JudikaturOGH

1Ob77/25t – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
24. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Dr. Wurdinger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Steger, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Vollmaier als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Ing. C*, vertreten durch Dr. Florian Perschler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei Dr. J*, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Rechnungslegung und Unterhalt, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. Februar 2025, GZ 42 R 441/24z 166, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts wendet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] I. Soweit die Beklagte die Entscheidung des Berufungsgerichts im Kostenpunkt bekämpft, übergeht sie, dass zweitinstanzliche Kostenentscheidungen ausnahmslos unanfechtbar sind (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RS0044233 [T36]; RS0053407 [T16]; RS0044228 ). Insoweit ist ihr Rechtsmittel unzulässig.

[2] II. Im Übrigen ist die außerordentliche Revision der Beklagten mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[3] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufgrund unzureichender Behandlung der Beweisrüge wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der weitere sinngemäße Vorwurf, das Berufungsgericht hätte die Verwendung von Textbausteinen im Ersturteil als Verstoß gegen die Begründungspflicht (§ 272 Abs 3, § 417 Abs 2 ZPO) aufgreifen müssen, geht schon deshalb fehl, weil die Beklagte einen entsprechenden Verfahrensmangel in zweiter Instanz nicht – auch nicht in der Sache – gerügt hat (RS0043111; RS0074223 [T5]).

[4] 2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Stufenklage gemäß Art XLII Abs 1 erster Fall EGZPO auch bei gesetzlichen Unterhaltsansprüchen eines Ehegatten grundsätzlich zulässig. Die wechselseitigen ehelichen Informationspflichten wirken demnach selbst nach der Trennung weiter fort. Es kann dem Unterhaltsberechtigten nicht zugemutet werden, gewissermaßen „ins Blaue zu klagen“, also irgendeine Einkommenshöhe, die am wahrscheinlichsten erscheine, zu behaupten und dem Unterhaltsbegehren zugrunde zu legen ( 7 Ob 132/24y Rz 10 mwN; RS0122058 [T2]).

[5] Das Berufungsgericht legte das Vorbringen, wonach der Kläger bis April 2017 die Zahlungsflüsse in der Ordination der Beklagten kontrolliert und gemanagt habe und das monatliche Nettoeinkommen der Beklagten durchschnittlich 15.000 EUR, ihr jährliches Nettoeinkommen also 180.000 EUR betragen habe, dahin aus, dass er damit nur zum Ausdruck habe bringen wollen, die Einkommenszahlen ungefähr zu kennen. Wenn es vor diesem Hintergrund die Schlüssigkeit der auf Rechnungslegung ab 1. 9. 2014 gerichteten Klage bejahte, bestehen gegen diese einzelfallbezogene Beurteilung (vgl RS0037780 ; RS0042828 [T6, T19, T26]) keine aufzugreifenden Bedenken.

[6] 3. Nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts dann kein Unterhaltsanspruch zu, wenn dessen Geltendmachung ein Missbrauch des Rechts wäre.

[7] 3.1. Bei Beurteilung, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs rechtsmissbräuchlich wäre, ist nach der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen (RS0009759 [T5, T9]). Eine Verwirkung des Unterhalts tritt nur in besonders krassen Fällen ein, wenn dessen Geltendmachung wegen des Verhaltens des an sich unterhaltsberechtigten Ehegatten grob unbillig wäre (RS0009759; RS0009766). Sie setzt dabei regelmäßig den völligen Verlust des Ehewillens des unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus. Dieser muss sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt haben. Entscheidend ist, ob der an sich Unterhaltsberechtigte aus eigenem Verschulden den Ehewillen weitgehend und dauernd aufgegeben hat (RS0009759 [T15, T16]).

[8] Bei der Wertung des Gewichts der Eheverfehlungen und ihrer Eignung, den Unterhaltsanspruch bei aufrechtem Bestand der Ehe zum Erlöschen zu bringen, ist i m Rahmen einer Gesamtbetrachtung (vgl 1 Ob 161/21i Rz 1, 6 mwN) auf das objektive Gewicht der ehewidrigen Verhaltensweisen sowie das Maß der subjektiven Verantwortlichkeit (also das Verschulden) des betreffenden Ehegatten abzustellen (RS0005919); es dürfen aber – im Sinn einer umfassenden Interessenabwägung (vgl RS0121740) – auch die Begleitumstände und das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden (RS0009759 [T12]; RS0047080 [T10]). Bloße Reaktionen auf ein bereits davor gesetztes ehewidriges Verhalten bilden grundsätzlich keinen Verwirkungstatbestand (7 Ob 132/24y Rz 13 ).

[9] Ob ein so gravierendes Fehlverhalten vorliegt, das eine Unterhaltsverwirkung rechtfertigt, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen (RS0009759 [T13]; RS0009766 [T4, T9]; RS0047080), wobei dem Gericht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zusteht (RS0047080 [T11]). Eine erhebliche Rechtsfrage wird dadurch regelmäßig nicht begründet (1 Ob 22/24b Rz 8; 1 Ob 160/24x Rz 8).

[10] 3.2. Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Dass es bei deren Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.

