JudikaturJustiz1Ob623/95

1Ob623/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 20.Jänner 1983 geborenen Johannes J***** infolge der Revisionsrekurse 1. der Mutter Mag.Ingeborg H*****, vertreten durch Wolfgang H*****, und 2. der Großmutter Mag.Elisabeth J*****, vertreten durch Dr.Anton, Dr.Peter und Dr.Gerhard Gradischnig sowie Dr.Margit Niederleitner Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, gegen den Beschluß des Landesgerichts St.Pölten als Rekursgerichts vom 6.September 1995, GZ 10 R 368/95 82, womit der Beschluß des Bezirksgerichts St.Pölten vom 19.Juli 1995, GZ 1 P 42/90 65, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs der Großmutter wird nicht, dem Revisionsrekurs der Mutter wird dagegen Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung (Punkte 1 bis 4 des Beschlusses erster Instanz) aufgehoben; dem Erstgericht wird soweit die Ergänzung des Verfahrens und neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die von den Eltern des Minderjährigen am 17.8.1976 geschlossene Ehe wurde am 18.1.1990 gemäß § 55a EheG geschieden; seither steht der Mutter die Obsorge für den Minderjährigen zu.

Schon 1984 hatten die Eltern mit der Gruppe „Sahaja Yoga“ Kontakt aufgenommen. Sie sorgten dafür, daß der Minderjährige seit seiner frühesten Kindheit mit deren Gedanken und Vorstellungswelt vertraut gemacht und zu Veranstaltungen dieser Bewegung mitgenommen wurde. Die Gruppe führt in Indien in der Nähe von Dharamsala am Fuße des Himalaja eine Schule. Die Großmutter väterlicherseits (in der Folge kurz Großmutter) stand den Aktivitäten der Eltern in dieser Bewegung von Anfang an kritisch gegenüber. Der Vater brach einige Zeit nach der Ehescheidung den Kontakt zu dieser Gruppe ab.

Die Mutter gab ihre erfolgreiche Berufstätigkeit, als sie mit Johannes schwanger war, aus Rücksichtnahme auf das Kind auf. Am 15.2.1990 heiratete sie wieder; seither lebt das Ehepaar gemeinsam mit Johannes in guten Wohnverhältnissen. Beim Besuch einer Sozialarbeiterin im Juni 1990 hinterließ der Minderjährige einen gesunden, normal entwickelten und sehr gut gepflegten Eindruck. Der Stiefvater des Minderjährigen gehört gleichfalls der Gruppe an. 1991 und 1992 bestand zwischen dem Minderjährigen einerseits und dessen Vater sowie dessen Großmutter andererseits ein Besuchskontakt. Ende 1992 reiste die Mutter gemeinsam mit ihrem Ehegatten nach Indien; Johannes war während dieser Zeit bei einem befreundeten, ebenfalls der Gruppe angehörenden Ehepaar gut untergebracht. Er besuchte in diesem Zeitraum eine andere Volksschule; seine schulischen Leistungen litten darunter nicht. In der Folge entspann sich zwischen den Eltern ein Obsorgestreit, in dessen Verlauf der Vater der Mutter vorwarf, sie sei ein fanatisches Sektenmitglied geworden, wodurch das Kind verstört und dem Vater entfremdet werde. Dieses Verfahren endete damit, daß der Vater am 22.6.1993 all seine Anträge zurückzog, nachdem sich der Minderjährige für einen Verbleib bei seiner Mutter und gegen Besuchskontakte mit seinem Vater ausgesprochen hatte. In der Folge bestanden zwischen Vater und Großmutter einerseits und Johannes andererseits nur mehr sporadische telefonische Kontakte. Der Minderjährige besuchte bis zum Wintersemester 1994/95 im Gymnasium in St.Pölten zuletzt die zweite Klasse; er zeigte keinerlei Integrationsschwierigkeiten, sein Verhalten war unauffällig, er war stets hilfsbereit, zuvorkommend und freundlich, seinen Mitschülern gegenüber sozial überaus positiv eingestellt und hatte auch altersadäquate Interessen. Danach meldete die Mutter das Kind vom Gymnasium ab. Johannes gab am 6.3.1995 vor einem öffentlichen Notar eine eidesstättige Erklärung ab, es sei sein Wunsch, die Schule in Dharamsala zu besuchen. Die Mutter erklärte hiezu, sie wolle den Wunsch des Kindes erfüllen. Tatsächlich reiste sie mit Johannes nach Dharamsala, wo er in diese Schule aufgenommen wurde.

Der Vater lebt gemeinsam mit einer Lebensgefährtin in einer geräumigen Wohnung. Die 66jährige Großmutter betreibt 4 km von ihrem Wohnsitz entfernt eine Apotheke, in der sie, verrichtet sie Nachtdienst, auch übernachtet. Sie wohnt gemeinsam mit ihrer 90jährigen Mutter in außerordentlich guten Verhältnissen; das Nachbarhaus bewohnt ihre Tochter.

