JudikaturJustiz10Ob17/23g

10Ob17/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 3.777 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Juli 2022, GZ 2 R 90/22g 30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 20. Jänner 2022, GZ 1 C 584/20i 24, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 eingereichten, zu C 100/21 behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

Der Fortsetzungsantrag der Klägerin wird, soweit er (weitere) Ausführungen enthält, zurückgewiesen.

II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass die Entscheidung des Erstgerichts dahin abgeändert wird, dass sie unter Einschluss des bereits rechtskräftig entschiedenen Teils insgesamt lautet :

„1. Die Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 3.777 EUR samt 4 % Zinsen ab 29. August 2019 zu zahlen, und es werde festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden haftet, welcher der klagenden Partei aus dem Kauf des Audi Q5 quattro TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): * und dem darin verbauten Dieselmotor Typ EA189 zukünftig entsteht, werden abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.145,48 EUR (darin 502,22 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 758,59 EUR (darin 96,53 EUR Umsatzsteuer und 154 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Berufung und die mit 415,29 EUR (darin 66,31 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin erwarb am 29. August 2019 den von der Beklagten hergestellten PKW der Marke Audi Q5 quattro TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): *, in dem ein 2.0 Liter Dieselmotor Typ EA 189 mit 105 kW/143 PS verbaut ist, mit der Erstzulassung 17. November 2009 und einem Kilometerstand von 240.500 km zu einem Kaufpreis von 12.590 EUR. Das Fahrzeug ist vom sogenannten „VW Abgasskandal“ betroffen und mit dem manipulierten Motortyp EA 189 ausgestattet.

[2] Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 der Beklagten verfügen über ein Abgasrückführsystem, das innermotorische Abgase aus dem Auslassbereich des Motors in den Ansaugtrakt zurückführt, die dort einen Teil der Frischluftladung ersetzen. Dadurch werden ua Stickoxide (NOx), die bei der Verbrennung des Kraftstoffs durch Reaktion von Sauerstoff und Stickstoff entstanden sind, rückgeführt. Das rückgeführte Abgas nimmt an der Verbrennung nicht teil und liefert damit keine weitere Verbrennungsenergie.

[3] Das Klagefahrzeug mit dem Motortyp EA 189 wurde werksseitig mit einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung hergestellt, nämlich mit einer sogenannten „Umschaltlogik“, die anhand verschiedener Parameter ermittelt, ob ein Fahrzeug gerade ein Verfahren zur Ermittlung der Fahrzeugemissionen am Rollprüfstand durchläuft. Ist dies der Fall (Modus 1), wird die Abgasrückführungsrate im Vergleich zum sonstigen Fahrzeugbetrieb (Modus 0) erhöht und damit die Emission von NOx gesenkt.

[4] Darüber informierte die Beklagte die Öffentlichkeit Ende 2015 im Rahmen mehrerer Pressemeldungen, Ad-hoc-Mitteilungen sowie auf ihren Internetseiten. Über den „VW-Abgasskandal“ fand eine umfassende Medienberichterstattung statt.

[5] Nachdem der Einsatz der „Umschaltlogik“ in der Öffentlichkeit bekannt wurde, ordnete das deutsche Kraftfahrbundesamt (KBA) am 15. Oktober 2015 gegenüber der Beklagten den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an. Nach Ansicht des KBA handelt es sich bei der „Umschaltlogik“ um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Beklagten wurde auf Basis eines von ihr vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplans bescheidmäßig auferlegt, die entsprechende Software („Umschaltlogik“) aus allen betroffenen Fahrzeugen zu entfernen.

[6] Dem folgend legte die Beklagte eine technische Lösung vor, die in einem Software-Update für die betroffenen Fahrzeuge bestand, worüber die Beklagte betroffene Kunden informierte.

[7] Das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie schloss sich der Vorgehensweise des deutschen KBA an. Somit war die Beklagte auch in Österreich verpflichtet, bei betroffenen Fahrzeugen das Software-Update durchzuführen, und Fahrzeugbesitzer waren dazu genötigt, das Software-Update durchführen zu lassen, um einen Zulassungsentzug zu vermeiden.

