viele Männer weigern sich demnach, solche Arbeiten zu verrichten (AJ 21.7.2022).

1.2.6. Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und anderer terroristischer Gruppen

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats bzw. Vorgehens durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2024; vgl. USDOS 30.6.2024; ÖB Nairobi 10.2024) sowie deren lokale Angestellte (BMLV 7.8.2024);

nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. BS 2024; MBZ 6.2023); die öffentlichen Institutionen Somalias werden von al Shabaab als unislamisch erachtet (MBZ 6.2023);

Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023; USDOS 30.6.2024) im sowie abseits des Dienstes (MBZ 6.2023);

Politiker von Bund und Bundesstaaten (MBZ 6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; BS 2024); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen. Laut einer Quelle haben hochrangige Politiker eine höhere Priorität (MBZ 6.2023);

mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 22.4.2024) und ehemalige oder pensionierte Staatsvertreter - z. B. vormalige Bezirksvorsteher (TSD 20.9.2023; vgl. Sahan/SWT 6.3.2024);

Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 22.4.2024); Mitarbeiter werden mitunter beschuldigt, das Christentum verbreiten zu wollen (USDOS 30.6.2024).

Wirtschaftstreibende (Sahan/SWT 7.9.2022), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen, aber auch, wenn sie die Regierung unterstützen oder einem Clan angehören, der in die Militäroffensive involviert ist (MBZ 6.2023). Ins Visier geraten mitunter auch jene, welche auf Anordnung der NISA an den eigenen Gebäuden Überwachungskameras der Sicherheitsbehörden installiert haben (HIPS 7.5.2024);

Älteste und Gemeindeführer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. USDOS 22.4.2024; MBZ 6.2023); gemäß somalischen Regierungsangaben aus dem Jahr 2022 hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert (KM 31.8.2022). Älteste, die nicht oder nicht ausreichend mit der Gruppe kooperieren, werden mitunter eingeschüchtert, entführt oder ermordet (MBZ 6.2023). In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Ältesten ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben (BMLV 9.2.2023; vgl. UNSC 15.6.2023; Sonna 12.4.2023; INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies betrifft insbesondere Älteste der Hawadle (BMLV 7.8.2024; vgl. HO 21.3.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IO-D/STDOK/SEM 4.2023), aber z. B. auch Älteste in der Region Gedo (Sahan/SWT 17.11.2023) und der Saleban (MBZ 6.2023), Abgaal in Middle Shabelle und vereinzelt Älteste in Mudug (BMLV 7.8.2024);

Unterstützer der Macawiisley, z. B. zivile Informanten; ganze Gemeinden sind von Rachemaßnahmen bedroht (Sahan/Petrovski 3.5.2024);

Wahldelegierte (UNSC 15.6.2023; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; MBZ 6.2023) und deren Angehörige (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 10.10.2022); in der Vergangenheit hat al Shabaab alle, die an Wahlen teilnehmen, als Apostaten bezeichnet und sie zu potenziellen Zielen für Anschläge erklärt (Sahan/SWT 9.6.2023; vgl. MBZ 6.2023). Von Anfang 2021 bis Juli 2023 gab es mehr als 50 diesbezügliche Vorfälle, 71 % davon in Mogadischu (ACLED 28.7.2023). Doch auch etwa in Bay und Bakool wurden Delegierte getötet (Sahan/SWT 21.8.2023);

Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 22.4.2024);

prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten bzw. Organisationen der Zivilgesellschaft (USDOS 22.4.2024; vgl. MBZ 6.2023);

religiöse Führer (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. MBZ 6.2023); laut einer Quelle hat es aber in der jüngeren Vergangenheit keine Attentate auf religiöse Führer gegeben (MBZ 6.2023).

Journalisten (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 22.4.2024);

Humanitäre Kräfte (BS 2024; vgl. MBZ 6.2023);

Telekommunikationsarbeiter (USDOS 22.4.2024);

mutmaßliche Kollaborateure und Spione - siehe auch weiter unten (HRW 11.1.2024; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; BS 2024; USDOS 22.4.2024);

Deserteure (MBZ 6.2023); siehe dazu Wehrdienst und Rekrutierungen / Al Shabaab - Deserteure und ehemalige Kämpfer

als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2024) oder Blasphemiker (USDOS 30.6.2024) bzw. Personen, die nicht der Glaubensauslegung von al Shabaab folgen (z. B. Sufis) (BMLV 7.8.2024); siehe dazu Religionsfreiheit

(vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staates in Somalia (ISS) (AA 23.8.2024; vgl. HO 26.3.2023); den ISS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020);

Personen, die einer Schutzgelderpressung ("Steuern") nicht nachkommen; siehe dazu Recht und "Steuer"-Wesen bei al Shabaab

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 7.8.2024).

Spionage und Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 23.8.2024). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 11.1.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Beispiele für Hinrichtungen: Im Jänner 2024 werden in Jilib sieben Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung, die Regierung von Jubaland, die USA und Kenia öffentlich exekutiert (Halqabsi 15.1.2024). Im Juni 2023 werden in Kunyo Barrow, Lower Shabelle, fünf Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung und ausländische Nachrichtendienste öffentlich durch Erschießen exekutiert (SMN 16.6.2023).

Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt (STDOK 8.2017, S. 40f). So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten (Sahan/KM o.D.) - nach Angaben einer Quelle wird ihr Beruf aber nicht der einzige Grund für die Exekution gewesen sein, die Frauen haben vermutlich die Zusammenarbeit mit al Shabaab verweigert (BMLV 7.8.2024).

Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden (STDOK 8.2017, S. 40ff). So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet (ATMIS/Caasimada 2.7.2021). Generell sind jedenfalls das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen: a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (STDOK 8.2017, S. 40ff).

Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein "Angebot" von al Shabaab abzulehnen (BMLV 7.8.2024).

Grundsätzliche Ziele: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (BMLV 9.2.2023). Hotels werden i.d.R. angegriffen, um die Entrichtung von Steuern und Abgaben einzumahnen. Möglicherweise anwesende Staatsvertreter gelten hierbei als „Draufgabe“. Ausnahmen dazu können vorkommen, etwa, wenn ein Anschlag einer bestimmten Feier in einem Hotel gilt oder wenn sich dort gleichzeitig drei Minister befinden würden. Anschläge auf Cafés und Restaurants fallen entweder ebenfalls in die Kategorie „Mahnung“ oder sollen Schlagzeilen machen - etwa wenn ein Anschlag auf Fußballzuschauer verübt wird, um daran zu erinnern, dass Fußball aus Sicht von al Shabaab „un-islamisch“ ist (BMLV 7.8.2024).

Die meisten Anschläge außerhalb von Mogadischu richten sich gegen Sicherheitskräfte und vermehrt auch Führungspersonen aus Clans, die sich dem Kampf gegen al Shabaab verpflichtet haben (AA 23.8.2024). Gemäß einer Aussage einer Quelle der FFM Somalia 2023 stellt das letztgenannte Phänomen aber eine Ausnahme dar, denn üblicherweise wird eine Person nicht durch den eigenen Clan(Hintergrund) zum Ziel, sondern durch das eigene Tun und Handeln (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Drohungen: Eine Quelle der FFM Somalia 2023, deren Mitarbeiter in vielen Teilen Somalias arbeiten, erklärt, dass Bedrohungen durch al Shabaab nicht überprüfbar sind. Tatsächlich ist oft unklar, wer hinter einer Drohung steht, ob es um den Arbeitgeber geht oder um Persönliches oder um ein Familienmitglied (weil z. B. der Vater Polizist ist). Kein Mitarbeiter dieser großen Organisation hat bisher wegen Drohungen die Organisation verlassen müssen (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle der FFM erläutert diesbezüglich: Wenn eine Person eine Textnachricht von al Shabaab erhalten hat und darin nur Drohungen ausgesprochen und keine Forderungen gestellt werden, dann ist es oft schwierig, tatsächlich al Shabaab als Absender festzustellen. Die Nachricht kann auch von einer anderen Quelle stammen, die dafür eigene Motive hat. Zusätzlich agiert al Shabaab als Stellvertreter anderer mafiöser Strukturen. Wenn z. B. ein Mord aufgrund von wirtschaftlichen oder Clan-Interessen ausgeführt wird, kann dieser von al Shabaab vollzogen werden - oder aber die Gruppe wird dafür verantwortlich gemacht (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Ausweichmöglichkeiten: Wenn al Shabaab eine Person bedroht, kann diese natürlich auch flüchten. Manche tun dies auch – mitunter aus Angst und in der Gewissheit, dass die Regierung sie nicht beschützen kann, weil dieser die entsprechenden Kapazitäten fehlen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Laut zweier Quellen kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken (BMLV 7.8.2024; vgl. AI 13.2.2020, A. 36). Dies kann beispielsweise für eine Person gelten, die vom eigenen Clan z. B. im Bezirk Jowhar für eine Rekrutierung bei al Shabaab vorgesehen gewesen wäre und sich nach Mogadischu abgesetzt hat; nicht aber prominentere Personen, die vor al Shabaab auf der Flucht sind. Al Shabaab verfügt also generell über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BMLV 7.8.2024).

Al Shabaab stellt keine Haftbefehle aus. Eine Suche läuft durch ihre eigenen, entwickelten Informationssysteme. Die Gruppe weiß, wie man Personen aufspürt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Nach Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann al Shabaab in Städten wie Mogadischu jedermann aufspüren (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) bzw. ist es schwierig, sich effektiv zu verstecken (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Da in größeren Städten bestimmte Subclans oft in bestimmten Stadtteilen leben, kann al Shabaab eine Person auch über das Clansystem ausfindig machen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist man in Somaliland, Garoowe und Bossaso vor al Shabaab einigermaßen sicher. Der Gruppe mangelt es dort demnach an Kapazitäten und Personal. Allerdings kann es auch dort zu Drohungen kommen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 7.8.2024).

Der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland bzw. mit einigen Zellen in Mogadischu. Die Hauptziele des ISS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes und Polizisten. Zudem wendet sich der ISS hier und auch in Mogadischu gegen Angehörige von al Shabaab sowie gegen jene Personen (v. a. Händler und Geschäftsleute), die sich weigern, Abgaben bzw. Schutzgeld zu entrichten (BMLV 7.8.2024; vgl. TSD 12.11.2023).