Die International Sahaja Yoga Schule befindet sich in der Nähe eines kleinen Dorfes am Fuße des Himalaja. Die klimatischen Verhältnisse sind mit jenen in Österreich vergleichbar. Die Schulgebäude sind neu und hell, die Ausstattung einfach; Sporteinrichtungen sind vorhanden. Ein weiterer Ausbau des Schulgeländes und der Sporteinrichtungen ist im Gange oder in Planung. Die Schüler sind in Schlafräumen (bis zu 15 Kindern) untergebracht; ihr persönliches Gepäck befindet sich in Koffern, die unter den Betten aufbewahrt werden. Kästen oder Spinde existieren nicht. Die Schuluniform entspricht indischer Alltagskleidung, die medizinische Versorgung ist ebenso wie die ordnungsgemäße Verpflegung gesichert. Das Schuljahr dauert von Anfang März bis Mitte/Ende Dezember; danach verlassen die Schüler das Internat bis zum Beginn des nächsten Schuljahrs. Von den 19 an der Schule tätigen Lehrern, denen Wohnungen im Bereich des Schulgeländes zugewiesen sind, stammen 18 aus Indien; eine Lehrerin ist österreichischer Herkunft. Diese stellt für die österreichischen Kinder (23 der insgesamt 196 Schüler) eine Art „Ersatzmutter“ dar; sie kann aber nur höchstens ein oder zwei Jahre an der Schule bleiben. Derzeit führt die Schule 10 Klassen der Stufen Volksschule 1 bis 4 und der Mittelschule/AHS 1 bis 5; es wird in englischer Sprache unterrichtet. Nach dem auch für diese Schule geltenden Lehr und Prüfungsplan des „Council for the Indian School Certificate Examinations“ erfolgt eine Abschlußprüfung, die in Indien anerkannt wird, nach der 10.Klasse. Die Schule wird derzeit nur bis zur 9.Schulstufe geführt, weshalb es noch keine Abschlußprüfungsergebnisse gibt. Über die 10.Klasse hinaus ist eine Erweiterung der Schule durch eine 11. und 12.Schulstufe vorgesehen. Erst die Abschlußprüfung auch über diese Schulstufen ermöglicht den Zugang zu indischen Universitäten. Der Unterricht in dieser Schule (Schülerzahl, Lehrerausbildung) liegt weit über durchschnittlichem indischen Niveau. Der Tagesablauf ist geregelt, zwischen 21 und 5,30 Uhr herrscht Nachtruhe. Der Unterricht dauert unterbrochen durch Mittagspause und Freigegenstände von 8 bis 16 Uhr. Am Morgen und am Abend ist je nach dem Lebensalter bis zu einer Stunde Meditation vorgesehen. Zur Außenwelt besteht so gut wie kein Kontakt, die Kinder können einmal wöchentlich einen Brief an ihre Eltern schreiben. Einmal wöchentlich kann ein Anruf der Eltern entgegengenommen werden. Zweimal während eines Schuljahrs darf den Schülern ein Päckchen zugemittelt werden. Die Zugehörigkeit zu Sahaja Yoga ist Aufnahmevoraussetzung. Die Leitungsgremien der Schule sind von der Bewegung nominiert; in den Gebäuden befindet sich aber weder ein Bild der Gründerin noch sonst ein bildlicher oder verbaler Hinweis auf Sahaja Yoga. Besuche sind während des Schuljahrs grundsätzlich nicht möglich. Dennoch wurde einem Vertreter der österreichischen Botschaft der Zutritt zur Schule ebensowenig verwehrt wie einem von der Großmutter entsandten indischen Militärangehörigen; diesem war aber der Zutritt zunächst verweigert worden.

Die Jahreszeugnisse der Schule werden in Österreich nicht anerkannt; dazu sind vielmehr Einstufungsprüfungen erforderlich. Das gilt generell für die Abschlußzeugnisse indischer Schulen, weil im englischen und indischen Schulsystem in der Oberstufe der Unterricht zugunsten einer spezialisierten Ausbildung auf einige wenige Fächer eingeschränkt ist. In den fehlenden Fächern müßten in Österreich jedenfalls Ergänzungsprüfungen abgelegt werden. Die Abschlußprüfung an einer indischen Schule berechtigt nicht zum Besuch einer Universität in Österreich. Lediglich bei einem bereits in Indien begonnenen Studium kann nach zwei Jahren im gleichen Studienzweig in Österreich weiterstudiert werden. Der Minderjährige erklärte gegenüber einem Vertreter der österreichischen Botschaft, weiterhin die Schule in Dharamsala besuchen zu wollen.

