JudikaturBVwG

W176 2288392-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
18. Oktober 2024

Spruch

W176 2288392-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2024, Zl. 1309646208/221742428, wegen Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am XXXX 05.2022 stellte der illegal ins Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer (BF) XXXX , syrischer Staatsangehöriger, einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 01.06.2022 erfolgte seine Erstbefragung, bei der er angab, Syrien verlassen zu haben, weil er den Wehrdienst nicht leisten wolle, und am XXXX 10.2023 seine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht).

Bei dieser Einvernahme führte der BF aus, er stamme aus XXXX und sei 2012 von Syrien wegen des Bürgerkrieges in die Türkei gereist. Die Türkei, in der er als Maler und Chauffeur gearbeitet habe, habe er im April 2022 verlassen; seine Frau und seine Kinder seien nach wie vor dort aufhältig. Er habe den Wehrdienst in Syrien noch nicht abgeleistet und befürchte, im Falle seiner Rückkehr dorthin in die syrische Armee einberufen zu werden und vom syrischen Regime, den Kurden oder „den Radikalen“ festgenommen zu werden.

2. Mit dem nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid vom 06.02.2024 wies die belangte Behörde den Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Die Abweisung des Antrages im Asylpunkt begründete die belangte Behörde zusammengefasst damit, der BF habe eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können, zumal seine Einberufung zur syrischen Armee unwahrscheinlich sei.

3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dem BF entgegen der Annahme der belangten Behörde der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen sei, weil ihm aufgrund seiner Weigerung, den Wehrdienst bei der syrischen Armee asylrelevante Verfolgung drohe. Außerdem brachte der BF neu vor, dass es bereits vor Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien einen Streit zwischen seiner Familie und einer Familie namens Berri gegeben habe. Die Familie Berri habe im Bürgerkrieg das syrische Regime unterstützt und sei deswegen sehr mächtig. Da die Familie des BF wegen des Streites um das Grundstück von der genannten Familie bei den syrischen Behörden angeschwärzt worden sei, werde nun die gesamte Familie des BF vom syrischen Regime gesucht.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

5. Am 26.09.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Darin wurde der BF zu seinen Fluchtgründen befragt, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab:

Er sei Kurde und Moslem, wisse aber nicht, welcher islamischen Konfession er angehöre. Geboren sei er in XXXX und habe dort den größten Teil seines Lebens, den er in Syrien zugebracht habe, verbracht. In XXXX habe er im Stadtteil XXXX , der bei seiner Ausreise aus Syrien von den Kurden kontrolliert worden sei, gelebt. Die Schwester des BF lebe in XXXX , ein Bruder in Deutschland, ein weiterer Bruder und die Eltern in der Türkei. Das Haus, in dem die Familie des BF in XXXX gelebt habe, habe sich im Eigentum der Familie befunden. Außerdem besitze die Familie in XXXX einen Olivenhain. Gegen Ende des Jahres 2011 habe er wegen des Bürgerkrieges XXXX und etwa drei Monate später Syrien verlassen und sei in die Türkei eingereist.

Er habe Syrien verlassen, weil er im Jahre 2011 von Angehörigen der Familie Berri angeschossen worden sei. Dabei habe er Verletzungen am Bauch erlitten. Diese Familie habe versucht, die Bürgrerkriegswirren dazu zu nützen, um der Familie des BF ein Grundstück, das die Familie Berri bereits seit 2003 in ihren Besitz bringen wolle, zu entziehen. Ursprünglich habe die Familie Berri das Grundstück kaufen wollen, der Vater des BF habe dies jedoch abgelehnt. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges habe sich die Familie Berri dann auf die Seite des syrischen Regimes geschlagen und sei dadurch sehr mächtig geworden. Die Familie des BF werde aufgrund des Streites mit der Familie Berri vom Regime gesucht. Das syrische Regime halte den BF und seine Verwandten nun für Terroristen. Ein Cousin des BF sei deswegen bereits acht Monate von syrischen Behörden festgehalten worden. Außerdem drohe ihm die Einberufung zur syrischen Armee und sei er nicht bereit, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. Er sei nicht bereit, eine Wehrersatzgebühr zu leisten, da er den syrischen Staat für verbrecherisch halte.

Der BF habe den Streit mit der Familie Berri vor der belangten Behörde nicht erwähnt, weil bei der dortigen Einvernahme nur Routinefragen gestellt worden seien. Außerdem sei ihm bei der Einvernahme vorgeworfen worden, dass er gefälschte Dokumente vorgelegt habe, was ihn sehr durcheinander gebracht habe. Der Referent des BFA habe ihn „zum Verzweifeln gebracht.“

In Österreich sei der BF aktuell erwerbstätig und verdiene circa EUR 2.000,−.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Hinsichtlich der Lage in Syrien

Sicherheitslage

Vor allem Aleppo, die größte Stadt Syriens und ihr ehemaliger wirtschaftlicher Motor, bietet einen Einblick in die derzeitige Lage: Die Truppen des Regimes haben die primäre, aber nicht die ausschließliche Kontrolle über die Stadt, weil die Milizen, auch wenn sie nominell mit dem Regime verbündet sind, sich sporadische Zusammenstöße mit Soldaten und untereinander liefern und die Einwohner schikanieren.

Die Rebellen sind vertrieben, kein ausländischer Akteur hat ein Interesse an einer erneuten Intervention und die Bevölkerung ist durch den jahrelangen Krieg zu erschöpft und verarmt und zu sehr damit beschäftigt, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, um einen weiteren Aufstand zu führen. Außerdem konnten die meisten Einwohner der Stadt, die in von der Opposition gehaltene Gebiete oder ins Ausland vertrieben wurden, nicht zurückkehren, vor allem weil sie entweder die Einberufung oder Repressalien wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung am Aufstand fürchten (ICG 09.05.2022). Gebiete, in denen es viele Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten gab, wie Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs, werden nun auch verstärkt durch die Geheimdienste überwacht (Üngör 15.12.2021).

Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrates in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front“ in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2012 wurden Afrin, 'Ain al-'Arab (Kobane) und die Jazira/Cizire von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 08.2017).

Im November 2013 − etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition − rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrin, Kobane und Cizire aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für „Westen“ (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 07.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.07.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.03.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobane war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des „Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien“ (DFNS) ins Leben (SWP 07.2018). Im März 2018 (KAS 04.12.2018) übernahm die Türkei die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrin mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebietes Nord- und Ostsyrien (AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrin). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir ez-Zor und Raqqa (K24 06.09.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.06.2022).

Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Fluchtwelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet „belohnt“ zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 04.12.2018). Die syrische Regierung erkennt weder die kurdische Enklave noch die Wahlen in diesem Gebiet an (USDOS 20.03.2023). Türkische Vorstöße auf syrisches Gebiet im Jahr 2019 führten dazu, dass die SDF zur Abschreckung der Türkei syrische Regierungstruppen einlud, in den AANES Stellung zu beziehen (ICG 18.11.2021). Die Gespräche zwischen der kurdischen Selbstverwaltung und der Regierung in Damaskus im Hinblick auf die Einräumung einer Autonomie und die Sicherung einer unabhängigen Stellung der SDF innerhalb der syrischen Streitkräfte sind festgefahren (ÖB Damaskus 01.10.2021). Mit Stand Mai 2023 besteht kein entsprechender Vertrag zwischen den AANES und der syrischen Regierung (Alaraby 31.05.2023). Unter anderem wird über die Verteilung von Öl und Weizen verhandelt, wobei ein großer Teil der syrischen Öl- und Weizenvorkommen auf dem Gebiet der AANES liegen (K24 22.01.2023). Normalisierungsversuche der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der syrischen Regierung wurden in den AANES im Juni 2023 mit Sorge betrachtet (AA 24.06.2023). Die Türkei betrachtet die YPG als auch die PYD als identisch mit der von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und daher als Gefahr für die nationale Sicherheit (AA 02.02.2024).

Die Führungsstrukturen der AANES unterscheiden sich von denen anderer Akteure und Gebiete in Syrien. Frauen spielen eine viel stärkere Rolle als anderswo im Nahen Osten, auch in den kurdischen Sicherheitskräften. Lokale Nachbarschaftsräte bilden die Grundlage der Regierungsführung, die durch Kooptation zu größeren geografischen Einheiten zusammengeführt werden (MEI 26.04.2022). Es gibt eine provisorische Verfassung, die Lokalwahlen vorsieht (FH 09.03.2023). Dies ermöglicht mehr freie Meinungsäußerung als anderswo in Syrien und theoretisch auch mehr Opposition. In der Praxis ist die PYD nach wie vor vorherrschend, insbesondere in kurdisch besiedelten Gebieten (MEI 26.04.2022), und der AANES werden autoritäre Tendenzen bei der Regierungsführung und Wirtschaftsverwaltung des Gebiets vorgeworfen (Brookings 27.01.2023; vgl. SD 22.07.2021). Die mit der PYD verbundenen Kräfte nehmen regelmäßig politische Opponenten fest. Während die politische Vertretung von Arabern formal gewährleistet ist, werden der PYD Übergriffe gegen nicht-kurdische Einwohner vorgeworfen (FH 09.03.2023). Teile der SDF haben Berichten zufolge Übergriffe verübt, darunter Angriffe auf Wohngebiete, körperliche Misshandlungen, rechtswidrige Festnahmen, Rekrutierung und Einsatz von Kindersoldaten, Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie willkürliche Zerstörung und Abriss von Häusern. Die SDF haben die meisten Vorwürfe gegen ihre Streitkräfte untersucht. Einige Mitglieder der SDF wurden wegen Missbrauchs strafrechtlich verfolgt, jedoch lagen dazu keine genauen Zahlen vor (USDOS 20.03.2023).

Zwischen den rivalisierenden Gruppierungen unter den Kurden gibt es einerseits Annäherungsbemühungen, andererseits kommt es im Nordosten aus politischen Gründen und wegen der schlechten Versorgungslage zunehmend auch zu innerkurdischen Spannungen zwischen dem sogenannten Kurdish National Council, der Masoud Barzanis irakischer KDP nahesteht und dem ein Naheverhältnis zur Türkei nachgesagt wird, und der PYD, welche die treibende Kraft hinter der kurdischen Selbstverwaltung ist, und die aus Sicht des Kurdish National Council der PKK zu nahe steht (ÖB 01.10.2021).

Seitdem der IS 2019 die Kontrolle über sein letztes Bevölkerungszentrum verloren hat, greift er mit Guerilla- und Terrortaktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führungskräfte an (FH 09.03.2023). Hauptziele sind Einrichtungen und Kader der SDF sowie der syrischen Armee (ÖB 01.10.2021).

