Spruch
W256 2279380-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. August 2023, Zl. 1301327602/220851385, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 29. März 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) im österreichischen Bundesgebiet. In der Folge wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu seinen Fluchtgründen an, in Syrien herrsche Krieg, er habe Angst, als Reservist einberufen zu werden.
Am 14. Juli 2022 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA, belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, er werde vom syrischen Regime gesucht, weil er seinen Reservedienst nicht abgeleistet habe. Außerdem sei er ins Visier der Gruppierung Al-Nusra geraten, nachdem er mehrmals gegen sie demonstriert habe; diese habe auch seinen Bruder erschossen.
Am 31. März 2023 langte über das PKZ Nickelsdorf eine Information der ungarischen Behörden ein, wonach der Beschwerdeführer in Ungarn wegen Schlepperei festgenommen worden sei. Am 23. Mai 2023 wurde der Beschwerdeführer von Ungarn an Österreich rücküberstellt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gem. § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Heimatort des Beschwerdeführers nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung stehe, weshalb die drohende Einziehung zum Militärdienst nicht glaubhaft sei. Oppositionelle Gruppierungen würden den ihnen unterworfenen Bürgern keine Militärdienstpflicht auferlegen. Der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung noch mit keinem Wort erwähnt, dass er von Al-Nusra gesucht werde, was nicht nachvollziehbar sei, zumal diese Gruppierung sehr wohl einen Zugriff auf den Beschwerdeführer gehabt hätte. Aus dem Schriftstück auf dem vorgelegten USB-Stick gehe eine Entlassung durch ein Religionsgericht im Jahr 2016 hervor; abgesehen von einer möglichen Fälschung sei kein zeitlicher Zusammenhang mit der Ausreise des Beschwerdeführers erkennbar. Dass die Flucht durch den Tod seines Bruders motiviert gewesen wäre, sei ebenfalls nicht glaubhaft, zumal sich dieser Vorfall bereits knapp ein Jahr vor Ausreise zugetragen habe und der Hergang nicht auf eine gezielte Erschießung des Bruders hindeute.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung 2016 bis zu seiner Ausreise in Afrin gelebt habe. Da der Beschwerdeführer im Jahr 2011 durch willkürliche Verhaftungen gezwungen gewesen sei, seinen bisherigen Wohnort in Damaskus-Land zu verlassen, sei dieser als Herkunftsort anzusehen. Zudem gehe aus den Länderberichten hervor, dass auch die Gruppierung HTS eine Wehrpflicht in ihren Gebieten erwäge. Für eine Fälschung der vorgelegten Dokumente gebe es keine Hinweise. Schließlich sei die illegale Ausreise, Herkunft aus einem Oppositionsgebiet und Asylantragstellung im Ausland zu berücksichtigen.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden den Verfahrensparteien folgende Länderinformationen zum Parteiengehör übermittelt:
„1. LIB Version 11, 27.03.2024
2. EUAA Country Guidance Februar 2023
3. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021
4. The Danish Immigration Service: Treatment Upon Return, Mai 2022
5. EUAA-Bericht Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, Juni 2021
6. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Sicherheitslage in Syrien mit bes. Fokus auf Regierungsstreitkräfte, 14.11.2022
7. Country of origin information (COI), Syria Recruitment to Opposition Groups, December 2022
8. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien, Rekrutierungspraxis der syrischen Regierungsstreitkräfte, 14.11.2022“
Ergänzend wurde den Parteien mit Schreiben vom 27. November 2024 der „Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien – Grenzübergänge, Version 1, vom 25.10.2023“ zur Kenntnis gebracht.
Am 2. Dezember 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er werde seitens des syrischen Regimes wegen des nicht abgeleisteten Reservedienstes gesucht. Außerdem drohe ihm eine Verfolgung durch HTS, weil er auch nach seiner Entlassung weiter gegen diese Gruppierung demonstriert habe; sein Bruder, der auch gesucht gewesen sei, sei sogar erschossen worden.
Am 18. Dezember 2024 gewährte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer Parteiengehör zu der durch den Sturz des Assad-Regimes geänderten Situation in Syrien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und sunnitischer Moslem (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1 f; Niederschrift des BFA, S. 4; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 4).
