JudikaturVfGH

DS1/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Datenschutzrecht
12. August 2025
Leitsatz

Abweisung einer Beschwerde betreffend die verpflichtende Verwendung des Web-basierten Elektronischen Rechtsverkehrs (Web-ERV) zur Einbringung von Schriftsätzen in Verfahren vor dem VfGH; Zuständigkeit des VfGH – und nicht der Datenschutzbehörde – zur Entscheidung über Verletzung in Rechten gemäß der DSGVO im Zusammenhang mit der Verwendung des Web-ERV durch den VfGH; verpflichtende Verwendung des Web-ERV für Eingaben eines Rechtsanwaltes an den VfGH stellt justizielle Tätigkeit eines Gerichtes dar; Ausschluss der Zuständigkeit der Datenschutzbehörde als nationale Aufsichtsbehörde für Datenverarbeitungen im Rahmen der justiziellen Tätigkeit

Keine Verletzung in Rechten gemäß Art5 und 25 DSGVO infolge der Verwendung des Web-ERV für Eingaben an den VfGH.

Zuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über die bei der Datenschutzbehörde eingebrachte Beschwerde gegen die Verwendung des Web-ERV durch den VfGH:

Die DSGVO sieht in Art77 (und Art78) einerseits eine Zuständigkeit der nationalen Aufsichtsbehörde(n) und in Art79 andererseits eine Zuständigkeit der (ordentlichen) Gerichte zur Entscheidung über behauptete Verletzungen dieser Verordnung vor. Nach der Rsp des EuGH handelt es sich dabei um eine zwingende doppelgleisige (parallele) Zuständigkeit sowohl der nationalen Aufsichtsbehörden als auch der zuständigen ordentlichen Gerichte. In Art55 Abs3 DSGVO trifft der Unionsgesetzgeber aber eine von der (unionsrechtlich zwingenden) Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes abweichende (Sonder-)Regelung:

Gemäß Art55 Abs3 DSGVO sind die Aufsichtsbehörden "nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen". In Erwägungsgrund 20 der DSGVO wird dies damit begründet, dass auf diese Weise "die Unabhängigkeit der Justiz bei der Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet bleibt". Mit der Aufsicht über diese Datenverarbeitungsvorgänge sollten – so weiter in Erwägungsgrund 20 – "besondere Stellen im Justizsystem des Mitgliedstaats betraut werden können, die insbesondere die Einhaltung der Vorschriften dieser Verordnung sicherstellen, Richter und Staatsanwälte besser für ihre Pflichten aus dieser Verordnung sensibilisieren und Beschwerden in Bezug auf derartige Datenverarbeitungsvorgänge bearbeiten sollten".

Unter "justizieller Tätigkeit" iSd Art55 Abs3 DSGVO sind sämtliche personenbezogene Daten betreffenden Verarbeitungsvorgänge von Gerichten zu verstehen, die mit der gerichtlichen Entscheidungsfindung im Zusammenhang stehen und die im Interesse der richterlichen Unabhängigkeit von externer Kontrolle nicht beeinflusst werden dürfen. Der EuGH geht in Übereinstimmung mit dem Schrifttum von einem weiten Verständnis der "justiziellen Tätigkeit" aus. Diesem weiten Begriffsverständnis liegt erkennbar der Gedanke zugrunde, derart die Unabhängigkeit der Gerichte umfassend zu wahren. Der EuGH lässt zwar offen, welche Rechtsakte im Einzelnen der "justiziellen Tätigkeit" iSd Art55 Abs3 DSGVO zuzuordnen sind. Es ist aber davon auszugehen, dass (nur) bestimmte Angelegenheiten der Justizverwaltung nicht von der (Sonder-)Regelung des Art55 Abs3 DSGVO erfasst werden.

Mit der Regelung des §88b VfGG ("Bei Beschwerden wegen Verletzung in Rechten gemäß der DSGVO durch den Verfassungsgerichtshof") kommt der österreichische Gesetzgeber den (unionsrechtlichen) Vorgaben des Art55 Abs3 DSGVO nach, wobei die §§84 und 85 GOG sinngemäß mit der Maßgabe gelten, dass über behauptete Verletzungen solcher Rechte durch den VfGH der Gerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss nach den Bestimmungen des VfGG entscheidet.

Für den VfGH besteht kein Zweifel, dass die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde behauptete Verletzung des Art5 und Art25 DSGVO infolge der für ihn als Rechtsanwalt für Eingaben an den VfGH verpflichtend vorgeschriebenen Verwendung des Web-ERV eine "justizielle Tätigkeit" iSd Art55 Abs3 DSGVO betrifft.