[8] Am F ahrzeug der Klägerin wurde am 6. Dezember 2017 das Software-Update durchgeführt, wodurch die zwei unterschiedlichen Modi entfernt wurden, sodass der schadstoffarme Modus nun sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße Anwendung findet. Der schadstoffarme Modus beinhaltet ein sogenanntes „Thermofenster“, wonach eine volle Abgasrückführung lediglich bei einer Temperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius stattfindet. Außerhalb dieses sogenannten „Thermofensters“ wird eine Korrektur der Abgasrückführungsr ate über die Frischluftzufuhr vorgenommen, was Einfluss auf Motorleistung, Rundlauf des Motors, Kraftstoffverbrauch und Abgasreinigung hat.

[9] Es kann nicht festgestellt werden, ob es aufgrund des Software-Updates vom 6. Dezember 2017 zu Schäden am Abgasrückführungsv entil gekommen ist sowie ob und inwieweit in Zukunft mit Schäden am Motor und dessen Anbauteilen zu rechnen ist. Aufgrund des aufgespielten Software-Updates kann es beim F ahrzeug zu einem früheren Ausfall des Abgasrückführungsk ühlers (mit integriertem A bgasrückführungsv entil) kommen.

[10] Die Klägerin begehrt von der Beklagten – soweit im Rekursverfahren noch von Relevanz – die Feststellung, dass die Beklagte für jeden Schaden haftet, welcher der Klägerin aus dem Kauf des Audi Q5 quattro TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): * und dem darin verbauten Dieselmotor Typ EA 189 zukünftig entsteht. Auch nach dem Software-Update habe die Klägerin mit nachfolgenden Problemen zu rechnen, weil der Einspritzdruck erhöht werde und eine vermehrte Abgasrückführung erfolge, sodass einerseits eine Mehrbelastung hinsichtlich der Einspritzinjektoren und andererseits eine Mehrbelastung hinsichtlich Abgasrückführungsventil, Abgasrückführungs-kühler und Dieselpartikelfilter die Folge sei. Die Klägerin stützt sich auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB und auf einen Verstoß gegen die VO (EG) 715/2007, die auch den Schutz des bloßen Vermögens bezwecke.

[11] Die Beklagte bestritt. Die Klägerin habe das Fahrzeug erst nach umfassender Information der Öffentlichkeit über den „VW Abgasskandal“ durch die Beklagte im Jahr 2015 und nach Durchführung des Software Updates erworben. Das noch vorhandene „Thermofenster“ sei nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausnahmsweise zulässig. Für das Feststellungsbegehren fehle das Feststellungsinteresse nach § 228 ZPO. Es sei nicht ersichtlich, welcher Schaden der Klägerin entstanden sei.

[12] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt (und wies ein nicht mehr gegenständliches Zahlungsbegehren ab). Es stellte den eingangs auszugsweise wiedergegebenen Sachverhalt fest. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens bejahte es das Feststellungsinteresse, weil aufgrund des aufgespielten Software-Updates mit negativen Auswirkungen am Fahrzeug (früherer Ausfall des Abgasrückführungskühlers) zu rechnen sei und nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, ob in Zukunft Schäden am Motor und dessen Anbauteilen einträten.

[13] Das Berufungsgericht gab der hinsichtlich des Feststellungsbegehrens erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil im angefochtenen Umfang auf und verwies die Rechtssache insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Art 5 VO 715/2007/EG stelle kein Schutzgesetz mit entsprechendem Schutzzweck dar, sodass bloße Vermögensschäden nicht zu ersetzen seien. Damit verbleibe nur eine sittenwidrige Schädigung, etwa durch Betrug oder sonstige Täuschung. Ein Betrug durch die ursprünglich verbaute „Umschaltlogik“ scheide aus, weil dieser auch von Seiten der Beklagten publik gemacht worden sei und daher keine Täuschung mehr vorliege. Im Zusammenhang mit dem Software-Update und dem allenfalls erst dadurch implementierten „Thermofenster“ habe die Klägerin nicht behauptet, dass auch diese allenfalls unzulässige Abschalteinrichtung im Zuge des EG Typengenehmigungsverfahrens verschwiegen worden wäre. Da Vorbringen der Klägerin zur Täuschung durch die Beklagte im Zusammenhang mit dem „Thermofenster“ fehle und dies bisher nicht erörtert worden sei, sei die Entscheidung aufzuheben. Zudem seien Inhalt und Formulierung des Feststellungsbegehrens unklar. Weiters sei zu berücksichtigen, dass solche Motorprobleme, die sich aus einer zum Erreichen der Abgasgrenzwerte verwendeten Technik ergeben, keinen rechtswidrig zugefügten Schaden darstellen können.

