Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des P E, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2021, I411 20074402/15E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
I. Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er Sierra Leone als seinen Herkunftsstaat bezeichnete. Dieser Antrag wurde im Instanzenzug mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 10. Jänner 2007 abgewiesen und die Ausweisung des Revisionswerbers nach Sierra Leone verfügt. Der Revisionswerber verblieb im Bundesgebiet.
2Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Oktober 2004 wurde der Revisionswerber wegen (teils versuchten) Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wovon sechs Monate bedingt nachgesehen wurden.
3Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Juli 2005 wurde der Revisionswerber wegen des versuchten Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 SMG und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
4Am 3. Dezember 2015 beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005. Im dazu durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführten Verfahren räumte der Revisionswerber mit Stellungnahme vom 23. März 2016 ein, nigerianischer Staatsangehöriger zu sein und änderte seine Identitätsangaben entsprechend.
5 Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels ab, erließ eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbot gegen den Revisionswerber, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria fest und räumte eine Frist für seine freiwillige Ausreise ein.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.
7 Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren wesentlich davon aus, dass der Revisionswerber seit dem Jahr 2015 mit einer nigerianischen Staatsangehörigen eine Partnerschaft führe. Dieser Beziehung entstammten zwei in den Jahren 2017 und 2018 geborene Söhne. Einer früheren Beziehung der Partnerin des Revisionswerbers mit einem schwedischen Staatsangehörigen entstamme eine 15 Jahre alte Tochter, die schon in Österreich geboren worden sei und die nigerianische Staatsangehörigkeit aufweise. Der Vater dieser Tochter lebe in Schweden. Nähere Feststellungen zu den Lebensumständen dieses Kindes (etwa betreffend Aufenthaltsstatus, Inanspruchnahme von Bildungsangeboten, Sprachkenntnisse, soziale Verwurzelung, Bindungen zum Herkunftsstaat, usw.) traf das Bundesverwaltungsgericht nicht. Die Partnerin und die Söhne des Revisionswerbers würden in Österreich jeweils über den Aufenthaltstitel Rot Weiß Rot Karte plus verfügen. Es bestehe zwar kein gemeinsamer Wohnsitz, jedoch unterstütze der Revisionswerber seine Partnerin bei der Erziehung der gemeinsamen Söhne und trage auch finanziell bei, soweit ihm dies möglich sei. Der Revisionswerber erbringe im Umfang von 10 h pro Woche Hilfsdienste in dem von ihm bewohnten Grundversorgungsheim, wofür er monatlich € 250, an Remunerationen erhalte. Er verfüge über Deutschkenntnisse des Niveaus B1 und habe in Österreich die Pflichtschulabschluss Prüfung absolviert. Zudem habe der Revisionswerber einen zwischenzeitlich verfristeten Arbeitsvorvertrag in Vorlage gebracht. In Österreich sei der Revisionswerber in einer Kirchengemeinschaft, in der er auch seine Partnerin kennengelernt habe, aktiv.
8 Zu Lasten des Revisionswerbers seien die bereits getilgten strafgerichtlichen Verurteilungen sowie die Täuschung über seine Identität und Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen, die er erst im Verfahren über die Erteilung des Aufenthaltstitels aufgegeben habe. Dies sowie seine mangelnde Mitwirkung an der Feststellung seiner Identität durch die nigerianische Botschaft, die er vor dem Bundesverwaltungsgericht zudem in Abrede gestellt habe, habe eine frühere Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet verhindert.
9 In rechtlicher Hinsicht ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Revisionswerber ein Familienleben mit seiner Partnerin und den gemeinsamen Söhnen führe, das begründet worden sei, als sich beide Partner der Unsicherheit des Aufenthalts des Revisionswerbers bewusst gewesen seien. Das Familienleben könnte da die gesamte Familie die nigerianische Staatsangehörigkeit aufweise auch in Nigeria fortgesetzt werden. Insbesondere würden sich die Söhne in einem jedenfalls anpassungsfähigen Alter befinden, sodass auch das Kindeswohl einer Fortsetzung des Familienlebens in Nigeria nicht entgegenstehe. Betreffend die Tochter der Partnerin des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass „[w]enngleich es für sie möglicherweise schwierig sein kann, sich in Nigeria zu integrieren, so ist dies nicht unmöglich, zumal sie im Umfeld ihrer Mutter aufwuchs.“ Vor dem Hintergrund, dass das Familienleben des Revisionswerbers in Nigeria fortgesetzt werden könne, würde das wegen dessen Fehlverhaltens gesteigerte öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers dessen private Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Hilfsweise ging das Bundesverwaltungsgericht ergänzend davon aus, dass selbst wenn das Familienleben in Nigeria doch nicht fortgesetzt werden könnte das gesteigerte öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet dessen familiäre und private Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde, sodass auch eine Trennung der Familie infolge der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers gerechtfertigt erschiene. Im Ergebnis sei der begehrte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen und erscheine die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie des Einreiseverbots als gerechtfertigt, sodass die Beschwerde abzuweisen sei.
