JudikaturOLG Wien

7Rs114/24x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende und die Richter Mag. Nigl und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter DI Beate Ebersdorfer und Ministerialrätin Mag. Angela Weilguny in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, LL.M., **, vertreten durch Blumauer Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse , Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. Kathrin Sammer, ebendort, wegen Kostenerstattung, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 5.7.2024, ** 23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das in seinen klagsabweisenden Spruchpunkten 2. und 3. als unangefochten unberührt bleibt, wird hinsichtlich seines Spruchpunktes 1. und des diesbezüglich vorangegangenen Verfahrens als nichtig aufgehoben und die angefochtene Kostenentscheidung (die im angefochtenen Urteil unrichtig als Spruchpunkt 3. anstatt als Spruchpunkt 4. bezeichnet ist) dahin abgeändert, dass sie lautet:

„4. Die klagende Partei hat ihre Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.“

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufungsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 27.2.2024 (Beil./E) sprach die Beklagte in ihrem Spruch Folgendes aus:

„Der Antrag von A*, SVNR.: **, auf Gewährung des Präparats „Ig Vena 50g/l Infusionslösung, OP II (10g in 200ml)“ laut Verordnung der Frau Dr. B*, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, **, wird abgewiesen .

Rechtsgrundlagen:

§ 30a Abs. 1 Z 12 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG),

§ 30b Abs. 1 Z 4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG),

§ 133 Abs. 1 und 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG),

§ 136 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG),

§ 15 Arzneimittelgesetz

§§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RÖV)

Erstattungskodex 2024“.

In der Begründung des Bescheides führte die Beklagte zusammengefasst aus, dass das von der Klägerin begehrte Medikament kein notwendiges Heilmittel im Sinn des § 133 Abs 2 iVm § 136 Abs 1 ASVG darstelle, weshalb der gegenständliche Antrag abzulehnen gewesen sei. Ig Vena sei ein Medikament, das zwar im „Gelben Bereich“ des Erstattungskodex angeführt sei, jedoch sei eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nur im ausführlich begründeten Einzelfall - nach Vorgabe des Erstattungskodex - möglich. Diese Ausnahmebestimmung - und somit eine mögliche Kostenübernahme durch die Krankenversicherung - beziehe sich jedoch nur auf jene Anwendungsfälle, die im Rahmen der Zulassung von Ig Vena legen. Bei der Antragstellerin liege kein Nachweis über das Vorliegen erhöhter uteriner NK Zellen (Killerzellen) vor, weshalb das OGH Urteil 10 ObS 33/23k für den gegenständlichen Fall nicht einschlägig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage der Klägerin wegen „Erstattung medikamentöser Behandlungskosten in Höhe von EUR 11.302,56 sA“ mit dem wesentlichen Begehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, der Klägerin binnen 14 Tagen die Kosten der Behandlung mit dem Präparat Ig Vena in Höhe von EUR 11.302,56 samt Zinsen in Höhe von 4 % zu ersetzen.

Die Klägerin brachte zusammengefasst vor, dass sie am 10.3.2021 (gemeint wohl: 10.3.2023) mit der Behandlung des empfohlenen Präparats Ig Vena begonnen und bis zur Klagseinbringung insgesamt 15 Behandlungen vorgenommen habe. Zehn dieser Infusionen seien von der Klägerin bei der Beklagten über deren Online Portal bzw deren medizinischen Dienst zum Ersatz der einzelnen Aufwendungen eingereicht worden. In Summe hätten die Kosten der Klägerin über die eingereichten Infusionen bisher EUR 11.302,56 betragen (zur näheren Aufschlüsselung dieser Einreichungen siehe ON 1, Seite 3 f). Die eingereichten Kostenerstattungsanträge seien allesamt abgelehnt worden.