Wehr- und Reservedienst in den syrischen Streitkräften

Rechtliche Bestimmungen

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.05.2007). Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben (PAR 01.06.2011). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 02.02.2024). In der Vergangenheit wurde es auch akzeptiert, sich, statt den Militärdienst in der syrischen Armee (SAA) zu leisten, einer bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppierung anzuschließen. Diese werden inzwischen teilweise in die Armee eingegliedert, jedoch ohne weitere organisatorische Integrationsmaßnahmen zu setzen oder die Kämpfer auszubilden (ÖB Damaskus 12.2022). Wehrpflichtige und Reservisten können im Zuge ihres Wehrdienstes bei der SAA auch den Spezialeinheiten, der Republikanischen Garde oder der Vierten Division zugeteilt werden, wobei die Rekruten den Dienst in diesen Einheiten bei Zuteilung nicht verweigern können (DIS 04.2023). Um dem verpflichtenden Wehrdienst zu entgehen, melden sich manche Wehrpflichtige allerdings aufgrund der höheren Bezahlung auch freiwillig zur Vierten Division, die durch die von ihr kontrollierten Checkpoints Einnahmen generiert (EB 17.01.2023). Die 25. Division (Special Tasks Division, bis 2019 Tiger Forces) rekrutiert sich dagegen ausschließlich aus Freiwilligen (DIS 04.2023).

Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind (ÖB Damaskus 12.2022). Einer vertraulichen Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge sollen Männer auch unabhängig ihres Gesundheitszustandes eingezogen und in der Verwaltung eingesetzt worden sein (NMFA 08.2023).

Die im März 2020, im Mai 2021 und im Jänner 2022 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetz, darunter Fahnenflucht. Die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB Damaskus 12.2022).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 02.02.2024). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 02.02.2024; vgl. ICWA 24.05.2022).

Mit Stand Mai 2023 werden die regulären syrischen Streitkräfte immer noch von zahlreichen regierungsfreundlichen Milizen unterstützt (CIA 09.05.2023).

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 05.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten (STDOK 08.2017; vgl. DIS 07.2023). Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 08.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 05.2022; vgl. AA 29.03.2022), wobei zuletzt von einer „Verkürzung“ des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 05.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 09.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 02.02.2024).

Rekrutierungspraxis

Es gibt dem Auswärtigen Amt zufolge zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 02.02.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 02.02.2024; vgl. NMFA 05.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 05.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Im September 2022 wurde beispielsweise von der Errichtung eines mobilen Checkpoints im Gouvernement Dara'a berichtet, an dem mehrere Wehrpflichtige festgenommen wurden (SO 12.09.2022). In Homs führte die Militärpolizei gemäß einem Bericht aus dem Jahre 2020 stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 06.03.2020). Im Jänner 2023 wurde berichtet, dass Kontrollpunkte in Homs eine wichtige Einnahmequelle der Vierten Division seien (EB 17.01.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 02.02.2024).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 05.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.03.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 05.2020; vgl. ICG 09.05.2022, EB 06.03.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 05.2020). Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten (DIS 01.2024). Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen (NMFA 08.2023; vgl. DIS 07.2023). Eine Quelle des DIS geht davon aus, dass Hausdurchsuchungen oft weniger die Rekrutierung als vielmehr eine Erpressung zum Ziel haben (DIS 01.2024).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht (STDOK 08.2017). Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 08.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 05.2020). Anfang April 2023 wurde beispielsweise von verstärkten Patrouillen der Regierungsstreitkräfte im Osten Dara'as berichtet, um Personen aufzugreifen, die zum Militär- und Reservedienst verpflichtet sind (ETANA 04.04.2023). Glaubhaften Berichten zufolge gab es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 04.12.2020).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 04.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. EASO 04.2021). Da die Zusammensetzung der SAA ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.03.2023).

Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 02.02.2024).

Staatenlose Palästinenser werden meistens in die Palestinian Liberation Army (PLA) rekrutiert, seltener auch in die reguläre SAA. Sie sind ebenfalls reservepflichtig. Allerdings dauert ihre Pflicht zum Reservedienst weniger lange, nämlich nur viereinhalb Jahre. Den meisten Quellen des DIS waren keine Fälle bekannt, wonach staatenlose Palästinenser in Syrien zum Reservedienst in der PLA einberufen wurden. Die PLA wurde auch an die Front geschickt (DIS 01.2024).

Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung

Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konfliktes mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Mit der COVID-19-Pandemie und der Beendigung umfangreicher Militäroperationen im Nordwesten Syriens im Jahr 2020 haben sich die groß angelegten militärischen Rekrutierungskampagnen der syrischen Regierung in den von ihr kontrollierten Gebieten jedoch verlangsamt (COAR 28.01.2021), und im Jahr 2021 hat die syrische Regierung damit begonnen, Soldaten mit entsprechender Dienstzeit abrüsten zu lassen. Nichtsdestotrotz wird die syrische Armee auch weiterhin an der Wehrpflicht festhalten, nicht nur zur Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebes, sondern auch, um eingeschränkt militärisch operativ sein zu können. Ein neuerliches „Hochfahren“ dieses Systems scheint derzeit (Stand 16.09.2022) nicht wahrscheinlich, kann aber vom Regime bei Notwendigkeit jederzeit wieder umgesetzt werden (BMLV 12.10.2022).

Als die Regierung große Teile des Staatsgebietes von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 05.2020). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Viele Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.02.2020). Der syrische Präsident erließ einen ab Oktober 2022 geltenden Verwaltungserlass mit Blick auf die unteren Ebenen der Militärhierarchie, der die Beibehaltung und Einberufung von bestimmten Offizieren und Reserveoffiziersanwärtern, die für den obligatorischen Militärdienst gemeldet sind, beendete. Bestimmte Offiziere und Offiziersanwärter, die in der Wehrpflicht stehen, sind zu demobilisieren, und bestimmte Unteroffiziere und Reservisten dürfen nicht mehr weiterbeschäftigt oder erneut einberufen werden (TIMEP 17.10.2022; vgl. SANA 27.08.2022). Ziel dieser Beschlüsse ist es, Hochschulabsolventen wie Ärzte und Ingenieure dazu zu bewegen, im Land zu bleiben (TIMEP 17.10.2022). Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 05.2020, vgl. NMFA 05.2022). Ein weiterer Beschluss wurde im Dezember 2023 erlassen, wonach Reserveoffiziere, die mit 31.01.2024 ein Jahr oder mehr aktiv ihren Wehrdienst abgeleistet haben, ab 01.02.2024 nicht mehr einberufen werden. Dieser Beschluss beendet ebenfalls die Einberufung von Unteroffizieren und Reservisten, die mit 31.01.2024 sechs Jahre oder mehr aktiven Wehrdienst geleistet haben (SANA 4.12.2023).

Die Rekruten werden während des Wehrdienstes im Allgemeinen nicht gut behandelt. Der Umgang mit ihnen ist harsch. Nur wer gute Verbindungen zu höheren Offizieren oder Militärbehörden hat oder wer seine Vorgesetzten besticht, kann mit einer besseren Behandlung rechnen. Außerdem ist die Bezahlung sehr niedrig und oft ist es den Rekruten während des Wehrdienstes nicht gestattet, ihre Familien zu sehen (DIS 01.2024).

Einsatz von Rekruten im Kampf

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit Hinterhalten und Anschlägen trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022), wie in der Badia-Wüste, wo es noch zu Konfrontationen mit dem IS kommt (DIS 07.2023). Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. (EUAA 02.2023; vgl. DIS 07.2023). Ihr Einsatz hängt laut EUAA vom Bedarf der Armee an Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab (EUAA 02.2023). Andere Quellen hingegen geben an, dass die militärische Qualifikation oder die Kampferfahrung keine Rolle spielt beim Einsatz von Wehrpflichtigen an der Front (DIS 07.2023). Eingezogene Männer aus „versöhnten“ Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 02.2023; vgl. NMFA 08.2023). In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus den Berichten nicht hervor.

Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahres ohne Ableistung des Wehrdienstes

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 05.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 05.2020). Auch für Wehrpflichtige, die ins Ausland reisen möchten, ist ein Aufschub von bis zu sechs Monaten möglich und wird von Oppositionsangehörigen genützt, nachdem sie im Rahmen von Versöhnungsabkommen ihren „Status geregelt“ haben (DIS 01.2024). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 08.2017; vgl. DRC/DIS 08.2017).

Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des DIS haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 01.2024).

Einem von EUAA befragten syrischen Akademiker zufolge werden Wehrpflichtbefreiungen erlassen für Personen mit Erkrankungen, die es ihnen verunmöglichen, militärische Pflichten zu erfüllen, wie beispielsweise Herzerkrankungen oder Sehschwächen. Teilweise werden aber anstatt einer Befreiung diese Personen auf Positionen ohne Gefechtsbereitschaft bzw. auf denen sie keiner physischen Belastung ausgesetzt sind, wie in der Administration, verpflichtet (EUAA 10.2023; vgl. DIS 01.2024). Zur Entscheidung, ob und in welcher Form eine Person wehrpflichtig ist, errechnen die Behörden einen Prozentgrad der Behinderung bzw. der gesundheitlichen Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der medizinischen Untersuchung (DIS 01.2024). Wobei eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums angibt, dass sechs Monate Grundausbildung unabhängig des Gesundheitszustandes komplett zu durchlaufen sind (NMFA 08.2023). Welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Untauglichkeit bzw. zum eingeschränkten Wehrdienst führen, ist unklar, wobei es bestimmte, offensichtliche Behinderungen gibt, die eine Untauglichkeit bedingen, wie Blindheit oder Lähmungen. Oft werden auch Männer, die an Fettleibigkeit, Sehbehinderungen, Krebs, psychischen Krankheiten leiden oder denen eine Gliedmaße fehlt, vom Wehrdienst befreit. Gewisse gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie Diabetes, Sehschwächen bis zu einem bestimmten Grad, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Hörbeeinträchtigungen, Deformierungen an Händen oder Füßen, Asthma oder andere chronische Erkrankungen gelten meist als Gründe, um den Wehrdienst nicht im Feld ausüben zu müssen (DIS 01.2024). Einer vom niederländischen Außenministerium befragten Quelle zufolge werden medizinische Befreiungen häufig ignoriert und die Betroffenen müssen dennoch ihren Wehrdienst ableisten (NMFA 05.2022). Die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien ist schwer eruierbar, da sie von den Entscheidungen der medizinischen Ausschüsse abhängen (DIS 05.2020; vgl. DIS 01.2024). Der Prozess nimmt manchmal auch viel Zeit in Anspruch, sogar bei offensichtlichen Beeinträchtigungen, wie dem Downsyndrom (DIS 01.2024). Wer aus medizinischen Gründen befreit werden will, oder in einer administrativen Position seinen Wehrdienst versehen möchte, hat mit Hürden zu rechnen und Erpressungen sowie das Bezahlen von Bestechungsgeldern sind weit verbreitet (EUAA 10.2023; vgl. NMFA 08.2023). So bezahlen laut einem Experten, der vom DIS befragt wurde, manche Wehrpflichtige USD 3.000,− bis 4.000,−, um ihren Wehrdienst in einem Büro statt am Gefechtsfeld zu leisten oder höhere Summen, um als gänzlich untauglich klassifiziert zu werden (DIS 07.2023). Manchmal müssen auch Personen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung Bestechungsgelder bezahlen, um als untauglich eingestuft zu werden (DIS 01.2024). Wer für den Gefechtsdienst untauglich erklärt wurde, kann sich durch eine Zahlung von USD 3.000,− gänzlich von der Wehrpflicht befreien, weswegen viele Männer Bestechungsgelder bezahlen, um sich für den Gefechtsdienst untauglich schreiben zu lassen, um anschließend Gebrauch von dieser Ausnahmeregelung machen zu können (DIS 01.2024). Wenn die Behörden erkennen, dass medizinische Ausnahmen ungerechtfertigt, beispielsweise durch Bestechung, gewährt wurden, müssen sich die betroffenen Wehrpflichtigen einer erneuten medizinischen Untersuchung unterziehen (EUAA 10.2023). Demgegenüber berichten mehrere Quellen des DIS, dass die Zahlung eines Betrages von USD 3.000,− für die Befreiung vom Wehrdienst von für den Gefechtsdienst untauglichen Personen von der Syrischen Regierung meist akzeptiert wird. Allerdings können sich nur wenige Personen diese hohen Geldbeträge überhaupt leisten (DIS 01.2024).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022).

