JudikaturJustiz10ObS120/22b

10ObS120/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Gunter Estermann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufrechnung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. August 2022, GZ 10 Rs 60/22z 51, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 14. Dezember 2021, GZ 13 Cgs 103/19k 41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin war bis 28. Jänner 2000 mit F* verheiratet und führte mit ihm gemeinsam einen landwirtschaftlichen Betrieb. Bis etwa Mitte 2001 wurden die Beiträge zur Sozialversicherung beiden Gatten gemeinsam vorgeschrieben und von F* bezahlt. Nachdem die (damalige) Sozialversicherungsanstalt der Bauern von der im Jänner 2000 erfolgten Scheidung erfahren hatte, erstattete sie F* jene Beiträge zur Sozialversicherung zurück, die er seit der Scheidung für die Klägerin bezahlt hatte, und schrieb ihm sowie der Klägerin die Beiträge in der Folge gesondert vor.

[2] Mit Bescheid vom 11. März 2003 stellte die Sozialversicherungsanstalt der Bauern die Beitragspflicht der Klägerin für den Zeitraum von 28. Jänner 2000 bis 15. März 2002 in der Kranken- und Unfallversicherung sowie vom 1. Februar 2000 bis 31. März 2002 in der Pensionsversicherung getrennt nach monatlichen Beitragsgrundlagen und den sich daraus ergebenden Monatsbeiträgen fest.

[3] In der Folge erhielt die Klägerin mehrmals Rückstandsausweise der Sozialversicherungsanstalt der Bauern; auch seit ihrer Pensionierung im Jahr 2014 wurden ihr solche zwei Mal übermittelt.

[4] Seit 2014 bezieht die Klägerin von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspension samt Ausgleichszulage. Unter Berücksichtigung des von F* geleisteten Unterhalts erzielte die Klägerin ein monatliches Gesamteinkommen von 846,43 EUR im Jahr 2016, 1.023,13 EUR im Jahr 2017, 1.041,71 EUR im Jahr 2018, 894,14 EUR im Jahr 2019, 926,02 EUR im Jahr 2020 und 958,13 EUR im Jahr 2021.

[5] Über die ihres Erachtens für den Zeitraum von 1. Februar 2000 bis 30. September 2007 offenen Beiträge zur Sozialversicherung, Nebengebühren und Beitragszuschläge erließ die Sozialversicherungsanstalt der Bauern am 21. November 2016 einen vollstreckbaren Rückstandsausweis über 12.272,65 EUR. Aufgrund dieses Rückstandsausweises ersuchte sie (unter einem) die Beklagte um Aufrechnung der Schuld auf die Pension der Klägerin und anschließende Überweisung auf deren Beitragskonto.

[6] Mit Bescheid vom 30. November 2016 ordnete die Beklagte an, dass die offene Forderung der SVA der Bauern von 12.272,65 EUR ab 1. Dezember 2016 auf die Pension der Klägerin aufgerechnet wird. Eine Abzugsrate wurde im Bescheid nicht genannt. Ab März 2017 behielt die Beklagte monatlich 30 EUR von der Pension der Klägerin ein.

[7] Mit Beschluss vom 21. 10. 2019 unterbrach das Erstgericht sein Verfahren analog § 74 ASGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der SVA der Bauern „über den Rückstand 1.2.2000 bis 31.3.2002“ (ON 7). Darauf übermittelte die SVA der Bauern den schon erwähnten Bescheid vom 11. 3. 2003 über die Beitragspflicht der Klägerin. Das Erstgericht unterbrach neuerlich sein Verfahren gemäß § 74 ASGG, „bis ein die Höhe der von der Klägerin geschuldeten Beiträge gegenüber der SVA der Bauern (nunmehr SVS) genau feststellender rechtskräftiger Bescheid vorliegt“ (ON 13).