1.2.7. Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Verweigerung einer Rekrutierung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wie viele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan (BMLV 7.8.2024). So kann es dann z. B. zur Entführung oder Ermordung unkooperativer Ältester kommen (MBZ 6.2023). Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufs (BMLV 7.8.2024; vgl. MBZ 6.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 7.8.2024). Generell haben größere Clans aufgrund gegebener Ressourcen eher die Möglichkeit, sich von Rekrutierungen freizukaufen, als dies bei Minderheiten der Fall ist (MBZ 6.2023). Insgesamt besteht offenbar Raum für Verhandlungen. Wenn die Gruppe beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Schülern für ihre Schulen verlangt, kann ein Clan entweder Kinder zum Besuch dieser Schulen schicken oder für eine bestimmte Anzahl von Schülern anderer Clans bezahlen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Eine andere Möglichkeit besteht in der Flucht (MBZ 6.2023). Eltern schicken ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022). Junge Männer flüchten mitunter nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Andererseits berichtet ein Augenzeuge, dass jene Jugendlichen, die nach Absolvierung einer Schule der al Shabaab vor einer möglichen Zwangsrekrutierung nach Mogadischu geflohen sind, bald wieder in die Heimat zurückkehrten, weil ihre Eltern bestraft worden sind (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In anderen Fällen sind gleich ganze Familien vor einer Rekrutierung der Kinder geflohen, viele endeten als IDPs (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle erklärt, dass, wer sich generell Rekrutierungen widersetzt, bedroht oder in Haft gesetzt wird (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, S. 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es meist zu Gewalt (BMLV 7.8.2024; vgl. UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität der BF nicht fest. Zumal sie aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihr in ihren im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben zu ihrer Staats-, Religions- und Clanzugehörigkeit gefolgt werden. Ebenso kann das Vorbringen der BF zu ihrer örtlichen Herkunft und ihren Lebensumständen in Somalia – abgesehen von jenen Umständen, die sie zur Flucht aus ihrem Herkunftsland gezwungen hätten – entsprechend der Feststellungen als wahr unterstellt werden.

Soweit die BF nämlich erzählte, dass sie Somalia verlassen habe, weil ihr Sohn sich einer Rekrutierung durch die Al Shabaab entzogen habe und sowohl ihr Ehemann, als auch ihr Bruder (und seine Ehefrau) ermordet und der BF mit dem Tod gedroht worden sei, ist sie nicht glaubhaft.

Das zeigt sich zunächst darin, dass die BF mit ihrem Fluchtvorbringen an den von ihrem Sohn vorgetragenen Ausreisegrund anknüpft, der in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über dessen Antrag auf internationalen Schutz aufgrund seiner vagen, detaillosen und nicht plausiblen Schilderung für nicht glaubhaft befunden wurde (S. 16 ff in XXXX ). Dessen Angaben lassen sich auch nicht mit den Schilderungen der BF in Einklang bringen. So führte ihr Sohn etwa betreffend die Suche der Al Shabaab nach ihm im Haus der Familie aus, dass sein Vater versucht habe zu verhindern, dass die Männer in deren Haus kommen, aber diese mit Gewalt eingedrungen seien (S. 11 in XXXX ). Den Beschreibungen der bei dem Vorfall anwesenden BF lässt sich aber nicht einmal ansatzweise ein erzwungener Zutritt in das Haus durch die Terroristen entnehmen (AS 130). Auf die anderslautende Erzählung ihres Sohnes angesprochen, verwies die BF im Wesentlichen nur darauf, dass ihr Sohn das von seinem jüngeren Bruder erfahren habe (Verhandlungsprotokoll S. 10). Damit vermag sie die Diskrepanz aber keinesfalls zu erklären, zumal die BF der Darstellung ihres Sohnes nicht entgegentrat und auch sonst nicht ersichtlich ist, weshalb er unzutreffende Informationen von seinem Bruder erhalten sollte. Folglich wäre aber zu erwarten gewesen, dass auch die BF dieses wesentliche Detail angeführt hätte, wenn ihre Behauptungen der Wahrheit entsprächen.

Zudem fällt auf, dass die BF im Rahmen der Beschwerdeverhandlung versuchte, ihre Aussage an die Angaben ihres Sohnes anzupassen und sich dadurch in erhebliche Widersprüche verstrickte. Das betrifft etwa die Frage, ob ihr Sohn in Somalia einen Führerschein verfügte, als Fahrer arbeitete und die Familie ein Fahrzeug besaß (AS 133, Verhandlungsprotokoll S. 5 und S. 6 in XXXX ). Insbesondere weisen aber ihre Erklärungen zum Zeitpunkt der Entführung ihres Sohnes gravierende Ungereimtheiten auf. So schilderte sie vor dem BFA im Rahmen der freien Erzählung des Fluchtgrundes noch, dass die Al Shabaab eines Tages ihren Sohn, der ein Tierhüter gewesen sei, zur Zusammenarbeit aufgefordert habe und drei Tage später die Tiere am Nachmittag alleine zurückgekommen seien. Nachgefragt gab sie aber weiter an, dass ihr Sohn mit den Tieren am Vormittag auf das Land gegangen sei (AS 129 f), weshalb sich die kurz zuvor erwähnte Zeitspanne von drei Tage nicht nachvollziehen lässt. Außerdem antwortete sie später ausdrücklich, dass ihr Sohn am Vormittag entführt worden sei (AS 131). Den Beschreibungen ihres Sohnes zufolge hätte sich dies jedoch nachmittags ereignet (S. 10 und 13 in XXXX ). Vor der erkennenden Richterin vermochte die BF plötzlich die Tageszeit der Entführung nicht einmal mehr annähernd zu nennen, sondern meinte lediglich, dass ihr Sohn bei den Kühen gewesen sei. Die BF konnte aber nicht erklären, weshalb sie dazu ein halbes Jahr nach ihrer Einvernahme vor dem BFA nicht mehr in der Lage sei. Vielmehr verneinte sie auf Vorhalt ihre damalige Angabe bloß unter Verweis darauf, dass die Kühe am späten Nachmittag zurückgekommen seien (Verhandlungsprotokoll S. 10).

