JudikaturBVwG

I415 2304951-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
22. Januar 2025

Spruch

I415 2304951-1/11E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DER AM 21.01.2025 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ENTSCHEIDUNG

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. ALGERIEN (alias Libyen, alias Tunesien), vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, XXXX vom 11.11.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.01.2025 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahrensgegenstand ist der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA/belangte Behörde) vom 11.11.2024 mit dem der Folgeantrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) auf internationalen Schutz vom 17.10.2024 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dem BF eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde (Spruchpunkt III.).

2. Mit dem am 18.12.2024 beim BFA eingebrachten E-Mail erhob der damals unvertretene BF fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde gegen den vorangeführten Bescheid.

3. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden in weiterer Folge vom BFA vorgelegt und sind am 27.12.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

4. Am 21.01.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Rechtsvertretung des BF und eines Dolmetschers für die arabische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der BF ausführlich zu seinen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Unmittelbar nach Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

5. Am 22.01.2025 stellte die Rechtsvertretung des BF einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige, ledige, gesunde, junge, arbeitsfähige und arbeitswillige BF ist Staatsangehöriger Algeriens und spricht muttersprachlich Arabisch. Eltern und Geschwister leben nach wie vor im Herkunftsstaat und steht der BF mit diesen in wöchentlichem Kontakt.

Der BF hat Algerien Ende 2018 verlassen und stellte am 09.10.2019 einen Asylantrag in Griechenland, den er mit wirtschaftlichen Motiven begründete. Der BF verblieb etwa zwei Jahre in Griechenland, wobei er in Kreta bei als Olivenerntehelfer tätig war.

Ohne den Ausgang des Asylverfahrens in Griechenland abzuwarten, reiste der BF illegal nach Österreich weiter, wo er am 04.10.2021 unter Angabe einer libyschen Alias-Identität und eines Alias-Geburtsdatums seinen ersten Asylantrag in Österreich stellte, den er ausschließlich mit wirtschaftlichen Beweggründen und Armut im Herkunftsstaat begründete: „Ich habe meine Heimat wegen der Armut verlassen. Ich muss meine Familie finanziell unterstützen und arbeiten. Das sind meine einzigen Asylgründe.“

In weiterer Folge tauchte der BF unter und entzog sich dem Verfahren und kam dadurch seiner Mitwirkungspflicht nicht nach.

Mit Bescheid des BFA vom 09.06.2022 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ferner wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Zudem wurde gegen den BF ein auf die Dauer voneinem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Begründend wurde seitens des BFA festgehalten, dass der BF sein Heimatland aufgrund der wirtschaftlichen Lage und Armut verlassen habe. Zu einer Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs sei es aus Verschulden des BF nicht gekommen.

Am 17.10.2024 wurde der BF in Österreich von der Polizei festgenommen. Unter Angabe einer tunesischen Alias-Identität wurde der BF von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Im Zuge dessen stellte er seinen gegenständlichen zweiten Asylantrag in Österreich. Am 18.10.2024 erfolgte die Erstbefragung zum Asyl-Folgeantrag. Auch diesen Asylantrag begründete der BF ausnahmslos mit wirtschaftlichen Beweggründen: „In meiner Heimat gibt es keine Arbeit und keine Zukunft. Es sind genau die gleichen Gründe wie bei meinem ersten Asylantrag, es hat sich nichts verändert. Das sind all meine Fluchtgründe.“

In weiterer Folge tauchte der BF abermals unter und entzog sich ein weiteres Mal dem Verfahren und kam dadurch wiederholt seiner Mitwirkungspflicht nicht nach.

Mit angefochtenem BFA-Bescheid vom 11.11.2024 wies die belangte Behörde den Asylfolgeantrag des BF hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück und erteilte dem BF keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz.

Im Vorfeld der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte die Rechtsvertretung des BF mit Beschwerdeergänzung vom 16.01.2025 aus, dass der BF in Österreich einen Diebstahl begangen habe und aus Angst vor einer Inhaftierung untergetaucht sei. Dieses strafgerichtliche Verfahren sei aber nun abgeschlossen und werde der BF den Termin für die Einvernahme wahrnehmen. Zudem führte die Rechtsvertretung des BF wortwörtlich aus wie folgt: „Der BF ist nach Europa gekommen, um hier zu arbeiten und so seine verschuldete Familie in Algerien zu unterstützen“.

Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.01.2025 machte der BF lediglich wirtschaftliche Gründe für das Verlassen Algeriens geltend.

Der BF ist im Bundesgebiet lediglich von 21.10.2024 bis 29.10.2024 sowie von 13.11.2024 bis dato gemeldet. Im Bundesgebiet ist der BF zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Seinen Aussagen folgend verdiente er sich den Lebensunterhalt in Österreich mit illegalen Malertätigkeiten.

Der BF verfügt in Österreich über keine familiären Anbindungen.

1.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des BF:

Zwischen rechtskräftigem Abschluss des Asyl-Erstverfahrens mit Bescheid des BFA vom 09.06.2022 und der Zurückweisung des gegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache mit Bescheid des BFA vom 11.11.2024 ist keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten.

Der BF brachte im gegenständlichen Asylverfahren keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vor, denen zumindest ein glaubhafter Kern innewohnt. Auch hat sich die individuelle Situation für den BF im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat Algerien nicht in einem Umfang verändert, dass von einer entscheidungswesentlichen Änderung des Sachverhaltes auszugehen wäre. Der BF wird im Fall seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Algerien eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn in Algerien die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Der BF hat in beiden Asylverfahren eine Bedrohungssituation im Herkunftsstaat nicht einmal behauptet. Er hat glaubhaft vorgebracht seinen Herkunftsstaat aufgrund Armut und der Arbeitssuche in Europa verlassen zu haben.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Algerien ist gemäß § 1 Z 10 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 129/2022) ein sicherer Herkunftsstaat. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Algerien (auszugsweise soweit entscheidungsrelevant) wiedergegeben:

Politische Lage

Gemäß seiner Verfassung ist Algerien eine demokratische Volksrepublik mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist auf zwei Mandate begrenzt (AA 20.6.2023; vgl. AA 10.5.2023). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und - noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB Algier 21.5.2024).

Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekte und die Richter des Landes. Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB Algier 21.5.2024).

