Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des A S, vertreten durch Rast Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2024, W123 22813121/7E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, heiratete im Oktober 2015 vor einem österreichischen Standesamt eine tschechische Staatsangehörige.
2 Im Hinblick darauf wurde ihm eine bis 14. Dezember 2020 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR Bürgers nach § 54 Niederlassungsund Aufenthaltsgesetz (NAG) ausgestellt. Mit Schreiben vom 12.11.2020 stellte der Revisionswerber einen Verlängerungsantrag betreffend diese Aufenthaltskarte.
3Das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren hinsichtlich des Erstantrages des Beschwerdeführers vom 14. Dezember 2015 wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 17. August 2021 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWRBürgers gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 15. November 2021 als unbegründet abgewiesen. Begründend ging das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich davon aus, dass der Revisionswerber (lediglich) eine Aufenthaltsehe eingegangen war.
4Am 15. März 2022 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Asylgesetz.
5 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Oktober 2023 wurde dieser Antrag abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Indien festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise festgelegt.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung der Verfahrensmängel in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist fallbezogen in konkreter Weise darzulegen. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasstjene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung der Verfahrensmängel als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.12.2023, Ra 2023/17/0170, mwN).
12 Die Revision rügt in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit zunächst, dass es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen habe, jene Frau einzuvernehmen, mit der der Revisionswerber jene Verbindung einging, welche in weiterer Folge als Aufenthaltsehe qualifiziert wurde. Diesbezüglich lässt die Revision, die lediglich pauschal behauptet, dass der begehrte Aufenthaltstitel im Fall ihrer Einvernahme zuzuerkennen gewesen wäre, ohne anzugeben, welche Feststellungen auf Grund dieser Einvernahme zu treffen gewesen wären und inwiefern diese zu einem für den Revisionswerber günstigeren Verfahrensergebnis hätten führen können, eine hinreichend konkrete Relevanzdarstellung vermissen.
13 Die Revision wendet sich weiters gegen die im Zusammenhang mit der Verweigerung des begehrten Aufenthaltstitels und der Erlassung der Rückkehrentscheidung angestellte Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts. Dazu behauptet sie zunächst, das Bundesverwaltungsgericht habe das Wohl des Kindes, das der als Aufenthaltsehe qualifizierten Verbindung des Revisionswerbers entstammt, nicht hinreichend berücksichtigt.
14Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG (vgl. erneut VwGH 18.12.2023, Ra 2023/17/0170, mwN).
15 Was das Kindeswohl betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung betont. Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um ein Kind, sondern um einen Elternteil handelt, sowie auch dann, wenn das Kind noch nicht geboren ist (vgl. VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0232, mwN).
16 Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das gilt sinngemäß auch für die mit der Interessenabwägung im Zusammenhang stehende Frage der Verhältnismäßigkeit einer Abschiebung. Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen liegt eine grundsätzliche Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 BVG nur dann vor, wenn diese Einschätzung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen wurde (vgl. erneut VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0232, mwN).
17 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung weist die auf den Ergebnissen einer mündlichen Verhandlung beruhendeInteressenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Schutzes des Kindeswohls keinen im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel auf. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte fallbezogen zunächst, dass der Revisionswerber das Kind, das mit der Kindesmutter derzeit in Deutschland lebt, überhaupt nur vereinzelt und zuletzt im November 2019 getroffen hat und seither zu dem Kind nicht mehr in Kontakt steht und selbst im Fall der Zuerkennung des begehrten Aufenthaltstitels die Herstellung eines Kontakts wegen der Ablehnung durch die Kindesmutter, die ihm nicht einmal den aktuellen Wohnsitz des Kindes bekanntgibt, nicht zu erwarten ist. Mit Blick auf diese Erwägungen erscheint die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls anhand der in § 138 ABGB niedergelegten Gesichtspunkte jedenfalls nicht unvertretbar im Sinn der vorzitierten Rechtsprechung, zumal auch das Kindeswohl lediglich einen Aspekt der anzustellenden Gesamtbetrachtung darstellt (vgl. erneut VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0232, mwN).
18Das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 18.12.2023, Ra 2023/17/0170, mwN).
19 Der Revisionswerber begründet den Vorwurf der Rechtswidrigkeit der durch das Bundesverwaltungsgericht angestellten Interessenabwägung mit Freundschaften, Deutschkenntnissen, Berufstätigkeit und einer Vereinsmitgliedschaft. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen eine Reihe weiterer Aspekte wie den Umstand, dass er eine Aufenthaltsehe einging, um seinen Aufenthalt zum Schein zu legitimieren, die Unsicherheit seines bisherigen Inlandsaufenthalts, der er sich bewusst sein musste, sowie dass er unerlaubter Schwarzarbeit nachgeht und seine nach wie vor vorhandenen Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigte, legt der Revisionswerber nicht dar, dass diese Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Fehler belastet wäre.
20 Soweit der nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses neun Jahre im Bundesgebiet aufhältigeRevisionswerber für die Zulässigkeit der Revision ins Treffen führt, bei einem zehn Jahre übersteigenden Aufenthalt sei regelmäßig von einem Überwiegen der privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet auszugehen, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Anwendung dieses privilegierenden Maßstabs schon wegen des infolge des Eingehens der Aufenthaltsehe verstärkten öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthalts vertretbar verneint hat (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117).
21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. Dezember 2024