Vor diesem Hintergrund kann den Behauptungen der BF zum Rekrutierungsversuch der Al Shabaab betreffend ihren Sohn nicht gefolgt werden. Im Übrigen ist in diesem Kontext anzumerken, dass sich der nicht bestrittenen Länderinformation zu Somalia nicht entnehmen lässt, dass Eltern von Rekrutierungsverweigerern einer Todesgefahr ausgesetzt wären. Zwar wird ein Bericht eines Augenzeugen erwähnt, wonach Jugendliche, die nach Absolvierung einer Schule der Al Shabaab nach Mogadischu geflohen seien, aufgrund einer Bestrafung der Eltern bald wieder in die Heimat zurückkehrten. Abgesehen davon, dass der Sohn der BF keine Schule der Al Shabaab besucht habe (S. 5 f in XXXX ), finden sich nicht einmal Beispiele, für eine Exekution der Verweigerer selbst, weshalb eine solche der Eltern noch weniger anzunehmen ist.

Aber auch abgesehen davon vermochte die BF vor der erkennenden Richterin eine Gefährdung ihrer Person in Somalia nicht überzeugend darzulegen:

Betreffend den Grund für die Ermordung ihres Ehemannes nahm die BF vor der erkennenden Richterin zunächst bloß auf die von der Al Shabaab angestrebte Rekrutierung ihres Sohnes Bezug und führte auch auf dahingehende Nachfrage keine weiteren Ursachen ins Treffen (Verhandlungsprotokoll S. 8). Erst explizit nachgefragt, ob ihr Ehemann wegen seiner Ablehnung gegenüber einer Mitnahme seines Sohnes umgebracht worden sei, führte die BF aus, dass die Al Shabaab auf der Suche nach dem Sohn in einem Koffer/einer Box eine alte Uniform und Bilder von ihrem Ehemann im Dienst als Sicherheitskraft der ehemaligen Regierung entdeckt habe; er sei sowohl wegen der Flucht des Sohnes als auch wegen der aufgefundenen Gegenstände getötet worden (Verhandlungsprotokoll S. 8). Dabei erschließt sich in keiner Weise, weshalb die BF nicht schon auf die ursprüngliche Frage nach dem Auslöser für die Tötung ihres Ehemannes auch auf dessen vormalige Tätigkeit im Militär hinwies.

Darüber hinaus erweisen sich ihre weiteren Darstellungen dazu als nicht plausibel und widersprüchlich. Einerseits vermochte die BF nicht aufzuklären, weshalb die Al Shabaab auf der Suche nach ihrem Sohn den Koffer/die Aufbewahrungsbox kontrollieren sollte, sondern verwies bloß auf ihre Schilderung, wonach die Unterkunft durchsucht worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 8). Andererseits weicht diese Erzählung insofern von ihrer Angabe vor dem BFA ab, als dieser zufolge die Al Shabaab „ein Dokument“ – nachgefragt: einen Ausweis ihres Mannes von der Arbeit – entdeckt habe (AS 130 f). Ihren damaligen Schilderungen kann aber nicht einmal ansatzweise entnommen werden, dass auch weitere verhängnisvolle Gegenstände aufgestöbert worden seien, weshalb auch ihre Argumentation, wonach sie gefundene „Dokumente“ erwähnt habe, die Diskrepanz nicht beseitigen kann. Ebenso erwähnte ihr Sohn in dessen Asylverfahren nur ein Dokument des Vaters, wonach dieser den Sicherheitskräften angehört habe (S. 11 in XXXX ). Ihrem diesbezüglichen Rechtfertigungsversuch, wonach der Sohn bereits auf der Flucht gewesen sei (Verhandlungsprotokoll S. 9), ist ferner entgegen zu halten, dass diesem sein Bruder gleich darauf alles erzählt habe (S. 11 in XXXX ). Damit konfrontiert, konnte die BF keine nachvollziehbare Begründung nennen, sondern wies bloß im Wesentlichen erneut darauf hin, dass ihr Sohn nicht anwesend gewesen sei und „die Dokumente“ gefunden worden seien (Verhandlungsprotokoll S. 9).

