7Ob132/24y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M*, vertreten durch Dr. Simone Metz, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei A*, vertreten durch Mag. Martin Breunig, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rechnungslegung und Zahlung sowie einstweiligem Unterhalt gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, über die Revision und den Revisionsrekurs der beklagten Partei beziehungsweise des Gegners der gefährdeten Partei gegen das Teilurteil und den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. April 2024, GZ 43 R 24/24h 28, mit dem das Urteil und der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. September 2023, GZ 4 C 13/23d 17, abgeändert wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision und dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Streitteile gingen noch während aufrechter Ehen beider Beteiligter mit anderen Partnern wiederholt eine Liebesbeziehung miteinander ein. Sie schlossen nach Beendigung der jeweiligen Vorehen am 13. 6. 2001 die Ehe, die nach wie vor aufrecht ist. Sie hegten positive Gefühle füreinander; es war aber zumindest von Seiten des Beklagten nie geplant, seine Gattin als Lebenspartnerin anzusehen, mit der er seine Freizeit und sein restliches Leben gemeinsam verbringt. Es erfolgten auch keine gemeinsamen Unternehmungen. Seit August 2009 ist der Beklagte in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau.
[2] Die Klägerin begehrt Rechnungslegung und den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Unterhalt gemäß § 94 EheG, wobei die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur erfolgten Rechnungslegung vorbehalten wurde. Der Beklagte habe im Jahr 2017 den gemeinsamen Haushalt durch Auszug aus der Ehewohnung aufgelöst und leiste der Klägerin keinen Ehegattenunterhalt. Die Klägerin beziehe seit 1. 7. 2021 eine Alterspension, mit der sie ihre Bedürfnisse nicht abdecken könne. Der Beklagte beziehe ebenfalls eine Pension, deren Höhe der Klägerin unbekannt sei.
[3] Die Klägerin begehrt weiters die Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Zahlung eines einstweiligen Unterhalts von 460 EUR monatlich gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO. Sie sei nicht in der Lage ihre monatlichen Fixkosten für Wohnen und weitere Lebenserhaltungskosten zu bestreiten, was ihre Lebenserhaltung erheblich gefährde.
[4] Der Beklagte wendet die Verwirkung des Unterhalts und eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Unterhalt durch die Klägerin ein. Es habe nie eine eheliche Lebensgemeinschaft oder ein darauf gerichteter Wille der Klägerin bestanden. Die Eheschließung habe der Klägerin ausschließlich aufenthalts- und staatsbürgerschaftsrechtliche Vorteile verschaffen sollen. Die Klägerin habe niemals ihre ehelichen Pflichten erfüllt.
[5] Das Erstgericht wies das Rechnungslegungs- und das Zahlungsbegehren sowie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wegen Verwirkung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin ab.
[6] Das Rechtsmittelgericht gab der dagegen erhobenen Berufung Folge und gab dem Rechnungslegungsbegehren sowie dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf Bezahlung eines einstweiligen Unterhalts im Ausmaß von 460 EUR ab 1. 5. 2023 statt.
[7] Dagegen richtet sich das als „außerordentliche Revision“ bezeichnete Rechtsmittel des Beklagten.
[8] Nach Aktenrückstellung durch den Obersten Gerichtshof ergänzte das Berufungsgericht den Bewertungsausspruch und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Es ließ die ordentliche Revision und den – als darin enthalten anzusehenden – ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zur Wahrung der Rechtssicherheit zu.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision und der Revisionsrekurs sind zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
[10] 1. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 9 ObA 50/03y ausgeführt hat, ist im Rahmen der persönlichen Ehewirkungen von der in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Verpflichtung auszugehen, sich wechselseitig über alle wesentlichen Umstände des Berufs-und Privatlebens zu informieren. Diese Informationspflicht besteht für die Belange des Unterhalts auch hinsichtlich des Einkommens. Der Ehegatte, der dem anderen Bestandteile seines Einkommens verschweigt, handelt pflichtwidrig. In der Entscheidung 10 Ob 47/07w und dem folgend 4 O b 175/07z, 2 Ob 261/12i sowie 7 Ob 123/13h erachtete der Oberste Gerichtshof die Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO auch bei gesetzlichen Unterhaltsansprüchen grundsätzlich für zulässig. Die wechselseitigen ehelichen Informationspflichten wirken demnach selbst nach der Trennung weiter fort. Es könne nicht zugemutet werden, gewissermaßen „ins Blaue zu klagen“, also irgendeine Einkommenshöhe, die am wahrscheinlichsten erscheine, zu behaupten und dem Unterhaltsbegehren zu Grunde zu legen.
[11] 2. Der Anspruch eines Ehegatten auf Unterhalt nach § 94 ABGB setzt den Bestand einer Ehe voraus und beginnt mit der (gültigen) Eheschließung selbst dann, wenn die Ehe nichtig sein sollte. Solange die Nichtigkeit nicht gerichtlich (rechtskräftig) ausgesprochen ist, bleibt die Unterhaltspflicht unberührt ( Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 16; RS0047218 ; RS0005282 ). Dieser Anspruch hängt damit im Allgemeinen auch nicht von der Aufnahme und dem Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft ab (vgl RS0120659 = 10 ObS 66/06p; vgl auch 7 Ob 321/01h unter ausdrücklicher Ablehnung der zu RS0009521 indizierten älteren Entscheidungen).