[8] Mit Bescheid vom 24. September 2020 sprach die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (vgl § 47 Abs 1 SVSG) aus, dass die Klägerin betreffend den Beitragszeitraum 1. Jänner 2000 bis 31. März 2002 [richtig:] für die noch nicht entrichteten Pflichtbeiträge von 10.562,01 EUR, Beitragszuschläge von gesamt 1.400,02 EUR und Nebengebühren (inkl Postauftragsgebühren) von 74,41 EUR zu entrichten hat. Der Bescheid erwuchs nach Abweisung der von der Klägerin dagegen erhobenen Beschwerde durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 2021, AZ W145 2238296 1/11E, in Rechtskraft.

[9] Das Erstgericht wies das (erkennbar) auf Abstandnahme von der Aufrechnung gerichtete Klagebegehren ab und sprach aus, dass die Klägerin zur Deckung der offenen Beitragsschuld der (nunmehr) Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen von insgesamt 12.272,65 EUR ab 1. Dezember 2016 die Aufrechnung im Umfang des § 103 Abs 2 ASVG zu dulden habe. Es führte aus, dass das Sozialgericht erst dann zur Entscheidung über die Aufrechnung geschuldeter Beiträge berufen sei, wenn die Beitragsschuld unbestritten oder im Verwaltungsverfahren rechtskräftig festgestellt worden sei. Im Anlassfall ergäben sich die offenen Beiträge zur Sozialversicherung (10.562,01 EUR) aus dem Bescheid vom 11. März 2003, die Beitragszuschläge (1.400,02 EUR) und Nebengebühren (74,14 EUR) demgegenüber aus dem Bescheid vom 24. September 2020, die jeweils in Rechtskraft erwachsen seien. Ebenfalls offene Kostenanteile von 236,48 EUR seien zwar im Spruch des Bescheids vom 24. September 2020 nicht genannt, in dessen Begründung aber erwähnt. Da auch die Einforderungsverjährung angesichts der mehrmaligen Zustellung von Zahlungsaufforderungen (Mahnungen) an die Klägerin nicht vorliege, sei die Aufrechnung zulässig.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die insgesamt offenen Pflichtbeiträge ergäben sich zwar nicht aus (gemeint offenbar: dem Bescheid vom 11. März 2003 oder) dem Spruch des Bescheids vom 24. September 2020, sehr wohl aber aus dessen Begründung, womit neben den Zuschlägen und Nebengebühren auch diese sowie die insgesamt offene Beitragsschuld von 12.272,65 EUR (rechtskräftig) festgestellt seien. Den Eintritt der Einforderungsverjährung habe das Erstgericht zu Recht verneint, weil die behauptungs- und beweispflichtige Klägerin ihren dahingehenden Einwand in keiner Weise spezifiziert und vor allem die im Bescheid vom 24. September 2020 festgestellte jährliche Einmahnung der offenen Beitragsschuld nicht bestritten habe. Die erstmals in der Berufung erhobene Behauptung, sie habe keine Rückstandsausweise in einer verjährungsunterbrechenden Frequenz erhalten, verstoße daher gegen das Neuerungsverbot. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

[11] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

[12] In der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte, die Revision zurück , hilfsweise abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig und im Umfang des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[14] 1.1. Nach den auf die hier zu beurteilenden Beitragsrückstände anwendbaren §§ 34 Abs 2, 36 BSVG hat der Versicherungsträger nicht rechtzeitig entrichtete Beiträge zunächst einzumahnen. Werden sie nicht beglichen, ist ein Rückstandsausweis auszufertigen. Dieser bildet zwar die Grundlage für die Eintreibung der Beitragsforderung. Er ist aber kein (anfechtbarer) Bescheid (RIS Justiz RS0053380; 10 ObS 150/03m SSV NF 18/17 uva), weshalb eine Bindung der Gerichte in dem Sinn, dass endgültig und bindend über eine Vorfrage abgesprochen wird, nicht in Frage kommt (RS0037038; 10 ObS 55/07x SSV NF 21/36 ua). Anderes gilt insbesondere für dem Rückstandsausweis zugrunde liegende Bescheide, für die Entscheidung der Behörde über die Berechtigung von Einwendungen gegen die im Rückstandsausweis ausgewiesene Beitragsforderung oder für Bescheide, mit denen gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG (iVm § 182 BSVG) über die Beitragsschuld abgesprochen wird (vgl 10 ObS 164/06z SSV NF 20/76).