Präsident Abdelaziz Bouteflika wurde 2019 nach massiven Demonstrationen („Hirak“) gestürzt. Er war seit 1999, damals 62-jährig, im Amt. Während die Öffentlichkeit eine grundlegende Erneuerung des politischen Systems, mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fordert(e), konsolidierte sich dieses in Richtung eines „Clanwechsels“, dominiert vom neuen Staatspräsidenten Abdelmajid Tebboune und der Armee unter Generalstabschef Saïd Chengriha. Tebboune. Der damals neue [Anm.: und gegenwärtige] Präsident war Premierminister und Minister Bouteflikas, wurde im Dezember 2019 bei einer offiziellen Wahlbeteiligung von knapp unter 40% gleich im ersten Wahlgang gewählt, es standen nur „Systemkandidaten“ zu Auswahl (ÖB Algier 21.5.2024). Bei der Präsidentschaftswahl in Algerien am 7.9.2024 hat sich Amtsinhaber Abdelmadjid Tebboune nach vorläufigen Ergebnissen klar durchgesetzt und eine zweite Amtszeit von weiteren fünf Jahren gewonnen. Tebboune hat gemäß Vorsitzendem der Wahlbehörde 94,6% der Stimmen erhalten. Die beiden Gegenkandidaten blieben demnach völlig chancenlos und erhielt nur 3% beziehungsweise 2% der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit nur 48% ähnlich gering wie vor fünf Jahren. Der Sieg hat für Tebboune damit einen bitteren Beigeschmack und ist auch Ausdruck der Frustration bei vielen Menschen in dem nordafrikanischen Land (Tagesschau 8.9.2024).

Das algerische Parlament besteht aus der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünf-Prozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) und einer zweiten Kammer (Conseil de la Nation oder Senat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2023; vgl. AA 10.5.2023). Die Mitglieder der Nationalen Volksversammlung, des Unterhauses des Parlaments, werden direkt für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt, die nach der Verfassungsreform von 2020 nur einmal verlängert werden kann. Vorgezogene Parlamentswahlen [Anm.: des Unterhauses] fanden 2021 statt; es kam zu Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten. Der Präsident ernennt ein Drittel der Mitglieder des Oberhauses, des Rates der Nation, der aus 144 Mitgliedern besteht, die eine sechsjährige Amtszeit haben. Die anderen zwei Drittel werden indirekt von den Kommunal- und Provinzparlamenten gewählt. Die Hälfte der Mandate der Kammer wird alle drei Jahre erneuert. Die Teilwahlen zum Oberhaus fanden im Februar 2022 statt. Die Kommunal- und Regionalwahlen im Jahr 2021 fanden bei geringer Wahlbeteiligung statt (FH 2024). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach (AA 10.5.2023).

Die politischen Angelegenheiten in Algerien werden seit Langem von einer geschlossenen Elite beherrscht, die sich auf das Militär und die Regierungspartei, die Nationale Befreiungsfront (FLN), stützt. Es gibt zwar mehrere Oppositionsparteien im Parlament, aber die Wahlen werden durch Betrug verzerrt, und die Wahlverfahren sind nicht transparent. Weitere Probleme sind die Unterdrückung von Straßenprotesten, rechtliche Einschränkungen der Medienfreiheit und die grassierende Korruption. Die Hirak-Protestbewegung im Jahr 2019 setzte das Regime unter Druck, sich zu reformieren, aber ein hartes Vorgehen gegen Andersdenkende in den darauffolgenden Jahren hat verhindert, dass es weiterhin zu groß angelegten Demonstrationen kommt (FH 2024).

Am 24.8.2021 sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko aufgrund von Spannungen zwischen den beiden Ländern seitens Algerien abgebrochen worden (REU 25.8.2021). Der algerische Präsident Tebboune hat im März 2023 festgestellt, dass er wenig Hoffnung auf eine positive Entwicklung des Konflikts hat. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind weiterhin schlecht (MaPo 22.3.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2023): Algerien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 28.8.2024

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html, Zugriff 20.8.2024

MaPo - Maghreb Post (22.3.2023): Algerien – Präsident nennt Beziehungen zu Marokko unumkehrbar., https://maghreb-post.de/algerien-praesident-nennt-beziehungen-zu-marokko-unumkehrbar, Zugriff 18.9.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

REU - Reuters (25.8.2021): Algeria cuts diplomatic relations with Morocco, https://www.reuters.com/world/algeria-says-cutting-diplomatic-ties-with-morocco-2021-08-24, Zugriff 18.9.2024

Tagesschau - Tagesschau (8.9.2024): Tebboune gewinnt die Wahl in Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/algerien-wahl-tebboune-100.html, Zugriff 17.9.2024

Sicherheitslage

Demonstrationen

Spontane Demonstrationen können trotz Verboten auch außerhalb der Hauptstadt Algier stattfinden, insbesondere nach den Freitagsgebeten. Auch bei friedlichem Verlauf können vereinzelt gewaltsame Auseinandersetzungen und Verkehrsbehinderungen nicht ausgeschlossen werden (AA 31.5.2024).

Terrorismus

Algerien unternimmt weiterhin erhebliche Anstrengungen, um terroristische Aktivitäten innerhalb seiner Grenzen zu verhindern, und bleibt daher für terroristische Gruppen ein schwieriges Operationsumfeld. Der dschihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden und die Kapazitäten algerischer Terrorgruppen sind aufgrund erfolgreicher Antiterror-Operationen begrenzt. Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) ist auf kleine Reste reduziert, hat sich mehrmals gespalten und ist in Algerien praktisch handlungsunfähig. Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte halten Reste terroristischer Gruppen unter starkem Druck. Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen. Terrorgruppen stellen allerdings weiterhin eine Bedrohung dar, wenn auch in geringerem Ausmaß. Zu erkennen ist die Verringerung terroristischer Aktivitäten auch an den statistischen Werten des Global Terrorism Index für die Jahre 2019 bis 2023 (STDOK 27.6.2024).

Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte (AA 31.5.2024). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB Algier 21.5.2024). Das Fortbestehen bewaffneter islamistischer Gruppen, die in den Bergregionen im Norden und Osten sowie in den Grenzgebieten im Süden sporadische Angriffe auf das Militär verüben, wird allerdings anerkannt. Obwohl diese Gruppen die Unterstützung der lokalen Bevölkerung verloren haben, sind sie weiterhin aktiv und unterhalten Verbindungen zu kriminellen Netzwerken in der Sahelzone (BS 2024).

Spezifische regionale Risiken - Terrorismus

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 31.5.2024). Die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB Algier 21.5.2024). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht weiterhin die Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (AA 31.5.2024; vgl. BMEIA 2.9.2024), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen (AA 31.5.2024). Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren (BMEIA 2.9.2024).

