JudikaturJustiz1Ob121/16z

1Ob121/16z – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** T*****, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** H*****, vertreten durch Prof. Mag. Helmut Kröpfl, Rechtsanwalt in Jennersdorf, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 38 C 6/63 des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 5. April 2016, GZ 48 R 264/15a 18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 2. Juli 2015, GZ 4 C 10/15a 6, aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben, das erstinstanzliche Verfahren für nichtig erklärt und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen werden.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 314,71 EUR (darin 52,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 13. 1. 1965, GZ 38 C 6/63 38, wurde die Vaterschaft des Ehemanns der Klägerin zu der am ***** 1961 geborenen Beklagten festgestellt und dieser zur Zahlung von Unterhalt verurteilt. Das Urteil wurde ihm am 15. 1. 1965 durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Über sein Ersuchen wurde ihm im Juni 2005 eine Abschrift dieses Akts übermittelt. Er verfasste am 24. 10. 2005 ein Testament, in dem er die Beklagte auf den verminderten Pflichtteil setzte.

Der Klägerin wurde, nachdem sie aufgrund des Testaments die bedingte Erbantrittserklärung abgegeben hatte, mit in Rechtskraft erwachsenem Einantwortungsbeschluss vom 6. 2. 2015 die Verlassenschaft nach dem am ***** 2013 verstorbenen festgestellten Vater zur Gänze eingeantwortet. Im Verlassenschaftsverfahren fand am 2. 4. 2014 beim Gerichtskommissär eine Tagsatzung statt, in der die Klägerin der Beklagten erstmals gegenüberstand. Dabei konnte sie keine Ähnlichkeit der Beklagten mit dem aus dem persischen Raum stammenden Verstorbenen feststellen.

Mit ihrer am 1. 4. 2015 eingebrachten Wiederaufnahmsklage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Urteils vom 13. 1. 1965. Die Beklagte habe im Verlassenschaftsverfahren Pflichtteilsansprüche angemeldet. Sie sei dieser im Verlassenschaftsverfahren am 2. 4. 2014 erstmals gegenübergestanden und habe keinerlei Ähnlichkeiten mit ihrem verstorbenen Ehemann feststellen können. Ihr sei erst anlässlich der Akteneinsicht in den Gerichtsakt über das Abstammungsverfahren am 13. 3. 2015 bekannt geworden, „auf welcher Rechtsgrundlage und welchen Feststellungen die behauptete Vaterschaft“ zur Beklagten beruhe. Die ihr seit der Begegnung mit dieser zur Kenntnis gelangte Möglichkeit zur Widerlegung der Vaterschaft durch eine DNA Analyse könne sie erst ab Kenntnis des die Vaterschaft feststellenden Urteils am 13. 3. 2015 benützen.

Das Erstgericht gab der Wiederaufnahmsklage statt und hob das Urteil des Vorverfahrens vom 13. 1. 1965 auf. Der Klägerin sei es erst nach der Akteneinsicht möglich gewesen, sinnvoll ein Vorbringen zu erstatten. Es schade auch nicht, dass nicht schon vorab eine DNA Analyse eingeholt worden sei. Im Vorverfahren habe es eine solche noch nicht gegeben. Die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO sei gewahrt.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Rechtlich führte es aus, die Kenntnis des Verstorbenen vom Inhalt des wiederaufzunehmenden Verfahrens sei der Klägerin als Rechtsnachfolgerin zuzurechnen, sodass es unbeachtlich sei, wann diese vom Inhalt des Urteils Kenntnis erlangt habe. Ein DNA Gutachten liege nicht vor. Die Klägerin sei seit ihrer ersten persönlichen Begegnung mit der Beklagten am 2. 4. 2014 in Kenntnis davon gewesen, die festgestellte Vaterschaft des Verstorbenen zur Beklagten durch ein DNA Gutachten widerlegen zu können. Davon ausgehend erweise sich die Klagseinbringung am 1. 4. 2015 jedenfalls als verspätet. Zudem sei das Aussehen der nunmehr Beklagten im Jahr 1963 durch Fotos im Vorprozess dokumentiert, die dem Rechtsvorgänger der Klägerin bekannt waren. Das nunmehrige Aussehen sei ein novum productum und daher unbeachtlich.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene – von der Beklagten beantwortete – Rekurs der Klägerin ist nach § 543 iVm § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (6 Ob 120/11g vom 18. 7. 2011 mwN; 6 Ob 225/14b; vgl RIS Justiz RS0043861; RS0043882); er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 202 AußStrG ist dieses Gesetz auf die vor seinem Inkrafttreten (1. 1. 2005) anhängig gewordenen Streitigkeiten in Angelegenheiten, die nunmehr statt im streitigen Verfahren im Verfahren außer Streitsachen durchzusetzen wären, worunter unter anderem das Abstammungsverfahren (§§ 82 ff AußStrG) fällt, nicht anzuwenden. Dies gilt auch für die Wiederaufnahme derartiger bereits abgeschlossener Verfahren (RIS Justiz RS0123808). Um keine Rechtsschutzlücke entstehen zu lassen, sind daher dafür auch weiterhin die Vorschriften über die Wiederaufnahmsklage maßgeblich (zuletzt 7 Ob 89/15m mwN = iFamZ 2015/174, 206 [ Zemanek ]).