Die Klägerin sei mit dem ausgestellten Rezept für die Ig Vena Infusion im Februar 2024 beim medizinischen Dienst der Beklagten vorstellig geworden. Dieser habe die Bewilligung der erforderlichen Ig Vena Infusionen am 19.1.2024 mit der mündlichen Begründung abgelehnt, dass zu dem Präparat keine ausreichenden Studien vorlägen und eine Bewilligung durch sie nur möglich wäre, wenn exakt dieselben Symptome wie in der OGH Entscheidung 10 ObS 33/23k vorlägen. Die Klägerin habe daraufhin die Ausstellung eines offiziellen Bescheids begehrt. Der abweisende Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 27.2.2024 sei Gegenstand dieser Klage.

Grund für die Behandlung mit Ig Vena sei die bei der Klägerin vorliegende genetische Störung sowie das immunologische Defizit und damit ein regelwidriger Körperzustand. Die Behandlung der Klägerin mit Ig Vena solle unmittelbar auf diesen regelwidrigen Körperzustand einwirken, indem sie die Auswirkungen der genetischen und immunologischen Abweichungen der Klägerin mildern und der Neigung zum habituellen Abort entgegenwirken solle. Ig Vena sei ein wissenschaftlich anerkanntes und regulatorisch gut positioniertes Präparat, das in Österreich zur Anwendung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung bei primären Immunmangelkrankheiten mit eingeschränkter Antikörperproduktion sowie sekundären Immunmangelerkrankungen und zur Immunmodulation bei primärer Immunthrombozytopenie, Erkrankungen des peripheren Nervensystems sowie dem Kawasaki Syndrom zugelassen sei. Erfolgversprechende (zulässige) alternative Behandlungsmethoden bestünden keine.

Die Beklagte bestritt das Klagsvorbringen und beantragte Klagsabweisung. Sie brachte zusammengefasst vor, dass bei der Klägerin mangels Behandlungsbedürftigkeit der sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff nicht erfüllt und daher bereits aus diesem Grund keine Kostenerstattung auf Kosten der Beklagten zu leisten sei. Außerdem liege nachweislich keine erhöhte Anzahl der uterinen Killerzellen vor. Folglich sei bei der Klägerin kein regelwidriger Körperzustand im Sinn der zitierten OGH Entscheidung 10 ObS 33/23k vorgelegen, der eine Behandlung notwendig gemacht habe bzw durch die Gabe von Ig Vena hätte beeinflusst werden können.

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht Folgendes aus:

„1) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für die Inanspruchnahme von Leistungen aufgrund der Verordnung der Dr. B*, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, auf Gewährung des Präparats „Ig Vena 50g/l Infusionslösung II (10g in 200ml)“ am 07.02.2024 Kosten in der Höhe von EUR 920,56 binnen 14 Tagen zu erstatten.

2) Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin für die Inanspruchnahme des Präparats „Ig Vena 50g/l“ weitere Kosten in der Höhe von EUR 10.382,00 zu erstatten, wird abgewiesen.

3) Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin 4 % aus dem Klagebetrag zu bezahlen, wird abgewiesen.

3) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 910,49 (darin enthalten Euro 151,75 Ust.) bestimmenden Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

„Die Klägerin versuchte seit Mai 2021 erfolglos schwanger zu werden; zunächst auf natürlichem Weg, was zur ersten Fehlgeburt im Juni 2021 führte. Im Zeitraum Oktober 2022 bis April 2023 wurden ein IVF-Versuch und ein Kryotransfer durchgeführt, der ebenfalls in einer Fehlgeburt endete. Auch eine weitere Schwangerschaft nach Spontankonzeption führte zu einem Abort. Im Februar 2023 ließ die Klägerin auf Anraten der besuchten Kinderwunschklinik eine Typisierung durchführen, die ein Fehlen der aktivierenden KIR-Gene KIR2DS1, KIR2DS5 und KIR3DS1 ergab, welche bei Frauen mit Fertilitätsstörungen signifikant seltener gefunden werden. Der Klägerin wurden daraufhin von der Kinderwunschklinik zur Minderung von Nidationsversagen und habituellen Abort gemäß aktueller Literatur Ig Vena-lnfusionen empfohlen (Beilage ./D).