Subjektives Sicherheitsempfinden

In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben 97% der Befragten an, sich in ihrer Wohngegend entweder "sehr sicher" oder "eher sicher" zu fühlen (STDOK 31.12.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (31.5.2024): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044, Zugriff 19.9.2024

BMEIA - Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (2.9.2024): Reisehinweise Algerien, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/algerien, Zugriff 19.9.2024

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA, Zugriff 20.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (27.6.2024): Themenbericht der Staatendokumentation: Terrorismus Nordafrika

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier, Zugriff 13.9.2024

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz agiert nicht immer unabhängig oder unparteiisch und es mangelt ihr an Unabhängigkeit (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, BS 2024, ÖB Algier 21.5.2024). Obwohl die Gewaltenteilung verfassungsmäßig vorgesehen ist (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, BS 2024), schränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz ein (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 11.4.2023, BS 2024, ÖB Algier 21.5.2024) bzw. hat die Exekutive weitgehende Befugnisse über die Justiz (AA 10.5.2023). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023, FH 2024, BS 2024). Der Oberste Justizrat ist auch für die richterliche Disziplin und die Entlassung von Richtern zuständig (USDOS 23.4.2024; vgl. BS 2024, AA 10.5.2023).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Diese Vorschriften wurden im April 2020 durch eine Novellierung des Strafgesetzbuches noch einmal verschärft. Betroffen sind insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit, welche durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden (AA 10.5.2023). Mit der Verordnung 21-08 wurde im Juni 2021 per Präsidialdekret die Terrorismusdefinition in Artikel 87 des Strafgesetzbuches vage ausgeweitet. Seitdem werden unter Bezugnahme auf diesen Artikel zunehmend auch lediglich kritische Äußerungen gegen die Staatsführung in Medien oder sozialen Netzwerken als Förderung von Terrorismus oder Angriff auf die Nationale Einheit ausgelegt. Mehrere kritische Journalisten und Aktivisten wurden bereits unter Artikel 87 mit teils langen Haftstrafen belegt (AA 10.5.2023; vgl. ÖB Algier 21.5.2024).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess, aber in der Praxis respektieren die Behörden diese rechtlichen Bestimmungen nicht immer (USDOS 23.4.2024). Die fehlende Unabhängigkeit von Justiz und Staatsanwaltschaft untergräbt häufig die Rechte der Angeklagten auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, insbesondere in politisch heiklen Fällen gegen ehemalige Beamte oder Bürgeraktivisten. Es kommt häufig zu langen Verzögerungen bei der Anhörung von Angeklagten, und den Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Untersuchungshaft wird in der Regel stattgegeben. Die Sicherheitskräfte führen häufig Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durch und nehmen willkürliche Verhaftungen und kurzfristige Inhaftierungen vor (FH 2024). Die meisten Prozesse sind öffentlich, es sei denn, der Richter stellt fest, dass das Verfahren eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die "Moral" darstellt. Das Strafgesetzbuch sieht kostenfreie Übersetzer für Angeklagte vor. Die Angeklagten haben das Recht, während des Prozesses anwesend zu sein, können aber in Abwesenheit verurteilt werden, wenn sie einer Vorladung nicht Folge leisten (USDOS 23.4.2024).

Personen mit genügend Mitteln bzw. politischen Verbindungen können auf Gerichtsentscheidungen Einfluss nehmen. Mitunter scheinen politische Prozesse und die gerichtliche Verfolgung von unliebsamen Personen oder Kritikern auf der Basis gerichtlich belangbarer Vorwürfe konstruiert zu werden. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen "die Würde des Staates und die Staatssicherheit" festgenommen zu werden. In der Amtszeit von Präsident Tebboune (seit Dezember 2019) wurde die Repression in Algerien erheblich verschärft. 2023 ist von über 300 politischen Gefangenen die Rede. Trotz dieser Zahlen ist die algerische Regierung bemüht, eine oberflächlich versöhnliche Haltung einzunehmen (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA, Zugriff 20.8.2024

FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html, Zugriff 20.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

Sicherheitsbehörden

Die algerischen Sicherheitskräfte bestehen aus der Armee (Algerian People's National Army - ANP), der Nationalen Gendarmerie und der republikanischen Garde unter dem Verteidigungsministerium sowie der nationalen Polizei unter dem Innenministerium. Die Nationale Gendarmerie nimmt unter der Schirmherrschaft des Verteidigungsministeriums polizeiliche Aufgaben außerhalb der städtischen Gebiete wahr; sie besteht aus territorialen, Interventions-/Mobilitäts-, Grenzschutz-, Eisenbahn-, Aufruhrkontroll- und Luftunterstützungseinheiten; die Generaldirektion für Nationale Sicherheit ist mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung (CIA 7.8.2024).

Angesichts der jüngeren Geschichte und der Sicherheitslage im Land ist der Sicherheitsapparat sehr groß dimensioniert. Nationale Gendarmerie und Polizei zählen zusammen allein fast 400.000 Mann. Hinzu kommen die zahlenmäßig nicht bekannten Angehörigen der politisch einflussreichen "Direction des Services de Sécurité" (DSS) [Anm.: Direktion der Sicherheitskräfte] bzw. dessen Nachfolgeorganisationen, die im Bereich Terrorismus und nationale Sicherheit ebenfalls als Strafverfolgungsbehörde funktionieren (ÖB Algier 21.5.2024).

Die Regierung hat Schritte unternommen, um gegen Beamte, die Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Korruption, begangen haben, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Die Generaldirektion für nationale Sicherheit führte Ermittlungen zu Misshandlungsvorwürfen durch und ergriff Verwaltungsmaßnahmen gegen Beamte, die ihrer Meinung nach Misshandlungen begangen hatten. Das Justizministerium meldete mehrere strafrechtlichen Verfolgungen oder Verurteilungen von Zivil-, Sicherheits- oder Militärbeamten wegen Folter oder anderer missbräuchlicher Behandlung. Die Straffreiheit für Polizei- und Sicherheitsbeamte ist nach wie vor ein Problem (USDOS 23.4.2024). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen

CIA - Central Intelligence Agency [USA] (7.8.2024): Algeria - The World Factbook, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/#military-and-security, Zugriff 21.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (AA 10.5.2023; vgl. USDOS 23.4.2024, ÖB Algier 21.5.2024), auch im algerischen Strafgesetz ist Folter seit 2004 ein Verbrechen. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird nicht angewendet (AA 10.5.2023). Das Strafmaß für Folter für Beamte liegt zwischen 10 und 20 Jahren (USDOS 23.4.2024).

Folter wird laut Menschenrechtsbeobachtern gelegentlich zur Erzwingung von Aussagen und Geständnissen angewandt (ÖB Algier 21.5.2024) bzw. gibt es glaubwürdige Berichte, dass Folter von Beamten angewendet wird (USDOS 23.4.2024). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass die Polizei gelegentlich übermäßige Gewalt gegen Verdächtige, einschließlich Demonstranten und Informanten, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen, anwendet, was einer Folter oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen könnte (USDOS 23.4.2024). Vor Gericht werden Aussagen bezüglich Folter von den Justizbehörden ignoriert (AI 24.4.2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Algeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107829.html, Zugriff 21.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen wirksam um. Es gibt vereinzelte Berichte, wonach Korruption in der Regierung gerichtlich verfolgt wird (USDOS 23.4.2024). Gemäß anderer Angaben beruht Korruption in der Regierung hauptsächlich auf unangemessenen Anti-Korruptionsgesetzen, intransparenten Strukturen, mangelnder Unabhängigkeit der Justiz und aufgeblasener Bürokratie. Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung werden häufig dazu genutzt, Zwistigkeiten zwischen den Fraktionen innerhalb des Regimes auszutragen und die Popularität der amtierenden Behörden zu steigern (FH 2024).