[15] 1.2. Gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG dürfen die Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen unter anderem fällige Beiträge aufrechnen, die der Anspruchsberechtigte einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz schuldet, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist. Im gerichtlichen Verfahren kann über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen nur dann entschieden werden, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder rechtskräftig festgestellt wurde (RS0118869; RS0084111 [T1]). Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, hat das Erstgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der Beitragsschuld bei der Sozialversicherungsanstalt zu unterbrechen. Die Prüfung der Frage der Beitragsschuld ist als Verwaltungssache den Gerichten auch im Vorfragenbereich entzogen (RS0121466; RS0037262 [T4] ua).

[16] 2. Diese Grundsätze sind im Verfahren nicht strittig. Ausgehend davon spricht die Klägerin in der Revision zwei Bereiche an: Einerseits vertritt sie den Standpunkt, dass im Bescheid vom 24. September 2020 nur über den Ersatz von Beitragszuschlägen und Nebengebühren, nicht aber über die Pflichtbeiträge selbst abgesprochen worden sei. Andererseits rügt sie, dass ihr das Berufungsgericht zu Unrecht die Behauptungslast auch für die mögliche Unterbrechung der Einforderungsverjährung auferlegt habe, weil sie lediglich den Beginn der Verjährungsfrist behaupten (und beweisen) müsse. Beide Argumente treffen zu.

3. Zur Feststellung der Beitragsschuld

[17] 3.1. Eine Beitragsschuld ist dann rechtskräftig festgestellt, wenn die der Rechtskraft fähige Entscheidung im administrativen Instanzenzug unanfechtbar ist (10 ObS 43/12i SSV NF 26/40; 10 ObS 164/06z SSV-NF 20/76; Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil , Der SV-Komm [132. Lfg] § 103 ASVG Rz 10 ua). Es muss mit Rechtskraftwirkung über Bestand und Höhe der (allenfalls) offenen Beitragsschulden abgesprochen worden sein (vgl 10 ObS 55/07x SSV NF 21/36 [ErwG 4.]).

[18] 3.2. Diese Voraussetzung erkannte das Erstgericht im Bescheid vom 11. März 2003, das Berufungsgericht dagegen im Bescheid vom 24. September 2020. Beides überzeugt nicht.

[19] 3.2.1. Im Bescheid vom 11. März 2003 wurde über die Beitrags pflicht , nicht aber über die (damals) offene Beitrags schuld abgesprochen, woran nichts ändert, dass im Spruch die Beitragsgrundlagen und die Höhe der Beiträge genannt werden. Eine Feststellung auch der Beitragsschuld könnte nur dann unter Umständen angenommen werden, wenn in der Bescheidbegründung ausgeführt worden wäre, welche Gesamtvorschreibesumme sich aus den im Spruch genannten monatlichen Beträgen ergibt und dass diese (allenfalls zuzüglich Nebengebühren) auch den offenen Rückstand bildet (vgl 10 ObS 25/08m SSV NF 22/19). Das ist hier aber nicht der Fall.