Die Großmutter beantragte am 3.4.1995, der Mutter die Obsorge für den Minderjährigen zu entziehen und diese ihr zu übertragen; hilfsweise begehrte sie die Einräumung eines angemessenen Besuchsrechts an zumindest einem Wochenende im Monat. Die Mutter sei fanatische Anhängerin der „Sekte“ Sahaja Yoga; sie sei dieser hörig. Johannes werde ausschließlich dem Einfluß der Bewegung überlassen, so daß dessen Kindeswohl gefährdet sei. Er werde in völliger Isolation lebens und weltfremd erzogen; es seien neben dem Abhängigkeitsverhältnis auch schwere Nachteile in schulischer Hinsicht sowie für den weiteren Lebens und Berufsweg zu besorgen. Das Kind befinde sich infolge des Einflusses seiner Mutter und nicht freiwillig in dieser Schule und im Einflußbereich von Sahaja Yoga. Zur Vermeidung nachteiliger Folgen seien Sofortmaßnahmen nötig; insbesondere sei die unverzügliche Rückführung des Kindes nach Österreich erforderlich.

Die Mutter wendete ein, Sahaja Yoga sei keine Sekte, sondern eine philosophische Lebenseinstellung, deren wichtigstes Anliegen die Erziehung zu eigenverantwortlichen, mündigen und aufgeschlossenen Menschen sei. Der Besuch dieser Eliteschule erfolge über Wunsch des Minderjährigen, die Ausbildung werde in Österreich anerkannt und es sei bei Johannes auch keine Fehlentwicklung erkennbar. Er sei vielmehr aufgrund seiner Kontakte zu Sahaja Yoga überaus reif und einsichtig geworden. Die Großmutter sei für die Übernahme der Obsorge ungeeignet. Abgesehen davon, daß sie schon seit langem keinen Kontakt mehr zum Minderjährigen unterhalte, lehne sie dieser wegen ihrer materialistischen Einstellung vehement ab.

Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge im Teilbereich „schulische Belange und Ausbildung“ und übertrug sie in diesem Umfang dem Magistrat der Landeshauptstadt St.Pölten Jugendhilfe (Punkt 1), trug der Mutter mittels einstweiliger Verfügung auf, den Minderjährigen bis spätestens 18.8.1995 wieder nach St.Pölten zu bringen (Punkt 2), ersuchte die österreichische Botschaft in New Delhi mit einstweiliger Verfügung, „alles im dortigen Machtbereich Gelegene“ zu veranlassen, damit Johannes unverzüglich wieder nach Österreich zurückkehre (Punkt 3), setzte die Punkte 2 und 3 gemäß § 12 AußStrG sofort in Vollzug und sprach aus, daß einem Rechtsmittel gegen diesen Beschluß aufschiebende Wirkung nicht zukomme (Punkt 4); die darüber hinausgehenden Anträge der Großmutter, der Mutter die Obsorge zur Gänze zu entziehen und diese ihr zu übertragen bzw ihr ein angemessenes Besuchsrecht einzuräumen, wies es ab (Punkt 5). Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, dem Minderjährigen wäre im Falle einer Rückkehr nach Österreich vor Beginn des Schuljahrs 1995/96 unter gewissen Voraussetzungen der Eintritt in die 3.Klasse AHS möglich; jede spätere Rückkehr würde Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Schulbetrieb bereiten.

