JudikaturJustiz8Ob132/14s

8Ob132/14s – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch die Knirsch Gschaider Cerha Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch die Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, wegen 157.950,95 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 25. September 2014, GZ 1 R 131/14p 72, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 5. April 2014, GZ 1 Cg 178/10k-68, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.289,96 EUR (darin 381,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger lagert aufgrund eines ihm eingeräumten Nutzungsrechts im Keller des Gebäudes auf der Liegenschaft mit der Grundstücksadresse B***** ein Archiv von Tonträgern, das aus etwa 100.000 Stück Tonträgern besteht und rund 56.000 Stück sogenannte Schellackplatten umfasst. Die Eigentümerin der Liegenschaft, die I***** GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger ist, vermietete die Räumlichkeiten im Erdgeschoß an die H***** KG, die dort einen Lebensmittelmarkt betreibt. Im Herbst 2009 beauftragte die H***** KG das beklagte Bauunternehmen mit Umbauarbeiten im Geschäftslokal; insbesondere sollte die Fußbodenkonstruktion bis zur Tragkonstruktion abgetragen werden. Bei der vor Beginn der Arbeiten durchgeführten Besichtigung, an der auch der Kläger teilnahm, war die zum Keller führende Gittertüre versperrt. Das Tonträgerarchiv erwähnte der Kläger nicht.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz der Reinigungskosten für sein Tonträgerarchiv (210.601,26 EUR sA). Durch die Verwendung eines Minibaggers zur Abtragung des alten Fliesenbodens seien im Keller die teilweise sehr seltenen und wertvollen Tonträger verschmutzt worden; die Beseitigung dieser Verschmutzung erfordere den Klagsbetrag.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, erst am 19. November 2009, anlässlich des Schadens im (von einem anderen Mieter genutzten) Ziegelgebäudekeller, seien auch die vom Kläger benutzten Kellerräumlichkeiten besichtigt worden, dort habe man aber keine Beeinträchtigungen vorgefunden. Erstmals am 23. November 2009 habe der Kläger Schäden im Bereich des Tonträgerarchivs behauptet; der Einsatz des Minibaggers entspreche insbesondere im Stahlbetonteil des Gebäudes den Regeln der Technik. Ein Verschulden könne der Beklagten nicht angelastet werden. Der Kläger habe selbst jegliche Schutzmaßnahmen unterlassen und daher das Alleinverschulden am geltend gemachten Schaden zu verantworten. Der Vertrag der H***** KG mit der Beklagten entfalte keine Schutzwirkung zugunsten des Klägers.

Im ersten Rechtsgang sprach das Erstgericht aus, dass das Klgebegehren dem Grunde nach mit 1 : 3 zu Lasten der Beklagten zu Recht besteht. Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Zwischenurteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge und wies dementsprechend das Teilklagebegehren auf Zuspruch von 52.650,32 EUR ab. Der Berufung der Beklagten hingegen gab es Folge und hob das Urteil im Umfang der Feststellung der Haftung der Beklagten (im Umfang von drei Vierteln) zur neuerlichen Entscheidung auf.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das verbleibende Klagebegehren (157.950,95 EUR sA) ab. Gründe für eine deliktische Haftung lägen nach dem Sachverhalt nicht vor; ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB analog stehe dem Kläger nicht zu. Der Schadenseintritt sei für die Beklagte nicht vorhersehbar gewesen; ein Verschulden der Beklagten, die sich auf die Beurteilung durch sachkundige Dritte verlassen habe, liege nicht vor. Auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sei hier nicht gegeben.

Der dagegen erhobenen Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht Folge und hob das Urteil (neuerlich) auf. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs könnten auch aus einem Werkvertrag, den ein Wohnungsmieter mit einem Werkunternehmer abgeschlossen habe, Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber anderen Mietern im Haus abgeleitet werden (7 Ob 50/86). Der Kläger habe keinen deckungsgleichen Anspruch gegenüber der H***** KG oder der Liegenschaftseigentümerin, daher bestehe ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis. Da die bisherigen Feststellungen für eine verlässliche Beurteilung der geltend gemachten Forderung unter diesem Gesichtspunkt jedoch nicht ausreichten, sei eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung erforderlich.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs gegen seinen Beschluss für zulässig, weil abgesehen von 7 Ob 50/86 keine jüngere Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein „Bestandvertrag“ (gemeint offensichtlich: Werkvertrag) Schutzwirkungen zugunsten anderer Mieter (hier wegen durch Bauarbeiten in ein anderes Bestandobjekt gelangter Festkörperimmissionen) entfalte.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (RIS-Justiz RS0043685) mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die behauptete Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO liegt nicht vor. Hat der Einzelrichter wie hier ausdrücklich „als Handelsgericht“ entschieden, dann wäre mangels Antrags gemäß § 479a Abs 1 ZPO eine nur durch Berufsrichter erfolgte Berufungsentscheidung nichtig (RIS-Justiz RS0042263). Die Beklagte hätte gemäß § 479a Abs 1 ZPO in ihrer Berufungsbeantwortung beantragen können, dass über die Berufung gegen das „als Handelsgericht“ gefällte Urteil des Erstgerichts in der Besetzung als allgemeines Zivilgericht entschieden werden möge ( Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 479a Rz 1; Pimmer in Fasching / Konecny 2 , § 479a Rz 3 mwN). Einen solchen Antrag hat die Beklagte jedoch nicht gestellt, weshalb die Entscheidung über die Berufung in der Zusammensetzung für Kausalsachen zu treffen war.