Im Sommer 2023 wurde eine weitere immunologische Abklärung veranlasst, die ein Überwiegen der TH1-Zellen ergab (Beilage ./B). Der Klägerin wurde deswegen von ihrer Ärztin aufgrund der Diagnose „St. p. habituellem Abort bei Immundefizit“ das Präparat „Ig Vena 50g/l Infusionslösung, OP II (10g in 200ml)" verordnet (Beilage ./C).

Ig Vena ist ein wissenschaftlich anerkanntes und regulatorisch gut positioniertes Präparat, das in Österreich zur Anwendung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung bei primären Immunmangelkrankheiten mit eingeschränkter Antikörperproduktion sowie sekundären Immunmangelerkrankungen und zur Immunmodulation bei primärer Immunthrombozytopenie, Erkrankungen des peripheren Nervensystems sowie dem Kawasaki-Syndrom zugelassen ist. Diese Krankheiten liegen bei der Klägerin nicht vor. Es liegt keine Zulassung für anatomische Immunglobulin-Defizienz sowie für die Verbesserung von Fertilität und Schwangerschaftsverlauf vor. Die Anwendung von Ig Vena bei wiederholtem Abortusgeschehen ist eine seit Jahren gelebte Praxis in sehr vielen Fertilitätszentren national und international. Da die bisherige wissenschaftliche Datenlage jedoch kontroversiell ist, hat die systematische Anwendung von Ig Vena bei rekurrentem Implantationsversagen und wiederholtem Abortusgeschehen noch nicht Eingang in die Leitlinien zu deren Behandlung gefunden (10 Obs 33/23k).

Bei der Klägerin liegt ein regelwidriger Gesundheitszustand vor, nämlich ein Immundefizit verbunden mit habituellem Abort. Sie leidet an einem Überwiegen der TH1-Zellen, was assoziiert ist mit der Ausschüttung von TNF-alpha und Interferon-gamma (IFNγ). Aufgrund dieser immunologischen Abweichungen war es ihr nicht möglich, eine Schwangerschaft erfolgreich aufrecht zu erhalten. Wegen der immunologischen Abweichungen war die bei der Klägerin konkret durchgeführte Behandlung mit Ig Vena aus medizinischer Sicht indiziert und gerechtfertigt. Sämtliche gegenständlichen Behandlungen hatten den Zweck, eine Abstoßung des Embryos infolge dieses regelwidrigen Körperzustands der Klägerin zu verhindern. Die Behandlung wirkte somit unmittelbar auf den regelwidrigen Körperzustand ein, indem sie die Auswirkungen der immunologischen Abweichungen der Klägerin milderte und der Neigung zum habituellen Abort entgegenwirkte.

Diese Behandlung führte auch zu einer insgesamt erfolgreichen Schwangerschaft.

Erfolgversprechende (zulässige) alternative Behandlungsmethoden bestanden keine.“

Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst aus, dass ein Anspruch auf Kostenübernahme nicht bloß deswegen ausscheide, weil eine Behandlung in einem (zeitlichen oder ursächlichen) Zusammenhang mit einer Schwangerschaft stehe. Ein Kostenersatz sei in diesen Fällen vielmehr nur ausgeschlossen, soweit damit kein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand beeinflusst werde. Die vorliegenden Behandlungen beeinflussten jedoch einen regelwidrigen Körperzustand der Klägerin. Bei der Klägerin liege eine immunologische Abweichung vor, aufgrund derer sie hinsichtlich einer möglichen Schwangerschaft die Neigung zu habituellem Abort aufgewiesen habe. Dies sei ein regelwidriger Körperzustand.