Am 01.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr.37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, vom Reservedienst freikaufen können durch eine Zahlung von USD 4.800,−. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden USD 200,− abgezogen (SANA 01.12.2023).

Polizeidienst als Befreiung vom Wehrdienst

Gemäß Abschnitt 12 des Wehrpflichtgesetzes war eine Person vom Wehrdienst befreit, wenn sie mindestens zehn Jahre in den Diensten der inneren Sicherheit stand, einschließlich der Polizei. Diese Frist wurde mit dem Gesetzesdekret Nr. 1 von 2012 auf fünf Jahre verkürzt. Hat eine Person nicht die vollen fünf Jahre gedient, muss sie dennoch ihren Militärdienst ableisten. Wer bei der Polizei akzeptiert wird, unterschreibt jedoch einen Zehnjahresvertrag. Es ist auch möglich, dass ein Rekrut der Polizei beitritt und dort seinen Militärdienst ableistet, da die internen Sicherheitsdienste gemäß Artikel 10 des Wehrpflichtgesetzes zu den syrischen Streitkräften gezählt werden. Wenn eine Person der Polizei beitritt, wird das Rekrutierungsbüro, dem sie untersteht, angewiesen, sie nicht zum Militärdienst einzuberufen (NMFA 05.2022). Eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums gibt zudem an, dass Polizisten keinen Reservedienst leisten müssen, wenn sie ihre Wehrpflicht erfüllt haben, unabhängig davon, ob sie Polizeidienst geleistet haben oder nicht (NMFA 08.2023).

Rechtlich gesehen ist es möglich, aus dem Polizeidienst auszutreten. Die Kündigung muss samt einer Erklärung über die Gründe eingereicht werden. Alle Rücktrittsgesuche werden auf der Grundlage einer Sicherheitsanalyse geprüft. In der Praxis werden die meisten Anträge aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Polizeibeamte können während der ersten zehn Jahre ihres Vertrages de facto nicht kündigen. Eine Laufbahn innerhalb des erweiterten Sicherheitsapparates ist grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt und es ist nicht üblich, eine solche Position vorzeitig zu verlassen. Bei einer Laufbahn in einer Sicherheitsbehörde ist es laut einer Quelle praktisch unmöglich, die Erlaubnis zur Kündigung zu erhalten. Das unerlaubte Verlassen eines Polizeidienstpostens wird als eine Form der Desertion angesehen, die mit Strafe bedroht werden kann. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber, welches Gesetz in diesem Fall gilt (NMFA 05.2022). Zollbeamte gelten im Rahmen ihrer Zuständigkeit als allgemeine Sicherheitskräfte und Kriminalbeamte (ACCORD 17.01.2022).

Zur Rolle des Sicherheitsapparates im Laufe des Krieges und bei Menschenrechtsverletzungen siehe die Kapitel Allgemeine Menschenrechtslage, Folter und unmenschliche Behandlung, Hinrichtungen und außergerichtliche Tötungen sowie das Kapitel Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen.

Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von USD 8.000,− zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 05.2020), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 02.09.2019; vgl. SB Berlin o.D.). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr.31 (Rechtsexperte 14.09.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthaltes auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht (NMFA 06.2021). Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthaltes und beträgt USD 10.000,− (ein Jahr), USD 9.000,− (zwei Jahre), USD 8.000,− (drei Jahre) bzw. USD 7.000,− (vier Jahre) (ISPI 5.6.2023; vgl. AA 02.02.2024). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 02.02.2024; vgl. ISPI 05.06.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa eines Nachweises über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 02.02.2024). Die Syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom DIS befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben, problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis dafür, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des DIS von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Die Behörden geben normalerweise keine Auskunft darüber, ob man von den Sicherheitsbehörden gesucht wird. Mehrere Quellen gehen aber von Erpressungen gegenüber Wehrpflichtigen an Checkpoints durch Streit- und Sicherheitskräfte an Checkpoints aus, insbesondere gegenüber Personen aus Europa bzw. Geschäftsleuten. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 01.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 02.02.2024).

Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist (NMFA 08.2023). Das Italian Institute for International Political Studies (ISPI) hingegen schreibt, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von USD 5.000,− nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können (ISPI 05.06.2023). Auch die staatliche Nachrichtenagentur SANA schrieb im Dezember 2023 vom Legislaturdekret Nr. 37, wonach Reservisten, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und noch nicht im Dienst waren, sich durch eine Befreiungsgebühr von USD 4.800,− vom Reservedienst freikaufen können (SANA 01.12.2023; vgl. EB 03.12.2023). Das Auswärtige Amt schreibt, dass es zahlreiche Berichte darüber gäbe, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (AA 02.02.2024).

Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum Erreichen des wehrpflichtigen Alters dauerhaft und ununterbrochen im Ausland lebten, gilt eine Befreiungsgebühr von USD 3.000,−. Wehrpflichtige, die im Ausland geboren wurden und dort mindestens zehn Jahre vor dem Einberufungsalter gelebt haben, müssen einen Betrag von USD 6.500,− entrichten (Rechtsexperte 14.09.2022). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthaltes einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an (DIS 05.2020; vgl. Rechtsexperte 14.09.2022). Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden (NMFA 05.2022; vgl. Rechtsexperte 14.09.2022; NMFA 08.2023). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen „Versöhnungsprozess“ bereinigen (NMFA 05.2022).

Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 05.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u.a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird („bayan harakat“). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.09.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akten zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 05.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten Zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und vergleichsweise wenige wurden nach diesem Zeitpunkt deswegen verhaftet (Landinfo 03.01.2018).

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welche bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 02.02.2024).

Der verpflichtende Militärdienst führt weiterhin zu einer Abwanderung junger syrischer Männer, die vielleicht nie mehr in ihr Land zurückkehren werden (ICWA 24.05.2022).

Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konfliktes der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes („qanun al-khiana al-wataniya“) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen (STDOK 25.10.2023). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will und andererseits Wehrdienstverweigerer inoffiziell als Verräter gesehen werden, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen.“ Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021). Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konfliktes, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (STDOK 25.10.2023). Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 02.02.2024).

Gesetzliche Lage

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In den Art. 98 und 99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 02.02.2024; vgl. Rechtsexperte 14.09.2022).

Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung. Das Militärstrafgesetzbuch unterscheidet zwischen „interner Desertion“ („farar dakhelee“) und „externer Desertion“ („farar kharejee“). Interne Desertion in Friedenszeiten wird begangen, wenn sich der Soldat sechs Tage lang unerlaubt von seiner militärischen Einheit entfernt. Ein Soldat, der noch keine drei Monate im Dienst ist, gilt jedoch erst nach einem vollen Monat unerlaubter Abwesenheit als Deserteur. Interne Desertion liegt außerdem vor, wenn der reisende Soldat trotz Ablauf seines Urlaubes nicht innerhalb von fünfzehn Tagen nach dem für seine Ankunft oder Rückkehr festgelegten Datum zu seiner militärischen Einheit zurückgekehrt ist (Art. 100/1/b des Militärstrafgesetzbuches). Interne Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft, und wenn es sich bei dem Deserteur um einen Offizier oder einen Berufsunteroffizier handelt, kann er zusätzlich zu der vorgenannten Strafe mit Entlassung bestraft werden (Art. 100/2). In Kriegszeiten können die oben genannten Fristen auf ein Drittel verkürzt und die Strafe verdoppelt werden (Art. 100/4). Eine externe Desertion in Friedenszeiten liegt vor, wenn der Soldat ohne Erlaubnis die syrischen Grenzen überschreitet und seine Militäreinheit verlässt, um sich ins Ausland zu begeben. Der betreffende Soldat wird in Friedenszeiten nach Ablauf von drei Tagen seit seiner illegalen Abwesenheit und in Kriegszeiten nach einem Tag als Deserteur betrachtet (Art. 101/1) (Rechtsexperte 14.09.2022). Externe Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren bestraft (Art. 101/2) (Rechtsexperte 14.09.2022; vgl. AA 02.02.2024). Die Haftstrafen können sich bei Vorliegen bestimmter Umstände noch erhöhen (z.B. Desertion während des Dienstes, Mitnahme von Ausrüstung) (Rechtsexperte 14.09.2022). Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 02.02.2024).

Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 05.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 04.12.2020; vgl. DIS 05.2020).

Freikauf vom Wehrdienst

Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten (AA 02.02.2024). Drei vertrauliche Quellen, die vom niederländischen Außenministerium im März 2023 und November 2022 befragt wurden, gehen davon aus, dass jemand, der sich vom Militärdienst freigekauft hat, auch nicht mehr zum Militärdienst einberufen wird. Der zu zahlende Betrag hängt dabei davon ab, wie lange die Männer im Ausland waren und variiert zwischen USD 7.000,− und USD 10.000,−. Auch Wehrdienstpflichtige, die das Land illegal verlassen haben, können sich durch eine solche Zahlung von der Wehrpflicht freikaufen. Möglich ist dies in einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat unter Vorlage eines Nachweises, dass man im Ausland lebt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Botschaft die Namen derer veröffentlicht, die sich auf diese Art von der Wehrpflicht befreit haben. Andererseits kann die Person sich auch durch einen Verwandten in Syrien an ein lokales Rekrutierungsbüro wenden, um sich von der Liste der Wehrdienstverweigerer streichen zu lassen (NMFA 08.2023). Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa eines Nachweises über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 02.02.2024). Die Person bekommt einen Beleg für den Freikauf, den sie bei der Einreise am Flughafen vorweisen kann. Um auch möglichst problemlos Checkpoints passieren zu können, muss die Person zusätzlich zum Beleg einen Eintrag in sein Militärbuch vornehmen lassen (DIS 07.2023). Die syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom DIS befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben, problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis dafür, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des DIS von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 01.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 02.02.2024).

Das syrische Wehrpflichtgesetz (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze für die Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von USD 8.000,− zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 02.02.2024 vgl. Rechtsexperte 14.09.2022; vgl. NMFA 08.2023).

