Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart Mutzl, Dr. in Sembacher und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision der Ö in W, vertreten durch die Onz Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 7. Dezember 2021, 1. VGW 111/024/10825/2019 140, 2. VGW 111/V/024/10826/2019, 3. VGW 111/V/024/10827/2019, 4. VGW 111/V/024/10828/2019, 5. VGW 111/V/024/10829/2019, 6. VGW 111/V/024/10830/2019 und 7. VGW 111/V/024/10831/2019, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1. M W, 2. G S, 3. G S, 4. G R, 5. G R, 6. S K und 7. H B, alle in W, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.
1 Mit Bauansuchen vom 20. April 2018 beantragte die revisionswerbende Partei eine Baubewilligung zum Um und Zubau des auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien befindlichen Studentenwohnheims. Gegen das Vorhaben erhoben die mitbeteiligten Parteien im Rahmen der vor der belangten Behörde am 18. Jänner 2019 durchgeführten Bauverhandlung diverse Einwendungen.
2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. Juni 2019 wurde der revisionswerbenden Partei die Bewilligung erteilt, das bestehende Studentenwohnheim um ein ausgebautes Dachgeschoß aufzustocken und die Raumeinteilung durch Versetzen von Innenwänden abzuändern, straßen und gartenseitig Erker und Balkone herzustellen sowie in der Stiegenspindel einen vom zweiten Untergeschoß bis in das Dachgeschoß führenden Aufzugsschacht einzubauen.
3 Der dagegen von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis dahingehend statt, dass der Baubewilligungsbescheid der belangten Behörde vom 27. Juni 2019 aufgehoben und der Antrag auf Erteilung der Baubewilligung, bezogen auf näher genannte, datumsmäßig bestimmte Pläne, abgewiesen wurde. Weiters erklärte das Verwaltungsgericht eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig.
4 In der Begründung ging das Verwaltungsgericht davon aus, das Gebäude, an dem Änderungen und Zubauten projektiert seien, sei mit Bescheid vom 1. August 1961 baubewilligt worden. Vorgeschrieben worden sei mit diesem Bescheid unter anderem, dass rechtzeitig vor Beginn der Fassadenherstellung wegen der Farbgebung der Schauseiten das Einvernehmen mit der Magistratsabteilung 19 zu pflegen sei. Nach den dem Bescheid zugrundeliegenden Plänen sei das Gebäude in den Grundrissen mit einer Breite von 13,80 m kotiert, die Grundstücksbreite mit 19,80 m. Eine Darstellung der Fassade und ihrer Stärke in einer gesonderten Farbe finde sich in den Grundrissen nicht. Mit Änderungsbescheid vom 21. Juni 1963 sei unter anderem die Herstellung der Außenmauern als Stahlbetonskelettbau mit innerer Heraklithverkleidung bewilligt worden. In den dieser Bewilligung zugrundeliegenden Plänen sei die Breite des Gebäudes abermals mit 13,80 m kotiert. Die Legende zu den Grundrissen führe aus, dass die Außenmauern, welche mit einer Breite von 13,80 m kotiert seien, als Stahlbetonskelett (eingezeichnet in schwarzer Farbe) ausgeführt seien, welches mit einem Ziegelmauerwerk ausgefacht werden solle (eingezeichnet in roter Farbe) und innen mit Heraklith ausgekleidet werde (ebenfalls in roter Farbe). Die Darstellung einer Fassade und ihrer Stärke in einer gesonderten Farbe finde sich in den Grundrissen nicht. Am 5. Juli 1963 sei eine Benützungsbewilligung erteilt worden. Am 2. August 1972 sei die Änderung des Kapellendachs von Glasbausteinen auf ein Sheddach bewilligt worden. Am 24. Juli 1985 sei eine Änderung der Fassade durch Anbringung einer Wärmedämmung bewilligt worden. In dem zugrundeliegenden Einreichplan seien die Außenmauern des Gebäudes abermals mit einer Breite von 13,80 m kotiert. Darüber hinaus sei jeweils eine Wärmedämmung im Ausmaß von 5 cm kotiert, insgesamt sei die Breite des Gebäudes inklusive Wärmedämmung sohin mit 13,90 m kotiert. Die Legende des Planes führe zum Parapetbereich aus, dass eine Warmwand Kunststofffassade neu hergestellt werde. Im Fensterbereich werde laut Legende die Unterbaukonstruktion auf 30 mm aufgedoppelt und darauf Fassadendämmplatten und Glasal Fassadenplatten angebracht.