Die Überlegung der Beklagten, dass sich das Urteil 10 ObS 33/23k ausschließlich auf das Vorliegen von uterinen Killerzellen beziehe, sei unzutreffend. Vielmehr habe der Oberste Gerichtshof zur Begründung seiner Argumentation ausgeführt, dass „eine immunologische Abweichung, aufgrund derer die Klägerin hinsichtlich einer möglichen Schwangerschaft die Neigung zu habituellem Abort aufwies“ vorgelegen sei. Eine solche immunologische Abweichung sei auch im vorliegenden Fall gegeben. Die vorliegende Behandlung habe somit einer zweckmäßigen Krankenbehandlung entsprochen und das Maß des Notwendigen nicht überschritten, weil eine zumutbare erfolgversprechende Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst nicht zur Verfügung gestanden sei, während die hier vorliegende Außenseitermethode bei der Klägerin erfolgreich gewesen sei.

Das Klagebegehren bestehe daher grundsätzlich zu Recht, allerdings setze jede Klage außerhalb von Säumnisfällen einen Bescheid des Versicherten voraus, der „darüber“, das heiße über den der Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein müsse. Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens müsse mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens identisch sein, da ansonsten eine „darüber“ ergangene Entscheidung des Versicherungsträgers fehle. Da der Bescheid in seinem Spruch ausdrücklich nur auf die Verordnung der Dr. B* Bezug nehme, hätten frühere Rechnungen über Ig Vena, die nicht auf Basis dieser Verordnung bezahlt worden seien, nicht berücksichtigt werden können.

Das Zinsenbegehren sei abzuweisen gewesen, weil in Sozialrechtssachen Zinsen wegen verspäteter Leistung des Krankenversicherungsträgers mangels Rechtsgrundlage nicht gebührten.

Im Rahmen seiner Kostenentscheidung führte das Erstgericht aus, der Rechtsansicht der Beklagten (Anm des Berufungsgerichts: siehe dazu die Einwendungen der Beklagten gegen das Kostenverzeichnis der Klägerin gemäß § 54 Abs 1a ZPO, ON 21, Seite 2), dass der bekämpfte Bescheid lediglich eine „Kostenübernahme“ beinhalte, könne nicht beigetreten werden. Die Formulierung des Bescheids sei unpräzise und mehrdeutig. Es werde ein „Antrag auf Gewährung“ abgewiesen. Ob sich dies auf eine bereits erfolgte Leistung (Kostenerstattung) oder eine erst in Anspruch zu nehmende Leistung (Kostenübernahme) beziehen solle, bleibe unklar. Der Spruch eines Bescheids sei nach seinem äußeren Erscheinungsbild, objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen. Bestünden Zweifel über den Inhalt des Spruchs, sei zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen; die Reichweite des Bescheidspruchs sei schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des Bescheids zu interpretieren. Da der Entscheidungswille des Versicherungsträgers im Zweifel - etwa mangels sich aus dem Bescheid ergebender gegenteiliger Anhaltspunkte - sämtliche Anbringen und Gegenstände erfasse, über die ein Bescheid zu erlassen sei, könne etwa den Erklärungen, die der Versicherte im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Versicherungsträger abgebe, Bedeutung zukommen. Aus den vorgelegten Urkunden folge, dass die Klägerin mehrfach konkrete Honorarnoten der Beklagten zwecks Kostenerstattung vorgelegt habe. Der bekämpfte Bescheid sei unter Heranziehung des gesamten Akteninhalts daher nicht lediglich als Entscheidung über eine Kostenübernahme zu verstehen. Darüber hinaus sei zu verweisen, dass die Beklagte selbst in ihrer Klagebeantwortung den Streitgegenstand mit „Kostenerstattung“ bezeichne.

Gegen Spruchpunkt 1. und die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils (letztere wurde vom Erstgericht unrichtig mit Spruchpunkt 3. anstatt mit Spruchpunkt 4. bezeichnet) richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, „dass das Klagebegehren zurückgewiesen wird“; hilfsweise wird der Antrag gestellt, das angefochtene Urteil im zur Gänze klagsabweisenden Sinn abzuändern.

