Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr.in Schimpfhuber, über die Revision des S S A M G, vertreten durch MMag. Dr. Stephan Vesco, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2023, I415 22520861/9E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein ägyptischer Staatsangehöriger, heiratete am 5. März 2014 in Italien eine ungarische Staatsangehörige und ist seit dem 22. Oktober 2014 durchgehend in Österreich aufhältig. Am 16. März 2015 wurde ihm auf Grund seines darauf gerichteten Antrags vom 12. November 2014 eine „Aufenthaltskarte (Angehöriger eines EWR oder Schweizer Bürgers)“ ausgestellt. Am 30. Dezember 2019 beantragte der Revisionswerber die weitere Ausstellung einer Aufenthaltskarte.
2Mit Bescheid vom 11. August 2021 nahm der Landeshauptmann von Wien das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren über den Antrag des Revisionswerbers vom 12. November 2014 gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf und wies die Anträge vom 12. November 2014 und vom 30. Dezember 2019 gemäß § 54 Abs. 1 sowie § 30 Abs. 1 und 3 Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz ab.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 27. November 2021 als unbegründet ab. Begründend ging das Verwaltungsgericht Wien im Wesentlichen davon aus, dass der Revisionswerber lediglich eine Aufenthaltsehe eingegangen sei und ihm daher kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme.
4Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18. Jänner 2022 wurde dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Ägypten festgestellt und eine Frist für seine freiwillige Ausreise eingeräumt.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei. Begründend ging das Bundesverwaltungsgericht soweit hier wesentlich davon aus, dass sich der Revisionswerber seit Oktober 2014 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte und nicht festgestellt werden könne, ob er sich wie von ihm behauptet schon zuvor regelmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Er sei eine Aufenthaltsehe eingegangen, die am 27. Februar 2019 rechtskräftig geschieden worden sei.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 31.3.2025, Ra 2025/17/0018, mwN).
11 Die vorliegende Revision führt zur Zulässigkeit zunächst im Wesentlichen aus, das Bundesverwaltungsgericht verstoße gegen seine Ermittlungspflicht von Amts wegen, wenn es davon ausgehe, dass nicht festgestellt werden könne, ob sich der Revisionswerber wie er behaupte bereits vor seinem durchgehenden Aufenthalt ab dem 22. Oktober 2014 regelmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.
12 Die Frage, ob eine (weitere) Beweisaufnahme im Rahmen der Ermittlungen notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 27.10.2023, Ra 2023/17/0109, mwN).
13Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, mwN).
14 Der an sich nur zur Rechtskontrolle berufeneVerwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 3.6.2024, Ra 2021/17/0075, mwN).
15 Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung der Verfahrensmängel in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist fallbezogen in konkreter Weise darzulegen. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasstjene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung der Verfahrensmängel als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 23.12.2024, Ra 2024/17/0163, mwN).
16 Mit Blick auf die durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Registerabfragen, die auf keinen längeren Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet vor Oktober 2014 hindeuten, und insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber im Zuge der mündlichen Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht im Beisein seiner rechtlichen Vertretung, die ebenso Fragen an ihn richtete mehrfach zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet vor Oktober 2014, seinen damaligen Lebensumständen sowie (ergebnislos) nach etwa vorhandenen Belegen dazu befragt wurde, gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass dem Bundesverwaltungsgericht ein im Revisionsverfahren aufzugreifender Ermittlungsmangel unterlaufen wäre.
17 Soweit sich die Revision mit diesem Vorbringen der Sache nach auch gegen die angestellte Beweiswürdigung wendet, gelingt es ihr nicht darzulegen, dass das Bundesverwaltungsgericht die erzielten Beweisergebnisse insgesamt unvertretbar gewürdigt hätte, sodass auch diesbezüglich keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird.
18 Im Übrigen weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass selbst die Revision in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit nicht konkret angibt, von welcher Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet vor Oktober 2014 das Bundesverwaltungsgericht ohne den von ihr behaupteten Verfahrensmangel auszugehen gehabt hätte. Insofern enthält die Revision keine nach der vorzitierten Rechtsprechung hinreichende Relevanzdarlegung, sodass auch deswegen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird.
19 Weiters wendet sich die Revision in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bei Erlassung der Rückkehrentscheidung angestellte Interessenabwägung und rügt insbesondere, dass dieses bei Berücksichtigung des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet schon vor Oktober 2014 eine Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahre zugrunde zu legen gehabt hätte.
20Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist, soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG) geltend gemacht wird, der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die revisionswerbende Partei bei der Darlegung der Zulässigkeit von diesem Sachverhalt, wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 27.10.2022, Ra 2022/17/0070, mwN).
21 Ausgehend davon, dass keine Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3 VwGG) betreffende Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird, entfernt sich dieses Vorbringen unzulässig von dem durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt, sodass damit schon deswegen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird.
22Im Übrigen weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG ist (vgl. VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
23Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFAVG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. erneut VwGH 31.3.2025, Ra 2022/17/0016, mwN).
24Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 21.3.2025, Ra 2025/17/0007, mwN).
25Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen etwa das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, oder die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. erneut VwGH 21.3.2025, Ra 2025/17/0007, mwN).
26Im Ergebnis bedeutet das, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte nicht zwingend von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalts eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. erneut VwGH 21.3.2025, Ra 2025/17/0007, mwN).
27 Auch unter der Annahme eines mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet hätte das Bundesverwaltungsgericht daher vertretbar davon ausgehen dürfen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers wegen dessen in der Revision nicht bestrittenenEingehens einer Aufenthaltsehe verstärkt wird (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117; 26.6.2019, Ra 2019/21/0016), sodass selbst bei Annahme dieser längeren Aufenthaltsdauer entsprechend der Behauptung der Revision keine Unvertretbarkeit der durch das Bundesverwaltungsgericht angestellten Interessenabwägung erkennbar ist.
28 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 21. Juli 2025