[11] Die Beklagte nimmt zwar in ihren Revisionsausführungen umfassend auf die verschiedenen Verfehlungen des Klägers Bezug, lässt dabei aber ihr jeweiliges eigenes Vor verhalten, das zur zunehmenden Eskalation des Ehestreits mit beigetragen hat, weitgehend außer Betracht:

[12] Nach dem festgestellten S achverhalt hat sie den Kläger zum einen im Frühjahr 2017 der (im Verfahren nicht nachgewiesenen) unberechtigten Zueignung einer beträchtlichen Bargeldsumme geziehen, eine Strafanzeige in den Raum gestellt und später gestützt auf diesen Vorwurf namens der gemeinsamen Gesellschaft eine Schadenersatzklage wegen verbotener Einlagenrückgewähr gegen ihn eingebracht . Zum anderen hat sie den Zugriff des Klägers auf den Server (auch) des gemeinsamen Unternehmens der Streitteile eigenmächtig unterbunden. Damit hat sie aber jedenfalls die maßgebliche wirtschaftliche Basis des Klägers erheblich gefährdet.

[13] Abgesehen davon hat sie im Februar 2018 den Kläger im Zuge einer – auf Anraten ihres Rechtsvertreters erfolgten – Strafanzeige dem (im vorliegenden Verfahren ebenso wenig verifizierten) Verdacht der Urkundenunterdrückung durch Beiseiteschaffen von Ordnern mit Buchhaltungsunterlagen ausgesetzt, obwohl ihr der Kläger mitgeteilt hatte, dass er am (angeblichen) Vorfallstag ortsabwesend war, und sie die Ordner schon längere Zeit nicht gefunden hatte.

[14] Aus diesen vorangegangenen Handlungen der Beklagten haben die Vorinstanzen nicht etwa – wie in der Revision kritisiert – geschlossen, der Kläger habe nachfolgend jeweils bloß „entschuldbare Reaktionshandlungen“ gesetzt. Vielmehr gelangten sie unter Bedachtnahme auf das wechselseitige Vorgehen der Ehepartner zum Ergebnis, dass die Eheverfehlungen des Klägers in ihrer Gesamtheit – auch unter Bedachtnahme auf dessen Strafanzeigen gegen die Beklagte, ihren Rechtsvertreter und den von ihr beauftragten EDV-Techniker – bei gebotener umfassender Interessenabwägung nicht als ein so krasses Fehlverhalten gegenüber der Beklagten zu qualifizieren seien, dass die Geltendmachung von Unterhalt grob unbillig wäre. Diese Beurteilung bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

[15] Die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten kann zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB (oder § 74 EheG) führen, wenn sie nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen, erstattet wird (vgl RS0057429). Nicht schon objektiv unrichtige, sondern nur bewusst wahrheitswidrige Anschuldigungen können zur Unterhaltsverwirkung führen (RS0078153 [T8]). Objektiv unzutreffende Beschuldigungen sind nur dann rechtswidrig, wenn entweder damit der Rahmen des sachdienlichen (notwendigen) Vorbringens überschritten wird oder die Anschuldigungen wider besseres Wissen geäußert wurden (vgl 3 Ob 114/22v Rz 3 mwN; RS0093379).

[16] Ein so weitreichender Vorwurf ist dem Kläger indes nach den Urteilsfeststellungen nicht zu machen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine (bewusst) falsche Anschuldigung nicht aus dem bloßen Umstand, dass infolge der Anzeige des Klägers teils überhaupt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen wurde und teils initiierte Ermittlungsverfahren nach § 190 Z 1 StPO aF aus rechtlichen Erwägungen eingestellt wurden. Ebenso wenig kann mit Blick auf die Feststellungen der Vorinstanzen zu den Beweggründen des Klägers davon die Rede sein, dass er die Anzeigen nicht in Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen, sondern praktisch bloß mit Schädigungsabsicht erstattete. Der in der Revision ins Treffen geführte Eventualvorsatz des Klägers in Ansehung einer Schädigung der Beklagten reicht nach der zuvor dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gerade nicht aus.

[17] Im Übrigen geht die Beklagte in der Revision – wie schon in der Berufung – nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn sie sinngemäß ausführt, sie habe dem Kläger ohnedies bloß den Zugriff auf den Server ihrer Ordination und nicht auch auf jenen des gemeinsam betriebenen Unternehmens verwehrt, er habe sie demgegenüber bloß aus Rache wegen der Scheidungsklage strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt und überdies den gemeinsamen Sohn bei der Erstattung einer Diebstahlsanzeige gegen sie psychisch unterstützt und dieser „wohlwollend zugesehen“. Die darauf aufbauende rechtliche Argumentation der Beklagten ist folglich einer inhaltlichen Auseinandersetzung nicht zugänglich (vgl RS0043312 ; RS0043603 ).

[18] Soweit die Beklagte überdies hervorhebt, dass ihr Verschulden an der Scheidung nicht erheblich schwerer wog als jenes des Klägers, weshalb die Ehe aus gleichteiligem Verschulden der Streitteile geschieden wurde (vgl RS0057858 [insb T13]), geht aus ihren Ausführungen nicht hervor, welche für sie positiven rechtlichen Ableitungen sich daraus für die Frage der Unterhaltsverwirkung ergeben sollen.