Ein Freikauf vom Reservedienst ist gemäß Quellen des niederländischen Außenministeriums nicht möglich, wobei mit Stand August 2023 aufgrund der aktuellen geringen Intensität der Kampfhandlungen es nur selten zur Einberufung von Reservisten gekommen ist (NMFA 08.2023). Das ISPI hingegen schreibt, dass seit der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 auch Reservisten sich durch eine Gebühr von USD 5.000,− nach einem Auslandsaufenthalt von mindesten einem Jahr freikaufen können (ISPI 05.06.2023). Auch die staatliche Nachrichtenagentur SANA schrieb im Dezember 2023 vom Legislaturdekret Nr. 37, wonach Reservisten, die das 40. Lebensjahr erreicht haben und noch nicht im Dienst waren, sich durch eine Befreiungsgebühr von USD 4.800,− vom Reservedienst freikaufen können (SANA 01.12.2023; vgl. EB 03.12.2023). Das Auswärtige Amt schreibt, dass es zahlreiche Berichte darüber gäbe, dass auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (AA 02.02.2024).

Männern, die sich in Syrien aufhalten, ist ein Freikauf von der Wehrpflicht grundsätzlich nicht möglich. Eine Ausnahme hievon wird nur durch die Möglichkeit, sich vom Reservedienst freizukaufen, für Männer im Alter von mindestens 40 Jahren geboten (DIS 01.2024).

Handhabung

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 03.01.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.09.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 05.2020; vgl. Landinfo 03.01.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 05.2022). Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder „verschwindengelassen“ werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 03.01.2018).

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als „Kanonenfutter“), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit sich die aktivsten Kampfgebiete beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter) (Üngör 15.12.2021). Dahingegen gibt ein von EUAA interviewter Experte an, dass Wehrdienstverweigerer, die von der syrischen Regierung gefasst werden, der Militärpolizei übergeben werden und schließlich in Trainingslager zur Ausbildung und Stationierung gesendet werden (EUAA 10.2023). Bis zum Beginn einer Wehrdienstausbildung, der normalerweise im April oder im September stattfindet, bleibt der Wehrdienstverweigerer bei der Militärpolizei (NMFA 08.2023). Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021). Auch einige Quellen des DIS geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des DIS wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen werden, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben. Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt (DIS 01.2024). Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet (NMFA 08.2023).

Bei militärischer Desertion gibt es Fälle, die dem Militärgericht übergeben werden (Rechtsexperte 14.09.2022). Mehrere Quellen berichten, dass Deserteure verfolgt und mit einer Haftstrafe bestraft werden und dann ihren Wehrdienst ableisten müssen (DIS 01.2024). Eine Quelle berichtet im Jahr 2020, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfes an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 05.2020). Dem gegenüber berichtet ein vom DIS 2023 interviewter Experte, dass Deserteure aus ehemaligen Oppositionsgebieten, sowie Überläufer, die sich an Handlungen gegen das Regime beteiligt haben, zum Tode verurteilt werden könnten. SNHR berichtet, dass Deserteure ein bestimmtes Zeitlimit, wie beispielsweise ein Jahr haben, um sich freiwillig den Behörden stellen und straffrei davonkommen zu können. Wer sich innerhalb der Frist nicht meldet, wird in Abwesenheit verurteilt (DIS 01.2024). Überläufer, die sich freiwillig stellen, würden vor ein Militärgericht gestellt und müssen entweder nach Ableistung einer Haftstrafe oder, wenn eine Amnestie erlassen wurde, sofort den verbleibenden Wehrdienst in der Einheit, aus der sie desertierten, absolvieren (EUAA 10.2023). Das Omran Center for Strategic Studies wiederum gibt an, dass kein Unterschied zwischen Deserteuren und Überläufern gemacht wird. Die Haftstrafe für Wehrpflichtige und Reservisten, die desertiert sind, beträgt bis zu neun Monate. Wer ein zweites Mal desertiert, wird bis zu zwei Jahre inhaftiert, wer ein drittes Mal desertiert, für fünf Jahre (DIS 01.2024). Ein Syrienexperte, der von EUAA interviewt wurde, gibt an, dass die Behandlung von Deserteuren und Überläufern abhängig ist von einerseits der Art ihrer Flucht und andererseits den Strafen, die vorgesehen sind in den Artikeln 100 und 104 im Strafgesetzbuch (EUAA 10.2023). Anfang September verfügte Präsident Assad mittels Dekret (32/2023) die Auflösung von Ad-hoc-Gefechtsfeldtribunalen, die laut Menschenrechtsorganisationen mit hunderten Todesurteilen gegen vermeintliche Deserteure und andere Personen in Verbindung gebracht werden (AA 02.02.2024).

Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades (DIS 01.2024). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solchen Deserteuren, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 03.01.2018; vgl. DIS 01.2024). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, der Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und der zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 05.2020; vgl. DIS 01.2024). Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerers aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (DIS 01.2024).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr des Jahres 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung „ausgesöhnt“ hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der „internen und externen Desertion vom Militärdienst“ aufgrund von Delikten im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 07.02.2023).

„Versöhnungsabkommen“ und Rückkehr von Wehrpflichtigen

Versöhnungsabkommen dienen der Regierung auch zur Rekrutierung von Wehrpflichtigen, die entweder direkt in die SAA integriert werden oder in eine der mit der Regierung zusammenarbeitenden Milizen (EUAA 10.2023). Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert (AA 02.02.2024). Deserteure bekommen eine einmonatige Frist, um zu ihrer Einheit zurückzukehren (SD 09.06.2023). Zumindest Erstere wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten (AA 02.02.2024). Als Anreiz können Wehrpflichtige im Rahmen dieser Abkommen in Dara‘a eine Reiseerlaubnis sowie einen Reisepass bekommen, um außer Landes zu reisen (SD 09.06.2023; vgl. EB 14.06.2023). Einer Quelle von EUAA zufolge ist ein „Versöhnungsprozess“ auch die Voraussetzung, um sich für die immer wieder ausgesprochenen Amnestien zu qualifizieren (EUAA 10.2023). Dem Bericht der Commission of Inquiry (CoI), der Vereinten Nationen vom August 2023 zufolge, waren Personen im Gouvernement Dara'a von Repressionen betroffen, obwohl sie den offiziellen „Versöhnungsprozess“ durchlaufen hatten (AA 02.02.2024).

Ein Monitoring durch die Vereinten Nationen oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung von Wehrpflichtigen und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 02.02.2024). Einzelne Personen in Aleppo berichteten, dass sie durch die Teilnahme am „Versöhnungsprozess“ einem größeren Risiko ausgesetzt wären, bei späteren Interaktionen mit Sicherheitsbeamten verhaftet und erpresst zu werden. Selbst für diejenigen, die nicht im Verdacht stehen, sich an oppositionellen Aktivitäten zu beteiligen, ist das Risiko der Einberufung eine große Abschreckung, um zurückzukehren (ICG 09.05.2022). Auch SNHR berichtet von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren, die den Versöhnungsprozess durchlaufen haben und im Zuge dessen von den syrischen Behörden aufgrund anderer Sicherheitsbedenken einvernommen und sogar zu Tode gefoltert wurden, weil sie Verbindungen zur Opposition hatten (DIS 01.2024). Zudem sind in den „versöhnten Gebieten“ Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert (FIS 14.12.2018).

In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten viele Deserteure und Überläufer, denen durch die „Versöhnungsabkommen“ Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 05.2020).

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hiebei kein klares Muster gibt (DIS 05.2022). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Glaubwürdige Berichte über Einzelschicksale legen nahe, dass auch eine zuvor ausgesprochene Garantie des Regimes, auf Vollzug der Wehrpflicht bzw. Strafverfolgung wegen Wehrdienstverweigerung, etwa im Rahmen sogenannter „Versöhnungsabkommen“ zu verzichten, keinen effektiven Schutz vor Zwangsrekrutierung bietet (AA 02.02.2024).

Einem Experten zufolge sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber „wahnsinnig“, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine „Befreiungsgebühr“ bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen (Balanche 13.12.2021).

Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den NDF oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (USDOS 29.07.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten, um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 08.2023).

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, „außer eine gerichtliche Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen“ schränkt diese ein. Das Regime, HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen hinsichtlich der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen zu deren Überwachung Checkpoints ein (USDOS 20.03.2023).

Regierungsangriffe auf die Provinz Idlib und Teile Südsyriens schränkten die Bewegungsfreiheit ein und führten zu Todesfällen, Hunger und schwerer Mangelernährung, während die Angst vor der Vergeltung der Regierung zur Massenflucht von ZivilistInnen und dem Zusammenbruch u.a. der humanitären Hilfe führte. Im Februar 2022 ergab eine UN-Umfrage, dass 51% der untersuchten Gemeinschaften von Bewegungseinschränkungen betroffen waren (USDOS 20.03.2023).

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten (USDOS 20.03.2023). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt (AA 08.12.2023). Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (NFMA 05.2022).

Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und der Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Betretungsverbot. Der Begriff der militärischen Einrichtung wird von den syrischen Sicherheitsdiensten umfassend ausgelegt und kann neben klar erkennbaren Kasernen, Polizeistationen und Militärcheckpoints auch schwerer zu identifizierende Infrastruktur wie z.B. Wohnhäuser hochrangiger Personen, Brücken, Rundfunkeinrichtungen oder andere staatliche Gebäude umfassen (AA 08.12.2023). Zudem wurden Kontrollpunkte eingerichtet, um diejenigen, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete leben, am Zugang zu ihren Grundstücken oder Eigentumsdokumenten zu hindern. Es gibt auch Berichte über die Beschlagnahmung von Eigentumsdokumenten und anderen Ausweispapieren an Kontrollpunkten, einschließlich Heiratsurkunden. Dies birgt für Frauen ein besonders hohes Risiko, den Zugang zu ihrem Eigentum zu verlieren, falls das Eigentum auf den Namen des Ehemannes eingetragen ist (AA 02.02.2024). Die Regimesicherheitskräfte erpressen an den Checkpoints (USDOS 20.03.2023) Bestechungsgelder für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte von Reisenden. So werden z.B. an den Checkpoints an der Straße von der jordanisch-syrischen Grenze nach Dara'a üblicherweise Bestechungsgelder eingehoben (HRW 20.10.2021).

Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der Autobahn M5, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze zur Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021). Die Vierte Division, angeführt von Maher al-Assad, dem Bruder von Bashar al-Assad, übernahm die Kontrolle über alle Transportrouten Richtung Libanon und Jordanien sowie alle Hauptverkehrswege in West- und Süd-Syrien. Eine große Rekrutierungskampagne für die Besatzungen der Kontrollpunkte ist im Gang. Die Checkpoints sichern die Drogentransitrouten (siehe Informationen zu Ceptagon in den jeweiligen Kapiteln) und sind dabei, ein Monopol auf Bestechungsgelder für Reisen durch das Land zu schaffen (FP 01.02.2023).