[20] 3.2.2. Mit dem Bescheid vom 24. September 2020 wurde wiederum nur über die Beitragszuschläge und die Nebengebühren, nicht aber über die offenen Pflichtbeiträge erkannt. Zwar werden im Spruch des Bescheids die „noch nicht entrichteten Pflichtbeiträge“ mit 10.562,01 EUR angeführt und in der Begründung erläutert, wie sich dieser Betrag zusammensetzt. Der Ansicht des Berufungsgerichts, damit seien auch die offenen Pflichtbeiträge (bindend) festgestellt worden, steht aber entgegen, dass die Beitragsschuld und deren Höhe nach ständiger Rechtsprechung lediglich eine Vorfrage für die Vorschreibung des Beitragszuschlags ist (VwGH 2004/08/0141, 2000/08/0021 ua). Als solche ist sie nicht der Rechtskraft fähig und kann auch keine Bindungswirkung entfalten (VwGH Ro 2022/03/0016, Ro 2020/03/0014 ua; RS0049680; vgl auch RS0042554 [insb T6]). Fragen der Auslegung des Bescheids vom 24. September 2020 oder der Tragweite seines Spruchs (vgl dazu RS0008822; RS0049680 ua) stellen sich daher nicht. Zudem hat die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen bekannt gegeben, in dem über Anregung des Erstgerichts eingeleiteten Verfahren zur Klärung der offenen Beitragsschuld gar nicht über die offenen Pflichtbeiträge, sondern ausschließlich die Beitragszuschläge entscheiden zu wollen bzw zu können, weil mit dem Bescheid vom 11. März 2003 bereits eine rechtskräftige Entscheidung über die Beitrags pflicht vorliege (ON 15).

[21] 3.2.3. Ungeachtet der vom Erstgericht bereits zweimal angeordneten Unterbrechung des Verfahrens zur Klärung der offenen Beiträge durch die Verwaltungsbehörden hat das von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen geführte Verfahren die Beitragsschuld daher nicht zur Gänze rechtskräftig festgestellt.

4. Zur Behauptungslast der Verjährung

[22] 4.1. Bei der Aufrechnung auf die von den Versicherungsträgern zu erbringenden Geldleistungen handelt es sich um die Feststellung des Bestands oder des Umfangs eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung und damit um eine Sozialrechtssache iSd § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (RS0084111; 10 ObS 124/07v SSV-NF 21/80; Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 65 ASGG Rz 11 ua). Einer der besonders geregelten Fälle des § 87 Abs 4 ASGG liegt daher nicht vor, sodass von den allgemeinen Grundsätzen für die Verteilung der (Behauptungs- und) Beweislast auszugehen ist (RS0086050; RS0039936 [T4] ua).

[23] 4.2. Nach diesen hat derjenige, der Verjährung einwendet, jene Tatsachen, die seine Einrede schlüssig begründen, vorzubringen und auch zu beweisen (RS0034198 [T2]; RS0034326 [T6]). Demgemäß ist im Verfahren über die Aufrechnung zwar der beklagte Versicherungsträger mit der Behauptung und dem Nachweis der Voraussetzungen für die Aufrechnung belastet (10 ObS 43/12i SSV-NF 26/40). Für den (anspruchsvernichtenden) Einwand der Verjährung ist jedoch der Kläger behauptungs- und beweispflichtig (10 ObS 50/04g SSV-NF 18/38). Das betrifft aber nur die die Verjährung begründenden Umstände (RS0034456 [T4]). Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Verjährung unterbrechende Handlungen gesetzt wurden, trifft hingegen denjenigen, der die dem Verjährungseinwand ausgesetzte Forderung geltend macht (RS0034456 [T1]; RS0034805 [T27]; 4 Ob 27/22g ua).

[24] 4.3. Darauf aufbauend hatte die Klägerin den Beginn der Frist der – im sozialgerichtlichen Verfahren allein zu prüfenden ( Atria in Sonntag , ASVG 13 § 103 Rz 14) – Einforderungsverjährung, die Beklagte dagegen die den Lauf der Frist unterbrechenden oder hemmenden Umstände (§ 39 Abs 3 BSVG) zu behaupten und zu beweisen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat daher nicht die Klägerin den negativen Beweis anzutreten, dass die Verjährungsfrist nicht unterbrochen wurde, sondern im Gegenteil die Beklagte nachzuweisen, dass sie in der durch § 39 Abs 3 BSVG vorgegebenen zeitlichen Abfolge verjährungsunterbrechende Schritte gesetzt hat. Dieser Pflicht ist sie bislang aber nicht ausreichend nachgekommen. Anhand des derzeit feststehenden Sachverhalts, wonach die Klägerin „mehrmals Rückstandsausweise“ bzw Zahlungsaufforderungen (Mahnungen) erhalten habe, kann die Frage der Unterbrechung der Verjährungsfrist noch nicht abschließend beantwortet werden.