[12] 3. Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem haushaltsführenden Ehegatten aber nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts dann kein Unterhaltsanspruch zu, wenn dessen Geltendmachung ein Missbrauch des Rechts wäre. Ein solcher Missbrauch kann bei Verwirkung vorliegen, aber auch im Fall einer Scheinehe.
[13] 3.1. Eine Verwirkung des Unterhalts tritt ein, wenn dessen Geltendmachung und Gewährung wegen des Verhaltens des an sich unterhaltsberechtigten Ehegatten grob unbillig wäre ( RS0009759 ; RS0009766 ). Eine vollständige Unterhaltsverwirkung setzt dabei regelmäßig den völligen Verlust des Ehewillens des unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus. Dieser muss sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinweggesetzt haben . Entscheidend ist, ob der an sich Unterhaltsberechtigte aus eigenem Verschulden den Ehewillen weitgehend und dauernd aufgegeben hat ( RS0009759 [T15, T16] ). Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs dem Grunde nach ist nur bei so groben Verfehlungen des anderen Ehegatten anzunehmen, die die Geltendmachung des Anspruchs als Rechtsmissbrauch erscheinen lassen. Dabei sind aber das objektive Gewicht der ehewidrigen Verhaltensweisen sowie das Maß der subjektiven Verantwortlichkeit des betreffenden Ehegatten in Betracht zu ziehen ( RS0005919 ). Bei der Wertung des Gewichts der Eheverfehlungen und ihrer Eignung, den Unterhaltsanspruch bei aufrechtem Bestand der Ehe zum Erlöschen zu bringen, darf auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden ( RS0009759 [T12] ). Bloße Reaktionen auf ein bereits davor gesetztes ehewidriges Verhalten stellen per se keinen Verwirkungstatbestand dar (vgl RS0009766 [T2, T13]). Bei Beurteilung, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB ein Rechtsmissbrauch wäre, ist nach der Rechtsprechung ein strenger Maßstab anzulegen ( RS0009759 ). Dies insbesondere für den vollen Anspruchsverlust ( RS0009759 [T34] ). Die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich jener besonderen Umstände, die ein solches Unterhaltsbegehren als Rechtsmissbrauch erscheinen lassen, trifft grundsätzlich den unterhaltspflichtigen Ehegatten ( RS0009772 ).
[14] 3.2. Auch im Fall einer Scheinehe können Unterhaltsansprüche aufgrund Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen sein (vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 16). So wurde in der Entscheidung zu 3 Ob 50/07k die Rechtsansicht des Rekursgerichts gebilligt, ein Begehren auf einstweiligen Unterhalt im Fall einer Scheinehe zur Ermöglichung eines Aufenthalts in Österreich, die nach dem Willen der Streitteile nach drei Jahren wieder geschieden werden sollte, sei rechtsmissbräuchlich.
[15] 4. Diese Grundsätze gelten auch im Provisorialverfahren über das Begehren einstweiligen Unterhalts nach § 382 Z 8 lit a EO ( RS0121740 [T2, T3, T4]).
[16] 5. Auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen lässt sich derzeit weder im Provisorial- noch im Hauptverfahren beantworten, ob das Unterhaltsbegehren der Klägerin hier rechtsmissbräuchlich erhoben wurde. Aus den Feststellungen lässt sich nur ableiten, dass der Beklagte die Klägerin von Beginn an nicht als seine Lebenspartnerin angesehen hat. Auch dass er 2009 eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau eingegangen ist, führt naturgemäß nicht zum Verlust des Anspruchs der Klägerin. Wenn sie danach ihren Ehewillen verloren hat, so kann das als Reaktion auf das Verhalten des Beklagten zu keinem Verwirkungstatbestand auf Seiten der Klägerin führen.
[17] Der für den Verwirkungstatbestand grundsätzlich beweispflichtige Beklagte hat allerdings in erster Instanz vorgebracht, es habe von Beginn an nie ein auf eine eheliche Lebensgemeinschaft gerichteter Wille der Klägerin bestanden. Die Eheschließung habe der Klägerin ausschließlich aufenthalts- und staatsbürgerschaftsrechtliche Vorteile verschaffen sollen. Sollte der Beklagte dieses Vorbringen im fortgesetzten Verfahren unter Beweis stellen können, könnte eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin vorliegen.
[18] 6. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren belastbare Feststellungen zu einem fehlenden Ehewillen der Klägerin zu treffen und dann neuerlich über eine Rechtsmissbräuchlichkeit ihres Unterhaltsanspruchs zu entscheiden haben.
[19] 7. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich der Revision auf § 52 ZPO, hinsichtlich des Revisionsrekurses auf §§ 402 iVm 78 EO iVm § 52 ZPO.