In diesem Zusammenhang erschließt sich ferner nicht, weshalb die Al Shabaab den Ehemann der BF, der ihren weiteren Beschreibungen zufolge zuletzt als Fischer und Landwirt gearbeitet habe, Jahrzehnte später wegen seiner Arbeit für die Regierung töten wolle (Verhandlungsprotokoll S. 9). Dazu erklärte die BF bloß, dass die Al Shabaab „einfach so“ Menschen töte (Verhandlungsprotokoll S. 9). Der vorliegenden Länderinformation kann aber nicht entnommen werden, dass ehemalige Regierungssoldaten viele Jahre später einer gezielten Gefahr durch die Al Shabaab ausgesetzt sind und entspricht dies auch nicht der allgemeinen Lebenserfahrung. Wie bereits erwähnt, lassen sich der vorliegenden Berichtslage im Übrigen keine Hinweise auf die Tötung der Eltern von Rekrutierungsverweigerern entnehmen.

Die BF vermochte damit aber nicht glaubhaft darzulegen, dass ihr Ehemann von Anhängern der Al Shabaab umgebracht worden sei. Folglich ist davon auszugehen, dass dieser weiterhin am Leben ist und mit der BF sowie ihren gemeinsamen Kindern bis vor ihrer Ausreise zusammenlebte.

Ferner berichtete die BF im Rahmen ihrer Erstbefragung noch, dass die Mitglieder der Terroreinheit ihren Bruder und seine Frau getötet hätten (AS 29). In der freien Erzählung des Fluchtgrundes vor dem BFA ließ die BF ihre Schwägerin aber vollkommen unerwähnt (AS 130 f). Auch wenn sie in weiterer Folge auf dahingehende Nachfrage ausführte, dass diese in Mogadischu vor etwa 5 Jahren bei einer Explosion neben vielen weiteren Menschen ums Leben gekommen sei (AS 132), erschließt sich nicht, weshalb sie deren Tötung zwar erstbefragt als einen ausreisekausalen Vorfall anführte, diesen jedoch vor dem BFA im Zuge der wesentlich umfänglicheren Erzählung ihrer Gründe für das Verlassen ihrer Heimat von sich aus nicht einmal ansatzweise andeutete. Ihre Argumentation, wonach sie aufforderungsgemäß auf die ihr gestellten Fragen geantwortet habe (Verhandlungsprotokoll S. 10), ist angesichts der protokollierten Anweisung der Einvernahmeleiterin, alle fluchtursächlichen Ereignisse zu erzählen (AS 129), als bloße Schutzbehauptung zu werten. Eine nachvollziehbare Begründung für ihr Aussageverhalten, konnte die BF trotz mehrmaliger Nachfrage nicht ins Treffen führen (Verhandlungsprotokoll S. 10). Zudem sind ihre Erklärungen zu deren Todeszeitpunkt massiv widersprüchlich. Während sie vor dem BFA angab, dass ihr Bruder vor drei und dessen Frau vor fünf Jahren – und somit zwei Jahre vor dem Bruder – verstorben sei (AS 132), behauptete die BF in der Beschwerdeverhandlung, dass ihre Schwägerin fünf Jahre vor ihrem Bruder umgebracht worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 10). Entsprächen ihre diesbezüglichen Ausführungen der Wahrheit, so wäre der BF jedenfalls zumutbar gewesen, diesen einprägsamen Vorfall zumindest ungefähr gleichbleibend zeitlichen einzuordnen.

Aber auch ihre Schilderung betreffend die Tötung ihres Bruders auf einem Markt weichen insofern voneinander ab, als sie vor dem BFA dazu noch beschrieb, infolge dieses Vorfalls bis zum nächsten Tag bewusstlos gewesen zu sein (AS 131). Vor der erkennenden Richterin behauptete sie demgegenüber, dass sie (nur) bis zum Abend das Bewusstsein verloren habe (Verhandlungsprotokoll S. 11). Ihr diesbezüglicher Rechtfertigungsversuch, wonach sie gemeint habe, am nächsten Tag in der Früh aufgewacht zu sein (Verhandlungsprotokoll S. 11), ist aber bloße Schutzbehauptung zu werten. Insbesondere nicht erklärlich ist, weshalb sie in diesem Kontext erwähnen sollte, dass sie am nächsten Tag aufgewacht sei.

Betreffend den in der Folge erhaltenen Drohanruf konnte die BF zudem nicht nachvollziehbar darlegen, woher sie wisse, dass dieser von der Al Shabaab stamme. Demnach habe sie die Nummer anderen Leuten gezeigt, welche diese gekannt hätten (Verhandlungsprotokoll S. 12). In Anbetracht ihrer Erklärung, wonach die Al Shabaab nicht nur eine einzige Telefonnummer verwende, vermochte sie aber nicht einmal ansatzweise zu erklären, woher man wissen sollte, welche Nummern der Al Shabaab zugeordnet sind. Vielmehr meinte sie dazu bloß, dass die Leute ihr das so erklärt hätten (Verhandlungsprotokoll S. 12). Zusätzlich erschließt sich nicht, weshalb die Al Shabaab die BF – unter der Annahme einer auf ihre Person bezogenen Tötungsabsicht – nicht sogleich mit ihrem Bruder auf dem Markt erschossen habe, anstatt ihr am Folgetag mit dem Tod zu drohen. Dies vermochte die BF auch nicht durch ihren Verweis auf den Ort des Vorfalls mitten am Markt näher zu begründen (Verhandlungsprotokoll S. 12), zumal die Täter sich dadurch offenbar nicht von der Ermordung ihres Bruders hätten abschrecken lassen und damit die Aufmerksamkeit ohnedies bereits auf sich gezogen hätten.