Rechtlich meinte das Erstgericht, der obsorgeberechtigten Mutter bleibe es unbenommen, das Kind weiterhin im Geiste von Sahaja Yoga zu erziehen. Der Kontakt des Minderjährigen zu dieser Gruppe sei ursprünglich vom Einverständnis der Eltern bestimmt gewesen, mit dessen Fortsetzung gehe die Mutter somit von den ehemals für richtig befundenen Erziehungsgrundsätzen der Eltern nicht einseitig ab. Die Mutter könne für ihr Kind eine bestimmte Religionsgemeinschaft oder Weltanschauung frei wählen. Der Kontakt zu Sahaja Yoga stelle daher keine Gefährdung des Kindeswohls dar. Eine solche sei aber darin zu erblicken, daß Johannes in der Schule in Dharamsala unterrichtet werde. Dadurch hätte er wesentliche Nachteile für seinen weiteren Lebensweg zu gewärtigen. Die Schulausbildung könnte sich verzögern, der Minderjährige würde gegenüber Gleichaltrigen ins Hintertreffen geraten und einen Nachteil für seine Zukunftsaussichten erleiden. Seine Isolation von der Außenwelt berge die Gefahr der Weltfremdheit und steigender Anpassungsschwierigkeiten in sich. Die „Notwendigkeit der Abwehr von negativen Zeiterscheinungen westlicher industrialisierter Gesellschaften“ stelle lediglich einen „guten Slogan“ dar. Kinder seien nicht fern der Realität, in der sie schließlich leben und sich bewähren müßten, zu erziehen. Die Mutter akzeptiere das nicht und bestehe auf dem weiteren Besuch der indischen Schule. Dadurch gefährde sie das Kindeswohl, weshalb ihr die Obsorge im Teilbereich „schulische Belange und Ausbildung“ entzogen werden müsse. Eine Verzögerung der Rückkehr nach Österreich bringe die Gefahr eines Verlusts von Schulzeiten mit sich; deshalb seien die entsprechenden Anordnungen in Form einstweiliger Verfügungen zu erlassen und sofort in Vollzug zu setzen. Abgesehen von der Schulwahl sei aber die Pflege und Erziehung des Kindes durch die Mutter nicht zu beanstanden, so daß ihr die Obsorge darüber hinaus nicht zu entziehen sei und sich eine nähere Prüfung der Fähigkeiten der Großmutter zur Übernahme der Obsorge für Johannes erübrige. Da diese ein Besuchsrecht ohnehin nicht ausüben könne, sei es auch nicht sinnvoll, ein solches festzusetzen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, Johannes habe auch bisher trotz Besuchs einer österreichischen Schule mit Sahaja Yoga Kontakt halten können. Es sei unerfindlich, weshalb nur der Besuch der indischen Schule die Weiterentwicklung des Minderjährigen bestmöglich fördern könne. Was den weiteren Lebensweg des Minderjährigen angehe, seien derzeit unter anderem auch deshalb, weil sich das Gericht außerstande sehe, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, nur Spekulationen möglich. Die Schulwahl obliege zwar der obsorgeberechtigten Mutter, doch hätte diese ihre Entscheidung nur nach vorheriger Information des Vaters treffen dürfen. Der Wechsel von einer öffentlichen Schule im Nahebereich der Mutter in ein weit entferntes Internat stelle eine einschneidende Maßnahme im Leben eines Heranwachsenden dar. Die konkrete Auswahl des Ausbildungswegs liege nicht ausschließlich im Belieben der Mutter. Durch die Internatsunterbringung werde dem Minderjährigen die bisher gebotene Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen Weltanschauungen und Gedankenwelten frei zu entscheiden, genommen. Eine Isolation des Minderjährigen finde deshalb statt, weil ihm durch die Unterbringung im Internat die unmittelbare Auseinandersetzung mit Entwicklungen in jener Gesellschaft, in der er bisher aufgewachsen sei und auch in Zukunft werde seinen Platz finden müssen, verwehrt werde. Die geringfügigen schriftlichen bzw. telefonischen Kontakte stellten keinen Ersatz für die sonst möglichen persönlichen Erfahrungen des Minderjährigen dar. Ein Minderjähriger sei auf sein Leben im konkret für ihn bestimmten Umfeld bestmöglich vorzubereiten, wenngleich der österreichische Gesetzgeber ein materielles Erziehungsziel nicht vorgegeben habe. Das sei nur dann zu erreichen, wenn es dem Minderjährigen ermöglicht werde, Erfahrungen persönlich und unmittelbar zu sammeln. Selbst unter der Annahme, daß die Schule in Indien eine optimale theoretische Ausbildung sichere, dürfe ein schwerwiegender Nachteil für den Minderjährigen nicht übersehen werden: Der Zeitraum, in dem er sich in seinem ursprünglichen sozialen Umfeld aufhalten könne, sei unzureichend. Das Kind müsse mehr als neun Monate hindurch ununterbrochen der Zuwendung der Eltern, des Gefühls familiärer Geborgenheit und der Möglichkeit zur Aussprache mit den primären Bezugspersonen seines bisherigen Lebens entbehren. Dadurch werde ihm die vor allem während der Pubertät nötige emotionale Wärme entzogen. Werde die Unterbringung im Internat auf diese Weise fortgesetzt, müsse man für Johannes Lebensuntüchtigkeit und Weltfremdheit befürchten. Der Mutter sei daher im Teilbereich schulischer Belange und Ausbildung die Obsorge zu entziehen. Daß die Fortsetzung der Ausbildung in Österreich durch eine ehestmögliche Rückkehr des Kindes erleichtert werde, sei offenkundig. Zu diesem Zwecke könne sich das Gericht auch verwaltungsbehördlicher Hilfe bedienen. Durch die sofortige Invollzugsetzung sei die Mutter nicht beschwert, weil die ihr bis zum 18.8.1995 bestimmte Frist für die Zurückholung des Minderjährigen bereits abgelaufen sei. Eine negative Entwicklung des Minderjährigen durch den Kontakt mit Sahaja Yoga habe sich nicht gezeigt, so daß eine über den Bereich „schulische Belange und Ausbildung“ hinausgehende Entziehung der Obsorge nicht erforderlich sei. Die Übertragung der Obsorge an die Großmutter sei im übrigen auch schon deshalb ausgeschlossen, weil sie vom Minderjährigen derzeit abgelehnt werde. Zwischen der Mutter und der Großmutter bestehe eine derart tiefgreifende Kluft, daß die Voraussetzungen des § 148 Abs.2 zweiter Halbsatz ABGB vorlägen. Bevor an eine Wiederaufnahme der Kontakte mit der Familie des Vaters zu denken sei, müsse erst eine Beruhigung der Situation eintreten. An ein Besuchsrecht der Großmutter sei schon deshalb derzeit nicht zu denken.