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte „Versöhnungskarte“ vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie z.B. aus früher oppositionell kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen (DIS/DRC 02.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (DIS 09.2019).

Die Regimesicherheitskräfte halten in einigen Fällen ZivilistInnen von der Flucht aus belagerten Städten ab (USDOS 20.03.2023). Im Fall von Dara’a al-Balad im Jahr 2021 verletzte laut UN Commission of Inquiry for Syria die Belagerungstaktik der Pro-Regime-Kräfte die Bewegungsfreiheit und könnte auf eine Kollektivbestrafung hinauslaufen (USDOS 20.03.2023).

Betreten und Verlassen des Regimegebietes

Zum Betreten und Verlassen des Regimegebietes ist eine Sicherheitsfreigabe durch das Regime nötig, was ein Hindernis für Flüchtlinge und Binnenvertriebene darstellt, welche in ihre Heimatorte zurückkehren möchten. Personen, die vom Regime als kritisch wahrgenommen werden, erhalten diese Genehmigung oft nicht − ebenso wenig ihre Verwandten, frühere Oppositionelle sowie ehemalige BewohnerInnen von als Hochburgen der Opposition wahrgenommen Gebieten (USDOS 20.03.2023).

Laut Bericht des niederländischen Außenministeriums ist es unmöglich, einen Überblick zu vermitteln, welche Übergänge zwischen den Oppositionsgebieten und dem Regimegebiet im Berichtszeitraum offen waren − und zu welchem Zeitpunkt und für welche Personen und Reisezwecke. Es wird aber auf die potenzielle Gefahr von Reisen für ZivilistInnen innerhalb Syriens allgemein und besonders bei Einreisen aus den Oppositionsgebieten in das Regimegebiet wegen der Notwendigkeit des Passierens von Checkpoints der syrischen Geheimdienste, des Militärs und von Pro-Regime-Milizen hingewiesen (NMFA 06.2021).

Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung unter Führung der HTS oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung unter Führung von pro-türkischen Einheiten der SNA zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechtes, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind unbekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Menschen, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir ez-Zor stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren (NMFA 05.2022).

Die Situation bezüglich des Warenverkehrs stellt sich anders dar als bei Personen – landwirtschaftliche Produkte können vom Regimegebiet aus in andere Landesteile gebracht werden (NMFA 05.2022).

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern (USDOS 20.03.2023). Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, auszureisen, aus Angst vor Angriffen bzw. Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu ihnen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten AktivistInnen oder JournalistInnen eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.03.2023). Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten, und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welche bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 02.02.2024).

In Syrien betragen die Kosten für einen Reisepass aktuell USD 7,− im regulären Verfahren und USD 56,− im sogenannten „Expressverfahren“, welches dennoch mehrere Wochen dauern kann. Im Ausland liegen die Kosten bei USD 300,− für das Regel- und USD 800,− für das Expressverfahren. Die Gültigkeit beträgt in der Regel nur zwei Jahre. Damit ist der syrische Pass einer der teuersten der Welt. Seit Ende 2022 lässt sich beobachten, dass Ämter in Aleppo und Hama wieder Reisepässe für vertriebene syrische Staatsangehörige aus Oppositionsgebieten ausstellen, bei denen als Ausstellungsort „Idlib Center“ angegeben wird. Eine (nicht-repräsentative) Preisermittlung durch Forschungspartner des Auswärtigen Amtes hat ergeben, dass etwa die Gebühren für Reisepässe für syrische Staatsangehörige in den Oppositionsgebieten nahe an den im Ausland erhobenen Preisen liegen (Idlib: USD 700,−, Azaz: USD 600,−) und selbst einfache Auszüge um ein Vielfaches teurer sind als in den Regimegebieten (Idlib: USD 60,−, Azaz: USD 50,−). Eine Ausnahme bildet al-Qamishli im Nordosten, wo das Regime in Abstimmung mit den sogenannten Selbstverwaltungsbehörden ein Sicherheits- und Verwaltungszentrum unterhält, in dem entsprechende Dienstleistungen günstiger ausfallen (Reisepass: USD 300,−, Registerauszug: USD 6,−). Die Selbstbeschaffung durch Passieren informeller Checkpoints an der Front ist sowohl lebensgefährlich als auch teuer (USD 1.000,−/Strecke) (AA 02.02.2024).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.05.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit Gewalt, bzw. drohender Gewalt (USDOS 20.03.2023). Im Anschluss an israelische Luftschläge auf die Flughäfen Aleppo und Damaskus musste der Flugverkehr teilweise eingestellt werden (AA 02.02.2024).

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanons sind mehr der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 08.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen per Antrag an das Innenministerium die Ausreise aus Syrien zu verbieten, auch wenn Frauen, die älter als 18 Jahre sind, eigentlich das Recht haben, ohne die Zustimmung männlicher Angehöriger zu verreisen (USDOS 20.03.2023).

Rückkehr

Die Regierung erlaubt SyrerInnen, die im Ausland leben, ihre abgelaufenen Reisepässe an den Konsulaten zu erneuern. Viele SyrerInnen, die aus Syrien geflohen sind, zögern jedoch, die Konsulate zu betreten, aus Angst, dass dies zu Repressalien gegen Familienangehörige in Syrien führen könnte (USDOS 20.03.2023).

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen „black lists“ betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. Seit 01.08.2020 wurde – bedingt durch den Devisenmangel – bei Wiedereinreise ein Zwangsumtausch von USD 100,− pro Person zu dem von der Regierung festgelegten Wechselkurs eingeführt. Damit einher geht ein Kursverlust gegenüber Umtausch zum Marktkurs von mittlerweile bereits mehr als 50% (ÖB Damaskus 12.2022).

Auch länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Z.B. müssen deutsche männliche Staatsangehörige, die nach syrischer Rechtsauffassung auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltstitel in Deutschland auch bei nur besuchsweiser Einreise damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen oder zur Zahlung eines Geldbetrages zur Freistellung vom Militärdienst gezwungen zu werden. Eine vorab eingeholte Reisegenehmigung der syrischen Botschaft stellt keinen verlässlichen Schutz vor Zwangsmaßnahmen seitens des syrischen Regimes dar. Auch aus Landesteilen, die aktuell nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, sind Fälle zwangsweiser Rekrutierung bekannt (AA 16.05.2023). Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung kommen kann. Häufig werden die Festgenommenen an Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, oft in den Raum Damaskus (AA 02.02.2024).

Es ist nicht Standard, dass SyrerInnen bei der legalen Ein- und Ausreise nach ihren Login-Daten für ihre Konten für soziale Medien gefragt werden, aber für Einzelfälle kann das nicht ausgeschlossen werden, z.B., wenn jemand − aus welchem Grund auch immer − auf dem Flughafen das Interesse der Behörden bei der Ausreise erweckt (NMFA 05.2022).

Durch das Fehlen klarer Informationen über das Prozedere für eine Rückkehr, durch das Zurückhalten der Gründe für die Ablehnung einer Rückkehr, bzw. durch das Fehlen einer Einspruchsmöglichkeit enthält die syrische Regierung ihren BürgerInnen im Ausland das Recht auf Einreise in ihr eigenes Land vor (UNCOI 07.02.2023).

1.2. Zum BF:

1.2.1. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist sunnitisch-muslimischen Glaubens. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Der BF lebte bis auf einen dreimonatigen Aufenthalt in XXXX bis zu seiner Ausreise aus Syrien in XXXX , einem Stadtteil von XXXX . Er ist jung und gesund und daher in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

1.2.2. In den von Kurden bewohnten Vierteln XXXX , zu denen auch der vom BF während seines Aufenthaltes in XXXX bewohnte Stadtteil XXXX gehört, üben aufgrund eines Abkommens mit der syrischen Regierung kurdische Akteure die Macht aus. Das restliche Stadtgebiet wird von der syrischen Regierung kontrolliert.

1.2.3. Für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren ist die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 Monaten bzw. 21 Monaten für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben gesetzlich verpflichtend. Nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes bleibt ein syrischer Mann, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Der BF hat seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee bisher noch nicht geleistet.

1.2.4. Für Syrer, die mehr als ein Jahr im Ausland gelebt haben, besteht die Möglichkeit, sich durch Zahlung einer Wehersatzgebühr vom Wehrdienst freizukaufen.

1.2.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von der syrischen Armee oder einer weiteren Bürgerkriegspartei zur Teilnahme an Kampfhandlungen oder der Ableistung eines Militärdienstes aufgefordert oder sonst dazu verhalten worden wäre.

1.2.6. Der BF verfügt über keine gefestigte politische Gesinnung, die gegen die syrische Regierung gerichtet ist. Auch kann nicht festgestellt werden, dass ihm eine solche seitens des syrischen Regimes unterstellt wird.

1.2.7. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF seitens der kurdischen Kräfte in XXXX eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird oder, dass der BF von kurdischen Kräften gesucht wird.

1.2.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass wegen eines Streites mit der Familie Berri in XXXX auf den BF geschossen wurde oder dass die syrischen Behörden wegen dieses Streits nach dem BF suchen.

1.2.9. Der BF hat Syrien Anfang 2012 verlassen und ist seither nicht dorthin zurückgekehrt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Situation in Syrien, von denen bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausgegangen ist, beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, auf Berichten des UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, März 2021; Feststellungen des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, April 2017), auf den Berichten von EASO (EASO, Syria: Military Service, April 2021, EASO-Richtlinien Syrien vom Februar 2023) und auf dem Bericht des DIS, Syria: Treatment upon return, vom Mai 2022). Darin finden sich Berichte anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der entscheidungswesentlichen Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

2.2. Für die Feststellungen zum BF und zu seiner (Verfolgungs-)Situation in Syrien waren folgende Erwägungen maßgeblich:

2.2.1. Die Feststellungen zur Person, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zum Geburtsort des BF ergeben sich aus seinen über das ganze Verfahren hinweg gleichlautenden Angaben und den vorgelegten Registerauszügen.

2.2.2. Aufgrund seiner insofern plausiblen und nachvollziehbaren Angaben war festzustellen, dass der BF seinen Wehrdienst in der syrischen Armee bisher noch nicht abgeleistet hat.

2.2.3. Dass der Stadtteil XXXX unter kurdischer Kontrolle steht, ergibt sich zunächst aus dem Vorbringen des BF in der Beschwerdeverhandlung vor dem erkennenden Gericht. Auch dem Artikel im in englischer Sprache erscheinenden Internetmedium „The Syrian Observer“ mit dem Titel XXXX vom XXXX 01.2023 ist zu entnehmen, dass XXXX von kurdischen Kräften kontrolliert werde.