[14] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15] In der Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte die Abweisung des Feststellungsbegehrens, hilfsweise die Zurück-, in eventu die Abweisung des Rekurses.

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[16] I.1. Der Senat hat aus Anlass des Rekurses mit Beschluss vom 22. Februar 2023 in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 49/22m) das Rekursverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am 17. Februar 2021 beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C 100/21 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

[17] I.2. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 21. März 2023, C 100/21, Mercedes-Benz Group , diese Vorabentscheidung getroffen. Das Rekursverfahren ist daher antragsgemäß fortzusetzen.

[18] I.3. Soweit im Fortsetzungsantrag darüber hinaus auch weitere Ausführungen (Anregung zum Auftrag eines Schriftsatzwechsels „vor der nächsten Verhandlung“) enthalten sind, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, wonach auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666).

Zu II.:

[19] Der Rekurs ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts berechtigt.

[20] Der Umstand, dass die Klägerin im Rekurs die Stattgebung des Klagebegehrens beantragt , hindert nicht die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst zum Nachteil der Rekurswerberin. Ein „Verbot der reformatio in peius“ kommt in diesem Fall nicht zum Tragen (RS0043903; RS0043939).

[21] II.1. Die Klägerin stützt ihr Feststellungsbegehren auf eine Schädigung durch die Beklagte infolge Verletzung eines Schutzgesetzes.

[22] II.1.1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG nicht den Schutz vor bloßen Vermögensschäden von Fahrzeugkäufern gegenüber dem Fahrzeughersteller bezwecke, ist in dieser Allgemeinheit nach Vorliegen des Urteils des EuGH zu C 100/21, Mercedes-Benz Group , zwar nicht aufrecht zu erhalten (vgl dazu das Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a).

[23] II.1.2. Ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG kann den Hersteller vielmehr auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht, sofern dem Käufer ein Schaden entstanden ist. In einem solchen Fall haben die Mitgliedstaaten einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten des Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen (EuGH C 100/21, Mercedes-Benz Group , Rn 91). Dabei handelt es sich somit um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (EuGH C 100/21, Mercedes-Benz Group , Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl EuGH C 100/21, Mercedes-Benz Group , Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (EuGH C 100/21, Mercedes-Benz Group , Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.

[24] II.1.3. Soll das Zuwiderhandeln gegen eine Vorschrift einen Schadenersatzanspruch auslösen, muss es nach österreichischem Recht jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt (RS0031143). Der Schutzzweck ergibt sich aus dem Inhalt des Schutzgesetzes. Diese ist teleologisch zu interpretieren, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RS0008775). Im vorliegenden Fall ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang daher aus den maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen zu ermitteln. Auch insofern ist ihre Auslegung durch den EuGH zu berücksichtigen:

[25] II.1.3.1. Die unionsrechtlichen Bestimmungen, aus denen der EuGH einen Schutz des Käufers ableitet, bezwecken (auch), das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung zu schützen. Der EuGH betont, dass durch die Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG Typen-genehmigung und daran anschließend die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden können. Ein Schaden, der darin besteht, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt, steht folglich im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den hier gegenständlichen Schutzgesetzen (Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG). Den gegenständlichen Normen geht es somit um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist (Endurteil vom 25. April 2023, 10 Ob 2/23a Rz 21).

[26] II.1.3.2. Nicht vom Schutzzweck dieser unionsrechtlichen Normen sind damit umgekehrt solche von der Klägerin als nachteilig empfunden Eigenschaften einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfasst, die die Gültigkeit der EG-Typengenehmigung oder der Übereinstimmungsbescheinigung nicht in Frage stellen und keine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit der Fahrzeugnutzung mit sich bringen.