Außerdem erhebt die Beklagte eine Berufung im Kostenpunkt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung der Beklagten ist insofern berechtigt , als sie unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens inhaltlich eine Nichtigkeit in Bezug auf Spruchpunkt 1. des angefochtenen Urteils und dem insofern vorangegangenen Verfahren geltend macht.

Die Beklagte macht im Rahmen ihrer Mängelrüge die „Unzulässigkeit des Rechtswegs“ geltend. Sie führt dazu zusammengefasst aus, dass entgegen der Auffassung des Erstgerichts bereits aus dem Spruch des bekämpften Bescheids ersichtlich sei, dass es sich hierbei um eine Kostenübernahme und um keine Kostenerstattung handle, da eine Kostenerstattung (für die Vergangenheit) voraussetze, dass die Kosten vom Versicherten bereits getragen worden seien. Dem Bescheid lasse sich nicht entnehmen, dass die Kosten bereits von der Versicherten getragen worden seien. Bescheidgegenständlich sei lediglich eine (undatierte) Verordnung. Im Bescheid sei festgehalten worden, dass die „Gewährung des verordneten Präparats“ seitens des medizinischen Dienstes der Beklagten am 19.1.2024 abgelehnt worden sei. Es sei sowohl aus dem Bescheidspruch als auch aus dessen Begründung ersichtlich, dass es sich nur um eine Kostenübernahme des begehrten Präparats handeln könne, da bloß auf die vorgelegte Verordnung der behandelnden Ärztin der Klägerin eingegangen werde und keine seitens der Klägerin eingereichten Rechnungen bescheidgegenständlich seien. Auch der Bescheidantrag der Klägerin sei (bloß) auf die Ablehnung der Bewilligung der Verordnung und auf keine Erstattung von eingereichten Honorarnoten betreffend das (anscheinend bereits zu diesem Zeitpunkt) bezogene Präparat gerichtet gewesen. Die Auffassung des Erstgerichts, dass die „Formulierung des Bescheids unpräzise und mehrdeutig“ sei, sei unrichtig. Wäre seitens der Klägerin ein Bescheidantrag bezüglich einer abgelehnten Kostenerstattung begehrt worden, so wäre seitens der Beklagten ein entsprechender ablehnender Bescheid ergangen, in welchem auch die eingereichten Rechnungen (sowohl im Spruch als auch im Sachverhalt) angeführt worden wären (so wie dies seitens der Beklagten in unzähligen sonstigen Fällen praktiziert werde).

Nach § 67 Abs 1 ASGG könne - von hier nicht behaupteten Säumnisfällen abgesehen - eine Klage in sozialrechtlichen Leistungssachen nur dann erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid abgesprochen habe. Der (zulässige) Gegenstand der Bescheidklage beschränke sich auf jene Ansprüche, über die der Versicherungsträger entschieden habe. Die Klage dürfe im Vergleich zum vorangegangenen Antrag weder die rechtserzeugenden Tatsachen auswechseln, noch auf eine Leistung gerichtet sein, über die der Versicherungsträger im bekämpften Bescheid gar nicht erkannt habe. Ein Austausch der Art der begehrten Leistungen im gerichtlichen Verfahren sei jedenfalls unzulässig. Als einziger Weg der Anspruchsverfolgung bleibe die Stellung eines neuen Antrags im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren. Werde dies nicht beachtet, sei die Klage in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen.

Gegenständlich sei seitens der Beklagten in ihrem Bescheid über die Gewährung des Präparats Ig Vena 50g/l DFL 200ml 10G 1 ST als Sachleistung abgesprochen worden. Über einen (grundsätzlich denkbaren) Anspruch auf Kostenerstattung habe die Beklagte nicht entschieden, wobei die Klägerin auch nicht vorgebracht habe, einen solchen Antrag überhaupt gestellt zu haben. Es liege dem Begehren daher zwar derselbe Versicherungsfall zugrunde, doch handle es sich bei der Sachleistung und der Kostenerstattung um verschiedene Leistungsansprüche. Gegen einen Bescheid, der über einen Anspruch auf Sachleistung erkenne, könne keine Klage auf Kostenerstattung erhoben werden.