10 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, inwieweit das Kindeswohl der Beendigung des Aufenthalts eines Fremden entgegensteht, sofern das öffentliche Interesse daran gesteigert erscheint.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2021, E 4289/2021 6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
12 In der Folge wurde die vorliegende Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften relevierende Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
13 Zu ihrer Zulässigkeit wird in der Revision zunächst ausgeführt, dass es entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht an Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Kindeswohls auch in Fällen gesteigerten öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden fehle. Stattdessen führt die Revision soweit hier wesentlich zu ihrer Zulässigkeit aus, dass das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, indem es davon ausgehe, dass trotz Berücksichtigung des Kindeswohls auch der Tochter der Partnerin des Revisionswerbers das Familienleben in Nigeria fortgesetzt werden könnte und selbst eine Trennung der Familie durch Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers wegen dessen Fehlverhalten gerechtfertigt erscheine.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
Die Revision erweist sich mit Blick auf das genannte Vorbringen des Revisionswerbers als zulässig. Sie ist auch begründet.
15 Zunächst stellt die Revision in Abrede, dass die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts auch betreffend die Tochter der Partnerin des Revisionswerbers den Schluss zulassen, dass eine Wiederansiedelung der Familie und Fortsetzung des Familienlebens in Nigeria möglich und zumutbar sein würde.
16Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFAVG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
17Das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN). Dabei ist gegebenenfalls auch zu berücksichtigen, inwieweit es für eine in Österreich niedergelassene Partnerin eines Fremden nicht nur möglich, sondern auch zumutbar wäre, ihren Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat zu verlagern, um das Familienleben dort fortzusetzen (vgl. VwGH 22.3.2022, Ra 2020/21/0205, mwN).
18 Was das Kindeswohl betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung betont (vgl. VwGH erneut 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
19Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen sei, dienten die in § 138 ABGB genannten Kriterien als Orientierungsmaßstab (vgl. VwGH 13.12.2021, Ra 2021/14/0370 bis 0372, sowie 30.4.2020, Ra 2019/21/0362 bis 0365, jeweils mwN).
20Das Bundesverwaltungsgericht geht bei der im Zusammenhang mit der Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie des Einreiseverbots angestellten Interessenabwägung davon aus, dass das Familienleben des Revisionswerbers mit seinen Söhnen und seiner Partnerin in Nigeria fortgesetzt werden könnte, sodass kein unvertretbarer Eingriff in dieses vorliege und die Aufenthaltsbeendigung des Revisionswerbers gerechtfertigt erscheine. In Bezug auf die bereits in Österreich geborene 15 Jahre alte Tochter der Partnerin des Revisionswerbers beschränkt sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit von deren Ansiedelung in Nigeria auf den Hinweis, dass es für sie möglicherweise schwierig sein könnte, sich in Nigeria zu integrieren, dies jedoch nicht unmöglich sei, zumal sie im Umfeld ihrer Mutter aufgewachsen sei. Ergänzend wird dazu lediglich ausgeführt, dass der Vater dieses Kindes in Schweden lebe. Dies legt nach der Deutung des Verwaltungsgerichtshofes nahe, dass diese Tochter offenbar ausschließlich bei der Partnerin des Revisionswerbers lebt und von dieser betreut wird (diesbezüglich lässt das angefochtene Erkenntnis eindeutige Feststellungen vermissen). Weitere Feststellungen zu den für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Ansiedelung in Nigeria maßgeblichen Lebensumständen dieses Kindes, wie dessen Sprachkenntnisse, (potentiell abzuschließende) Ausbildungen, sein soziales Umfeld in Österreich, etwaige Bindungen zum Herkunftsstaat sowie auch dazu, wie der Kontakt zu dessen Vater bislang gestaltet ist und der Kontakt zu den Elternteilen künftig gestaltet werden könnte und ob auch eine Betreuung durch den Vater in Betracht kommt, sind dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Nach der vorzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bieten in Bezug auf die Beurteilung des Wohles dieses Kindes die in § 138 ABGB niedergelegten Kriterien einen Orientierungsmaßstab. Mit Blick auf diese Kriterien (vgl. nur beispielhaft Z 1: „eine angemessene Versorgung, insbesondere mit Nahrung, medizinischer und sanitärer Betreuung und Wohnraum, sowie eine sorgfältige Erziehung des Kindes“; Z 4: „die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes“; Z 6: „die Vermeidung der Beeinträchtigung, die das Kind durch die Um und Durchsetzung einer Maßnahme gegen seinen Willen erleiden könnte“; Z 9: „verlässliche Kontakte des Kindes zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen“) lassen die insoweit unzureichend gebliebenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts keine tragfähige Beurteilung der Vereinbarkeit einer Ansiedelung der Tochter der Partnerin des Revisionswerbers mit deren Kindeswohl zu. Damit steht jedoch auch die durch das Bundesverwaltungsgericht für die Nichterteilung des begehrten Aufenthaltstitels und Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie der weiteren Aussprüche herangezogene Prämisse, wonach das Familienleben des Revisionswerbers in Nigeria fortgesetzt werden könnte, in Frage, erscheint es doch für die Partnerin des Revisionswerbers nicht zumutbar, sich dorthin zu begeben, sollte dies mit dem Kindeswohl ihrer Tochter unvereinbar sein.
