JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0016 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
31. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des F S, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Dezember 2021, W175 2206767 2/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2015 über Italien in das Schengengebiet ein, stellte am 20. April 2015 in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz und gelangte im November 2017 von dort in das Bundesgebiet.

2 Ende des Jahres 2017 ging der Revisionswerber im Bundesgebiet eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin ein; im Jahr 2018 wurde der gemeinsame Sohn geboren.

Am 23. Mai 2018 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

3 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26. August 2018 wurde dieser Antrag nachdem Italien in einem Konsultationsverfahren seine Zuständigkeit bejaht und der Wiederaufnahme des Revisionswerbers zugestimmt hatte , ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 wegen der Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen, die Außerlandesbringung des Revisionswerbers nach § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und ausgeführt, dass seine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

4 Die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2018 abgewiesen.

5 Der Revisionswerber wurde am 25. Oktober 2018 nach Italien abgeschoben.

6 Im Jänner 2020 reiste der Revisionswerber erneut von Italien kommend in das Bundesgebiet ein.

7 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Juli 2020 wurde dem Revisionswerber nachdem Italien in einem Konsultationsverfahren erneut seine Zuständigkeit für einen Antrag auf internationalen Schutz bejaht und der Wiederaufnahme des Revisionswerbers zugestimmt hatte kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt und wegen der nach wie vor für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz gegebenen Zuständigkeit Italiens gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG seine Außerlandesbringung angeordnet und ausgeführt, dass seine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

8 Am 2. September 2020 wurde der Revisionswerber erneut nach Italien rücküberstellt.

9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Juli 2020 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

10 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, welche inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 3.6.2024, Ra 2021/17/0075, mwN).

15 In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 30.9.2024, Ra 2024/17/0080, mwN).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch geführt haben. Diesen Erfordernissen wird ein Verwaltungsgericht dann gerecht, wenn sich die seine Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).

17 Die Revision verweist in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit bloß allgemein auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht, ohne näher darzulegen, worin sie eine Abweichung des Bundesverwaltungsgerichts davon erblickt, sodass mit diesem Vorbringen keine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargelegt wird. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass das angefochtene Erkenntnis unter diesem Gesichtspunkt mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel behaftet wäre.

18 Ferner wendet sich die Revision in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Anordnung zur Außerlandesbringung angestellte Interessenabwägung.

19 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).

20 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 18.12.2023, Ra 2023/17/0170, mwN).

21 Das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).

22 Was das Kindeswohl betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Interessenabwägung betont. Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um ein Kind, sondern um einen Elternteil handelt (vgl. erneut VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).

23 Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das gilt sinngemäß auch für die mit der Interessenabwägung im Zusammenhang stehende Frage der Verhältnismäßigkeit einer Abschiebung. Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen liegt eine grundsätzliche Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vor, wenn diese Einschätzung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen wurde (vgl. erneut VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).

24 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung weist die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Schutzes des Kindeswohls keinen im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel auf. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte fallbezogen nicht nur das Familienleben des Revisionswerbers, das dieser mit seiner Partnerin und dem gemeinsamen Sohn führt, sondern auch, dass dieses Familienleben während eines unsicheren Aufenthalts des Revisionswerbers begründet, bereits einmal durch seine Abschiebung unterbrochen wurde und der Revisionswerber dennoch erneut rechtswidrig wieder in das Bundesgebiet einreiste. Zudem berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls, dass Mutter und Kind auch finanziell nicht vom Revisionswerber abhängig sind und ihren Alltag schon während seines Aufenthalts in Italien alleine bewerkstelligen konnten und das Familienleben durch Besuche in Italien aufrechterhalten werden konnte, was auch künftig möglich sein werde. Zudem sei der Sohn schon bislang überwiegend durch die Mutter betreut worden. Im Übrigen bezog das Bundesverwaltungsgericht auch ein, dass sich der Revisionswerber nach seiner rechtswidrigen Wiedereinreise lediglich acht Monate im Bundesgebiet aufhielt und der Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften durch rechtswidrige Wiedereinreise nach bereits erfolgter Aufenthaltsbeendigung großes Gewicht beizumessen ist. Mit Blick auf diese Erwägungen erscheint die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls anhand der in § 138 ABGB niedergelegten Gesichtspunkte jedenfalls nicht unvertretbar im Sinn der vorzitierten Rechtsprechung, zumal auch das Kindeswohl lediglich einen Aspekt einer anzustellenden Gesamtbetrachtung darstellt (vgl. erneut VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).

25 In den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit behauptet die Revision, das Bundesverwaltungsgericht habe es „aufgrund der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ unterlassen, den zur Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung notwendigen Sachverhalt ausreichend zu ermitteln. Welche Feststellungen unterblieben sein sollen, wird aber im Zulässigkeitsvorbringen nicht ausgeführt, sodass auch mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargelegt wird.

26 Soweit die Revision für ihre Zulässigkeit Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ins Treffen führt, ist auf Folgendes hinzuweisen: Art. 133 Abs. 4 B VG knüpft das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage und somit die Zulässigkeit einer Revision an das Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder an eine Uneinheitlichkeit der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der zu lösenden Rechtsfrage. Das (behauptete) Abweichen von Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vermag hingegen schon aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des Art. 133 Abs. 4 B VG keine Zulässigkeit der Revision zu begründen (vgl. VwGH 6.3.2024, Ra 2023/01/0108 bis 0109, mwN).

27 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 31. März 2025