2. Eine Abweichung des Berufungsgerichts von seiner im ersten Rechtsgang zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht stellt keinen Revisionsgrund dar, weil die Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof unabhängig von der Entscheidung des Berufungsgerichts zu lösen ist (RIS-Justiz RS0042181 [T10]). Ein Abweichen von der überbundenen Rechtsansicht könnte höchstens einen Verfahrensmangel bedeuten. Erweist sich aber die vom Berufungsgericht in der später angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsansicht als zutreffend, so kann darin schon begrifflich kein die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeigneter Mangel erblickt werden (RIS-Justiz RS0042181 [T11]).

3.1 In der Rechtsprechung ist es grundsätzlich anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragsparteien selbst, sondern auch gegenüber dritten Personen bestehen können, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maß gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Begünstigt sind im Allgemeinen solche Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner (des Hauptleistungspflichtigen) entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte, an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (RIS-Justiz RS0020769; 8 Ob 53/14y mwN; Kodek in Kletečka / Schauer , ABGB-ON § 1295 Rz 53). Ein Schuldner haftet bei Verletzung vertraglicher Schutzpflichten, die ihn gegenüber einem Dritten treffen, auch dem Dritten nach § 1313a ABGB für seinen Gehilfen (RIS-Justiz RS0017185; 2 Ob 191/12w).

An diesen Grundsatz anknüpfend kann nach ständiger Rechtsprechung auch für den regelmäßig zwischen den Parteien eines Werkvertrags nicht besprochenen Fall von Störungen aus Anlass von Erfüllungshandlungen angenommen werden, dass die Parteien des (Werk-)Vertrags einander zum Schutz und zur Sorgfalt auch gegenüber jenen dritten Personen und Sachen verpflichten wollen, deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar war und an denen der Vertragspartner beim Werkvertrag der Besteller ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt (1 Ob 150/13k; RIS-Justiz RS0034594). Dabei darf die Voraussehbarkeit der Kontaktmöglichkeit mit der Vertragsleistung und deren Auswirkungen nicht zu eng verstanden werden; es genügt, wenn dem Vertragspartner generell erkennbar sein muss, dass Dritte im unmittelbaren, besonderen Gefahrenbereich sein werden (vgl 1 Ob 150/13k; RIS-Justiz RS0034594 [T11]). Vorausgesetzt ist allerdings, dass der geschädigte Dritte zur Nutzung der im unmittelbaren besonderen Gefahrenbereich gelegenen Räumlichkeiten oder des dort befindlichen Bereichs berechtigt war.

Im Zusammenhang mit Schäden anlässlich der Erfüllung eines Werkvertrags hat der Oberste Gerichtshof in einer jüngeren Entscheidung ausgesprochen, dass der von einem Mit- und Wohnungseigentümer abgeschlossene Werkvertrag grundsätzlich Schutzwirkungen zugunsten der übrigen Miteigentümer auslöse, die das Gebäude und den jeweiligen Wohnungsinhalt erfassen, womit im Falle einer Schädigung dieser Dritten insbesondere auch eine Haftung gemäß § 1313a ABGB für vom Gehilfen schuldhaft verursachte Schäden in Betracht komme (1 Ob 150/13k).