5 Durch Eintragung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft in den Grenzkataster im Jahr 2016 habe sich die im ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit 19,80 m zugrunde gelegte Grundstücksbreite verringert.
6 In den verfahrensgegenständlichen Einreichplänen sei das Bestandsgebäude mit einer Breite von 13,85 m „laut Vermessung“ (exklusive Wärmedämmung) kotiert. Sowohl das Stahlbetonskelett als auch die ausfachenden Ziegelmauern des Bestandsgebäudes seien mit 13,85 m Breite kotiert. Das bedeute, dass es sich bei den in den Einreichplänen als Bestand eingezeichneten Gebäudeteilen, mit welchen östlich und westlich in die absolut freizuhaltenden („alten“, gemeint: nach dem ursprünglichen Konsens bestehenden) Abstandsflächen von 3,00 m zur Grundgrenze hineingeragt werde, um einen Teil des Stahlbetonskeletts handle, nämlich jenen Teil, der die 13,80 m Gebäudebreite im Bestand überschreite. Dieses Stahlbetonskelett solle laut den Einreichplänen auch unverändert bestehen bleiben. Weiters werde mit einem Teil der ausfachenden Ziegelmauern in die absolut freizuhaltenden („alten“) Abstandsflächen hineingeragt, nämlich mit jenem Teil der Ziegelmauern, der die Gebäudebreite von 13,80 m im Bestand überschreite. Von diesen Ziegelmauern solle eine 10 cm dicke Schicht abgetragen werden, sodass selbst die von der neuen (geringeren) Grundstücksbreite errechnete Abstandsfläche eingehalten werde. Diese abzubrechende Schicht der Ziegelmauern sei in den Einreichplänen als abzubrechender Bestand gelb eingezeichnet. Bei den in die Abstandsflächen hineinragenden Gebäudeteilen, wie sie als Bestand in den Einreichplänen eingezeichnet seien, handle es sich den Einreichplänen zufolge nicht um Verputz bzw. Fassadenunterbau.
7 Sämtliche mitbeteiligten Parteien hätten sowohl in den Einwendungen als auch in ihrer Beschwerde die Verletzung von Abstandsvorschriften in östlicher und westlicher Richtung geltend gemacht. Die mitbeteiligten Parteien seien südlich, nördlich, östlich und westlich des Vorhabens situiert.
8 Projektiert sei, die 5 cm dicke Wärmedämmung, welche mit Bescheid vom 24. Juli 1985 bewilligt worden sei, östlich und westlich abzubrechen. Ebenso projektiert sei, 10 cm der ausfachenden Ziegelmauer abzubrechen.
9 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setze ein Zubau ebenso wie bauliche Änderungen einen konsentierten Altbestand voraus. Die Nichtbeachtung dieser Voraussetzung könne der Nachbar dann mit Erfolg geltend machen, wenn er dadurch in seinem Recht verletzt sei (Hinweis auf VwGH 12.6.2012, 2010/05/0167; 20.1.2015, 2013/05/0104). Die westlich und östlich situierten Nachbarn hätten die Verletzung der Abstandsvorschriften durch das Bestandsgebäude sowohl in ihren Einwendungen als auch in ihrer Beschwerde geltend gemacht. Bei dieser Einwendung handle es sich um ein subjektiv öffentliches Nachbarrecht im Sinn des § 134a Abs. 1 lit. a Bauordnung für Wien BO für Wien. Gemäß § 79 Abs. 3 BO für Wien müsse der Abstand der Gebäude von Nachbargrenzen in den Bauklassen I und II mindestens 6 m betragen, wobei in einem gewissen Ausmaß auf höchstens die Hälfte des Abstandes, das seien 3 m, herangerückt werden dürfe.
10 Hinsichtlich der Grundstücksbreite sei festzuhalten, dass diese im Baubewilligungsbescheid vom 1. August 1961 mit 19,80 m angegeben worden sei. Für die Frage, ob und mit welchen Bauteilen durch das Vorhaben in die Abstandsflächen hineingeragt werden dürfe, sei diese Grundstücksbreite heranzuziehen (Hinweis auf VwGH 19.1.1999, 97/05/0115).