Er wurde am XXXX in Syrien in der Provinz Damaskus-Land in XXXX geboren, und lebte dort im Wesentlichen bis 2011, als er wegen des beginnenden Bürgerkriegs nach XXXX in der Provinz Idlib reiste. Dort blieb er – mit gelegentlichen, jeweils etwa zwei Monate dauernden Unterbrechungen in XXXX – bis kurz vor seiner Ausreise aus Syrien im Herbst 2021. Die letzten etwa zehn Tage in Syrien verbrachte er in XXXX . In Syrien besuchte der Beschwerdeführer sechs Jahre lang die Schule. Danach arbeitete er in der Landwirtschaft sowie als Taxifahrer (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 2, 4; Niederschrift des BFA, S. 4, 7, 8, 9, 10; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 4, 5, 6).
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat vier Kinder. In Syrien leben noch seine Frau und Kinder sowie seine Eltern und mehrere Geschwister. In XXXX wurde der Vater des Beschwerdeführers geboren; aktuell leben dort drei Schwestern von ihm. In XXXX heiratete der Beschwerdeführer außerdem im Jahr 2007. Zudem fand dort (bzw. in Idlib) 2004 seine militärische Untersuchung im Rahmen seines Grundwehrdienstes für die syrische Armee statt (AS 89), und er ließ Ende 2003 seinen Personalausweis im nahegelegenen XXXX ausstellen; in XXXX war der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt laut Personalausweis auch amtlich gemeldet (AS 83) (Niederschrift der Erstbefragung, S. 3; Niederschrift des BFA, S. 5, 6, 7, 8; Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 5, 6).
XXXX sowie XXXX (samt näherer Umgebung) stehen derzeit unter der Kontrolle der islamistischen Gruppierung HTS (https://syria.liveuamap.com/):
Durch eine Ende November 2024 gestartete Großoffensive der Gruppierung HTS gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 8. Dezember 2024 zu einem Machtwechsel in Syrien: Assad setzte sich nach Russland ab, die HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung. Die Soldaten der von Assad befehligten Syrischen Arabischen Armee wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.
Der Beschwerdeführer hat von 2005 bis 2007 den Grundwehrdienst für die damalige Syrische Arabische Armee abgeleistet; er war dabei als Fahrer und Mechaniker eingesetzt. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in das nunmehr von HTS kontrollierte Gebiet eine Zwangsrekrutierung durch das syrische Regime drohen würde.
Außerdem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Wehrdienstverweigerung oder wegen einer Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in Österreich seitens des (nicht mehr existierenden) syrischen Regimes eine Zwangsrekrutierung oder Bestrafung zu erwarten hätte.
Schließlich konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer seitens der islamistischen Gruppierung HTS wegen seiner Teilnahme an gegen diese Gruppierung gerichteten Demonstrationen eine Bestrafung drohen würde.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf. Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA. Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte. Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (LIB S. 155 f).
Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:
Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. (…)
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.
(…)
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.
(…)
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben. (…)
2. Beweiswürdigung:
Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln sowie zum Teil aus den in dieser Hinsicht jeweils glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen – Angaben zu zweifeln.
Was die widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers betreffend seine Aufenthaltsorte in Syrien angeht, war im Wesentlichen seinen Angaben vor dem BFA zu folgen, wonach er von 2011 bis kurz vor seiner Ausreise 2021 im Wesentlichen in XXXX gelebt habe. Dort gab er auch an, dass er nur jeweils für etwa zwei Monate nach XXXX gezogen sei, um vor dem heranrückenden Regime bzw. dessen Angriffen zu fliehen (Niederschrift S. 9 f). In XXXX sei er nur etwa die letzten zehn Tage vor seiner Ausreise gewesen (Niederschrift S. 4: „LA: Wie lautet die letzte Wohnadresse in Ihrem Heimatstaat? A: Afrin. Nachgefragt: XXXX ; Dort war ich die letzten 10 Tage vor meiner Ausreise. LA: Wo waren Sie die Zeit davor? A: In XXXX . LA: Haben Sie bis zum Verlassen Syriens immer in dem bereits genannten Landesteil gelebt? A: Ich bin in Damaskus geboren worden. Dort lebten wir bis 2011, dann gingen wir in unser Heimatdorf XXXX . …[..] LA: Was war in XXXX ? A: Dort wurde mein Vater geboren und dort lebte ich nachdem die Krise begann. LA: Unter welcher Kontrolle stand der genannte Landesteil bei Ihrem Verlassen Syriens? A: Al Nusra.“). In der Verhandlung hingegen sagte er aus, nur bis etwa 2017/18 in XXXX gewesen zu sein, und dann für etwa ein Jahr nach XXXX gezogen zu sein, und zwar nicht aufgrund des Regimes, sondern wegen HTS. Als diese Gruppierung XXXX eingenommen habe, sei er weiter nach XXXX gezogen und dort letztlich etwa zwei bis drei Jahre geblieben (Verhandlungsschrift S. 5).
