Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Schimpfhuber, über die Revision des B M, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2022, W123 2236618 1/26E, betreffend u.a. Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen sowie eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 2. Oktober 2020 wurde dem Revisionswerber, einem kosovarischen Staatsangehörigen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) sowie § 11 Abs. 2 Z 1 und § 10 Niederlassungsund Aufenthaltsgesetz (NAG) eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt sowie gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt.
2 Mit Erkenntnis vom 5. Februar 2021, W123 2236618 1/4E, gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers im ersten Rechtsgang ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern statt, als es die Befristung des Einreiseverbotes auf vier Jahre herabsetzte. Im Übrigen wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Mit Beschluss vom 29. April 2021, E 1040/2021 5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
4Das genannte Erkenntnis wurde auf Grund der dagegen gerichteten Revision des Revisionswerbers mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. November 2021, Ra 2021/22/0148, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGG verwiesen wird, im Umfang der Bestätigung des Ausspruches über die (amtswegige) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Die Aufhebung des die (amtswegige) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 betreffenden Spruchteils des Erkenntnisses begründete der Verwaltungsgerichtshof damit, dass diese im vorliegenden Zusammenhang nach § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 nur dann vorzunehmen sei, wenn sich der Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sodass keine Rechtsgrundlage dafür bestanden habe. Die zur Aufhebung der übrigen Aussprüche des damals angefochtenen Erkenntnisses führende Verletzung von Verfahrensvorschriften begründete der Verwaltungsgerichtshof mit einer Verletzung der gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG bestehenden Verhandlungspflicht durch das Verwaltungsgericht.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungnur insofern Folge, als es den Ausspruch des BFA über die (amtswegige) Nichterteilung eines Aufenthaltsitels nach § 57 AsylG 2005 ersatzlos aufhob und die Befristung des gegen den Revisionswerber verhängten Einreiseverbots auf drei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass sich die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 1 AsylG 2005 gründe. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
6 Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht unter anderem davon aus, dass der Revisionswerber verheiratet sei. Er habe mit seiner Ehegattin zwei gemeinsame Kinder im Alter von ca. drei Jahren und einem Jahr. Alle Genannten würden in Österreich leben. Auf rechtlicher Ebene schwankte das Bundesverwaltungsgericht bei der zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Verhängung der Rückkehrentscheidung (und des Einreiseverbotes) anzustellenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Kindeswohls zwischen den Prämissen, dass das Familienleben im Kosovo fortgesetzt werden könnte und dass der Revisionswerber alleine dorthin zurückkehren würde und es dadurch zu einer Trennung von Gattin und Töchtern kommen werde. Zudem führte das Bundesverwaltungsgericht einerseits aus, dass der Revisionswerber nach seiner Rückkehr in den Kosovo den Kontakt (auch) zu seinen in Österreich lebenden Töchtern durch elektronische und sonstige Kommunikationsmittel aufrechterhalten werde können, und andererseits, dass dies mit Blick auf deren Kleinkindalter kaum möglich sein werde, wie dies auch aus näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hervorgehe.
7Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Revision lässt die Aufhebung der (amtswegigen) Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 unbekämpft und wendet sich gegen die Bestätigung der Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Verhängung des Einreiseverbots. In der dagegen vom Revisionswerber erhobenen außerordentlichen Revision wird in der Zulässigkeitsbegründung u.a. geltend gemacht, dass die durch das Bundesverwaltungsgericht bei Erlassung der Rückkehrentscheidung angestellte Interessenabwägung unvertretbar erfolgt sei.
8 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Im Hinblick auf das dargestellte Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig und begründet.
10Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFAVG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
11Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
12 Der Verwaltungsgerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um ein Kind, sondern um einen Elternteil handelt (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
13Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0465, mwN).
14 In Bezug auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFAVG vorzunehmenden Interessenabwägung hat der Verwaltungsgerichtshof schon ausgesprochen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit Kleinkindern kaum möglich ist (vgl. VwGH 14.4.2021, Ra 2020/18/0288, mwN).
15Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch geführt haben. Diesen Erfordernissen wird ein Verwaltungsgericht dann gerecht, wenn sich die seine Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 27.3.2025, Ra 2022/17/0006, mwN).
16Die Begründungspflicht stellt keinen Selbstzweck dar. Ein Begründungsmangel führt daher nur dann zur Aufhebung der Entscheidung, wenn dadurch entweder die Rechtsverfolgung durch die Parteien oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird (vgl. erneut VwGH 27.3.2025, Ra 2022/17/0006, mwN).
17 Vorliegend ist die durch das Bundesverwaltungsgericht angestellte Interessenabwägung mit einem im Revisionsverfahren aufzugreifenden Mangel belastet, weil die diesbezüglich begründenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts den aus der vorzitierten Rechtsprechung abzuleitenden Anforderungen an eine hinreichende Begründung nicht gerecht werden. Das Verwaltungsgericht führt im Rahmen seiner Interessenabwägung betreffend die Rückkehrentscheidung (und das Einreiseverbot) einerseits aus, dass es dem Revisionswerber im Falle seiner Rückkehr in den Kosovo möglich sein werde, den Kontakt auch zu seinen Kindern über elektronische oder sonstige Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten, während es diese Möglichkeit im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Kindeswohls mit Blick auf das Kleinkindalter seiner Töchter unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dezidiert verneint. Aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts geht zudem nicht eindeutig hervor, ob es von einer Trennung des Revisionswerbers von den übrigen Familienmitgliedern durch die alleinige Rückkehr des Revisionswerbers oder aber von einer Rückkehr der gesamten Familie unter Fortsetzung des Familienlebens im Kosovo ausgeht. Ebenso geht aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht eindeutig hervor, ob es insoweit voneinander unabhängige (alternative) Begründungen annimmt. Damit bleibt letztlich zweifelhaft, von welchen für seine Interessenabwägung wesentlichen Prämissen das Bundesverwaltungsgericht ausgeht. Dies beeinträchtigt die nachprüfende Kontrolle der Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Aussprüche durch den Verwaltungsgerichtshof wesentlich.
18Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.
20Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Juli 2025