Aus realem Anlass, um der Bevölkerung entgegenzukommen, aber auch um das Aufkommen alternativer Machtfaktoren zu behindern, wurden mit teilweise fragwürdigen juristischen Mitteln Verfahren gegen zahlreiche Mitglieder ehemaliger Regierungen, Verwaltungsbeamte und Unternehmer wegen korruptionsbezogener Vorgänge eingeleitet bzw. diese inhaftiert. Die Repression hat mit über 300 politischen Gefangenen ein neues Level erreicht, welches mit jenem unter Präsident Bouteflika nicht vergleichbar ist (ÖB Algier 21.5.2024). Eine Reihe ehemaliger politischer und wirtschaftlicher Verbündeter Bouteflikas wurden im Rahmen der Antikorruptionskampagne, die auf seinen Rücktritt folgte, zu harten Gefängnisstrafen verurteilt (FH 2024; vgl. ÖB Algier 21.5.2024).

Am 19.7.2022 richtete die Regierung eine neue Antikorruptionsbehörde ein, die Hohe Behörde für Transparenz, Prävention und Korruptionsbekämpfung, eine unabhängige Antikorruptionsbehörde, die mit der Durchführung von administrativen und finanziellen Ermittlungen in Bezug auf mutmaßliche illegale Bereicherung von Amtsträgern beauftragt ist. Der Rat der Hohen Behörde setzt sich aus Richtern, nationalen Persönlichkeiten und Vertretern der Zivilgesellschaft zusammen (USDOS 20.3.2023).

Auf dem Corruption Perceptions Index für 2023 liegt Algerien mit einer Punktezahl von 36 von 100 [Anm.: 100 ist das bestmögliche Ergebnis] auf Platz 104 von 180 untersuchten Staaten (TI 30.1.2024).

Quellen

FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html, Zugriff 20.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

TI - Transparency International (30.1.2024): 2023 Corruption Perceptions Index: Explore the results, https://www.transparency.org/en/cpi/2023, Zugriff 22.8.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089128.html, Zugriff 22.8.2024

Allgemeine Menschenrechtslage

Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet (AA 20.6.2023). Systematische staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 10.5.2023). NGOs kritisieren zunehmende Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs-, und Pressefreiheit (AA 20.6.2023; vgl. USDOS 23.4.2024, HRW 11.1.2024) - in diesen Bereichen verschlechterte sich die Lage im Jahr 2023 (USDOS 23.4.2024). Die algerischen Behörden haben im Jahr 2023 die Unterdrückung der Meinungs-, Presse-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit im Rahmen ihrer fortgesetzten Bemühungen zur Unterdrückung des organisierten Widerstandes verschärft. Sie haben wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen aufgelöst, Oppositionsparteien und unabhängige Medien suspendiert und weiterhin restriktive Gesetze angewandt, um Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten, Journalisten und Anwälte zu verfolgen - unter anderem wegen des zweifelhaften Vorwurfs des Terrorismus und der Annahme von Geldern zur Schädigung der Staatssicherheit -, was einige von ihnen zur Flucht ins Exil veranlasste (HRW 11.1.2024). Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unter anderem Folter oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch Angehörige der Sicherheitskräfte; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Unparteilichkeit sowie rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre (USDOS 23.4.2024).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet (USDOS 23.4.2024), schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024). Die Behörden nutzen rechtliche Mechanismen, um die Medienarbeit einzuschränken (FH 2024). Öffentliche Debatten und Kritik an der Regierung sind weit verbreitet, jedoch ist es für Journalisten und Aktivisten problematisch, bestimmte rote Linien zu überschreiten (USDOS 23.4.2024). Die Behörden setzen Journalisten und Kritiker Schikanen und Einschüchterungen aus (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024). Journalisten berichten, dass selektive Strafverfolgung als Einschüchterungsmechanismus dient. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen schüchtert die Regierung Aktivisten und Journalisten ein. Zu den Maßnahmen der Regierung gehören die Schikanierung einiger Kritiker, die willkürliche Durchsetzung vage formulierter Gesetze und informeller Druck auf Verleger, Redakteure, Anzeigenkunden und Journalisten (USDOS 23.4.2024). Die algerische Presse zeichnet sich durch rapide schwindenden Pluralismus und Druck gegen unabhängige Zeitungen aus. Der Staat kontrolliert zwei Schlüsselressourcen für die Printmedien, die öffentlichen Druckereien und subventionierte Papierlieferungen. Daneben besteht ein weiteres Mittel staatlicher Einflussnahme in Gestalt der staatlichen Werbe- und Vertriebsgesellschaft ANEP, über die alle staatlichen Unternehmen ihre Werbung platzieren. Ein Rückgang dieser Werbeeinnahmen hat in den letzten Jahren zur Schließung mehrerer Zeitungen geführt. Die Abhängigkeit von diesen Ressourcen führt zu Selbstzensur seitens der Herausgeber und Redakteure (AA 10.5.2023). Obwohl sich manche Zeitungen in Privatbesitz befinden und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert (FH 2024). Die Behörden verhaften und inhaftieren Bürger, weil sie Ansichten äußern, die als schädlich für staatliche Beamte und Institutionen angesehen werden, einschließlich der Verwendung der Amazigh-Flagge bei Protesten, und die Bürger üben Selbstzensur bei der Äußerung öffentlicher Kritik (USDOS 23.4.2024).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 10.5.2023; vgl. USDOS 23.4.2024) bzw. wird die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. USDOS 23.4.2024) und auch anderswo ist es schwierig, eine Genehmigung zu erhalten (USDOS 23.4.2024). Politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB Algier 21.5.2024).

Gesetzliche Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bestehen weiterhin, werden aber uneinheitlich durchgesetzt. Obwohl die Hirak-Proteste, die 2019 begannen, manchmal toleriert wurden, griffen die Behörden häufig zu Gewalt und willkürlichen Verhaftungen, um Kundgebungen zu verhindern oder aufzulösen. Nach der Wiederaufnahme der Demonstrationen im Jahr 2021 sahen sich die Hirak-Demonstranten zunehmenden Repressionen ausgesetzt, wodurch die Bewegung an Schwung verlor. Im Jahr 2023 kam es zu keinen größeren Hirak-Protesten, aber die Polizei nahm im Laufe des Jahres 2023 weiterhin Personen fest, denen Verbindungen zu der Bewegung nachgesagt wurden (FH 2024).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden. Nach der Registrierung müssen die Organisationen die Regierung über ihre Aktivitäten, Finanzierungsquellen und Mitarbeiter informieren und auch personelle Veränderungen mitteilen. Dennoch sind verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen aktiv. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt bzw. ist Kooperation nur selten mit dieser möglich (USDOS 23.4.2024).