Daraus folgt, dass das Urteil vom Jänner 1965 nur im Wege einer Wiederaufnahmsklage nach den Bestimmungen der ZPO beseitigt werden könnte.

2.1. § 534 Abs 1 ZPO gelangt im Abstammungsverfahren ohne Einschränkungen zur Anwendung. Das Vorprüfungsverfahren dient unter anderem der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Wiederaufnahmsklage. Die Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO beginnt, sobald der Wiederaufnahmskläger die neuen Tatsachen und Beweismittel soweit kennt, dass er ihre Eignung für ein allfälliges Verfahren auch prüfen kann. Der Wiederaufnahmskläger muss in der Lage sein, einen form und sachgerechten Beweisantrag zu stellen (RIS Justiz RS0044635 [T1]). Die Wiederaufnahmsklage ist im Vorprüfungsstadium nicht erst bei erwiesener Verspätung, sondern schon mangels Glaubhaftmachung ihrer Rechtzeitigkeit zurückzuweisen, weil dem Gesetz die Vermutung der Rechtzeitigkeit fremd ist (RIS Justiz RS0044613 [T2]; RS0111662).

2.2. Die Rechtsansicht der Klägerin, für die Klagefristen des § 534 ZPO käme es bei Tod der Partei auf ihre Kenntnis als Rechtsnachfolgerin an, würde evidentermaßen zu absurden Ergebnissen führen. Es könnte dann trotz Verstreichens der Klagefrist für den eigentlich zu einer Wiederaufnahme Berechtigten dessen Erbe (oder auch ein Erbeserbe) erneut auf die Einhaltung dieser Frist pochen, was schon aus Gründen der Rechtssicherheit (aber auch wegen der Grundsätze der Gesamtrechtsnachfolge) abzulehnen ist. Maßgeblich ist das Verstreichen der Klagefrist für den eigentlich zu einer Wiederaufnahme Berechtigten (3 Ob 72/08x = RIS Justiz RS0123809).

2.3. Die Wiederaufnahmsklage hat nach § 536 Z 3 ZPO insbesondere die Angabe der Umstände zu enthalten, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist für die Klage ergibt, und die Bezeichnung der hiefür vorhandenen Beweismittel. Angesichts der für eine Klage nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO maßgeblichen vierwöchigen Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO brachte die Klägerin vor, die ihr seit der Begegnung mit der Beklagten (am 2. 4. 2014) zur Kenntnis gelangte Möglichkeit der Widerlegung der Vaterschaft durch eine DNA Analyse könne sie erst mit der Kenntnis des Urteils im Vorprozess seit 13. 3. 2015 benützen. Die Klägerin stützt ihre Wiederaufnahmsklage ausschließlich auf neue Beweismittel (ihre persönliche Wahrnehmung und einzuholendes DNA Gutachten) im Sinn des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO. Wie dargelegt ist aber nicht maßgeblich, wann sie als eingeantwortete Alleinerbin des festgestellten Vaters Kenntnis vom rechtskräftigen Urteil des Vorprozesses erlangte, das dem Erblasser schon seit 1965 bekannt war. Behauptet sie aber selbst, dass sie bereits anlässlich der Begegnung mit der Beklagten am 2. 4. 2014 Kenntnis von der Möglichkeit zur Widerlegung der Vaterschaft erlangte, ist die am 1. 4. 2015 eingebrachte Wiederaufnahmsklage gemäß § 534 Abs 1 und 2 Z 4 ZPO jedenfalls verspätet. Aus der grundsätzlichen Vertretungsbefugnis jedes erbantrittserklärten Erben (vgl § 810 ABGB) ergibt sich, dass jede (bewusste) Kenntnisnahme einer für die Interessen der Verlassenschaft relevanten Tatsache durch einen Miterben als Kenntnisnahme durch die Verlassenschaft zu gelten hat (2 Ob 64/54 = RIS Justiz RS0044653; vgl Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 530 ZPO Rz 182), daher ebenso bei Kenntnis der Alleinerben.

Nach dem Tod der betroffenen Person kann die Feststellung der Nichtabstammung von den Rechtsnachfolgern bewirkt werden (§ 142 ABGB). Darunter sind die Gesamtrechtsnachfolger, also die Erben zu verstehen. Bis zur Einantwortung ist jedoch Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers der ruhende Nachlass (die ruhende Verlassenschaft) als Inbegriff der Rechte und Pflichten des Verstorbenen, die (erst) im Falle der Einantwortung auf die Erben übergehen (7 Ob 38/06y mwN = RIS Justiz RS0048402 [T3]). Im Zeitpunkt der Erlangung der Kenntnis der Klägerin (damals als erbantrittserklärter Alleinerbin) von der behaupteten Möglichkeit der Widerlegung der Vaterschaft Anfang April 2014 wäre die Verlassenschaft nach dem verstorbenen Vater der Beklagten zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage aktivlegitimiert gewesen.

3. Das Berufungsgericht hat deshalb zutreffend die Wiederaufnahmsklage nach § 538 ZPO zurückgewiesen, dabei jedoch außer Acht gelassen, dass auch das erstinstanzliche Verfahren für nichtig zu erklären ist (1 Ob 61/07p = RIS Justiz RS0111400 [T1]); dies ist mit einer Maßgabebestätigung nachzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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