21 Auch die hilfsweise durch das Bundesverwaltungsgericht herangezogene Begründung, wonach mit Blick auf das Fehlverhalten des Revisionswerbers auch die Beendigung des Familienlebens mit seinen Söhnen und seiner Partnerin gerechtfertigt erscheine, führt nicht zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses.
22Es ist ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0288, mwN).
23Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt allerdings auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. erneut VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0288, mwN).
24 In diesem Sinne begründet das Bundesverwaltungsgericht das Überwiegen der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung insbesondere mit dem strafrechtlichen Fehlverhalten des Revisionswerbers sowie dem Gebrauch einer falschen Identität und seiner mangelnden Mitwirkung an der Identitätsfeststellung durch die nigerianische Botschaft.
25 In der Revision wird dazu jedoch im Ergebnis zu Recht geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der von ihm gemäß § 9 BFA VG vorgenommenen Interessenabwägung maßgeblichen Gesichtspunkten des vorliegenden Falles nicht die gebotene Bedeutung zugebilligt hat. Diesbezüglich zeigt die Revision zunächst auf, dass das Bundesverwaltungsgericht die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet von etwa 17 Jahren sowie sein langjähriges strafrechtliches Wohlverhalten, das zur Tilgung seiner zu Beginn seines Aufenthalts im Bundesgebiet begangenen Straftaten geführt hat, bei denen es sich zudem um keine gravierenden Straftaten gehandelt hat, für die relativ geringe Strafen verhängt wurden, nicht hinreichend berücksichtigt hat. Weiters rügt die Revision zutreffend, dass das Bundesverwaltungsgericht auch die sonstigen Integrationsleistungen, wie insbesondere die Nachholung des Pflichtschulabschlusses, das Erlangen von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1, den vorgelegten Arbeitsvorvertrag, die Teilnahme in einer Kirchengemeinde und sein Familienleben sowie das Kindeswohl in seiner Gesamtabwägung unzureichend beachtet hat.
26Vor allem hätte das Bundesverwaltungsgericht den familiären Bindungen des Revisionswerbers zu seiner in Österreich niedergelassenen Lebensgefährtin und zu seinen ebenfalls in Österreich rechtmäßig aufhältigen Söhnen, insoweit auch unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls (siehe zu diesem Aspekt VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, mwN), fallbezogen überragende Bedeutung beimessen müssen. Das macht die Revision zutreffend geltend. Insbesondere verkennt das Bundesverwaltungsgericht, dass eine mit der Nichterteilung des begehrten Aufenthaltstitels und dem Vollzug der demzufolge erlassenen Rückkehrentscheidung zwangsläufig verbundene Trennung des Revisionswerbers von seinen Familienangehörigen nur bei Vorliegen eines besonders großen öffentlichen Interesses, etwa bei der Begehung von gravierenderen Straftaten, gerechtfertigt wäre. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. erneut VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, mwN).
27 Dazu kommt noch, dass in Bezug auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung der Verwaltungsgerichtshof schon ausgesprochen hat, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit Kleinkindern, wie den Söhnen des Revisionswerbers, kaum möglich ist (vgl. erneut VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0288, mwN).
28Selbst wenn man die vom Bundesverwaltungsgericht eingenommene Ansicht, der Revisionswerber habe in seinem Grundversorgungsquartier eine Beschäftigung ohne entsprechende Bewilligung ausgeübt, teilte, wäre zu berücksichtigen, dass insoweit nicht nur eine vergangenheitsbezogene, sondern in Bezug auf den zu erteilenden Aufenthaltstitel in erster Linie eine zukunftsorientierte Betrachtung anzustellen ist (vgl. erneut VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, mwN).
29 Mit Blick auf die besondere Lage des Falles reichen daher die vom Bundesverwaltungsgericht für die Rechtfertigung einer Trennung des Revisionswerbers von seinen Söhnen ins Treffen geführten Umstände vor dem Hintergrund seiner neben Fehlverhalten auch vorhandenen nicht unbeachtlichen Integrationsleistungen nicht aus.
30Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
31Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Juli 2025