Wenn das Erstgericht sich darauf stütze, dass aus den vorgelegten Urkunden folge, „dass die Klägerin mehrfach konkrete Honorarnoten der beklagten Partei zwecks Kostenerstattung vorgelegt hatte“ , so ändere das nichts an dem Umstand, dass diese Honorarnoten nicht bescheidgegenständlich gewesen seien und die Klage daher wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen sei. Auch der vom Erstgericht herangezogene Umstand, dass die Beklagte „selbst in ihrer Klagebeantwortung den Streitgegenstand mit 'Kostenerstattung' bezeichnet“, bedeute keinesfalls, dass eine Kostenerstattung bescheidgegenständlich gewesen sei, da der Streitgegenstand (bei Einbringung der Klage) von der Klägerin und nicht von der Beklagten gewählt werde.

Diesen Ausführungen der Beklagten kommt im Wesentlichen Berechtigung zu.

1.) Gegen einen Bescheid des Versicherungsträgers in einer Leistungssache nach § 354 ASVG kann vom Versicherten nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenz Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden. Mit der Klage tritt der Bescheid im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft (§ 71 Abs 1 ASGG) und die Entscheidungskompetenz geht auf das Gericht über (RIS-Justiz RS0112044).

Nach dem in Sozialrechtssachen geltenden Grundsatz der sukzessiven Kompetenzkann in einer Leistungssache - abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall des § 65 Abs 1 Z 3 ASGG und vorbehaltlich des ebenfalls nicht in Rede stehenden § 68 ASGG - das Gericht nur angerufen werden, wenn vom Versicherungsträger entweder „darüber“, das heißt über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch des Versicherten, bereits ein Bescheid erlassen wurde oder der Versicherungsträger mit der Bescheiderlassung - ein solcher Fall liegt hier unstrittig nicht vor - säumig geworden ist (§ 67 Abs 1 ASGG; RISJustiz RS0085867; 10 ObS 125/18g uva).

Insofern ist der mögliche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens durch Antrag, Bescheid und Klagebegehren in dreifacher Weise eingegrenzt ( Neumayrin ZellKomm³ § 67 ASGG Rz 4 mwH; RS0105139 [T1]; 10 ObS 125/18g uva). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgestalteten Verwaltungsverfahrens ident sein, ansonsten fehlt es bei einer Bescheidklage an einer „darüber“ ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers. Die Klage darf daher im Vergleich zum vorangegangenen Antrag weder die rechtserzeugenden Tatsachen auswechseln noch auf Leistungen (Gestaltungen, Feststellungen) gerichtet sein, über die der Versicherungsträger im bekämpften Bescheid gar nicht erkannt hat. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls ein „Austausch“ des Versicherungsfalls oder der Art der begehrten Leistungen im gerichtlichen Verfahren nicht zulässig ist; für solche Begehren fehlt es an einer „darüber“ ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers. In diesem Fall ist auch eine Klagsänderung iSd § 86 ASGG bzw § 235 ZPO nicht zulässig, sondern als einziger Weg der Anspruchsverfolgung bleibt hier die Stellung eines neuen Antrags im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren (10 ObS 119/08k mwN = SSV-NF 22/67 = DRdA 2010/22, 295 [ Binder]; RIS-Justiz RS0107802).