Überdies wird im aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien ausgeführt, dass die hauptsächlich kurdischen Stadtteile in der Stadt XXXX von einem „kurdischen Zivilrat“ kontrolliert werden und in Syrien generell die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene, selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten, von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt werden kann und die Machtverhältnisse mitunter komplex sind und sich insofern von Ort zu Ort, aber auch – wie im vorliegenden Fall – von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden können. In den diesen Abschnitten zugrundeliegenden Quellen (International Crisis Group (09.05.2022), Syria: Ruling over XXXX Ruins, https://www.ecoi.net/en/file/local/2072598/234-syria- XXXX -ruins_0.pdf; Amnesty International (02.2023), Türkiye/Syria: A human rights response to the 6 February earthquakes [EUR44/6470/2023], https://www.ecoi.net/en/file/local/2087601/EUR4464702023ENGLISH.pdf) wird hiezu ausgeführt, dass die YPG die Kontrolle über die mehrheitlich kurdisch bewohnten Stadtviertel XXXX behielten und es zwischen ihnen und dem syrischen Regime ein Arrangement gibt.

Dass XXXX unter kurdischer Kontrolle steht, ergibt sich außerdem aus dem Bericht Country Guidance: Syria der EUAA aus Februar 2023 (S. 138f.), wo ausgeführt wird, dass die XXXX kurdischen Stadtviertel von XXXX , XXXX , unter Kontrolle der SDF stehen, zu denen auch die YPG gehören.

2.2.4. Hinsichtlich des behaupteten Konfliktes mit der Familie Berri ist folgendes auszuführen:

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass aufgrund der nach wie vor unübersichtlichen Lage im vom Bürgerkrieg gebeutelten Syrien Willkür häufig ist. In diesem Sinne liegt dem erkennenden Gericht auch ein Zeitungsartikel vor (Walid al Nofal, Clan conflicts in Syria: Seeds of revenge grow under the ashes amid attempts to renew customary law, 09.12.2022) aus dem gefolgert werden kann, dass Fehden zwischen verfeindeten Familien in Syrien immer wieder vorkommen und auch zu blutigen Auseinandersetzungen führen können. In anderen im Internet verfügbaren Artikeln (Aymenn Jawad Al-Tamimi, A fighter of the Berri Clan, 01.08.2019; Enab Baladi, Tribal families rule XXXX along with Syrian regime, 20.04.2022) ist davon zu lesen, dass der Berri-Clan eng mit dem syrischen Regime verbunden sei, eine eigene Miliz unterhalte, bei der Niederschlagung der Revolution in XXXX eine erhebliche Rolle gespielt habe, im Drogenhandel tätig sei und aufgrund seiner Verbindungen zum Regime über großen Einfluss in XXXX verfüge. Wie auch vom BF angegeben, sei ein Mitglied des Clans Abgeordneter in der syrischen Nationalversammlung.

Aus dieser allgemeinen Beschreibung der Machtverhältnisse in XXXX lässt sich jedoch nicht ableiten, dass es einen Konflikt zwischen dem Berri-Clan und der Familie des BF gegeben habe, der BF im Zuge einer diesbezüglichen Auseinandersetzung von Angehörigen des Berri-Clans angeschossen worden und ein Cousin des BF im Zuge einer Kontrolle an einem Checkpoint nach der Familie des BF gefragt und acht Monate vom syrischen Regime festgehalten worden sei.

Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass der BF diese Vorfälle in seiner Einvernahme vor dem BFA nicht einmal angedeutet hat. Er war allerdings bei dieser Einvernahme beispielsweise sehr wohl in der Lage, ausführlich und zusammenhängend die Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu schildern. Dass der Leiter der Einvernahme den BF – wie dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG angab – durch Fragen zur Echtheit der von ihm vorgelegten Dokumente „zum Verzweifeln gebracht“ habe, erscheint vor diesem Hintergrund als bloße Schutzbehauptung und ist als unglaubwürdig einzustufen. Ebenso erscheint es in höchstem Maße unwahrscheinlich, dass der BF einen derart lang schwelenden Konflikt mit solch einschneidenden Ereignissen wie der zu mehreren Verletzungen führenden Schussabgabe auf den BF und der achtmonatigen Inhaftierung seines Cousins bei der Einvernahme, bei der es ausschließlich um die Fluchtgründe des BF ging, schlicht vergessen haben soll. Auch die Behauptung des BF, wonach ihm nicht bewusst gewesen sei, dass die Gewährung des Status eines Asylberechtigten von seinen persönlichen Umständen abhänge, erscheint vor dem Hintergrund, dass in der Einvernahme fast ausschließlich nach der persönlichen Situation des BF – beispielsweise nach seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Verwandten oder seiner Einberufung zum Militär – gefragt wurde, völlig unglaubwürdig. Schließlich wurde der BF im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde auch auf das Neuerungsverbot gem. § 20 BFA-VG hingewiesen, ohne dass er daraufhin noch von der Gelegenheit Gebraucht gemacht hätte, einen Konflikt mit dem Berri-Clan zu erwähnen.

Gegen die Glaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens spricht auch, dass der BF in seiner Beschwerde angab, den fraglichen Vorfall deswegen nicht beim BFA erwähnt zu haben, weil ihm von vielen Bekannten abgeraten worden sei, einen Vorfall, bei dem Schusswaffen eine Rolle gespielt hätten, zu erwähnen, da dies Probleme mit sich bringen könne, während er vor dem erkennenden Gericht diese Ratschläge und Befürchtungen mit keinem Wort erwähnte, sondern lediglich ausführte, er habe bei den vorherigen Befragungen nicht viel erzählt, weil die Befragungssituation für ihn neu gewesen sei und – wie bereits oben geschildert – ihn der Referent zum Verzweifeln gebracht habe.

Daher war den Ausführungen des BF zu diesem Punkt kein Glauben zu schenken.

2.2.5. Dass dem BF keine Rekrutierung durch kurdische Kräfte im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht droht, ergibt sich daraus, dass XXXX nicht zur AANES gehört und die kurdische Wehrpflicht nur für Bewohner der AANES gilt.

2.2.6. Der BF konnte auch nicht in nachvollziehbarer Weise darlegen, warum er in Opposition zu den kurdischen Machthabern in XXXX stünde bzw. warum diese ihm eine gegen sie gerichtete oppositionelle Haltung unterstellen könnten. Vielmehr ist sein einziges diesbezügliches Vorbringen in seiner Einvernahme vor dem BFA, wonach ihm bei seiner Rückkehr die Verhaftung durch die Kurden drohe derart allgemein gehalten, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass irgendwelche konkreten Umstände vorliegen würden, die eine Festnahme drohen würde, zumal diese Befürchtung in der Folge weder im weiteren Verlauf der Einvernahme noch in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnt wurde.

2.2.7. Zwar stammt der BF aus XXXX und somit aus einem Stadtviertel von XXXX , das eine kurdische Bevölkerungsmehrheit aufweist und auch von kurdischen Kräften kontrolliert wird. Da dies jedoch auf einer Vereinbarung zwischen dem syrischen Regime und den kurdischen Kräften beruht, kann nicht gesagt werden, dass die Herkunft aus XXXX zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung durch die syrischen Behörden führt, wie dies für die Herkunft aus einem Landesteil anzunehmen wäre, der von der FSA oder der HTS kontrolliert wird.

2.2.8. Die Feststellungen zur Möglichkeit eines Freikaufes stützen sich auf folgendes Überlegungen:

Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, sieht das syrische Wehrrecht für im Ausland lebende Staatsbürger die Möglichkeit vor, eine Wehrersatzgebühr zu entrichten, um eine Befreiung vom Militärdienst zu erhalten (vgl. hierzu auch VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619). Dem BF steht somit grundsätzlich die Möglichkeit offen, sich vom Wehrdienst bei der syrischen Armee in Syrien freizukaufen. Die Voraussetzungen dafür liegen im Entscheidungszeitpunkt durch seinen ununterbrochenen Aufenthalt im Ausland seit 2012 vor. Den Länderberichten ist auch nicht zu entnehmen, dass gleichsam jeder wehrpflichtige syrische Mann, der seine Befreiungsgebühr bezahlt hat und der aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrt, per se einer Verfolgung durch das syrische Regime ausgesetzt ist.

Aus den Angaben des BF ergibt sich auch, dass er finanziell durchaus in der Lage ist, mit angemessenem Aufwand die für die Leistung der Wehrersatzgebühr notwendigen Mittel zu erwirtschaften. Der BF ist jung und gesund und verdient nach seinen eigenen nachvollziehbaren Angaben bereits jetzt etwa EUR 2.000,− monatlich. Bei einer sparsamen Lebensführung ist davon auszugehen, dass er das Wehrersatzgeld binnen angemessener Frist wird abführen können.

2.2.9. Während des gesamten Verfahrens konnte der BF konnte den Angaben des BF nicht entnommen werden, dass dieser über eine gefestigte oppositionelle Einstellung gegenüber dem syrischen Regime verfügen würde. Sofern der BF in der Beschwerdeverhandlung vorbrachte, dass der BF das syrische Regime für verbrecherisch halte, es nicht unterstützen wolle und sich insbesondere nicht auf Regierungsseite am Bürgerkrieg beteiligen wolle, lässt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine glaubwürdige verinnerlichte politische Überzeugung des BF ableiten, da dies zum einen bloß allgemeine Aussagen sind, die im Übrigen dem Selbstschutz des BF, der sich nachvollziehbarerweise nicht an Kampfhandlungen beteiligen möchte, entsprechen. Zum anderen ist festzuhalten, dass sich das Vorbringen des BF bezüglich des Streits seiner Familie mit der – regimetreuen – Familie Berri, der auch zur Folge gehabt habe, dass die syrischen Behörden nach dem BF suchen, wie dargestellt als tatsachenwidrig erwiesen hat.

2.2.10. Dass dem BF seitens des syrischen Regimes keine oppositionelle Haltung unterstellt wird, ergibt sich daraus, dass er keine Umstände glaubhaft machen konnte, die ihn in den Augen der syrischen Regierung als oppositionell gelten lassen könnten. Überdies kann im Fall des BF nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz dem syrischen Staat bekanntgeworden ist, zumal es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass dem syrischen Staat die Antragstellung entgegen dem Verbot oder durch sonstige Umstände tatsächlich bekanntgeworden ist. Es bestehen daher keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass der BF bloß wegen seiner unrechtmäßigen Ausreise, seiner Asylantragstellung oder seines längeren Auslandsaufenthaltes im Rahmen der Einreiseformalitäten festgenommen wird und eine mit Folter verbundenen Anhaltung zu erleiden hat. Insbesondere betrachtet die syrische Regierung auch die Verweigerung des Wehrdienstes nicht grundsätzlich als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung. Zwar kommt es vor, dass Personen ohne Grund bei der Einreise verhaftet werden, aber ein reales Risiko ist diesbezüglich nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kann die Möglichkeit, dass der BF bei der Einreise festgenommen, angehalten und gefoltert oder getötet wird, nicht gänzlich ausgeschlossen werden, es kann allerdings unter Bedachtnahme auf alle Umstände dieses Falles nicht davon ausgegangen werden, dass dies mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreten wird.