[25] 4.4. Wie der Oberste Gerichtshof unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs unlängst ausgesprochen hat, beginnt die Einforderungsverjährungsfrist frühestens mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bescheids über die strittige Beitragsschuld (10 ObS 96/21x SSV NF 35/49). Wann diese eingetreten ist, steht hier aber nicht fest (vgl oben 3.). Das trifft ebenso auf die Zuschläge und die Nebengebühren zu. Nach den vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Beschwerdeentscheidung getroffenen Feststellungen hat die Sozialversicherungsanstalt der Bauern nämlich mit Bescheid vom (offensichtlich:) ebenfalls 11. März 2003 unter anderem festgestellt, dass die Beitragsschuld der Klägerin für den Zeitraum 1. Februar 2000 bis 31. März 2002 „samt Nebengebühren“ 11.617,83 EUR beträgt (Beilage ./5 Seite 3). Träfe das zu, wären die Pflichtbeiträge (von 10.562,01 EUR) und zumindest ein – nicht näher bekannter – Teil der „Nebengebühren“ schon lange rechtskräftig festgestellt und damit in diesem Umfang die Verjährungsfrist in Gang gesetzt worden.

[26] 5. Zusammenfassend ist die für die abschließende Entscheidung notwendige Voraussetzung, dass die Beitragsschuld (unbestritten oder) im Verwaltungsverfahren rechtskräftig festgestellt ist, noch nicht endgültig geklärt, weil mit dem Bescheid vom 24. September 2020 nur über Beitragszuschläge und Nebengebühren abgesprochen wurde. Zudem ist derzeit offen, ob über die Beitragsschuld, also die offenen Pflichtbeiträge, und Teile der „Nebengebühren“ unter Umständen schon mit (weiterem) Bescheid vom 11. März 2003 – und damit am selben Tag wie über die Beitragspflicht – entschieden wurde. Darauf aufbauend kann auch die Frage der Einforderungsverjährung derzeit nicht beurteilt werden, weil deren Beginn weder für die Pflichtbeiträge, noch die einzelnen „Nebengebühren“ klar ist und zum – bislang auch nicht weiter substantiierten – Gegeneinwand der Unterbrechung der Verjährungsfrist keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden.

[27] 6. In Stattgebung der Revision sind die Urteile der Vorinstanzen daher aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[28] Im fortzusetzenden Verfahren wird mit den Parteien zunächst zu erörtern sein, ob – wie vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Beschwerdeentscheidung angeführt – die Beitragsrückstände schon mit (weiterem) Bescheid vom 11. März 2003 (rechtskräftig) festgestellt wurden. Sollte das nicht der Fall sein, wird das Erstgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der Beitragsschuld des Klägers bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen nochmals zu unterbrechen haben, wobei diese allenfalls darauf hinzuweisen sein wird, dass für die Aufrechnung nicht die Beitragspflicht, sondern die zum Zeitpunkt der Aufrechnung offene Beitragsschuld maßgeblich ist. Falls die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen bei ihrem Standpunkt bleiben sollte, wird das Verfahren ohne Vorliegen einer Entscheidung der Verwaltungsbehörden fortzusetzen sein (vgl 10 ObS 124/92 SSV NF 6/85; Fink , Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 439). Zudem wird mit der Beklagten die Behauptungs- und Beweislast zur Frage der Unterbrechung der Verjährung zu erörtern und ihr Gelegenheit zu geben sein, ihr Vorbringen und ihr Beweisanbot zu ergänzen. Sofern erforderlich, werden darauf aufbauend sodann konkrete Feststellungen zu den von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen gesetzten Schritten nach § 39 Abs 3 GSVG zu treffen sein.

[29] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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