Seine wesentlich anderslautende Schilderung in der Verhandlung lässt sich nur damit erklären, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt in XXXX bewusst kurz darstellen wollte, um einen Herkunftsort in Damaskus oder auch eine Verfolgung durch HTS (Flucht von Ort zu Ort, Verhandlungsschrift S. 10) zu „konstruieren“. Derart unterschiedliche Angaben sind mit Irrtümern oder Ungenauigkeiten jedenfalls nicht erklärbar. Wenn in der Beschwerde behauptet wird, der Beschwerdeführer habe 2016 bis zur Ausreise in „Afrin“ gelebt, so widerspricht dies beiden geschilderten Sachverhalten. Selbst wenn man annimmt, es sei der Bezirk Afrin gemeint, so liegt weder XXXX in diesem Bezirk, und schon gar nicht XXXX (sogar andere Provinz; siehe https://syria.liveuamap.com/). Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer in der polizeilichen Erstbefragung, also zu einem frühen, noch „unbeeinflussten“ Zeitpunkt im Verfahren – XXXX als seinen letzten Wohnort angegeben hatte (Niederschrift S. 3: XXXX ; s. auch Verhandlungsschrift S. 7). Im Ergebnis war dies daher auch so festzustellen.
Die jeweiligen Gebietskontrollen ergeben sich aus der Einsicht in die tagesaktuelle Karte https://syria.liveuamap.com/ (Zugriff zum Entscheidungszeitpunkt).
Die aktuelle politische Lage nach dem Sturz des Assad-Regimes ergibt sich aus den zitierten Auszügen der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10. Dezember 2024. Angesichts dieser Entwicklungen gibt es derzeit keine staatliche Wehrpflicht in Syrien.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Grundwehrdienst bereits abgeleistet hat, beruht auf seinen glaubhaften Angaben im Zusammenhalt mit dem vorgelegten Militärbuch (Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 8).
Mangels einer staatlichen Wehrpflicht und einer Zwangsrekrutierung durch HTS (diese Gruppierung setzt nach dem zitierten Auszug aus dem LIB grundsätzlich auf freiwillige Beitritte) droht dem Beschwerdeführer bei Rückkehr in das nunmehr von HTS kontrollierte Gebiet keine zwangsweise Rekrutierung zu einem Wehrdienst.
Eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime von Präsident Assad, sei es u.a. in Bezug auf seine Wehrdienstverweigerung oder wegen der Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen, ist nach dem Sturz dieses Regimes und der Machtübernahme durch eine oppositionelle Übergangsregierung nicht mehr anzunehmen.
Was nun die angeblich drohende Verfolgung seitens HTS betrifft, ist Folgendes auszuführen:
Der Beschwerdeführer brachte zum einen eine solche Verfolgung in der polizeilichen Erstbefragung mit keinem Wort vor. Wenngleich zu berücksichtigen ist, dass die Erstbefragung nicht der näheren Ermittlung der Fluchtgründe dient (§ 19 Abs 1 AsylG), so hatte der Beschwerdeführer dennoch die Gelegenheit, zumindest in Schlagworten die Ursachen seiner Flucht zu schildern. Dort erwähnte er aber nur die Angst, als Reservist ins Militär einberufen zu werden.
Zudem gründete der Beschwerdeführer die Bedrohung durch HTS auf angebliche Teilnahmen an gegen diese gerichtete Demonstrationen, die er aber unterschiedlich schilderte: Vor dem BFA gab er an, ab 2013/14 bis 2018 gegen Al Nusra/HTS demonstriert zu haben (Niederschrift S. 11). Dabei konnte er sich noch erinnern, dass das letzte Mal an einem Freitag im Februar (2018) gewesen sei. In der Verhandlung hingegen sagte er aus, dass er auch in XXXX und XXXX gegen HTS demonstriert habe, also bis kurz vor seiner Ausreise aus Syrien im Jahr 2021 (Verhandlungsschrift S. 6 f).