2.) In der Krankenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zwischen Sachleistung (Kostenübernahme) und Kostenerstattung zu unterscheiden. Dem Kostenübernahmebegehren und dem Kostenerstattungsbegehren liegt zwar der selbe Versicherungsfall zugrunde, aber es handelt sich um verschiedene Leistungsansprüche (10 ObS 27/20y; 10 ObS 165/10b uva). Ein Klagebegehren auf Übernahme von Kosten für ein Heilmittel durch den Krankenversicherungsträger kommt nur für die Zukunft in Betracht, während eine Leistungsklage auf Kostenerstattung für die Vergangenheit voraussetzt, dass die Kosten vorher vom Versicherten und der Anspruchsberechtigten getragen wurden (RIS-Justiz RS0111541 [T4]).

Bei einer Leistung aus der Krankenversicherung handelt es sich um eine Leistungssache gemäß § 354 Z 1 ASVG, die vom zuständigen Versicherungsträger auf Antrag (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG) festzustellen ist. Für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Krankenversicherung gilt somit das Antragsprinzip ; eine Leistungsgewährung ist daher nur aufgrund eines Antrags zulässig (10 ObS  119/08k = SSV-NF 22/67 = DRdA 2010/22, 295 [ Binder]). Bei der Beurteilung von Anträgen der Versicherten durch die Sozialversicherungsträger muss der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden. Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags lässt sich aber auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten (RIS-Justiz RS0085092 [T3, T5, T7 und T8 mwN]). Im Fall der gänzlichen oder teilweisen Ablehnung der beantragten Leistung aus der Krankenversicherung hat der Versicherungsträger über Verlangen des Versicherten einen Bescheid zu erlassen (§ 367 Abs 1 Z 2 ASVG).

3.) Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit Bescheid die Gewährung der von einem Arzt verordneten Heilmittel in natura abgelehnt, nicht aber über einen von der Klägerin gar nicht gestellten Antrag über einen möglichen Kostenerstattungsanspruch entschieden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen (RS0008822 [T2]; 10 ObS 141/22s ua). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680 [T1]; 10 ObS 141/22s ua). Die Reichweite des Bescheidspruchs ist schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids zu interpretieren (RS0105139; 10 ObS 141/22s ua). Da der Entscheidungswille des Versicherungsträgers im Zweifel etwa mangels sich aus dem Bescheid ergebender gegenteiliger Anhaltspunkte - sämtliche Anbringen und Gegenstände erfasst, über die ein Bescheid zu erlassen ist, kann etwa auch den Erklärungen, die der Versicherte im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Versicherungsträger abgibt, Bedeutung zukommen (10 ObS 141/22s Rn 16).

Bescheide sind zur Folge ihres normativen Charakters wie Gesetze gemäß den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Maßgeblich ist demnach der objektive Inhalt des Bescheids, also die zum Ausdruck gebrachte Willensäußerung der Behörde, nicht aber die Absicht der allenfalls vorher korrespondierenden Parteien. Der Bescheid bildet insofern eine neue Rechtsgrundlage für Rechte und Pflichten und hat Normqualität (RS0008822).

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist die Formulierung des von der Klägerin bekämpften Bescheids der Beklagten nicht „unpräzise und mehrdeutig“. Bereits eine objektive Auslegung des Spruchs des Bescheids nach seinem Wortlaut ergibt zweifelsfrei, dass damit nicht über einen Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung, sondern auf Kostenübernahme entschieden wurde. Dies wird zusätzlich durch die im angefochtenen Bescheid explizit angeführten Rechtsgrundlagen unterstrichen, da die für die Erstattung von Kosten einer Krankenbehandlung maßgebliche Bestimmung des § 131 ASVG nicht angeführt ist.

Da somit über den Inhalt des Spruchs des bekämpften Bescheids keine Zweifel bestehen, und bereits eine Auslegung objektiv nach dem Wortlaut des Spruchs dieses Bescheids ergibt, dass darin nicht über einen Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung, sondern auf Kostenübernahme entschieden wurde, sind zur Deutung des Bescheids weder dessen Begründung noch - wie vom Erstgericht jedoch vorgenommen - sämtliche Erklärungen, die der Klägerin im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten abgegeben hat, hier zu berücksichtigen.