Darüber hinaus erklärte die BF, befragt nach dem Grund für eine sie selbst betreffende Tötungsabsicht der Al Shabaab, bloß, dass ihr Mann schon „längst“ getötet worden sei und sie ihrem Bruder auf telefonische Nachfrage ihren Aufenthalt im Bezirk mitgeteilt habe (Verhandlungsprotokoll S. 10). Erst auf Wiederholung der Frage verwies sie überaus vage auf ihre „Arbeit im Bezirk“ (Verhandlungsprotokoll S. 11). Welche Arbeit sie ausgeübt habe, beantwortete sie aber zunächst nur ausweichend unter Anführung einer gegen sie gerichteten Todesdrohung, bevor sie auf neuerliche Nachfrage schließlich die Straßenreinigung nannte (Verhandlungsprotokoll S. 11). Dabei fällt aber vordergründig auf, dass die BF sowohl in der Erstbefragung, als auch vor dem BFA zu ihren Lebensumständen betreffend ihren Beruf nur ihre Tätigkeit als Hausfrau und die Landwirtschaft ihrer Familie verwies (AS 11 und 126). Zudem erklärte sie am Beginn in ihrer Einvernahme vor dem BFA zu ihrer Erstbefragung noch, dass ihre damaligen Angaben vollständig seien und nichts zu ergänzen habe (AS 123). Erst im Rahmen der freien Erzählung ihres Fluchtgrundes führte sie schließlich ihre Reinigungstätigkeit an. Da die BF diese Arbeit ihrer Schilderung zufolge etwa zwei Jahre nach ihrem Umzug nach Mogadischu begonnen (AS 130) und somit die letzten sechs Jahre vor ihrer Ausreise ausgeübt habe, wäre aber jedenfalls zu erwarten gewesen, dass sie diese Beschäftigung schon zuvor genannt hätte. Darüber hinaus sei die BF entsprechend ihrer weiteren Darstellung gerade aufgrund dieser Beschäftigung zum Zielobjekt der Al Shabaab geworden (Verhandlungsprotokoll S. 11), weshalb sich nicht erschließt, dass die BF diesen wesentlichen Faktor der auf ihre Person bezogenen Gefährdung in der Erstbefragung nicht zumindest andeutete, sondern damals vielmehr „nur“ die Ermordung ihrer Familienangehörigen anführte.