Der dagegen von der Mutter erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt, dem Rechtsmittel der Großmutter kommt dagegen keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

1. Zum Revisionsrekurs der Großmutter:

Gemäß § 176 ABGB hat das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden, die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen; bei akuter Gefährdung des Kindes, wenn also besondere Umstände zur Abwendung eines dem Minderjährigen unmittelbar drohenden erheblichen Nachteils eine sofortige Entscheidung erfordern, können nach § 176 ABGB auch vorläufige Maßnahmen getroffen werden (EvBl 1994/123; 1 Ob 740/81 ua; Schlemmer in Schwimann , ABGB § 176 Rz 46).Da die Obsorge nach ständiger Rechtsprechung nur dann auf den anderen Elternteil oder gar auf einen Dritten übertragen werden darf, wenn das Wohl des Minderjährigen sonst gefährdet wäre, darf der Mutter die Obsorge für Johannes nur entzogen werden, wenn sie die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder sogar subjektiv gröblich vernachlässigt hat (JBl 1992, 639; SZ 53/142 uva; Pichler in Rummel , ABGB 2 § 176 Rz 1 und 2); dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, so daß die Änderung der Obsorgeverhältnisse nur als äußerste Notmaßnahme angeordnet werden darf (JBl 1992, 639; SZ 65/84 uva). Abgesehen von der Auswahl der Schule, die der Minderjährige besuchen soll, - dazu wird noch bei Erledigung des Rechtsmittels der Mutter Stellung zu nehmen sein liegen Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung der elterlichen Pflichten durch die obsorgeberechtigte Mutter aber überhaupt nicht vor. Sie allein hat den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen (§ 146b erster Satz iVm § 177 ABGB), auch die Auswahl der Schule ist dem obsorgeberechtigten Elternteil vorbehalten (RZ 1992/71 ua), wie es diesem überhaupt allein zusteht, über die Werterziehung seines Kindes zu entscheiden ( Schlemmer aaO § 146 Rz 6). Allerdings kann auch die Schulausbildung zu jenen wichtigen Fragen gehören, zu welchen sich der nicht erziehungsberechtigte Elternteil gemäß § 178 Abs 1 ABGB zu äußern berechtigt ist; das gilt jedenfalls für derart einschneidende Maßnahmen wie den Schulwechsel ins Ausland (RZ 1992/71; EFSlg 48.465 ua). Ihrer Pflicht, den Vater von dem geplanten Schulwechsel zu verständigen, hat die Obsorgeberechtigte zweifellos nicht entsprochen. Diese Nachlässigkeit (vgl dazu insbesondere SZ 53/157) und die Verbringung des Minderjährigen zum Besuch einer Schule im Ausland rechtfertigen aber jedenfalls nicht die Übertragung der Obsorge auf die Großmutter. Für die Zuteilung, aber auch die Beibehaltung der Obsorge gibt stets das Kindeswohl als das beherrschende Prinzip des Kindschaftsrechts den Ausschlag (SZ 63/165 uva). Der Obsorge durch einen leiblichen Elternteil ist stets der Vorzug zu geben (EFSlg 68.844 ua). Da der Mutter eine Vernachlässigung ihrer Pflichten jedenfalls in einem Ausmaß, das die Entziehung deren Obsorge geböte, nicht vorgeworfen werden kann, kommt die von der Großmutter angestrebte Übertragung der Obsorge an sie nicht in Betracht, dies auch deshalb nicht, weil die Mutter deutlich erkennbar die Hauptbezugsperson für den Minderjährigen ist und der Minderjährige nach dem Akteninhalt zu seiner Großmutter jedenfalls nicht jene Kontakte unterhält, die einen Wechsel in der Obsorge rechtfertigen könnten. Derzeit jedenfalls lehnt Johannes seine Großmutter sogar ab. Im übrigen lebt das Kind jetzt auch wieder im Haushalt seiner Mutter; diese Entwicklung ist, auch wenn sie sich erst nach der Beschlußfassung des Rekursgerichts vollzogen hat, vom Obersten Gerichtshof bei das Kindeswohl betreffenden Entscheidungen zu berücksichtigen (RZ 1991/84; EFSlg 67.376 uva; Pichler aaO § 148 Rz 3). Wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausgeführt hat, könnten der Mutter auch die ihr von der Großmutter angelasteten, aber schon lange zurückliegenden Verhaltensweisen (betreffend die Obsorge für ihre Kinder aus erster Ehe), selbst wenn sie sich bewahrheiten ließen, nicht zum Nachteil gereichen, weil es allein darauf ankommt, ob die Mutter die Obsorge für Johannes in dessen Interesse wahrnimmt.