2.2.11. Im Ergebnis vermochte der BF zu den Gründen, weshalb die syrische Regierung und/oder die Kurden ihn verfolgen bzw. rekrutieren sollten, keine überzeugenden Angaben zu machen. Es finden sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der BF gefährdet ist, in Syrien asylrelevant in das Blickfeld der syrischen Regierung und/oder der kurdischen Kräfte zu geraten, und er einem von UNHCR genannten Risikoprofil unterfällt.

2.2.12. Dass der BF jung, gesund und zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage ist, ergibt sich aus seinem eigenen, insoweit plausiblen und glaubhaften Vorbringen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten – mit Ausnahme der Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht – ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die belangte Behörde in dem Verwaltungsverfahren, das zur Erlassung des bekämpften Bescheides geführt hat, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.

3.3. Sie ist in der Sache jedoch nicht berechtigt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge derselben Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die „begründete Furcht vor Verfolgung.“ Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn aus objektiver Sicht eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (vor Verfolgung aus Konventionsgründen) fürchten würde. Eine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Von der maßgeblichen Gefahr einer Verfolgung ist nicht auszugehen, wenn der Verfolger keinen Zugriff auf die betroffene Person hat (vgl. VwGH 06.09.2018, Ra 2017/18/0055).

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat (vgl. § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG) Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Die für die Asylgewährung erforderliche Verfolgungsgefahr ist daher in Bezug auf den Herkunftsstaat des Asylwerbers zu prüfen (vgl. dazu etwa VwGH 2.2.2023, Ra 2022/18/0266, m.w.N.). Auch Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK und die Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) stellen auf das Herkunftsland (vgl. etwa Art. 2 lit. n StatusRL) des Asylwerbers ab und prüfen die Asylberechtigung hinsichtlich dieses Landes.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die schutzsuchende Person in der Vergangenheit bereits verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist vielmehr, dass der schutzsuchenden Person im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz (hier: durch das Bundesverwaltungsgericht) im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in der GFK bzw. in Art. 10 StatusRL genannten fünf Verfolgungsgründe drohen würde (vgl. etwa VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212; VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, m.w.N.).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es angesichts der Ausführungen zum Sachverhalt und zur Beweiswürdigung nicht glaubhaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat Syrien Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht:

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. vor der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes die Gewährung von Asyl rechtfertigen kann (VwGH 07.01.2021, Ra 2020/18/0491, m.w.N.; 04.07.2023, Ra 2023/18/0108-9).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur maßgeblichen Berichtslage festgehalten, dass sich aus den Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/18/0077). Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage ließe sich gerade kein Automatismus als gegeben annehmen, wonach jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (vgl. VwGH 8.11.2023, Ra 2023/20/0520; i.d.S. auch VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0173). Nichts Anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. VwGH, 26.03.2024, Ra 2024/20/0003).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zur Beteiligung an Kriegsverbrechen oder sonst völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108; 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rn 19, m.w.N.; vgl. überdies VwGH 03.05.2022, Ra 2021/18/0250, mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0203).

Wie aufgrund der Feststellungen anzunehmen ist, ist es dem BF insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, insbesondere in seiner politischen Gesinnung, hätte, glaubhaft zu machen:

Vorwegzuschicken ist, dass die Heimatregion des BF nicht so eng geografisch eingegrenzt werden kann, dass darunter nur ein bestimmtes Stadtviertel zu verstehen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers die Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht bzw. ob ihm im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. VwGH 27.05.2021, Ra 2020/19/0115). Die Herkunftsregion wird dabei als „ein bestimmtes Gebiet“ definiert, zu dem der Asylwerber eine (besonders) enge Bindung hat, etwa, weil er dort geboren wurde und aufwuchs (vgl. VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; 25.05.2020, Ra 2019/19/0192). Dabei handelt es sich regelmäßig um „in Betracht kommende Städte“ (vgl. VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317), oder – in besonderen Fällen – auch bloß das Dorf, aus dem der Asylwerber stammt (vgl. VwGH 11.09.2023, Ra 2023/18/0111; 26.11.2003, 2000/20/0483). Daher ist XXXX (und nicht deren Bezirk XXXX ) als Herkunftsregion des BF anzusehen.

Auch wenn annimmt, dass die syrische Armee somit in der Lage ist, den BF zwangsweise zu rekrutieren, ist durch diese Möglichkeit nicht automatisch eine Verfolgung im Sinne der GFK gegeben. Der Verwaltungsgerichthof hat festgehalten, dass sich aus den maßgeblichen Länderberichten ein differenziertes Bild ergibt und sich kein Automatismus annehmen lasse, dass ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und sonstigen Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. zuletzt etwa VwGH 26.03.2024, Ra 2024/20/0003). Im Fall des BF gibt es keine Hinweise darauf, dass er angesichts der laut Länderberichten insgesamt rückläufigen Bürgerkriegshandlungen an eine aktive Front verlegt würde und dort zur Beteiligung an Kriegsverbrechen oder sonstigen Menschenrechtsverletzungen gezwungen wäre. Tatsächlich hat der BF bisher nicht einmal einen Einberufungsbefehl zur syrischen Armee erhalten.

Zudem steht es dem BF aufgrund seines mehrjährigen Auslandsaufenthaltes gemäß den Länderfeststellungen auch offen, sich vom Wehrdienst freizukaufen. Eine auf die Gesinnung des Asylwerbers abstellende konkrete Zumutbarkeitsprüfung zur Inanspruchnahme dieser Alternative zur Wehrdienstleistung kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes entfallen, wenn es sich um eine nach dem Recht des Herkunftsstaates legale Alternative zur Ableistung eines solchen Wehrdienstes handelt und diese im Herkunftsstaat legale Alternative nicht grundsätzlich mit den der österreichischen Rechtsordnung zu Grunde liegenden Prinzipien unvereinbar erscheint. Dass die Bezahlung einer Befreiungsgebühr ohne signifikanten Pönalcharakter als Abgeltung für die Nicht-Leistung des mehrjährigen Wehrdienstes nicht per se als ordre-public-widrig erkannt werden kann, liegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf der Hand. Zusammenfassend ist somit darauf hinzuweisen, dass dem BF nach den vorliegenden Länderinformationen zu Syrien jedenfalls die Möglichkeit offensteht, sich als Person mit Wohnsitz im Ausland gegen Bezahlung eines festgelegten Geldbetrages – ohne Angabe von Gründen – vom Wehrdienst befreien zu lassen. Da der BF wie festgestellt jung und gesund und daher arbeitsfähig ist und er auch in der Lage war, einem Schlepper einen erheblichen Geldbetrag für die Verbringung ins Bundesgebiet zu bezahlen, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es dem BF möglich und zumutbar ist, durch eigene Arbeitsleistung die für die Aufbringung des Wehrersatzgeldes nötigen Mittel zu lukrieren. Mit Blick auf den Prognosecharakter von Asylentscheidungen und den bestehenden subsidiären Schutzstatus ist es nicht erforderlich, dass die finanziellen Mittel zur Zahlung der Kompensationsleistung bereits im Entscheidungszeitpunkt vorhanden sind. Es ist ausreichend, wenn – wie im gegenständlichen Fall – damit zu rechnen ist, dass die finanziellen Mittel in absehbarer Zeit aufgebracht werden können (vgl. den rezenten Beschluss des VfGH vom 25.06.2024, E 536/2024, in welchem dieser Rechtsansicht nicht entgegengetreten wird). Das Verlangen eines Staates, die Nichtableistung des Wehrdienstes durch Leistung einer Gebühr zu kompensieren, ist dabei nicht als Verfolgungshandlung i.S.d. Art. 9 StatusRL, auf den die Legaldefinition des Begriffes der Verfolgung in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG verweist, anzusehen (vgl. VwGH 28.03.2023, Ra 2023/20/0027).

Auch hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass sich aus den – hier maßgeblichen – Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergebe und aus dieser Berichtslage nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden könne, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde und eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619). Dabei lässt das Bundesverwaltungsgericht nicht außer Acht, dass Wehrdienstverweigerung laut den Länderberichten vom syrischen Regime ambivalent beurteilt wird. So wird sie im besten Fall als Feigheit und im schlimmsten Fall im Rahmen des Militärverratsgesetzes („qanun al-khiana al-wataniya“) als Landesverrat gesehen, wobei es in letzterem Fall zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis kommen kann. Wie sich aus den Länderberichten allerdings auch erschließt, wird Wehrdienstverweigerung nicht mehr unbedingt als oppositionsnahe betrachtet. Folglich ist selbst im Fall, dass der BF zum Wehrdienst in der syrischen Armee eingezogen wird (wovon aufgrund der Freikaufsmöglichkeit nicht ausgegangen wird) und er dies verweigert, nicht anzunehmen, dass ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde, weshalb seinem Vorbringen zusammengefasst keine Asylrelevanz zukommt.

Die prekäre Sicherheitslage in Syrien erweist sich im Fall des BF als nicht asylrelevant. Der BF hat bloß alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Unbilligkeiten aufgrund des Bürgerkrieges und der allgemein schlechten Lage in Syrien vorgebracht, aber keine substantiellen, stichhaltigen Gründe für das Vorliegen einer individuellen Gefahr der Verfolgung nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK dargetan. Im Fall des BF sind keine Umstände ersichtlich, die eine ihn selbst drohende individuelle Verfolgung aufgrund des Bürgerkrieges und der aktuellen Lage in Syrien untermauern würden. Einer bloß allgemeinen Bedrohung durch den Bürgerkrieg und die aktuelle Lage ist jedoch nicht mit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu begegnen; dieser Status wurde dem BF bereits rechtskräftig zuerkannt.

Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation des BF im Herkunftsstaat ergibt, dass er gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität rechnen muss. Die Furcht des BF vor einer Verfolgung im Herkunftsstaat kann daher nicht als „wohlbegründet“ im Sinn der GFK angesehen werden.

Schließlich kann auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien nicht erkannt werden, dass dem BF aktuell in Syrien asylrelevante Verfolgung, etwa wegen seiner illegalen Ausreise oder wegen seiner Asylantragsstellung im Ausland, aus einem in der GFK genannten Gründen droht.

Das Vorliegen eines Sachverhaltes, aus dem sich eine ausreichende Wahrscheinlichkeit einer individuellen Verfolgungsgefahr für den BF ableiten ließe bzw. aus dem sich seine konkrete Betroffenheit von der allgemeinen Situation in Syrien aus Konventionsgründen ergeben würde, konnte nicht festgestellt werden. Die für die Asylgewährung geforderte maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung im Sinn der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor. Es bestehen keine konkreten, überzeugenden Hinweise, dass der BF nicht nur möglicherweise, sondern mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat betroffen ist.

Das Vorbringen des BF vermag der Beschwerde daher nicht zum Erfolg zu verhelfen. Andere vom BF nicht vorgebrachte, gegen die Richtigkeit des angefochtenen Bescheides sprechende Umstände sind nicht zu erkennen. Da dem angefochtenen Bescheid keine Rechtswidrigkeit i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anhaftet, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

3.4. Zum Absehen von der Aussetzung des Verfahrens:

Mit Beschluss vom 12.09.2024, W261 Zl. 2289490-1 legte das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

„1.) Ist Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes im Sinne dieser Bestimmung tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen?