Auch ihre Erklärungen in der Beschwerdeverhandlung vermögen diese Ungereimtheiten nicht zu beseitigen. Zwar führte sie nunmehr betreffend ihre Schul- und Berufsausbildung von sich aus an, „kurz“ in einem Geschäft und für den Bezirk als Reinigungskraft gearbeitet zu haben, auf Vorhalt ihres bisherigen Aussageverhaltens dazu, wies sie aber lediglich auf ihren Wohnort am Land hin (Verhandlungsprotokoll S. 4). Auch auf neuerliche Nachfrage erklärte sie bloß, am Land keiner Arbeit nachgegangen zu sein und „kurz am Schluss“ mit Hilfe ihres Bruders ein Geschäft betrieben zu haben; die Reinigungstätigkeit nannte sie aber in diesem Kontext ebenso wenig wie auf die folgende Frage, wie lange sie gearbeitet habe (Verhandlungsprotokoll S. 4). Zudem lassen sich ihre weiteren Antworten nicht mit ihrer Schilderung vor dem BFA vereinbaren. So verneinte sie etwa, dass sie dadurch ihre Familie habe ernähren können (Verhandlungsprotokoll S. 4), während sie zuvor noch ausdrücklich das Gegenteil meinte und dazu erklärte, sich dort ein Leben aufgebaut und ein normales Leben geführt zu haben (AS 130). Auch hinsichtlich der Dauer dieser Arbeitstätigkeit widersprechen sich ihre Angaben. So beschrieb sie vor dem BFA noch, dass ihr Bruder für sie ein Geschäft eröffnet habe und nach zwei Jahren für sie eine Arbeit in der Straßenreinigung gefunden habe, wobei sie danach weiterhin gekocht und Abendessen verkauft habe (AS 130 f). Vor dem Bundesverwaltungsgericht blieb ihre Erklärung dazu, was sie betreffend ihre Arbeit unter „kurz am Schluss“ meine, zunächst überaus vage, indem sie nur ihren achtjährigen Aufenthalt in Mogadischu sowie die Eröffnung des Geschäfts anführte (Verhandlungsprotokoll S. 4). Dazu bejahte sie zunächst, seit ihrem Aufenthalt in Mogadischu ein Lebensmittelgeschäft betrieben zu haben (Verhandlungsprotokoll S. 4 f). Auf neuerlichen Vorhalt der soeben erwähnten Zeitangabe behauptete sie jedoch, nicht die gesamten acht Jahre gearbeitet zu haben, und erklärte, sie könne es nicht genau angeben, vielleicht ein Jahr (Verhandlungsprotokoll S. 5). Der bereits dargestellten Aussage gegenüber dem BFA zufolge habe die BF aber auch nach Beginn ihrer Reinigungstätigkeit weiterhin selbst gekochtes Abendessen verkauft (AS 130 f). Im Übrigen wäre unter Zugrundelegung ihrer damaligen Schilderung anzunehmen, dass sie den Geschäftsbetrieb in zeitlicher Nähe zu ihrem Umzug nach Mogadischu acht Jahre vor ihrer Ausreise aufgenommen habe und damit keinesfalls „kurz am Schluss“ ausgeübt habe. Die Darstellungen der BF zu ihrer Berufstätigkeit werfen damit erhebliche Zweifel auf, weshalb nicht anzunehmen ist, dass sie als Reinigungskraft gearbeitet habe. Zudem ist entsprechend ihrer Aussage vor dem BFA anzunehmen, dass sie sich durch den Betrieb ihres Geschäfts ein neues Leben aufbaute. Ihre abweichenden Schilderungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sind als bloßer Versuch zu werten, ihre Lebensverhältnisse in Mogadischu als bescheidener darzustellen und damit das Verfahren zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Abgesehen davon erweist sich diesbezüglich ihre weitere Darstellung, wonach die Al Shabaab jede Person töten würde, welche die Straßen reinigt (Verhandlungsprotokoll S. 11), als vollkommen übertrieben. Diese Behauptung ist nicht nur gänzlich lebensfremd, sondern findet auch keine Deckung in der vorliegenden Berichtslage zu Somalia. Demnach beschäftigte die Stadtverwaltung von Mogadischu Hunderte Reinigungskräfte. Wären diese tatsächlich einer relevanten Bedrohung alleine aufgrund ihrer Berufstätigkeit ausgesetzt, so wäre zu erwarten, dass ein solches Risiko in der Länderinformation der Staatendokumentation angeführt wäre. Vielmehr wird darin nur von einem Vorfall berichtet, bei welchem drei im Verteidigungsministerium als Reinigungskraft tätige Frauen erschossen worden seien, wobei der Beruf nach einer Quelle nicht der einzige Grund für die Exekution war, sondern die Opfer vermutlich die Zusammenarbeit mit der Al Shabaab verweigerten. Damit könnte auch bei Zugrundelegung ihrer behaupteten Reinigungstätigkeit für die Stadtverwaltung Mogadischus keine verfahrensgegenständlich relevante Gefährdung der BF angenommen werden.

Nicht verständlich ist zudem, warum ihre Kinder – im Gegensatz zur BF – nicht durch die Al Shabaab gefährdet seien. Dazu verwies die BF neben deren jungen Alter darauf, dass diese nicht für die Regierung arbeiten würden und sich die Al Shabaab noch nicht bei ihnen gemeldet habe (Verhandlungsprotokoll S. 13). Da die BF selbst aber auch nicht bei der Regierung, sondern bloß bei der Stadtverwaltung gearbeitet habe, ist diese Argumentation nicht stichhaltig. Im Übrigen erschließt sich nicht, dass der als Polizist tätige Schwager der BF im Gegensatz zu ihr selbst ohne Probleme aufgrund seines Berufs in Mogadischu leben könne (Verhandlungsprotokoll S. 6).

Aus alledem geht letztlich zweifelsfrei hervor, dass das Fluchtvorbringen der BF, wonach die Al Shabaab ihren Sohn habe rekrutieren wollen, ihren Ehemann sowie ihren Bruder (und deren Ehefrau) ermordet und die BF bedroht habe, weshalb die BF selbst aus Somalia habe fliehen müssen, nicht der Wahrheit entspricht und es sich bei diesen Ereignissen tatsächlich um ein gedankliches Konstrukt handelt. Daraus folgt wiederum, dass der Ehemann der BF sowie ihr Bruder und dessen Ehefrau weiterhin in Mogadischu leben, ist doch dadurch die einzige Begründung deren Ablebens weggefallen. Zudem ist angesichts einer nicht glaubhaften Bedrohungslage durch die Al Shabaab in XXXX davon auszugehen, dass die BF mit ihrer Familie freiwillig nach Mogadischu umzog. Aus ihrer oben gewürdigten Aussage vor dem BFA ergibt sich ferner, dass sie sich dort durch den Betrieb ihres Geschäfts ein neues Leben aufbaute (AS 130).