Eine Parteigründung bleibt weiterhin schwierig (ÖB Algier 21.5.2024). Für die Gründung einer Partei ist - wie bei anderen Vereinigungen - eine Genehmigung des Innenministeriums nötig. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten, aber verschiedene politische Parteien mit religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit werden toleriert (USDOS 23.4.2024). Die Zunahme neuer politischer Parteien nach dem Arabischen Frühling und dem Hirak hat neue Bevölkerungsgruppen mobilisiert. Sie hat jedoch auch zu einer möglichen Zersplitterung der Opposition geführt und kleinere Unterstützergruppen für die regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) geschaffen (BS 2024). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind. In den privaten Medien sind oppositionelle Parteien wenig, in den staatlichen Medien gar nicht präsent. Mehrere Parteien haben kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind. Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 10.5.2023).

Der Nationale Menschenrechtsrat (CNDH) verfügt über Haushaltsautonomie und hat die verfassungsmäßige Aufgabe, mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, offiziell zu den von der Regierung vorgeschlagenen Gesetzen Stellung zu nehmen und dem Präsidenten, dem Premierminister und den beiden Parlamentspräsidenten einen veröffentlichten Jahresbericht vorzulegen. Die CNDH ist in fast allen Gemeinden und in fünf regionalen Delegationen in Chlef, Biskra, Setif, Bechar und Bejaia vertreten. Die CNDH stellte fest, dass sie im Laufe des Jahres 2023 Gefängnisbesuche durchführte, Sitzungen mit der Arabischen Liga und Penal Reform International abhielt, Krankenhäuser und Pflegeheime besuchte, um einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung für gefährdete Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, und Sondersitzungen abhielt, um den Klimawandel nach den Waldbränden im Nordosten des Landes zu thematisieren (USDOS 23.4.2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.6.2023): Algerien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 28.8.2024

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA, Zugriff 20.8.2024

FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html, Zugriff 20.8.2024

HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103142.html, Zugriff 29.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind hart und aufgrund von körperlichen Misshandlungen und unzureichender medizinischer Versorgung lebensbedrohlich (USDOS 23.4.2024). Die Haftbedingungen sind schlecht, und einige Insassen sind Berichten zufolge starker Überbelegung ausgesetzt und haben mit schlechten sanitären Einrichtungen zu kämpfen (FH 2024). Vulnerable Häftlinge werden getrennt inhaftiert (USDOS 23.4.2024).

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023) und lokale Menschenrechtsbeobachter (USDOS 23.4.2024) besuchen Inhaftierte in verschiedenen Gefängnissen (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 10.5.2023). Der IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilte die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv (AA 10.5.2023).

Es werden für Gefängnispersonal Schulungen zu Menschenrechtsstandards durchgeführt. Die DGSN [Generalsekretariat für die nationale Sicherheit] berichtete, dass sie im Laufe des Jahres 2023 170 Schulungen zum Thema Menschenrechte für 8.467 Polizeibeamte in allen 58 Bundesstaaten durchgeführt hat, was eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr darstellt (USDOS 23.4.2024). Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren Kooperationsprojekten von ausländischen Experten konstatiert werden. Von 144 Strafanstalten sind 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung ist allgemein gut. Bei Resozialisierungsmaßnahmen bzw. der Betreuung nach Entlassung aus der Haft sind Defizite festzustellen (AA 10.5.2023).

Verbesserungen: Im Laufe des Jahres 2023 meldete das Justizministerium mehrere Verbesserungen der Haftbedingungen, darunter die Einrichtung von öffentlichen Telefonen in drei neuen Gefängnissen, die Eröffnung von zwei neuen Gefängnissen, um die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern, und die Verbesserung der medizinischen Einrichtungen in mehreren Gefängnissen im ganzen Land. Die Behörden führten außerdem Schulungsprogramme für Gefängnisbeamte zu national und international verankerten Rechten für Gefangene sowie Schulungen zum besonderen Schutz von Frauen und Minderjährigen in Gefängnissen ein (USDOS 23.4.2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2108025.html, Zugriff 20.8.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107601.html, Zugriff 20.8.2024

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist für zahlreiche Delikte vorgesehen und wird auch verhängt, doch gibt es in der Praxis ein Moratorium und seit 1993 werden offiziell keine Exekutionen mehr durchgeführt (AA 10.5.2023; vgl. ÖB Algier 21.5.2024, AI 24.4.2024, ECPM o.D.). Im Jahr 2023 gab es zumindest 38 Todesurteile (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. ECPM o.D.)

Für den Fall einer Auslieferung besteht die Möglichkeit, Nichtverhängung oder Nichtvollzug der Todesstrafe zu vereinbaren (AA 10.5.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Algeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107829.html, Zugriff 21.8.2024

ECPM - Ensemble contre la peine de mort (o.D.): Worldmap - ECPM, https://www.ecpm.org/en/worldmap, Zugriff 2.9.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

Grundversorgung

Algerien ist als flächenmäßig größtes Land des afrikanischen Kontinents ein bedeutender ökonomischer Akteur. Algerien stützt sich wirtschaftlich auf Förderung und Export von Öl und Gas. Eine Diversifizierung steht aber schon länger auf der politischen Agenda. Angesichts der Energiekrise in Europa hat die Bedeutung Algeriens als verlässlicher Lieferant nochmals zugenommen. Algerien möchte diese Position im Energiesektor langfristig sichern. Dazu gehört neben Modernisierung und Ausbau der bestehenden Öl- und Gasinfrastruktur der Aufbau einer auf erneuerbaren Energiequellen basierenden Produktion von Wasserstoff (ABG 8.2024).

Im Jahr 2021 trug eine kräftige Erholung der Erdöl- und Gasproduktion dazu bei, dass sich die Wirtschaft von der durch COVID-19 ausgelösten Rezession erholt hat. Die Außenhandels- und Haushaltssalden erholten sich 2022 merklich und profitierten vom Anstieg der Weltmarktpreise für Erdöl- und Gas. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der Erdöl- und Gasboom Algerien Fortschritte in der wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung ermöglicht. Das Land hat 2008 seine multilateralen Schulden fast beglichen, in Infrastrukturprojekte zur Förderung des Wirtschaftswachstums investiert und eine umverteilende Sozialpolitik eingeführt, die die Armut gelindert und die Indikatoren für die menschliche Entwicklung deutlich verbessert hat (WB 30.5.2023). Dennoch bleibt die Inflation mit 9,4% hoch. Um die Kaufkraft zu sichern, hat die Regierung Maßnahmen wie die Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst und die Einführung von Arbeitslosenunterstützung ergriffen. Dieses Ausgabenniveau könnte jedoch zu einer Herausforderung werden, wenn die Gaspreise in Zukunft sinken (BS 2024).

Die algerische Wirtschaft wird voraussichtlich bis Ende 2023 um 2,8% wachsen, angetrieben durch steigende Erdgasförderung, eine erhebliche Zunahme der Getreideproduktion und verstärkte Investitionen in Industrie und Bauwesen. Algeriens Wirtschaft ist stark von Erdöl und Erdgas abhängig. Etwa 60% der Steuereinnahmen und 90% der Exporteinnahmen des Landes kommen aus diesem Sektor. Das Land setzt verstärkt auf die Diversifizierung seiner Wirtschaft und den Ausbau der lokalen Produktion. Diese Strategie zielt darauf ab, die Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten zu verringern und langfristiges, nachhaltiges Wachstum zu fördern (WKO 13.9.2024).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB Algier 21.5.2024).

Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien- und im Süden des Landes auch der Stammesverband für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 10.5.2023).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln war bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Staatliche oder karitative Einrichtungen, die eine Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse sicherstellen, sind nicht bekannt (AA 10.5.2023). In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage gaben 61% der Befragten an, dass es ihnen gelingt, ihren Haushalt trotz der aktuellen Lebensmittelpreise ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, 30% können sich gerade so mit Lebensmitteln versorgen und nur 9% können ihren Haushalt kaum oder gar nicht mit Lebensmitteln versorgen. Etwas schwieriger ist die Situation beim Kauf von grundlegenden Konsumgütern wie Kleidung oder Schuhen: 43% der Befragten sind in der Lage, ihren Haushalt mit diesen Gütern zu versorgen, 42% schaffen es gerade so, und 14% können ihren Haushalt kaum oder gar nicht mit diesen Gütern versorgen (STDOK 31.12.2023). [Anm.: Zu beachten ist, dass es sich hier um eine Befragung in Städten handelt, ländliche Gebiete sind nicht erfasst - hier können Unterschiede im Zugang zu Grundnahrungsmitteln und Konsumgütern bestehen.]

Die Prognosen für die Entwicklungen am algerischen Arbeitsmarkt sind ungünstig, die Arbeitslosigkeit steigt. Dies ist nicht nur auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, sondern auch auf sinkende Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft und einer politischen Krise im Jahr 2019. Die Gehälter im öffentlichen Sektor sind höher als in der Privatwirtschaft. Allgemein steigen die Reallöhne in Algerien langsamer als das allgemeine Preisniveau (ABG 8.2024).

Die Arbeitslosigkeit (15-64-Jährige) lag 2022 bei 11,6% (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. BS 2024) bzw. 12,4% und 2023 bei 11,8% (WKO 8.2024), die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-Jährige) 2022 bei 29,0% (ÖB Algier 21.5.2024) bzw. 32,0% und 2023 bei 30,8% (WKO 8.2024). Die Perspektivenlosigkeit der Jugend ist ungebrochen, eine hohe Zahl findet keine geregelte Arbeit. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% geschätzt wird (ÖB Algier 21.5.2024).

Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen. Seit Feber 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB Algier 21.5.2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

ABG - Africa Business Guide (8.2024): Länderprofil - Wirtschaft in Algerien, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/algerien, Zugriff 12.9.2024

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Algeria Country Report, https://bti-project.org/de/reports/country-report/DZA, Zugriff 20.8.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier, Zugriff 13.9.2024

WB - Weltbank (30.5.2023): Algeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/algeria/overview, Zugriff 12.9.2024

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (13.9.2024): Algerien: Wirtschaftslage, https://www.wko.at/aussenwirtschaft/algerien-wirtschaftslage, Zugriff 13.9.2024

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (8.2024): Länderprofil Algerien

Medizinische Versorgung

Die Effizienz des Gesundheitswesens in Algerien ist im weltweiten Vergleich eher überdurchschnittlich. Die wohl wichtigste Kennzahl, mit der sich die Effizienz aller Maßnahmen zusammenfassen lässt, ist die allgemeine Lebenserwartung. Also das theoretische Alter, das ein heute Neugeborenes potenziell erreichen wird. Im Moment liegt dieses Alter in Algerien für Männer bei 75,9 und für Frauen bei 78,5 Jahren. Zum Vergleich: Weltweit liegt die Lebenserwartung etwa 5,1 Jahre niedriger (Männer: 69,6 / Frauen: 74,5 Jahre). Insgesamt wird pro Einwohner eine Summe von 188,19 Euro veranschlagt, die jährlich auf Staatskosten für gesundheitliche Maßnahmen ausgegeben wird. Dies entspricht circa 5,5 % des Bruttoinlandsproduktes. International liegt dieser Betrag bei durchschnittlich 1.170,47 Euro (~ 10,4 % des jeweiligen BIP) (Laenderdaten 15.9.2024).

Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Algerien ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich. Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,9 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung. Mit rund 79.000 ausgebildeten Ärzten in Algerien stehen pro 1000 Einwohner rund 1,73 Ärzte zur Verfügung. Auch hier wieder der Vergleich: Weltweit liegt dieser Standard bei 1,70 Ärzten pro 1000 Einwohnern und in der EU sogar bei 4,28. Durch den niedrigen Versorgungsstand kann die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten nur in vergleichsweise wenigen Fällen reduziert werden (Laenderdaten 15.9.2024).

Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 10.5.2023). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB Algier 21.5.2024).

In einer in drei großen algerischen Städten mit einem repräsentativen Sample im November bis Dezember 2023 durchgeführten Umfrage zur sozio-ökonomischen Lage wurde, was den Zugang zu Allgemeinmediziner/Hausarzt betrifft, erhoben, dass 85% des Samples Zugang haben und sich den Besuch leisten können. 11% haben demnach Zugang, können sich den Besuch aber nicht leisten. Zu einem Facharzt (Zahnarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Urologe,...) haben drei Viertel der Befragten (75%) Zugang und können sich den Besuch leisten. 22% haben Zugang, könne sich den Besuch aber nicht leisten. Wenn es um Krebsbehandlungen oder Operationen in Krankenhäusern geht, haben nur die Hälfte (50%) der Befragten Zugang und können sich diesen leisten, ca. ein Drittel (30%) haben Zugang, können sich die Behandlung aber nicht leisten. 83% haben Zugang zu Medikamenten und können sie sich auch leisten (STDOK 31.12.2023). [Anm.: Zu beachten ist, dass es sich hier um eine Befragung in Städten handelt, ländliche Gebiete sind nicht erfasst - hier kann ein großer Unterschied v. a. in der medizinischen Versorgung bestehen.]

Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z. B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten (ÖB Algier 21.5.2024).

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Krankenversichert ist jedoch nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB Algier 21.5.2024).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 10.5.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

Laenderdaten - Laenderdaten.info (15.9.2024): Gesundheitswesen in Algerien, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Algerien/gesundheit.php, Zugriff 16.9.2024

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (31.12.2023): Algeria: Socio-Economic Survey 2023, https://www.ecoi.net/en/file/local/2106869/2024-04-03_Dossier, Zugriff 13.9.2024

Rückkehr

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der österreichischen Botschaft in Algier nicht bekannt (ÖB Algier 21.5.2024). Es gibt seitens der algerischen Regierung keine Reintegrationsprojekte. In der Regel werden Rückkehrer von der Familie aufgefangen. Unterkunft, Verpflegung und medizinische Versorgung werden von den Familienmitgliedern geleistet. Rückkehrer werden erst wieder in das staatliche Sozialversicherungssystem aufgenommen, wenn sie erwerbstätig sind (AA 10.5.2023).