Die für den Beschwerdeführer als Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtend vorgesehene Verwendung des Web-ERV im Rahmen verfassungsgerichtlicher Verfahren steht im Zusammenhang mit der justiziellen Tätigkeit des VfGH. Dies erweist sich nicht zuletzt darin, dass nach der stRsp des VfGH die Verwendung des Web-ERV für Eingaben an den VfGH grundsätzlich eine Formvorschrift ist. Dementsprechend sind Rechtsanwälte gemäß §18 iVm §14a Abs1 und 4 VfGG iVm §1 VfGH-elektronischer Verkehr-Verordnung sowie §7 VfGH-elektronischer Verkehr-Geschäftsordnung verpflichtet, Anträge beim VfGH elektronisch einzubringen oder darzulegen und zu bescheinigen, dass die konkreten technischen Möglichkeiten für eine elektronische Einbringung ausnahmsweise nicht vorliegen. Bringt ein Rechtsanwalt eine Eingabe beim VfGH nicht mittels Web-ERV ein, stellt dies einen verbesserungsfähigen Formmangel dar; kommt der Rechtsanwalt dem Verbesserungsauftrag des VfGH nicht fristgerecht nach, weist der VfGH die Eingabe als unzulässig zurück.

Da die in der Beschwerde gerügte Verletzung von Art5 und Art25 DSGVO wegen Verwendung des Web-ERV eine vom VfGH (und nicht vom Präsidenten des VfGH im Rahmen der monokratisch zu besorgenden Justizverwaltung) wahrzunehmende justizielle Tätigkeit betrifft, ist die Beschwerde gegen den VfGH im Rahmen seiner justiziellen Tätigkeit gerichtet.

Der VfGH sieht sich im Hinblick auf das unionsrechtliche Effektivitätsgebot auf Grund der Übermittlung der an die Datenschutzbehörde gerichteten Beschwerde des Beschwerdeführers gehalten, ohne weitere Zwischenschritte (zB Stellungnahme des VfGH an die Datenschutzbehörde) sofort in der Sache selbst zu entscheiden, ohne den Beschwerdeführer auf eine (prozessuale) Entscheidung seitens der Datenschutzbehörde zu verweisen.

Angesichts des Umstands, dass keine unionsrechtliche Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers besteht, eine Zuständigkeit der Datenschutzbehörde für Datenschutzverletzungen im Rahmen der justiziellen Tätigkeit zu schaffen, sondern vielmehr Art55 Abs3 DSGVO vorsieht, dass Datenverarbeitungen im Rahmen der justiziellen Tätigkeit nicht von der Aufsichtsbehörde auf ihre Übereinstimmung mit der DSGVO zu überprüfen sind, ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Zuständigkeit der Datenschutzbehörde im Zusammenhang mit der justiziellen Tätigkeit des VfGH ausgeschlossen. Dies ergibt sich zum einen aus dem rechtsstaatlichen Prinzip, wonach eine Verwaltungsbehörde (wie die Datenschutzbehörde) nicht im Rahmen der justiziellen Tätigkeit ergangene Handlungen bzw Entscheidungen des VfGH überprüfen darf; zum anderen ist es gerade mit der Stellung des VfGH als Höchstgericht unvereinbar, dass dessen justizielle Handlungen bzw Entscheidungen – ohne unionsrechtliche Verpflichtung – durch eine Verwaltungsbehörde (wie die Datenschutzbehörde) kontrolliert und allenfalls abgeändert werden dürfen.

Bei diesem Ergebnis ist nicht weiter zu erörtern, in welchen Angelegenheiten der Justizverwaltung die Datenschutzbehörde als Aufsichtsbehörde gemäß Art51 DSGVO iVm §18 Abs1 (und §35 Abs1) DSG zuständig ist.

Der VfGH hält somit zusammenfassend fest, dass der VfGH (und nicht die Datenschutzbehörde) zur Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers wegen behaupteter Verletzung von Art5 und Art25 DSGVO im Zusammenhang mit der Verwendung des Web-ERV durch den VfGH zuständig ist. Die Verwendung des Web-ERV durch den Beschwerdeführer als Rechtsanwalt betrifft nämlich insoweit die justizielle Tätigkeit des VfGH iSd Art55 Abs3 DSGVO iVm §88b VfGG.

Keine Verletzung der Art5 und 25 DSGVO:

Es ist für den VfGH nicht erkennbar, inwiefern die vom Beschwerdeführer behaupteten technischen Schwierigkeiten für einen Rechtsanwalt bei der Verwendung des Web-ERV (zB behauptetermaßen falsche Sendebestätigungen bei Eingaben, keine Möglichkeiten von Eingabekorrekturen und ähnliches) einen Verstoß gegen Art5 oder Art25 DSGVO begründen können.

Unabhängig davon, dass der Beschwerdeführer nicht nachweist, in welchen Fällen unrichtige Sendebestätigungen im technischen Betrieb des Web-ERV erstellt wurden bzw werden, handelt es sich dabei allenfalls um Sachverhalte, die zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – bei gesetzmäßiger Ausführung eines entsprechenden Antrages – führen können.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht im Einzelnen dargetan (vgl §88b VfGG iVm §85 Abs3 GOG), dass bzw inwieweit er bei der für ihn als Rechtsanwalt verpflichtend vorgeschriebenen Verwendung des Web-ERV für Eingaben an den VfGH in seinen Rechten nach Art5 DSGVO verletzt wurde bzw wird. Desgleichen hat der Beschwerdeführer nicht im Einzelnen dargelegt, dass bzw inwieweit die technische Gestaltung des Web-ERV den Vorgaben des Art25 DSGVO widerspricht und damit der Beschwerdeführer als Rechtsanwalt in seinen diesbezüglichen Rechten verletzt wurde bzw wird.