3.2 Im konkreten Fall war die Beklagte als Werkunternehmerin (unter anderem) beauftragt, die Fußbodenkonstruktion im Geschäftslokal bis zur Tragkonstruktion abzutragen. Eine intensive Bearbeitung der Fußbodenkonstruktion und damit der unmittelbaren Verbindung zu dem vom Kläger genutzten Objekt im unterhalb des Geschäftslokals gelegenen Keller war Teil der Hauptleistung der Beklagten. Aus diesem Grund war für die Parteien des Werkvertrags erkennbar, dass sich die vom Kläger dauernd und in berechtigter Weise genutzten Kellerräumlichkeiten im unmittelbaren Gefahrenbereich für den Fall von Störungen anlässlich dieser Arbeiten befand. Hier sollte die Beklagte gerade die zwischen den beiden Objekten bestehende Begrenzung (den Fußboden der auftraggebenden Mieterin und damit die Decke im Objekt des klagenden Nutzungsberechtigten) bearbeiten, weshalb letztlich auch ein für den Werkunternehmer erkennbares eigenes Interesse der Auftraggeberin daran bestand, schädliche Einwirkungen auf die für die Nutzung der Kellerräumlichkeiten Berechtigten möglichst hintanzuhalten. Das Berufungsgericht ist daher hier ausgehend von den dargestellten Rechtsgrundsätzen zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Kläger hier mit seiner Forderung gegen die Beklagte grundsätzlich auf Schutzwirkungen zu seinen Gunsten aus dem zwischen der H***** KG und der Beklagten abgeschlossenen Werkvertrag stützen kann.

4.1 In der Rechtsprechung ist allerdings auch anerkannt, dass ein schutzwürdiges Interesse des Dritten zu verneinen ist, wenn er kraft eigener rechtlicher Sonderverbindung mit seinem Vertragspartner, der seinerseits den späteren Schädiger (Hauptleistungspflichtigen aus dem Vertrag mit allfälligen Schutzwirkungen zugunsten Dritter) vertraglich als Erfüllungsgehilfen beigezogen hat, einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz gegen seinen Vertragspartner hat (RIS-Justiz RS0022814; 8 Ob 53/14y; 4 Ob 33/14b mwN).

4.2 Die Haftung aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kann nach der Rechtsprechung auch neben einer Haftung aus Nachbarrecht (§ 364a ABGB) geltend gemacht werden (1 Ob 74/09b; 1 Ob 153/07t; 2 Ob 136/99k). Bei Immissionen (§ 364a ABGB) oder Grundstückssetzungen (§ 364b ABGB) tritt daher die mögliche Haftung des ausführenden Werkunternehmers, also des faktischen Schädigers, grundsätzlich neben die Haftung des Grundstückseigentümers (1 Ob 153/07t mwN; Kodek in Kletečka / Schauer , ABGB-ON § 1295 Rz 65).

4.3 Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus der Beteiligung des Klägers an der I***** GmbH (als Eigentümerin der Liegenschaft) kein Anspruch gegen die H***** KG als Mieterin der Räumlichkeiten im Erdgeschoß für Schäden im Rahmen seiner Nutzung der Kellerräumlichkeiten (als Mieter oder sonstiger Nutzungsberechtigter) konstruieren. Allfällige nachbarrechtliche Ansprüche des Klägers (RIS Justiz RS0010644 [insb T10]) gegen I***** GmbH oder die H***** KG könnten wie erwähnt auch neben einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geltend gemacht werden, eine Subsidiarität des Vertrags mit Schutzwirkung besteht gegenüber solchen Ansprüchen nicht.

4.4 Wie die Vorinstanzen bereits zutreffend ausgeführt haben, sind die Voraussetzungen für einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht erfüllt, weil Anspruchsgegner (nur) derjenige ist, der durch Vorkehrungen auf dem Nachbargrundstück unzulässige Störungen hervorruft, sofern er diesen Grund „für eigene Zwecke“ benutzt (RIS-Justiz RS0010654; RS0010516 [T2]), wobei eine Beziehung zum emittierenden Grundstück bzw ein „gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission“ gefordert wird ( Spielbüchler in Rummel ³ § 364 Rz 5; 8 Ob 44/14z; 8 Ob 589/93 mwN). Ein Bauunternehmer, der auf dem emittierenden Grundstück Bauarbeiten durchführt, ist aufgrund des mit dem Grundeigentümer bestehenden Werkvertrags gerade nicht zu der von der Rechtsprechung geforderten Benützung der Liegenschaft berechtigt; der für die Annahme seiner Passivlegitimation erforderliche Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Immission liegt bei ihm aufgrund seiner eingeschränkten Befugnisse nicht vor (8 Ob 44/14z mwN).

5 . Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179). Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (RIS-Justiz RS0042179 [T17]).

Die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen der dem Stand der Technik entsprechenden Vorgangsweise sowie der unterbliebenen Vorkehrungen des Klägers gegen drohende Schäden seines Tonträgerarchivs betreffen den noch nicht ausreichend geklärten Sachverhalt, weshalb dazu nicht Stellung genommen werden kann.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222). Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

Rechtssätze
10