Von 2018 bis 2022 gab es allerdings das Europäische Rückkehr- und Reintegrationsnetzwerk (ERRIN) – eine Arbeitsgemeinschaft aus 16 EU-Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (EBCGA/FRONTEX) und der Europäischen Kommission – die in Fragen der Hilfestellung und Begleitung von Rückkehrern tätig war. Als Fortführung des ERRIN-Projekts wurde mit 1.4.2022 das JRS-Programm (Joint Reintegration Services) gestartet. Dieses bietet individuelle Reintegrationshilfen für Rückkehrer in ihre Herkunftsländer. Für die Koordinierung der Reintegrationshilfen bleibt das BMI auf nationaler Ebene weiterhin zuständig. Reintegrationshilfen können ab 1.7.2022 über das europäische JRS-Programm beantragt werden. Für die Umsetzung der 12-monatigen Reintegrationshilfen gelten die bisherigen Projektinhalte fort. Es kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wieder aufnehmen und unterstützen; häufig sind Fälle, in denen Familien Angehörige mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützt haben. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankreich und Deutschland, für Personen, die freiwillig ausgereist sind, ähnliches gibt es in unterschiedlicher Höhe auch für andere EU-Staaten. In Österreich bietet Return From Austria in Kooperation mit Frontex (JRS) finanzielle Rückkehrhilfe an (ÖB Algier 21.5.2024). IOM führt ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach und der Integration in Algerien durch. Das Programm wird aus EU-Mitteln und auch bilateral von deutscher Seite unterstützt (AA 10.5.2023).

Algerien erklärt sich bei Treffen mit EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststeht, dass es sich um algerische Staatsbürger handelt. Nachfragen bei EU-Botschaften bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert, allerdings ist der Rhythmus relativ langsam, angeblich maximal 5-10 pro Tag, bzw. auch pro Woche. Algerien behauptet, dass dies auf die insgesamt vielen Rückübernahmen aus zahlreichen Staaten zurückzuführen ist, weil die Aufnahmebehörden sonst überlastet wären. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB Algier 21.5.2024).

Die illegale Ausreise ist strafbar (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und/oder eine Geldstrafe (ÖB Algier 21.5.2024; vgl. AA 10.5.2023) zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 137 - 410 Euro] vor (ÖB Algier 21.5.2024).

Üblicherweise werden lediglich Geldstrafen in Höhe von 20.000 Dinar (nach offiziellem Kurs rd. 150 Euro, am Schwarzmarkt ca. 100 Euro) verhängt, die Höhe richte sich nach der Art der illegalen Ausreise. So wird eine Ausreise mit dem Boot etwa höher bestraft als ein simpler „Overstay“ (ÖB Algier 21.5.2024). Nach anderen Angaben werden Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge ("harraga") sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 10.5.2023).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (10.5.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2091939/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_(Stand_März_2023),_10.05.2023.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

ÖB Algier - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (21.5.2024): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2109608/ALGE_ÖB_Bericht_2024_05_21.pdf, Zugriff 20.8.2024 [Login erforderlich]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die vorgelegten Akten des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und vor der belangten Behörde, in die in Vorlage gebrachten Nachweise und Unterlagen sowie in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Ferner wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Algerien vom 01.10.2024 berücksichtigt. Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.01.2025 in Anwesenheit des BF und seiner Rechtsvertretung nebst einem Dolmetscher für die Sprache Arabisch. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und dem Hauptverband österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des BF:

Die Identität und die algerische Staatsangehörigkeit des BF stehen aufgrund der glaubhaften Aussagen des BF fest und sind diese nicht strittig. Dass der BF vor dem BFA zunächst mit einer libyschen und in weiterer Folge mit einer tunesischen Alias-Identität aufgetreten ist, hat der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft eingeräumt.

Die Feststellungen betreffend die weiteren Personenmerkmale des BF (Familienstand, Sprachkenntnisse, Herkunft, Schulbildung und Berufserfahrung, Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit, Familienverhältnisse sowie Aufenthaltsort seiner Angehörigen) ergeben sich aus den diesbezüglich grundsätzlich übereinstimmenden Angaben des BF im gegenständlichen Verfahren in Zusammenschau mit den getroffenen Feststellungen und Ausführungen im Vorverfahren. Der Aktenlage sind keinerlei Anhaltspunkte auf etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen des BF zu entnehmen und war daraus abgeleitet festzustellen, dass er gesund und arbeitsfähig ist, wie er dies im Verfahren schließlich auch wiederholt bestätigte. Schließlich ist diesbezüglich auch auszuführen, dass der BF insbesondere zu Arbeitszwecken nach Europa bzw. Österreich gereist ist und war daher seine Arbeitswilligkeit festzustellen.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Algerien, zur illegalen Einreise in Österreich im Oktober 2021, zu dem von ihm gestellten Anträgen auf internationalen Schutz und den von ihm in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Fluchtgründen sowie zum Ausgang des Verfahrens sind unstrittig und stützen sich auf den eingeholten Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie auf eine Einsichtnahme in den Akt des Erstverfahrens und wurde den dahingehend getroffenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid schließlich auch in der Beschwerdeschrift nicht entgegengetreten. Dass der BF bereits in Griechenland einen Asylantrag stellte ist durch einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 belegt ( XXXX , 08.10.2019 23:00 / XXXX ).

Dass der BF im rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren in Österreich und auch im gegenständlichen Folgeantragsverfahren seiner Mitwirkungspflicht im Asylverfahren nicht nachgekommen ist und untergetaucht ist, ist unstrittig.

Dem eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister sind seine kurzen behördlichen Meldezeiten zu entnehmen.

Dass der BF in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und er lediglich illegal als Maler gearbeitet hat, ergibt sich aus einer Einsichtnahme in die Datenbank des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (AJ-Web-Auszug) den BF betreffend sowie aus seinen Aussagen vor der Polizei und im Rahmen der Beschwerdeverhandlung.

2.3. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des BF:

Vom Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob zwischen der Rechtskraft des Bescheides des BFA vom 09.06.2022 und der Zurückweisung des gegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache mit Bescheid des BFA vom 11.11.2024 eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist.

Eine solch wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage ist fallbezogen nicht erkennbar und gelangt das erkennende Gericht zur Überzeugung, dass keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht wurden, denen zumindest ein glaubhafter Kern innewohnt.

Der BF hat sowohl bei der Asylantragstellung am 04.10.2021 [„Ich habe meine Heimat wegen der Armut verlassen. Ich muss meine Familie finanziell unterstützen und arbeiten. Das sind meine einzigen Asylgründe.“] als auch bei der Folgeantragstellung am 17.10.2024 [„In meiner Heimat gibt es keine Arbeit und keine Zukunft. Es sind genau die gleichen Gründe wie bei meinem ersten Asylantrag, es hat sich nichts verändert. Das sind all meine Fluchtgründe.“] lediglich wirtschaftliche Beweggründe ins Treffen geführt.