[27] II.1.4. Das von der Klägerin erhobene Feststellungsbegehren bezieht sich nach seinem Wortlaut zwar allgemein auf „jeden Schaden“, der der Klägerin aus dem Kauf und dem im Fahrzeug verbauten Motor entsteht. Nach dem Vorbringen der Klägerin sind unter den vom Feststellungsbegehren erfassten Spät- und Dauerfolgen aber (durch erhöhten Einspritzdruck und vermehrte Abgasrückführung verursachte) Schäden im Bereich des Abgasrückführsystems, insbesondere Abgasrückführventil, Abgasrückführkühler, Injektoren und Dieselpartikelfilter (ON 1 Seite 5, ON 3 Seite 29), zu verstehen.

[28] Eine im Fahrzeug verbaute Abschalteinrichtung ist aber nicht deswegen unzulässig, weil bestimmte technische Bauteile geschont oder weniger oft gewartet werden müssen. Aufgrund der vom Hersteller ausgehändigten Übereinstimmungsbescheinigung kann ein Käufer zwar vernünftigerweise darauf vertrauen, dass die emissionsrechtlichen Vorschriften des Unionsrechts eingehalten werden; diese objektiv berechtigte Verkehrserwartung betrifft aber nicht solche Folgen, die für sich genommen zu keiner Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung führen und deren Beseitigung auf diese Unsicherheit auch keinen Einfluss haben könnte. Die vermehrte Abgasrückführung würde dem Ziel dieser Vorschriften sogar eher entsprechen.

[29] Die von der Klägerin im Rahmen des Feststellungsbegehrens geltend gemachten Spät- und Dauerfolgen stehen somit nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den hier gegenständlichen unionsrechtlichen Schutzgesetzen, die nicht die Vermeidung solcher Schäden (auch nur mit-)bezwecken.

[30] II.1.5. Die grundsätzlich nach nationalem Recht durchzuführende schadenersatzrechtliche Beurteilung ist zwar am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen. Eine Haftung auch für die hier geltend gemachten Folgen einer unzulässigen Abschalteinrichtung fordert dieser Grundsatz aber nicht: Die (reale) Beseitigung der durch eine unzulässige Abschalteinrichtung verursachten Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung kann durch Entfernung der Abschalteinrichtung selbst oder der die Unzulässigkeit bewirkenden Bauteile bzw Eigenschaften in natura (durch Reparatur) bewirkt werden. Bietet die Herstellerin dies nicht oder in nicht geeigneter Form an, kann Ersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (Zug-um-Zug-Abwicklung) verlangt werden (Endurteil vom 25. April 2023 zu 10 Ob 2/23a Rz 35), was eine hinreichend wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den geltend gemachten Verstoß darstellt.

[31] II.1.6. Auf einen Verstoß gegen emissionsrechtliche Vorschriften des Unionsrechts kann das Feststellungsbegehren daher nicht gestützt werden.

[32] II.2. Die Klägerin berief sich überdies auf eine arglistige Irreführung iSd § 874 ABGB und auf eine vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB.

[33] II.2.1. Konkret brachte sie dazu vor, dass die Beklagte vorsätzlich und absichtlich Fahrzeuge in Verkehr gebracht habe, die im Auslieferungszeitpunkt weder typengenehmigungsfähig noch zulassungsfähig gewesen seien (ON 1 Seite 2, ON 3 Seiten 2, 11 f) und zu einem unangemessen überhöhten Kaufpreis verkauft worden wären (ON 3 Seite 29).