Aber sogar wenn man die Begründung des bekämpften Bescheids bei dessen Deutung heranziehen würde, würde man ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen, dass mit diesem Bescheid nicht über einen Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung, sondern auf Kostenübernahme entschieden wurde. So wird auch in der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht einmal ansatzweise auf die Frage einer Erstattung von (bereits entstandenen) Kosten einer Krankenbehandlung eingegangen, sondern vielmehr von den Voraussetzungen einer „Kosten übernahmedurch die Krankenversicherung“ gesprochen. Auch der Umstand, dass im gesamten bekämpften Bescheid von der Klägerin bezahlte Kosten oder der Beklagten vorgelegte Rechnungen betreffend das Präparat Ig Vena keine Erwähnung finden, erlaubt nicht den vom Erstgericht gezogenen rechtlichen Schluss, dass der bekämpfte Bescheid die Frage einer Kostenerstattung (nach § 131 ASVG) zum Inhalt habe.

4.) Auf Basis der dargestellten Sach- und Rechtslage ergibt sich somit zusammengefasst, dass es der gegenständlichen Klage wegen „ Erstattungmedikamentöser Behandlungskosten in Höhe von EUR 11.302,56 sA“ an einer „darüber“ ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers fehlt, weshalb aufgrund des hier geltenden Grundsatzes der sukzessiven Kompetenz die Klage gemäß § 73 ASGG von Amts wegen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen ist (RS0042080; 10 ObS 125/18g uva). Ein davon betroffener Verfahrensteil ist als nichtig aufzuheben (10 ObS 125/18g; 10 ObS 53/17t; 10 ObS 4/16k ua).

5.) Nach ständiger Rechtsprechung genügt zur Wahrnehmung einer Nichtigkeit ein zulässiges Rechtsmittel (RS0041942). Die Überprüfungsbefugnis des Berufungsgerichts wird jedoch durch den Berufungsantrag und die Berufungserklärung begrenzt und in dieser Beschränkung durch die Verpflichtung zur Wahrung der Teilrechtskraftgarantiert. Selbst Nichtigkeitsgründe dürfen bezüglich des unangefochtenen Entscheidungsteils von Amts wegen nicht aufgegriffen werden (RS0041333). Demzufolge konnte die Nichtigkeit nur in Bezug auf den bekämpften Spruchpunkt 1. des angefochtenen Urteils und dem diesbezüglich vorangegangenen Verfahren (und nicht hinsichtlich der klagsabweisenden Spruchpunkte 2. und 3. des angefochtenen Urteils) aufgegriffen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

6.) Aufgrund der Abänderung des angefochtenen Urteils war auch über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens neu zu entscheiden. Die Klägerin ist im erstinstanzlichen Verfahren zur Gänze unterlegen und ist der Grund der Aufhebung des angefochtenen Urteils hinsichtlich des Spruchpunktes 1. und dem insofern vorangegangenen Verfahren im Verschulden der Klägerin selbst gelegen (vgl § 51 ZPO), weshalb ein Kostenzuspruch an die Klägerin grundsätzlich nur auf der Grundlage des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG in Betracht käme. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung setzt ein Kostenersatz nach Billigkeit jedoch voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen, als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Versicherten einen Kostenersatz nahelegen (10 ObS 63/13g mwN uva). Dass diese Voraussetzungen gegeben wären, wurde nicht geltend gemacht und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

7.) Da das Berufungsgericht über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens völlig neu und ohne Bindung an die Kostenentscheidung erster Instanz zu entscheiden hatte, wurde die Berufung gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils gegenstandslos und war nicht mehr zu behandeln (vgl Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.85 mwN).

8.) Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich ebenfalls auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Dass die Voraussetzungen für einen Kostenersatz nach Billigkeit gegeben wären, wurde von der Klägerin nicht geltend gemacht und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.