Abgesehen von dieser zeitlichen Divergenz ist auch das vom Beschwerdeführer beigebrachte angebliche Entlassungsschreiben von HTS nicht überzeugend: zum einen konnte es nur auf einem USB-Stick vorgelegt und daher nicht auf Echtheit überprüft werden. Doch auch das Schreiben für sich genommen weist Ungereimtheiten auf: Es enthält kein genaues Datum (lediglich „10/2016“), keine Nummer und einen falschen Geburtsort XXXX . Der Beschwerdeführer versuchte dies in der Verhandlung damit zu erklären, dass HTS keine Regierung sei und daher darauf schreibe, „was sie wollen“. Dies ist jedoch keine überzeugende Erklärung, zumal es sich ausweislich des Schreibens um ein Dokument einer „Justizbehörde“ bzw. eines „Berufungsgerichts“ handelt, eine gewisse (juristische) Präzision daher vorauszusetzen wäre. Eine tatsächlich erfolgte Inhaftierung wegen Demonstrationen gegen HTS ist daher nicht anzunehmen.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass eine einmal erfolgte Inhaftierung noch nicht zwingend darauf schließen ließe, dass der Beschwerdeführer weiterhin bzw. erneut ins Visier von HTS geraten wäre: zwar behauptete er (widersprüchlich, wie oben aufgezeigt) weitere Demonstrationsteilnahmen nach seiner Entlassung. Dass er dabei von HTS wahrgenommen (bei mehreren hundert bis tausend Teilnehmern, Niederschrift BFA S. 11) oder registriert worden wäre, brachte der Beschwerdeführer hingegen nicht vor bzw. ist nicht zwingend anzunehmen. Sein einziges Argument für eine insofern drohende Verfolgung ist die von seinem Vater übermittelte Nachricht, dass „AI Nusra hier war und ihn informierte, dass [der Beschwerdeführer] und [s]ein Bruder bei ihrem Gericht in Mareian, einem Scharia-Gericht, erscheinen sollen“ (Niederschrift BFA S. 10). Nähere Angaben über den Grund der angeblichen „Ladung“ nannte der Beschwerdeführer jedoch nicht. Diese habe etwa drei bis vier Monate vor dem Tod seines Bruders stattgefunden, damit etwa im August 2020 – wenn man den Angaben des Beschwerdeführers folgt, sein Bruder sei am „26.11.2020“ verstorben (Niederschrift BFA S. 10 f). Dass diese „Ladung“ etwas mit den nach Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA bereits im Februar 2018 beendeten Demonstrationsteilnahmen zu tun hätte, ist damit aufgrund des Zeitablaufs von rund zweieinhalb Jahren nicht ohne Weiteres anzunehmen. Wenn der Beschwerdeführer in der Verhandlung auf Nachfrage dazu meinte (Verhandlungsschrift S. 10), er sei in dieser Zeit immer wieder vor HTS geflohen, so wäre es dieser trotzdem möglich gewesen, seinen Vater, der ja nach seiner Aussage in XXXX verblieb (Niederschrift BFA S. 10), zu kontaktieren und den Beschwerdeführer über diesen vorzuladen, wie es ja dann auch angeblich geschah.
Genauso wenig gibt es einen Beleg dafür, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Tötung seines Bruders durch Angehörige von HTS etwas mit angeblichen Demonstrationsteilnahmen zu tun gehabt hätte. Denn diese erfolgte nach den Angaben des Beschwerdeführers noch bevor sein Bruder die Möglichkeit hatte, sich auszuweisen bzw. überhaupt irgendetwas zu äußern: „Er bekam Angst und zog sich ein bisschen zurück. Sie schossen ihn in das Bein. Meine Mutter war ungefähr 5m weiter hinten. Er wollte zu ihr laufen. Bevor er zu ihr kam, erschossen sie ihn durch einen Schuss in das Herz.“ (Niederschrift BFA S. 10). Damit könnte die Erschießung aber aus jedem Grund passiert sein, etwa deshalb, weil sich sein Bruder dem Checkpoint nicht stellen wollte oder die dort einschreitenden Beamten/Milizen aus irgendeinem Grund einen Schusswechsel befürchteten. Für den Fall, dass diese den Bruder des Beschwerdeführers als Demonstranten erkannt hätten, würde eine sofortige Erschießung wenig Sinn machen, wenn man die betreffende Person zuvor „förmlich“ vor Gericht geladen hätte.