Ebenso erweist sich ihre Darstellung, wonach sie als faktisch alleinstehende Frau nach Somalia zurückkehren würde, als nicht überzeugend. Offenkundig versuchte sie in der Beschwerdeverhandlung, ihre familiären Anknüpfungen zu verschleiern, indem sie unter Verweis auf ihre verstorbenen Eltern, Bruder und Ehemann zunächst erklärte, keine Familie mehr in Somalia zu haben (Verhandlungsprotokoll S. 6). Konfrontiert mit ihrer Aussage vor dem BFA, wonach ein Bruder ihres Ehemannes sowie drei Kinder in Somalia aufhältig seien, argumentierte sie wenig stichhaltig, dass sie ihre eigene „Blutfamilie“ gemeint habe (Verhandlungsprotokoll S. 6). Das vermag jedoch keinesfalls zu erklären, weshalb sie ihre eigenen Kinder vollkommen unerwähnt ließ. Zudem verneinte sie weitere Verwandte, wobei sie angesprochen auf drei Kinder ihres vorgeblich verstorbenen Bruders, um welche sie sich gekümmert habe, bloß auf deren jungen Alters Bezug nahm und einräumen musste, dass diese mit ihren Kindern leben würde (Verhandlungsprotokoll S. 6). Aber auch die Lebensumstände ihrer Familie beschrieb die BF vor der erkennenden Richterin in mehrfacher Hinsicht abweichend als noch vor dem BFA. Während sie damals noch erklärte, dass ihr Sohn die Familie versorge und eine Tochter verheiratet sei (AS 127), erklärte sie etwa ein halbes Jahr später, dass deren Onkel väterlicherseits, der Schwager der BF, ihre bereits erwachsenen Kinder versorge, ohne auch nur ansatzweise auf ihren Sohn einzugehen (Verhandlungsprotokoll S. 6). Ferner verneinte die BF in grober Abweichung zu ihrer früheren Darstellung, dass ihre Kinder bereits verheiratet seien, wobei sie auf Nachfrage nach ihrer Tochter nur ausweichend die Heirat ihres in Österreich lebenden Sohnes anführte. Erst auf neuerliche Wiederholung der Frage stellte sie die nicht näher begründete Behauptung auf, dass sie mittlerweile geschieden sei (Verhandlungsprotokoll S. 6). Vor diesem Hintergrund kann aber nicht angenommen werden, dass ihre Tochter tatsächlich im letzten halben Jahr geschieden worden sei, zumal in dem Fall zu erwarten gewesen wäre, dass die BF schon eingangs darauf Bezug genommen hätte.

Die BF vermochte im Ergebnis aber keinen stichhaltigen Grund zu nennen, welcher ihr ein Leben in der Stadt Mogadischu verunmöglichen würde, zumal dort nicht nur ihr Subclan eine herausragende Machtposition genießt, sondern auch ihren eigenen Darstellungen zufolge ihr Schwager lebt, der bereits ihre ausgesprochen teure Schleusung nach Europa bezahlte und derzeit ihre Familie versorgt (Verhandlungsprotokoll S. 6 f). Die BF verwies in diesem Kontext bloß auf den Umstand, dass die Clanzugehörigkeit auch ihrem Mann nicht geholfen habe sowie ebenfalls ihr Bruder getötet worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 13). Selbst bei hypothetischer Zugrundelegung der Darstellungen der BF über die Ermordung ihrer Angehörigen wegen deren Tätigkeit für die Regierung kann daraus aber keine konkrete Gefährdung der BF abgeleitet werden. Ebenso wenig kann, wie bereits dargelegt, eine maßgebliche Bedrohung wegen ihrer behaupteten Tätigkeit als Reinigungskraft angenommen werden. Da nicht ersichtlich ist, dass der Schwager der BF im Fall einer Rückkehr nach Somalia eine neuerliche Hilfe verweigern würde, und ihr als Angehörige eines lokalen Mehrheitsclans auch Schutz durch ihren Clan zugutekommen wird, handelt es sich bei der BF in ihrem Herkunftsort nicht um eine alleinstehende, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau. Im Übrigen ist in Anbetracht des nicht glaubhaften Fluchtvorbringens davon auszugehen, dass die BF in ihrer Heimat über weitere männliche Angehörige in Form ihres Ehemannes sowie ihres Bruders verfügt und damit auch von diesen Schutz genießt.

Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich auch kein Grund zur Annahme ergab, dass die verheiratete BF, die bereits vier Kinder auf die Welt brachte, in ihrer somalischen Heimat der Gefahr einer (erneuten) Genitalverstümmelung unterliegt. Eine solche Gefährdung wurde zum einen von der BF nie auch nur ansatzweise geltend gemacht und zum anderen ergäbe sie sich auch nicht aus den unwidersprochenen Länderberichten, wonach die Frage einer Reinfibulation nach der Heirat bzw. nach der folgenden Geburt eines Kindes in der Entscheidungsmacht der betroffenen Frau selbst liegt. Insbesondere wird im somalischen Kontext eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“, weshalb es keinen Sinn macht, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren. Zudem hat keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre.

Eine sonstige Gefährdung der BF in Somalia wurde nicht behauptet und ist auch sonst nicht hervorgekommen.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 (Version 7). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Zur Bestimmung der Heimatregion kommt der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192, mwN).

Da die BF mit ihrer Familie freiwillig nach Mogadischu umzog, dort die letzten acht Jahre vor ihrer Ausreise wohnte und durch den Aufbau eines neuen Lebens Fuß fasste, ist diese Stadt als ihre Heimatregion anzusehen.

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen der BF über eine Bedrohung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Sie ist in Somalia auch keine alleinstehende, schutzlose, geschlechtsspezifischer Gewalt besonders ausgesetzte Frau. Sie unterliegt nicht aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit einer asylrelevanten Diskriminierung. Es droht ihr in Somalia keine (erneute) Genitalverstümmelung. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung der BF in Somalia aus Konventionsgründen.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.