Auch das Hilfsbegehren der Großmutter, ihr ein „angemessenes“ Besuchsrecht einzuräumen, ist nicht berechtigt. Nach der Sachlage, die das Rekursgericht zu beurteilen hatte, erübrigte sich die Festlegung eines Besuchsrechts schon deshalb, weil sich der Minderjährige damals noch in Indien aufhielt. Aber auch nach dessen Rückkehr nach Österreich liegt eine solche Vorkehrung nicht in dessen wohlverstandenem Interesse. Das Gericht zweiter Instanz verwies zutreffend auf die tiefgreifende Kluft zwischen der Mutter und der Großmutter; deren gegenseitige Antipathie kann deren Äußerungen im Verfahren nur allzu deutlich entnommen werden. Die Annahme, daß das Familienleben (zwischen Mutter und Sohn) bei Anordnung des angestrebten Besuchsrechts tiefgreifend gestört und der Minderjährige verunsichert werden würde, findet schon darin ihre Rechtfertigung. Die Aufnahme von Kontakten zwischen Großmutter und Enkel wird erst dann sinnvoll sein, wenn eine an sich durchaus wünschenswerte Beruhigung in den zwischenmenschlichen Beziehungen, auf die auch die Mutter hinzuwirken haben wird, eingetreten sein wird: Das von der Großmutter gewünschte Besuchsrecht darf keine gravierende Störung des Zusammenlebens zwischen dem Kind und dem obsorgeberechtigten Elternteil mit sich bringen, ist dieses doch ein für das Wohl des Kindes bestimmendes Element (EFSlg 68.701 ff ua).

Dem Revisionsrekurs der Großmutter ist somit ein Erfolg zu versagen.

2. Zum Revisionsrekurs der Mutter:

Die von der Mutter gerügten Aktenwidrigkeiten liegen, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Der im Art.6 Abs.1 EMRK verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs beherrscht auch das Verfahren außer Streitsachen (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG; § 477 Abs 1 Z 4 ZPO). Es wird nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde; eine Verletzung dieses verfahrensrechtlichen Grundprinzips liegt vielmehr auch darin, daß einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt wurden, zu welchen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht hat den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen RZ 1993/65; EvBl 1992/54; SZ 64/1; SZ 62/129 ua; zuletzt wieder 3 Ob 541/95). Wurde aber der Partei die Möglichkeit geboten, ihren Standpunkt im Rekurs zu vertreten, ist deren rechtliches Gehör nicht verletzt (EFSlg 73.349 ua; zuletzt wieder 7 Ob 597/94). Diese Möglichkeit stand der Mutter offen und wurde von ihr in der Tat auch genützt. Im übrigen stellt die Unterlassung der Anhörung des Beteiligten zu einzelnen Verfahrensergebnissen noch keinen Nichtigkeitsgrund dar (EFSlg 67.266 ua; zuletzt wieder 4 Ob 1527/95).

Soweit die Mutter die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft, kann es mit dem Hinweis sein Bewenden haben, daß deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof, der nur Rechts und nicht auch Tatsacheninstanz ist, verwehrt bleibt (EFSlg 73.569 f uva).

Indes gilt es in Erledigung der Rechtsrüge der Mutter , den Standpunkt der Vorinstanzen zu überprüfen, daß angesichts der Unterbringung des Minderjährign in einer indischen Schule in die Obsorge der Rechtsmittelwerberin einzugreifen sei. Auch für die Lösung dieser Frage muß wie schon bei Erledigung des Rechtsmittels der Großmutter ausgeführt wurde das Wohl des Minderjährigen oberste Richtschnur sein. Dabei soll ohne besonderen Grund über dessen Willen nicht hinweggegangen werden, doch können dessen Wunschvorstellungen auch nicht allein ausschlaggebend sein (vgl dazu JBl 1992, 639). Auch ist § 178b ABGB zufolge der Minderjährige vor Verfügungen, die seine Pflege und Erziehung betreffen, zwar tunlichst persönlich zu hören, doch setzt eine solche Anhörung voraus, daß das Gericht mit dem Kind überhaupt Kontakt aufnehmen kann (7 Ob 542/87). Demgemäß ist das Kind nicht zu hören, wenn dessen Wohl durch die Befragung oder durch einen Aufschub der Verfügung gefährdet wäre (§ 178b zweiter Satz ABGB). Da Johannes in der fraglichen Zeit in einer Schule in Dharamsala/Indien untergebracht und eine Anordnung im Eilverfahren (die Zurückbringung des Minderjährigen nach Österreich) beantragt war, kann darin, daß der damals Zwölfjährige nicht angehört wurde, kein Verfahrensmangel erblickt werden: Die Anhörung im Rechtshilfeweg hätte nicht derart rasch veranlaßt werden können, daß eine gerichtliche Regelung der den Minderjährigen berührenden schulischen Belange noch vor Beginn des Schuljahrs 1995/96 hätte getroffen werden können. Im übrigen haben die Vorinstanzen auf die vor einem Notar erfolgte Äußerung des Minderjährigen über die für ihn getroffene Schulwahl ohnehin Bedacht genommen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit in das Recht des Obsorgeberechtigten, die vom Minderjährigen zu besuchende Schule auszuwählen, durch pflegschaftsgerichtliche Vorkehrungen einzugreifen sei, sind vor allem gleichviel, ob den Obsorgeberechtigten dabei religiöse oder weltanschauliche Erwägungen bestimmen, die einschlägigen Bestimmungen der in Österreich im Verfassungsrang stehenden Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beachten:

Nach Art.8 Abs.1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat und Familienlebens. Gemäß Art 9 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Gedanken , Gewissens und Religionsfreiheit und unter anderem die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung durch Unterricht auszuüben. Art 2 des 1.ZPEMRK darf niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden; der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Im Genuß der von der Konvention garantierten Rechte und Freiheiten bietet Art 14 EMRK Schutz dagegen, daß Personen in ähnlichen Situationen ohne objektive und vernünftige Rechtfertigung unterschiedlich behandelt werden (EGMR in EvBl 1993, 853). Das Privat und Familienleben sowie die Glaubensfreiheit dürfen nur soweit durch Gesetz beschränkt werden, als das unter anderem im Interesse der Gesundheit oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art 8 Abs 2 und 9 Abs 2 EMRK). Demgemäß ist jede Entscheidung, die auf einer wohlverstandenen Abwägung des Kindeswohls beruht, unter dem Gesichtspunkt des Art 8 Abs 2 EMRK zu rechtfertigen, zumal unter Gesundheit auch das psychische Wohl des Kindes verstanden wird (SZ 63/165; Frowein in Frowein/Peukert , EMRK Kommentar, Art 8 Rz 22); Gleiches muß wohl auch dann gelten, wenn es in diesen Belangen um Einschränkungen der Rechte der Eltern auf religiöse Erziehung der ihrer Obsorge anvertrauten Kinder in deren wohlerwogenen Interesse geht.

Nun kann den bisherigen Verfahrensergebnissen wie schon das Gericht zweiter Instanz zutreffend festgehalten hat gerade nicht entnommen werden, daß der Minderjährige durch das Verhalten seiner Mutter bzw durch seine engen Kontakte zur Gruppe Sahaja Yoga abträglichen Einflüssen ausgesetzt oder dadurch bei ihm eine schädliche Entwicklung eingeleitet worden wäre. Auch die Großmutter räumt in ihren Äußerungen ein, an der Obsorge der Mutter für den Minderjährigen sei bis zu dessen „Verbringung“im März 1995 nichts auszusetzen gewesen. Seit seiner Rückkehr aus Dharamsala/Indien daß Änderungen des Sachverhalts, der erst nach den Entscheidungen der Vorinstanzen eingetreten sind, im Interesse des Kindeswohls zu berücksichtigen sind, wurde bereits weiter oben dargelegt wird der Minderjährige in jener Klasse des von ihm bis zu seinem Indienaufenthalt besuchten Gymnasiums unterrichtet, in der er sich auch befände, hätte er den Unterricht an dieser Schule nicht unterbrochen: Nach dem Bericht des Klassenlehrers ist er „ruhiger und ernster“ geworden; in die Klassengemeinschaft ist er voll integriert und im Begriff, den versäumten Lernstoff nachzuholen. Diese Beobachtungen lassen doch wohl nur den Schluß zu, daß der Minderjährige auch durch die Internatsunterbringung in seiner Entwicklung keinen Schaden genommen hat.

Es soll zwar nicht übersehen werden, daß der 13 jährige sollte er wieder in die Schule in Dharamsala/Indien zurückkehren mehr als einem dreiviertel Jahr hindurch ununterbrochen der mütterlichen Zuwendung, der familiären Geborgenheit und der Möglichkeit zur Aussprache mit seinen primären Bezugspersonen seines bisherigen Lebens entbehren müßte, doch wäre der Minderjährige, worauf die Mutter in ihrem Rechtsmittel treffend hinweist, in dieser Hinsicht mit ähnlichen Verhältnissen konfrontiert, wäre er etwa in einem elitären Internat in West oder Mitteleuropa untergebracht: Niemand fiele es deshalb ein, in die Obsorge der Eltern wegen einer solchen Gestaltung der Erziehung ihrer Kinder einzugreifen. Die weit verbreitete Internatserziehung hat ganz allgemein eine weitestgehende Fremderziehung zur Folge (vgl auch Gernhuber/Coester Waltjen , FamR 4 § 57 III 2). Der Obsorgeberechtigte muß auch keineswegs die Pflege und Erziehung seines Kindes selbst wahrnehmen; er kann sie vielmehr auch Dritten überlassen (EvBl 1978/127; EFSlg 51.332, 31.344 ua; Pichler aaO § 144 Rz 4 bzw § 177 Rz 2b; Schlemmer in Schwimann , ABGB § 146 Rz 4). Das gilt selbst dann, wenn das schulpflichtige Kind bei im Ausland aufhältigen Personen untergebracht wird (AnwBl 1983, 719), allerdings muß ihm die Oberaufsicht über die Betreuung und die verantwortliche Leitung der Erziehung vorbehalten bleiben ( Pichler aaO § 177 Rz 2b; vgl auch 6 Ob 762/78). Das aber setzt voraus, daß der Obsorgeberechtigte nach den örtlichen und sonstigen Verhältnissen auch in der Lage ist, diesen Pflichten angemessen nachzukommen und gegebenenfalls im Interesse des Minderjährigen entsprechenden Einfluß auf die Erziehung zu nehmen bzw die Fremderziehung wegen wahrgenommener Mißstände unverzüglich zu beenden (vgl dazu auch Gernhuber/Coester Waltjen aaO).