1.a.) Wenn Frage 1 zu bejahen ist: Ist Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die für im Ausland lebende Staatsangehörige eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes für den Herkunftsstaat bedeuten würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um bei Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen, und diese Gebühr nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts bemessen ist, wobei 10.000,– US-Dollar bei einem Jahr, 9.000,– US-Dollar bei zwei Jahren, 8.000,– US-Dollar bei drei Jahren und 7.000,– US-Dollar bei vier Jahren Auslandsaufenthalt zu entrichten sind und für jedes weitere Jahr jeweils eine Gebühr von 200,– US-Dollar anfällt?

1.b.) Wenn Frage 1 zu bejahen ist: Ist auch Art. 9 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen?

2.) Wenn zumindest Frage 1 zu bejahen ist: Sind Art. 9 Abs. 2 lit. e und – soweit Frage 1.b. zu bejahen ist – c in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 lit. b und c der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung dann nicht ausschließt, wenn ein Antragsteller im Sinne des Art. 2 lit. i dieser Richtlinie eine religiöse beziehungsweise moralische Grundhaltung oder eine politische Meinung, Anschauung beziehungsweise Überzeugung hat, aufgrund derer er die Zahlung dieser Gebühr nicht leisten möchte?

3.) Wenn zumindest Frage 1 zu bejahen ist: Sind Art. 9 Abs. 2 lit. e und – soweit Frage 1.b. zu bejahen ist – c in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 lit. a und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 sowie Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes dahin auszulegen, dass es für die Frage, ob die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes tatsächlich befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz beziehungsweise den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über einen Rechtsbehelf gegen die behördliche Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ankommt?

4.) Stehen die unionsrechtlichen Bestimmungen der Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18. Januar 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 in der geltenden Fassung der Annahme entgegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in Syrien gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die für im Ausland lebende syrische Staatsangehörige eine Befreiung von der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes für den Herkunftsstaat bedeuten würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e oder c der Richtlinie 2011/95 ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darstellt, um bei Rückkehr nach Syrien einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen, und diese Gebühr nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts bemessen ist, wobei 10.000,– US-Dollar bei einem Jahr, 9.000,– US-Dollar bei zwei Jahren, 8.000,– US-Dollar bei drei Jahren und 7.000,– US-Dollar bei vier Jahren Auslandsaufenthalt zu entrichten sind und für jedes weitere Jahr jeweils eine Gebühr von 200,– US-Dollar anfällt?“

Gemäß § 38 2. Satz AVG i.V.m. § 17 VwGVG kann ein Verwaltungsgericht ein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage, die als Hauptfrage von einem anderen Gericht zu entscheiden ist, aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird. Dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV vorgelegte Fragen können nach der Rspr. des VwGH Vorfragen i.S.d. § 38 2. Satz AVG darstellen, wenn es sich um Fragen handelt, die „in einem gleich gelagerten Fall […] bereits beim EuGH anhängig“ sind (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 38, Rz. 18). Die mit dem oben zitierten Beschluss dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen spielen auch im gegenständlichen Verfahren eine Rolle, da der BF angibt, als Wehrdienstverweigerer von Verfolgung bedroht zu sein und das syrische Regime nicht durch Leistung des Wehrersatzgeldes unterstützen zu wollen.

Das Verwaltungsgericht ist jedoch – wie sich auch schon aus dem Wortlaut der zitierten Gesetzesstelle ergibt (arg. „kann“) – nicht zu einer Aussetzung eines Verfahrens verpflichtet, sondern kann die Vorfrage auch selbstständig beurteilen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 38, Rz. 59). Auch nach Art. 267 AEUV trifft das Bundesverwaltungsgericht keine Pflicht, ein Verfahren auszusetzen, nur weil zu den entscheidungsrelevanten Fragen bereits ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig ist (Schima in Jaeger/Stöger (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 267 AEUV, Rz. 159).

Inhaltlich ist hinsichtlich der im Rahmen des gegenständlichen Vorabentscheidungsersuchens vorgelegten Fragen Folgendes festzuhalten:

Nach der hier vertretenen Rechtsansicht wird die in Rede stehende Möglichkeit zur Leistung eines Wehrersatzgeldes, wie diese laut den verfügbaren Länderinformationen im syrischen Recht vorgesehen und von der syrischen Regierung auch tatsächlich zur Gewinnung von ausländischen Devisen zur Anwendung gebracht wird, im Vorlagebeschluss insofern unzutreffend dargestellt, als die Höhe des zu entrichtenden Wehrersatzgeldes abnimmt, je länger der Wehrpflichtige sich im Ausland aufhält. Die Formulierung, wonach bei einem vier Jahre übersteigenden Auslandsaufenthalt „für jedes weitere Jahr jeweils eine Gebühr von 200,– US-Dollar anfällt“ ist daher insoweit missverständlich, als dieser Zuschlag i.H.v. USD 200,− nur bei verspäteter Entrichtung der Wehrersatzgebühr für jedes Jahr der Verspätung zu entrichten ist.

Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e StatusRL kann die „Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen“ eine asylrelevante Verfolgung darstellen.

Nach der Rspr. des EuGH in der Rs. Shepherd muss die Verweigerung des Kriegsdienstes das einzige Mittel darstellen, das es dem Asylwerber ermöglicht, sich nicht an Verbrechen oder Handlungen i.S.d. Art. 12 Abs. 2 StatusRL zu beteiligen, damit die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Kriegsdienstverweigerung als Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 2 lit. e StatusRL betrachtet werden kann. Außerdem muss der Asylwerber ein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer anstrengen, sofern ein solches in seinem Herkunftsstaat zur Verfügung steht, um in weiterer Folge unter den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs 2. lit. e StatusRL fallen zu können und muss die Bestrafung für die Verweigerung des Wehrdienstes „in einem Maß [als] unverhältnismäßig oder diskriminierend angesehen werden können, dass sie zu den von diesen Bestimmungen erfassten Verfolgungshandlungen gehören würden“, wobei auch Haftstrafen vor dem Hintergrund der „legitimen Ausübung des Rechts auf Unterhaltung einer Streitkraft durch den betreffenden Staat“ nicht grundsätzlich als unverhältnismäßig einzustufen seien. Auch in seiner Entscheidung vom 19.11.2020 (C-238/19) hält der EuGH fest, dass zwischen der Bestrafung für die Wehrdienstverweigerung und den in Art. 10 StatusRL genannten Gründen ein Zusammenhang bestehen muss und dieser Zusammenhang sich nicht allein daraus ergibt, dass ein Wehrpflichtiger für seine Weigerung, Kriegsdienst zu leisten bestraft wird.

Auch wenn sich der EuGH bisher nicht mit der Möglichkeit des Freikaufes vom Wehrdienst durch Leistung einer Befreiungsgebühr beschäftigt hat, lässt seine bisherige Judikatur nicht erkennen, dass er nur die Möglichkeit der Ableistung eines zivilen Ersatzdienstes, um der Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen, vor Augen hatte. Vielmehr stellt er darauf ab, ob die Kriegsdienstverweigerung das einzige Mittel hiezu ist. Auch die Leistung eines Wehrersatzgeldes ist jedoch ein Mittel, um dem Kriegsdienst und somit der möglichen Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen. Wie oben dargestellt, handelt es sich im Falle Syriens auch um eine nicht nur auf dem Papier bestehende Alternative zum Kriegsdienst. Schon allein der Begriff der Wehrersatzgebühr lässt darauf schließen, dass diese nicht dazu dienen soll, den im Ausland aufhältigen Wehrpflichtigen zu bestrafen, sondern vielmehr einen Ersatz für die Ableistung des Wehrdienstes darstellt wie in anderen Ländern ein ziviler Ersatzdienst. Gegen den strafenden Charakter des Wehrersatzgeldes spricht auch, dass seine Höhe abnimmt, je länger der Wehrpflichtige sich im Ausland aufhält, was durchaus auf sachlichen Erwägungen beruht. Im Übrigen kennt auch das schweizerische Wehrrecht das Institut der Wehrpflichtersatzabgabe, die Wehrpflichtige, die weder Wehr- noch Zivildienst ableisten, abführen müssen.

Selbst wenn man die Wehrersatzgebühr für eine Strafe hielte, ist im Lichte der Rspr. des EuGH zu beachten, dass nur eine unverhältnismäßige Bestrafung eines Wehrdienstverweigerers eine asylrelevante Verfolgung darstellen kann. Die Abgeltung eines mehrjährigen und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit mit Kampfeinsätzen verbundenen Wehrdienstes durch Zahlung von höchstens USD 10.000,− erscheint fallgegenständlich nicht als unangemessen angesichts der Tatsache, dass der Wehrpflichtige so dem potenziell gefährlichen Wehrdienst entgehen kann und auch mangels Ableistung des Wehrdienstes ausreichend Gelegenheit hat, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

Mit der Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18.01.2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 i.d.g.F. verhängte die Europäische Union Sanktionen gegen die syrische Regierung. In Art. 35 leg. cit. wird normiert, dass die Bestimmungen dieser VO nur im Gebiet der Europäischen Union oder für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union gelten. Schon allein deswegen finden die Sanktionssbestimmungen keine Anwendung auf die Leistung einer Wehrersatzgebühr durch syrische Staatsangehörige an syrische Behörden. Darüber hinaus ist der VO keine Bestimmung zu entnehmen, die ausdrücklich die Zahlung von Gebühren oder Ähnlichem an die syrische Staatskasse verbieten würde. Es entspricht mit Sicherheit nicht dem Sinn und Zweck dieser VO, syrischen Staatsbürgern beispielsweise die Erlangung von Reisepässen von syrischen Vertretungsbehörden im Gebiet der EU durch das Verbot der Bezahlung der hiebei anfallenden Gebühren, die ja dann auch unter das Verbot des Art. 14 Abs. 2 leg. cit. fallen würde, zu verunmöglichen. Dasselbe muss auch für die Leistung einer Wehrersatzgebühr gelten. Vielmehr sieht Art. 16 lit. d. leg. cit. eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Zuwendung von Geldern an in den Anhängen II oder IIa der VO genannte natürliche oder juristische Personen nach Art. 14 Abs. 2 leg. cit. „zur Gewährleistung der Sicherheit von Personen“ vor, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt davon ausgegangen werden kann, dass durch das Sanktionsregime der EU nicht beabsichtigt wird, notwendige Zahlungen, die Syrer an den syrischen Staat zu leisten haben, zu unterbinden.

Da im Sinne der obigen Ausführungen die Rechtslage unter Einschluss der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur des EuGH und des VwGH aus Sicht des erkennenden Gerichtes ohnehin klar ist und auch die − nach Art. 267 AEUV bei Bedenken hinsichtlich der Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen verpflichteten österreichischen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes − trotz Befassung mit zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen bisher keine begründeten Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechtes hatten, war von einer Aussetzung des Verfahrens bis zur Beantwortung der dem EuGH vorgelegten Fragen abzusehen.

3.5. Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

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