Die Todesumstände des Bruders bleiben schon deshalb im Unklaren, weil der Beschwerdeführer vor dem BFA ein konkretes Todesdatum nannte („26.11.2020“, Niederschrift S. 10), während er sich in der Verhandlung nicht mehr an ein genaues Datum erinnern konnte/wollte und vage von „ungefähr zwischen 2020 oder 2021“ sprach (Verhandlungsschrift S. 10), was angesichts des zuvor (und auch in dem von ihm vorgelegten Artikel des „Syrischen Netzwerks“, AS 159) ganz konkret genannten Datums nicht glaubhaft ist. Unterstrichen wird dies dadurch, dass der Beschwerdeführer von sich aus angab, sich mit Datumsangaben schwerzutun (Niederschrift BFA S. 8), sich aber trotzdem vor dem BFA an das konkrete Datum des Todes seines Bruders erinnern konnte. Nicht nachvollziehbar erklären konnte der Beschwerdeführer auch, weshalb er in der polizeilichen Erstbefragung noch angegeben hatte, der betreffende Bruder von ihm sei „im Krieg gestorben“ (Niederschrift S. 3; s. auch Verhandlungsschrift S. 11). Letztlich kann also aus dem Tod seines Bruders, so dieser überhaupt tatsächlich wie vom Beschwerdeführer geschildert passiert ist, nicht auf eine Verfolgungsgefahr für diesen geschlossen werden. Dabei darf letztlich auch nicht übersehen werden, dass dem Beschwerdeführer selbst nach dem Tod des Bruders im Jahr 2020 ein Verbleib in Syrien bis 2021 möglich gewesen ist.
Im Ergebnis war daher angesichts dieser Ungereimtheiten und Widersprüche, auch unter Berücksichtigung der bereits widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Aufenthalten in Syrien und der daraus folgenden verringerten Glaubwürdigkeit, die Negativfeststellung betreffend eine drohende Verfolgung durch HTS wegen Demonstrationsteilnahmen zu treffen.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten – dem Beschwerdeführer übermittelten – Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch nichts substantiiert Gegenteiliges vorgebracht hat.
Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2021/234 (im Folgenden: AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78 (im Folgenden: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 2011/337, 9 [im Folgenden: Statusrichtlinie] verweist).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art 9 Abs 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn 19, mwN).
Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der VwGH geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK angeführten Gründen erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (VwGH 11.10.2000, 2000/01/0326).
Die Heranziehung zum Militärdienst durch die Behörden eines souveränen Staates erlangt dann Asylrelevanz, wenn eine Schlechterstellung, schlechtere Behandlung oder Unterwerfung unter ein strengeres Strafregime bestimmter, nach Religion oder sozialer Gruppe oder politischer Gesinnung abgegrenzter Personen der zum Wehrdienst herangezogenen Personen droht. Dieser Maßstab gilt aber nicht bei der Zwangsrekrutierung durch eine Rebellenarmee. Die Zwangsrekrutierung durch eine christliche Rebellenarmee, welche alle männlichen Christen ab einem bestimmten Lebensjahr umfasst, bildet allein für sich keinen Asylgrund (VwGH 08.09.1999, 99/01/0167).
Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen durch die Milizen der Asylwerber auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).
Als Verfolgungshandlungen gegen Wehrdienstverweigerer kommen – im Lichte des Unions-rechts – insbesondere solche nach Art. 9 Abs. 2 lit. b, c und e Statusrichtlinie in Betracht, also etwa diskriminierende bzw. unverhältnismäßige Maßnahmen, Strafverfolgung oder Bestrafung (Art. 9 Abs. 2 lit. b und c) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 fallen (Art. 9 Abs. 2 lit. e); Letzteres betrifft u.a. Fälle, in denen der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde, einschließlich solcher, in denen der Asylwerber nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde (vgl. EuGH 26.02.2015, C-472/13, Rs. Shepherd). Hätte der Wehrpflichtige seinen Militärdienst im Kontext eines allgemeinen Bürgerkriegs abzuleisten, der durch die wiederholte und systematische Begehung von Verbrechen oder Handlungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen gekennzeichnet ist, so besteht nach den Ausführungen des EuGH eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem – allenfalls noch nicht bekannten – Einsatzgebiet dazu veranlasst sein würde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung der betreffenden Verbrechen teilzunehmen (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 28, mit Hinweis auf EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rs. EZ).
Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie müssen die Verfolgungshandlungen, denen derjenige, der gemäß dieser Bestimmung als Flüchtling anerkannt werden möchte, nach seinen Angaben ausgesetzt ist, aus seiner Verweigerung des Militärdienstes resultieren. Die Verweigerung des Wehrdienstes muss das einzige Mittel darstellen, das es dem Betroffenen erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie zu entgehen (vgl. VfGH 20.09.2022, E 1138/2022, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH). Der Umstand, dass der Antragsteller kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, schließt daher jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie aus, sofern er nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand (vgl. EuGH 26.02.2015, C-472/13, Rs. Shepherd, Rn. 45 f).
Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EUAA, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Hinblick auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 erst dann zu prüfen, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber „in der Heimatregion seines Herkunftsstaats“ Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. etwa VwGH 25.05.2020, Zl. Ra 2019/19/0192).
Der VwGH hält in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Ra 2023/18/0370) fest, dass in Fällen, in denen Asylwerber nicht aufgrund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang aufgrund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten (Zustand innerer Vertreibung), der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen ist. Ob ein solches „Fuß fassen“ gelang, hängt laut VwGH davon ab, ob der Asylwerber „enge Bindungen“ zum neuen Ort entwickeln konnte. Bisweilen wandte der Gerichtshof das Kriterium der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf den Zufluchtsort an (siehe Erkenntnis zu 2005/01/0057).
Die jüngste Rechtsprechung behandelte zwei ähnlich gelagerte Fälle zu Syrien als Herkunftsland, die aber doch unterschiedlich entschieden wurden: in seinem Erkenntnis zu Ra 2021/19/0024 hatte der VwGH einen Fall zu beurteilen, wo eine syrische Staatsangehörige, die ursprünglich aus Aleppo stammte, die letzten vier Jahre vor ihrer Ausreise in Afrin gelebt hatte, weil die Sicherheitslage in Aleppo schlecht gewesen und das Haus der dortigen Asylwerberin zerstört worden sei. Während ihres Aufenthaltes in Afrin habe sie sich nicht ohne Kleidungsverhüllung in die Öffentlichkeit gewagt und sich vor Vergewaltigung gefürchtet. Sie habe sich in Afrin als Frau nicht frei bewegen können und habe in Angst vor geschlechterspezifischen Verfolgungshandlungen gelebt. Ausgehend davon wertete der Gerichtshof den Aufenthalt in Afrin nicht als freiwillige Neuansiedelung, sondern als Zustand innerer Vertreibung, und nahm den ursprünglichen Wohnort in Aleppo als Heimatregion an.
Anders entschied der VwGH in der Entscheidung zu Ra 2021/19/0442, wo eine syrische Staatsangehörige ebenfalls wegen des Krieges von Aleppo nach Afrin gezogen war, in Afrin aber bereits zuvor in ihrer Kindheit aufgewachsen war und dort bis zu ihrer Eheschließung gelebt hatte. Dieser langjährige Aufenthalt von klein auf in einem Dorf nahe Afrin schlage sich laut VwGH auch darin nieder, dass die Asylwerberin in der Verhandlung ihre Übersiedlung nach Afrin als Rückkehr in ihr Heimatdorf dargestellt und in der Beschwerde Afrin als Heimatstadt bezeichnet habe. Fallbezogen billigte der Gerichtshof die Einschätzung, die Asylwerberin habe in Afrin (wieder) Fuß fassen können, weshalb ihre Heimatregion dort zu verorten sei.
In der rezenten Entscheidung zu Ra 2023/18/0370 wiederum verwies der VwGH auf die relativ kurze Zeit von drei Jahren (gegenüber zwölf Jahren am Geburtsort), die der dortige Asylwerber an seinem Zufluchtsort verbracht hatte. Trotz Verwandten und Arbeitstätigkeit am Zufluchtsort wären vor allem angesichts des unfreiwilligen Umzugs und des jungen Alters (15 bei der Ausreise aus Syrien) die Beziehungen zum Geburtsort näher zu prüfen gewesen.