Ob die Mutter eine in dieser Hinsicht wirksame und ausreichende „Oberaufsicht“ über die Internatserziehung ihres Sohnes durch das Lehr und Aufsichtspersonal der indischen Schule in Dharamsala zu führen imstande war bzw sollte der Minderjährige in diese Schule zurückkehren wahrzunehmen in der Lage sein wird, kann nach den derzeit zur Verfügung stehenden Verfahrensergebnissen weder verläßlich bejaht noch ausgeschlossen werden. Wohl sind die Kinder während der Schulzeit nach den vorinstanzlichen Feststellungen weitgehend abgeschottet, und auch die große räumliche Entfernung der Schule vom Wohnsitz der Mutter ist einer wirksamen laufenden Kontrolle mehr als hinderlich; diese hat aber bei ihrer Vernehmung am 12.12.1995 vor dem Erstgericht ausgesagt, sie habe sich in der Zeit vom 12.8. bis 3.11.1995 (d.i. der Tag der Rückkehr des Minderjährigen nach Österreich) in Dharamsala aufgehalten und während dieser Zeit in der Schule Unterricht erteilt. Sie habe „es sich selbst anschauen wollen, wie es dort an der Schule ist; wäre es Johannes dort schlecht gegangen, wäre ich sofort mit ihm nach Hause gefahren“. Sollten sich diese Angaben bewahrheiten lassen, wäre es immerhin denkbar, daß die Mutter trotz der großen Entfernung, der Abgeschiedenheit der Schule und der strengen Internatsordnung doch der ihr vorbehaltenen „Oberaufsicht“ nachkommen und die Unterbringung im Internat bei Bedarf jederzeit beenden könnte.

Die strenge Internatsordnung, insbesondere die verhältnismäßig geringen Möglichkeiten zum Kontakt mit der Außenwelt, rechtfertigten für sich allein noch nicht die Befürchtung, das Kind könnte dadurch lebensuntüchtig und weltfremd erzogen werden: Einerseits kann nicht im geringsten abgeschätzt werden, welchen Lebens und Bildungsweg der jetzt 13 jährige einmal einschlagen wird, zum andern ist dem Minderjährigen von seinem Klassenlehrer nach seiner Rückkehr sogar eine ungewöhnliche Reifung attestiert worden. Deshalb kann auch den von den Vorinstanzen ins Treffen geführten Erwägungen, der Minderjährige müßte sich nach seiner Rückkehr in jedem Fall Eignungsprüfungen unterziehen und auch ein Universitätsstudium in Österreich wäre nicht ohne weiteres möglich, kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden: Zum einen hat der Minderjährige durch den Unterricht an der indischen Schule nicht bloß in wichtigen Fächern etwa Englisch einen beträchtlichen Bildungsvorsprung erlangt und einen außergewöhnlichen Reifungsprozeß durchgemacht, zum andern können erforderliche Ergänzungsprüfungen wie sie nach dem Bericht des Klassenlehrers offenbar auch derzeit schon in Gang sind auch nachgeholt werden.

In diesem Sinn werden die Entscheidungsgrundlagen vor allem durch eine ausführliche Vernehmung des Minderjährigen und gegebenenfalls auch durch Beiziehung eines pädiatrischen Sachverständigen zu verbreitern sein. Vor allem wird auch zu klären sein, ob die Mutter trotz der bisher gemachten Erfahrungen die Absicht, ihren Sohn weiterhin die Schule in Dharamsala besuchen zu lassen, noch nicht aufgegeben hat; andernfalls wäre wohl von pflegschaftsgerichtlichen Eingriffen in ihre Obsorge abzusehen.

Zur Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage bedarf es einer entsprechenden Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz. Sind die vorinstanzlichen Entscheidungen demgemäß aufzuheben, müssen auch die vom Erstgericht erlassenen „einstweiligen Verfügungen“ (Punkte 2 und 3 dessen Beschlusses) sowie der damit verbundene Ausspruch gemäß § 12 AußStrG aufgehoben werden. Durch diese Anordnungen ist die Mutter allein schon deshalb beschwert, weil sie späterhin Vorwürfen ausgesetzt sein könnte, sie habe diesen Verfügungen nicht (fristgerecht) entsprochen.

In Stattgebung des Revisionsrekurses der Mutter ist deshalb dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens und die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Rechtssätze
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