11Maßgeblich für die getroffene Entscheidung sei nicht, ob das tatsächlich errichtete Gebäude ein aliud darstelle (Hinweis auf VwGH 23.4.2021, Ra 2019/06/0161), sondern ob der Konsens richtig in den Plänen eingezeichnet sei. Maßgeblich sei auch nicht, ob mit dem eingezeichneten Bestand die neuen, durch Eintragung in den Grenzkataster 2016 schmäler gewordenen Abstandsflächen einzuhalten wären; entscheidend sei, ob mit dem als konsentiert eingezeichneten (nicht: tatsächlich errichteten) Bestand in die im Bescheid vom 1. August 1961 zugrunde gelegten Abstandsflächen hineingeragt werde und ob dieses Hineinragen konsentiert sei. Verfahrensgegenständlich sei der Konsens in den Einreichplänen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes unrichtig dargestellt. In den Einreichplänen sei der „Bestand laut Vermessung“ mit einer Breite von 13,85 m eingezeichnet. Bewilligt sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes lediglich eine Gebäudebreite von 13,80 m, wobei eine Grundstücksbreite von 19,80 m zugrunde gelegt worden sei. In der Folge legte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung dar, warum es anhand der bisherigen Bewilligungen davon ausgehe, dass der Konsens eine bewilligte Gesamtgebäudebreite von 13,80 m und nicht wie von der revisionswerbenden Partei behauptet von 13,85 m aufweise. Das lediglich mit einer Gesamtbreite von 13,80 m bewilligte Gebäude (zuzüglich jeweils 5 cm Wärmedämmung) sei in dieser Breite auch in den Einreichplänen darzustellen. Die im Bescheid vom 1. August 1961 zugrunde gelegte Grundstücksbreite habe 19,80 m betragen (seit Eintragung in den Grenzkataster 2016 sei dieses Grundstück schmäler). Das mit 13,85 m Breite eingezeichnete Bestandsgebäude rage daher in seiner planlichen Darstellung in die Abstandsflächen hinein, weshalb die östlichen und westlichen Nachbarn durch das Projekt (das seien die auf einem konsentierten Bestand aufzusetzenden Änderungen und Zubauten) in ihren subjektiv öffentlichen Nachbarrechten verletzt seien. Da der Bestand nicht korrekt eingezeichnet sei, sei der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Bewilligung von Änderungen bzw. Zubauten schon aus diesem Grund abzuweisen.
12 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes seien die Nachbarn in ihrem subjektiv öffentlichen Recht auf Einhaltung der Abstandsflächen durch das Projekt auch dann verletzt, wenn in absolut freizuhaltende Abstandsflächen nicht (bloß) durch einen vermeintlich zusätzlich zur Gebäudebreite bewilligten Verputz bzw. solche Schauseitenverkleidungen in einer nicht näher definierbaren Stärke, sondern mit dem tragenden Stahlbetonskelett und den Ziegelmauern hineingeragt werde.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
14 Die mitbeteiligten Parteien sowie die belangte Behörde erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung. Die mitbeteiligten Parteien beantragten die Zurück , in eventu Abweisung der Revision sowie den Zuspruch von Aufwandersatz im gesetzlichen Ausmaß. Die belangte Behörde beantragte die Zulassung der Revision und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.