[34] II.2.2. Dieses Vorbringen zielte auf das (mangels Feststellbarkeit einer Wertminderung rechtskräftig abgewiesene) Zahlungsbegehren ab. Der darin enthaltene Vorwurf bezog sich ausschließlich auf die vorsätzliche Nichteinhaltung zulassungsrechtlicher Vorschriften und eine Täuschung potentieller Käufer darüber. Selbst wenn dieser Vorwurf auf Tatsachenebene zuträfe und die Beklagte wie vorgebracht vorsätzlich nicht zulassungsfähige Fahrzeuge in Verkehr gebracht hätte und dabei in Kauf genommen hätte, dass die Fahrzeuge zu einem unangemessen überhöhten Preis verkauft worden wären, läge der dadurch verursachte Schaden im Abschluss des vorliegenden Kaufvertrags, der somit gegebenenfalls rückgängig zu machen oder dahin anzupassen wäre, dass die EG-Typengenehmigung bzw die Zulassung nicht mehr in Frage gestellt wird. Eine Haftung für – die Zulassung nicht berührende – Reparatur- oder Wartungskosten ergäbe sich daraus umgekehrt nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung aus der (ursprünglich vorhandenen) „Umschaltlogik“ oder dem (vor ihrem Erwerb) durchgeführten Software-Update („Thermofenster“) ableitet. Es fehlen daher keine Tatsachenfeststellungen zum behaupteten Vorsatz und es bedarf auch der vom Berufungsgericht geforderten diesbezüglichen Erörterung nicht. Im Übrigen geht die Prozessleitungspflicht nicht so weit, die Klägerin etwa auf Rechtsgründe, die sich nicht einmal andeutungsweise aus den vorgetragenen (und allenfalls zu ergänzenden oder zu präzisierenden) Tatsachen ergeben, sondern ein anderes Tatsachenvorbringen erfordern, hinweisen zu müssen (RS0120057 [T2]).

[35] II.2.3. Soweit das Berufungsgericht überdies die Formulierung und den Inhalt des Feststellungsbegehrens als erörterungsbedürftig ansah, kommt es darauf mangels Haftung der Beklagten für die hier geltend gemachten Spät- und Dauerfolgen nicht weiter an. Im Übrigen ist klarzustellen, dass die rechtskräftige Verneinung eines Anspruchs auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt beschränkt ist (RS0041572 [T10]).

[36] II.3.1. Die von der Klägerin angeführten Rechtsgründe vermögen das erhobene Feststellungsbegehren daher nicht zu tragen. Aufgrund der gegebenen Spruchreife auch in Ansehung dieses Begehrens ist dem Rekurs Folge zu geben, der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichts in dem das Klagebegehren auch insofern abweisenden Sinn abzuändern.

[37] II.3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO, im Berufungs- und Rekursverfahren iVm § 50 ZPO.

[38] Die von der Beklagten in erster Instanz verzeichnete Vollmachtsbekanntgabe vom 16. November 2020 (ON 2) war – wie die Klägerin in den Einwendungen gegen die Kostennote der Beklagten zutreffend geltend macht – jedoch nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig. Die Rechtsposition der Beklagten nachteilig berührenden Gründe dafür, dass die Erteilung einer Vollmacht nicht zugleich mit dem vorbereitenden Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 (ON 4) bekannt gegeben wurde, sind nicht ersichtlich. Von der Beklagten befürchtete Zustellfehler bei einer an sie selbst (anstatt an ihre Vertreterin) erfolgenden Zustellung (etwa des vorbereitenden Schriftsatzes der Klägerin) rechtfertigen keine höhere Belastung des Gegners mit einer Vollmachtsbekanntgabe, deren Zweck auch mit der Einbringung des vorbereitenden Schriftsatzes erreicht werden hätte können. Bei der Prüfung der Zweckmäßigkeit ist die Vermeidung von Mehrkosten und nicht die Arbeitsersparnis des Gerichts maßgeblich ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.249).

[39] Die Beklagte, die ihren Sitz in Deutschland hat, verzeichnete überdies eine Umsatzsteuer von „19 %“, womit erkennbar die deutsche Umsatzsteuer in Höhe von 19 % angesprochen wird (vgl RS0114955 [T12]). Entgegen der von der Klägerin in den Einwendungen gegen die Kostennote der Beklagten vertretenen Rechtsansicht galt der reduzierte Umsatzsteuersatz von 16 % lediglich für im Zeitraum von 1. Juli 2020 bis 31. Dezember 2020 ausgeführte Leistungen. Die in diesem Zeitraum liegenden Verfahrenshandlungen der Beklagten beendeten den Auftrag bzw Rechtszug nicht (s § 8 Abs 1 dRVG) und sind daher nicht als selbständige Teilleistungen iSd § 13 Abs 1 Z 1 lit a dUStG anzusehen.

[40] Die Bemessungsgrundlage im Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof betrug lediglich 2.000 EUR.

Rechtssätze
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