Mit Beschwerdeergänzung vom 16.01.01.2025 führte die Rechtsvertretung des BF im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wortwörtlich aus wie folgt: „Der BF ist nach Europa gekommen, um hier zu arbeiten und so seine verschuldete Familie in Algerien zu unterstützen“.

Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der BF keine anderen Fluchtgründe zu Protokoll:

„RI: Was sind Ihre Fluchtgründe, warum haben Sie Algerien verlassen?

BF: Ich habe Algerien verlassen, damit ich meine Familie unterstützen kann. Wir sind eine arme Familie und mein Vater hatte Schulden.

RI: Werden Sie in Algerien bedroht?

BF: Nein.

RI: Gibt es außer der Armut und den wirtschaftlichen Gründen weitere Gründe, warum Sie Algerien verlassen haben?

BF: Nein, es gibt keine anderen Gründe.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Ich habe meinen Militärdienst nicht absolviert und somit besteht auch die Gefahr, dass sie mich einziehen würden.

RI: Was spricht dagegen den Militärdienst abzuleisten?

BF: Nichts, aber ich will nicht zurück nach Algerien.“

Der BF hat somit in beiden Asylverfahren eine Bedrohungssituation im Herkunftsstaat nicht einmal behauptet. Er hat glaubhaft vorgebracht seinen Herkunftsstaat aufgrund Armut und der Arbeitssuche in Europa verlassen zu haben.

Zusammenfassend sind die vom BF ins Treffen geführten Gründe für seine neuerliche Asylantragstellung jedenfalls nicht geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und kann darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Soweit sich der BF auf seine bisherigen Fluchtgründe berief, so hat er sich damit auf Umstände gestützt, welche von ihm bereits im Vorverfahren geltend gemacht wurden und demnach bereits von der Rechtskraft des Erstverfahrens mitumfasst sind.

Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen (vgl. etwa VwGH 15.05.2012, 2012/18/0041). Eine wesentliche Änderung der Situation in Algerien wurde im Verfahren jedoch nicht substantiiert dargelegt. Derartiges ergibt sich auch nicht aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts. Es sind auch keine wesentlichen in der Person des BF liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, etwa eine schwere lebensbedrohliche Erkrankung oder ein sonstiger auf seine Person bezogener außergewöhnlicher Umstand, welcher eine neuerliche umfassende Refoulementprüfung notwendig erscheinen ließe. Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, ist der BF gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig und nimmt er auch keine Medikamente ein. Ferner verfügt er in Algerien nach wie vor über familiäre Anbindungen.

Auch ist nicht bekannt, dass in ganz Algerien gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefahr im Sinn der Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt ist, und es besteht nicht auf dem gesamten Staatsgebiet von Algerien ein innerstaatlicher oder internationaler Konflikt, durch den mit einem Aufenthalt in Algerien für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt verbunden wäre. Nicht zuletzt gilt Algerien als sicherer Herkunftsstaat iSd Herkunftsstaaten-Verordnung.

In Bezug auf eine etwaige Rückkehrgefährdung im Sinne einer realen Gefahr einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK verankerten Rechte des BF ist daher keine Änderung des Sachverhaltes erkenntlich. Insgesamt ist somit weder eine Änderung der Rechts- noch der Sachlage feststellbar.

2.4. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die unter Punkt 1.3. getroffenen Feststellungen zur Lage in Algerien basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 01.10.2024 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Zu den darin verwendeten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen im angefochtenen Bescheid um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln und trat der BF diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland auch nicht substantiiert entgegen, weshalb die obgenannten Länderfeststellungen der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten. Die Situation im Herkunftsstaat hat sich nicht entscheidungswesentlich verändert.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Da die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst (vgl. VwGH 05.08.2020, Ra 2020/20/0192, mwN).

Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht, und hat dementsprechend - bei einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache - entweder (im Falle des Vorliegens entschiedener Sache) das Rechtsmittel abzuweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das BFA den neuerlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Eine entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21. 3. 1985, 83/06/0023, u.a.). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts Anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes – nicht bloß von Nebenumständen – kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27. 9. 2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG dann vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl. VwGH 24. 2. 2005, 2004/20/0010 bis 0013; VwGH 4. 11. 2004, 2002/20/0391; VwGH 20. 3. 2003, 99/20/0480; VwGH 21. 11. 2002, 2002/20/0315).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 9. 9. 1999, 97/21/0913; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0066; VwGH, 14.01.2020, Ra 2019/18/0311). Ist davon auszugehen, dass ein/eine Asylwerber/Asylwerberin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser/diese jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. VwGH 4. 11. 2004, 2002/20/0391; VwGH 24. 8. 2004; 2003/01/0431; VwGH 21. 11. 2002, 2002/20/0315; VwGH 24. 2. 2000, 99/20/0173; VwGH 21. 10. 1999, 98/20/0467).

Als Vergleichsmaßstab im Hinblick auf das Vorbringen des BF anlässlich seines verfahrensgegenständlichen Folgeantrages auf internationalen Schutz ist der Bescheid des BFA vom 09.06.2022 heranzuziehen, mit welchem sein erster Antrag auf internationalen Schutz nach inhaltlicher Prüfung rechtskräftig als unbegründet abgewiesen wurde.

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, d.h. eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, der den ersten Antrag auf internationalen Schutz abweisende Bescheid des BFA vom 09.06.2022 ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

Im hier zu entscheidenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde – wie in der Beweiswürdigung unter Punkt 2.3. dargelegt – völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass entschiedene Sache vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des BFA an, dass die Angaben des BF im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet sind, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken und dass darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann. Weder im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren, noch im gegenständlichen Verfahren hat der BF glaubhaft asylrelevante Fluchtgründe ins Treffen geführt und war er demnach nicht in der Lage, eine seine Person betreffende Bedrohungssituation aufzuzeigen. Wesentliche Änderungen in der Person des BF bzw. der allgemeinen Lage in Algerien wurden ebenso nicht substantiiert behauptet und sind nicht hervorgekommen, sodass auch unter dem Blickwinkel des subsidiären Schutzes keine neue inhaltliche Prüfung notwendig war.

Da somit weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden kann.

Die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides waren sohin vollinhaltlich zu bestätigen und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG abzuweisen.

3.3. Zum Umstand, dass keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde:

Nach § 59 Abs. 5 FPG bedarf es, wenn gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 hervorgekommen.

Nur im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes bedarf es daher einer neuen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können (VwGH, 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087 oder auch Ra 2017/01/0287 vom 22.03.2018).

Gegen den BF besteht aufgrund des Bescheides der belangten Behörde vom 09.06.2022, Zl. XXXX , eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung, die mit einem Einreiseverbot verbunden ist. Die belangte Behörde verzichtete daher zu Recht darauf, im gegenständlichen Verfahren eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.