15In der Zulässigkeitsbegründung macht die revisionswerbende Partei geltend, es komme in einem Projektgenehmigungsverfahren darauf an, welcher Zustand projektgemäß herbeigeführt werden solle (Hinweis auf VwGH 15.12.2021, Ra 2020/05/0251). Maßgeblich sei der in den Einreichunterlagen dokumentierte Bauwille (Hinweis auf VwGH 15.3.2021, Ra 2020/05/0011). Von dieser Rechtsprechung weiche das Verwaltungsgericht ab, indem es eine Verletzung der mitbeteiligten Parteien in ihren Rechten aus der im Einreichplan dargestellten Breite des Bestandsgebäudes ableite. Richtigerweise sei auf den projektgemäß herzustellenden Zustand abzustellen. Dies sei im vorliegenden Fall eindeutig ein Gebäude, das einen Abstand von 3,00 m von den seitlichen Grundstücksgrenzen aufweise und somit die mitbeteiligten Parteien nicht in ihren subjektiv öffentlichen Rechten verletze. Überdies sei die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte auf die Frage einer Verletzung von subjektivöffentlichen Rechten der mitbeteiligten Parteien beschränkt (Hinweis auf VwGH 30.3.2017, Ro 2015/03/0036; 25.10.2018, Ra 2018/09/0110). Daraus folge, dass das Verwaltungsgericht im Fall des Rechtsmittels eines Nachbarn auf jene Fragen beschränkt sei, hinsichtlich derer diesem ein Mitspracherecht zukomme. Indem das Verwaltungsgericht vermeintliche Mängel der Einreichunterlagen aufgreife, die keine Verletzung der subjektiv öffentlichen Rechte der mitbeteiligten Parteien durch das verfahrensgegenständliche Projekt zur Folge hätten, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision erweist sich im Hinblick auf die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beschränkung der Prüfbefugnis auf die Frage einer Verletzung von subjektiv öffentlichen Nachbarrechten als zulässig; sie ist auch begründet.
17 § 134a Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung der Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25/2014 (vgl. die Übergangsbestimmung des Artikels VII Abs. 1 der Bauordnungsnovelle 2018, LGBl. Nr. 69/2018), lautet auszugsweise:
„ Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte
§ 134 a. (1) Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:
a) Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;
...“
18 Die Revision bringt zusammengefasst vor, das eingereichte Projekt in jener Fassung, auf die sich der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses beziehe, sehe ausdrücklich eine Änderung der seitlichen Außenwände mit dem Ergebnis vor, dass diese einen Abstand zur seitlichen Grundstücksgrenze von 3,00 m aufwiesen. Dass der Bauwille der revisionswerbenden Partei auf einen Endzustand abziele, in dem das Gebäude den gesetzlichen Mindestabstand von 3,00 m einhalte, habe die revisionswerbende Partei ausdrücklich klargestellt. Da es sich beim Baubewilligungsverfahren um ein Projektgenehmigungsverfahren handle, in dem der projektgemäß herzustellende Zustand maßgeblich sei, seien ausschließlich jene Seitenabstände relevant, die das gegenständliche Gebäude nach Umsetzung des Vorhabens aufweisen solle. Ob das im Einreichplan dargestellte „Bestandsgebäude“ in die Abstandsflächen hineinrage, sei unerheblich, weil der Bauwille der revisionswerbenden Partei auf die Herstellung eines Zustandes abziele, der den Anforderungen des § 84 Abs. 1 BO für Wien entspreche. Es liege daher keinesfalls eine Verletzung jener Abstandsvorschriften vor, auf deren Einhaltung den mitbeteiligten Parteien (präzise: einzelnen von ihnen) ein subjektivöffentliches Nachbarrecht zukomme. Dass das Verwaltungsgericht die Grenzen seiner Prüfbefugnis nicht ausreichend beachte, zeige auch der Umstand, dass es die Beschwerden aller mitbeteiligten Parteien gleichbehandelt habe und mit keinem Wort darauf eingegangen sei, welchem der Nachbargrundstücke die Außenwände, deren Darstellung beanstandet werde, zugewandt seien. Im Übrigen hätten die mitbeteiligten Parteien im Zuge ihrer umfangreichen Einwendungen nicht geltend gemacht, dass das Gebäude der revisionswerbenden Partei die Vorschriften über den einzuhaltenden Seitenabstand verletze. Sie seien diesbezüglich daher im Sinn des § 42 Abs. 1 AVG präkludiert.
19 Ein Mangel der Einreichunterlagen, der sich aus einer fehlerhaften Darstellung des konsensgemäßen Bestandes ergebe, wäre vom Verwaltungsgericht nur dann aufzugreifen, wenn die mitbeteiligten Parteien durch diesen Mangel an der Geltendmachung ihrer Rechte gehindert wären. Dem Nachbarn stehe nämlich lediglich ein Anspruch darauf zu, dass ihm die vorgelegten Planunterlagen jene Informationen vermitteln, die er zur Verfolgung seiner Rechte brauche (Hinweis auf VwGH 25.2.2005, 2003/05/0099). Da die vorgelegten Einreichpläne mit ausreichender Klarheit zeigten, dass das projektgemäß abgeänderte Gebäude die Abstandsvorschriften einhalte, habe die Darstellung der Breite des bestehenden Gebäudes für die Rechte der mitbeteiligten Parteien keine Relevanz. Das Verwaltungsgericht sei daher von vornherein nicht befugt, den vermeintlichen Mangel der Darstellung des bestehenden Gebäudes aufzugreifen.