Auf Basis der dargestellten Rechtsprechung ist als Heimatregion des Beschwerdeführers im Herkunftsland das Gebiet um XXXX in der Provinz Idlib anzusehen, zumal er dort zwar nicht geboren wurde, jedoch zumindest seine letzten etwa zehn Jahre in Syrien verbracht, im Haus des Vaters gewohnt und in der Landwirtschaft gearbeitet hat. Außerdem bestand bereits vor 2011 offenkundig eine enge Bindung zu XXXX , zumal sein Personalausweis 2003 dort ausgestellt wurde, er dort 2004 der militärischen Untersuchung unterzogen wurde und 2007 dort geheiratet hat. Die familiären Bindungen zu dem Ort zeigen sich darin, dass sein Vater dort geboren wurde und seine Schwestern nach wie vor dort leben. Die kurzen Zeiten in XXXX bzw XXXX können angesichts des unfreiwilligen und jeweils nur kurzen Umzugs dorthin außer Betracht bleiben. In diesem Zusammenhang betont der VwGH in seiner bisherigen Judikatur, dass die Tatsache der Unfreiwilligkeit eines Umzugs im Herkunftsland zu berücksichtigen ist und in einem solchen Fall („Zustand innerer Vertreibung“) die Herkunftsregion nicht ohne weiteres am letzten Wohnort anzunehmen ist (zur bisherigen Judikatur vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2023/18/0370; 09.03.2023, Ra 2022/19/0317; 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; 30.04.2021, Ra 2021/19/0024). Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen ist im Ergebnis das Gebiet um XXXX als Herkunftsregion des Beschwerdeführers anzusehen. Daran ändert auch nichts die Aussage des Beschwerdeführers in der Verhandlung, dass er zu Damaskus die engsten Verbindungen habe, weil sein Haus dort sei, seine Arbeit dort gewesen sei, seine Kinder dort zur Welt gekommen seien und er seine Kindheit dort verbracht habe (Verhandlungsschrift vom 2. Dezember 2024, S. 8). Denn mag Damaskus angesichts dieser Tatsachen auch bis 2011 ohne Zweifel seine Herkunftsregion gewesen sein, so ändert das nichts daran, dass jemand nach seinem Aufwachsen in einer bestimmten Gegend durch den Umzug in eine neue Region und den Aufbau von Bindungen dort „Fuß fassen“ kann und in der Folge diese Region als neue Heimatregion anzusehen ist. Abgesehen davon steht auch XXXX mittlerweile ebenfalls unter Kontrolle von HTS, sodass sich auch bei dortiger Lokalisierung der Herkunftsregion im Ergebnis keine Änderung ergibt.
Wie festgestellt, droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine von HTS kontrollierte Herkunftsregion keine zwangsweise Rekrutierung durch diese Gruppierung. Eine Verfolgung durch das nicht mehr existierende syrische Regime ist ebenfalls nicht zu erwarten.
Was die angeblich drohende Verfolgung durch HTS wegen Demonstrationsteilnahmen betrifft, so wurde festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers insofern nicht glaubhaft war und ihm daher tatsächlich keine Bestrafung drohen würde.
Was schließlich eine in der Beschwerde angesprochene zukünftig vielleicht entstehende „HTS-Wehrpflicht“ betrifft, so beruht dieses Vorbringen auf Spekulationen: Das Länderinformationsblatt sagt insofern klar, dass es aktuell keine HTS-Wehrpflicht gibt und diese Gruppierung in erster Linie religiös und ideologisch loyale Freiwillige rekrutiert (LIB S. 155 f). Auch aus der aktuellen Medienberichterstattung rund um den Sturz des Assad-Regimes ergeben sich keine Hinweise auf die (absehbare) Einführung einer solchen Wehrpflicht und vermochte der Beschwerdeführer derartiges in seiner letzten Stellungnahme auch nicht zu substantiieren. Das Vorbringen ist daher schon an sich nicht geeignet, eine mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung glaubhaft zu machen, die nicht bloß in einer entfernten Möglichkeit besteht.
Im Ergebnis ist es dem Beschwerdeführer somit insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen für sich genommen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.
Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass dem Beschwerdeführer gerade aufgrund seiner individuellen Situation zum Entscheidungszeitpunkt der Status des subsidiär Schutzberechtigten von der belangten Behörde bereits zuerkannt wurde.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.