20 Wenn entgegen der Ansicht der revisionswerbenden Partei die Angaben über die Breite des bestehenden Gebäudes für die Beurteilung der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien irgendeine Bedeutung haben sollte, wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen, in seine Entscheidung die diesbezüglichen Klarstellungen der revisionswerbenden Partei in ihrem Schriftsatz vom 11. Dezember 2021, welcher vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses beim Verwaltungsgericht eingelangt sei, einfließen zu lassen. Da mit dem angefochtenen Erkenntnis das Bauansuchen der revisionswerbenden Partei abgewiesen worden sei, hätte die Begründung des Verwaltungsgerichtes auf die zur Abweisung führenden inhaltlichen Mängel eingehen müssen. Die Begründung beziehe sich ausschließlich auf formelle Mängel der Einreichunterlagen. Bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels wäre das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Baubewilligung zu erteilen sei bzw. dass der revisionswerbenden Partei im äußersten Fall der Auftrag zur Korrektur der Einreichunterlagen zu erteilen sei. Keineswegs sei mit einer Abweisung des Bauansuchens vorzugehen gewesen.
21 Zu klären ist im vorliegenden Fall, ob das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Wahrnehmung der Verletzung subjektiv öffentlicher Nachbarrechte seinen Prüfmaßstab entgegen der hg. Judikatur überschritten hat.
22Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist das Mitspracherecht der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als den Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem die Nachbarn solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht haben (vgl. etwa VwGH 4.12.2020, Ra 2019/05/0294, Rn. 76, mwN).
23Weiters bedeutet der in § 134a Abs. 1 BO für Wien enthaltene Nebensatz „sofern sie ihrem Schutze dienen“, dass jeder Nachbar die Nachbarrechte nur soweit geltend machen kann, als er, insbesondere im Hinblick auf die Situierung des Bauvorhabens, durch deren Nichteinhaltung betroffen wäre. So hat etwa jeder Nachbar nur hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsvorschriften, die sich gegenüber seiner Liegenschaft auswirken, ein Mitspracherecht (vgl. ebenso VwGH 4.12.2020, Ra 2019/05/0294, Rn. 77, mwN). Das bedeutet auch, dass trotz objektiven Verstoßes gegen eine unter § 134a BO für Wien subsumierbare baurechtliche Vorschrift die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes eines Nachbarn dann nicht vorliegt, wenn in subjektive Rechte des Nachbarn nicht eingegriffen werden kann (vgl. VwGH 13.12.2016, 2013/05/0216). Die Nachbarn können durch eine erteilte Baubewilligung nur dann in ihren subjektiv öffentlichen Rechten verletzt sein, wenn ihre öffentlich-rechtlichen Einwendungen von den Baubehörden (bzw. vom Verwaltungsgericht) in rechtswidriger Weise nicht berücksichtigt worden sind (vgl. VwGH 25.2.2011, 2009/05/0220).
24Eine Einwendung im Sinne des § 42 Abs. 1 erster Satz AVG liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts geltend macht, wobei seine diesbezüglichen Erklärungen weil diese, insbesondere wenn sie von nicht rechtskundig vertretenen Parteien stammen, nicht selten auslegungsbedürftig sindnicht nur ihrem Wortlaut nach, sondern auch nach ihrem Sinn zu beurteilen sind. Die Einwendung muss dabei jedenfalls erkennen lassen, aus welchen Gründen sich der Nachbar gegen das Vorhaben wendet. Ein bestimmtes Recht muss nicht genannt werden, und es kommt dabei letztlich auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. etwa VwGH 18.6.2024, Ra 2021/05/0114, Rn. 18, mwN).
25 Zwar setzt die Bewilligung eines Zu , Umbaues oder einer baulichen Änderung voraus, dass der Altbestand einen Konsens hat (vgl. VwGH 31.1.2012, 2010/05/0146, mwN). Eine Nichtbeachtung dieser Voraussetzung könnte der Nachbar allerdings nur dann mit Erfolg geltend machen, wenn er dadurch in einem Recht (hier: gemäß § 134a BO für Wien) verletzt wäre (vgl. zur NÖ Bauordnung 1996 VwGH 12.6.2012, 2010/05/0223; 27.8.2014, 2012/05/0027, mwN).
26Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Blick auf die Tiroler Bauordnung 2018 festgehalten hat, sind die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. September 1995, 94/06/0018, dargelegten Grundsätze zur Verletzung der Nachbarrechte auf einen Fall übertragbar, in dem es nicht um das Erlöschen der Baubewilligung geht, sondern um die Einwendung der Abweichung des abzuändernden Bauwerks vom Konsens. In einem solchen Fall müsste die Bauwerberin, wenn das Bestandsgebäude nicht konsensgemäß errichtet worden wäre, eine nachträgliche Bewilligung des Bestandes beantragen und die Nachbarn könnten in diesem Verfahren ihre Nachbarrechte geltend machen (vgl. VwGH 18.4.2023, Ra 2021/06/0135).
27 Zunächst ist klarzustellen, dass das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung ihrem gesamten Inhalt nach hinreichend deutlich die Auffassung vertreten hat, der im Einreichplan eingezeichnete Bestand entspreche im Hinblick darauf, dass mit einem Teil des Stahlbetonskeletts und einem Teil der ausfachenden Ziegelmauern in die laut Konsens vom 1. August 1961 zu berücksichtigende Abstandsfläche zu den östlichen und westlichen Nachbarn geragt werde, nicht dem damaligen Konsens. Ein Zu und Umbau erfordere jedoch das Vorliegen des entsprechenden Konsenses für den Bestand. Anders als die revisionswerbende Partei vermeint, wurde daher nicht bloß ein formeller Mangel der Einreichunterlagen aufgegriffen und es wurde die inhaltliche Entscheidung diesbezüglich auch ausreichend begründet.
28 Um aufgrund einer Nachbarbeschwerde mit dieser Begründung zu einer Abweisung des Bauansuchens zu gelangen, bedarf es zunächst einer Einwendung, die erkennen lässt, dass eine Nachbarrechtsverletzung gerade durch den Umstand der Nichtbeachtung der Konsenswidrigkeit des Bestandes erfolgt.
29 Die revisionswerbende Partei bestreitet, dass die mitbeteiligten Parteien Einwendungen zur Verletzung des Seitenabstandes durch den Bestand erhoben hätten.
30 Die mitbeteiligten Parteien erwidern dem in ihrer Revisionsbeantwortung, (vor allem) die westlich und östlich situierten Nachbarn hätten die Verletzung der Abstandsvorschriften durch das Bestandsgebäude sowohl in ihren Einwendungen als auch in ihrer Beschwerde geltend gemacht.
31 Ausweislich der Verwaltungsakten haben die mitbeteiligten Parteien lediglich im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde durch Verweis auf eine schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen Dipl. Ing. S vorgebracht, die östlichen Seitenabstände betrügen entgegen dem Konsens weniger als 3,00 m; das Bestandsgebäude sei im Hinblick auf den östlichen Seitenabstand konsenswidrig errichtet worden. Eine auf eine Rechtsverletzung durch die Nichtbeachtung des konsenswidrigen Bestandes bezogene Einwendung wurde somit (nur) von den östlichen Nachbarn rechtzeitig erhoben.
32 Das Verwaltungsgericht hat in der Begründung der angefochtenen Entscheidung eine Verletzung von Nachbarrechten der nicht näher bezeichneten östlichen und westlichen Nachbarn angenommen und im Spruch der Beschwerde sämtlicher Nachbarn die nach den Feststellungen südlich, nördlich, östlich und westlich des Vorhabens situiert seien stattgegeben. Dadurch, dass das Verwaltungsgericht auch gegenüber den südlichen, nördlichen und westlichen Nachbarn eine Verletzung ihrer Nachbarrechte durch die auf einem nicht konsentierten Bestand aufbauenden baulichen Änderungen angenommen hat, obwohl diese keine entsprechende rechtzeitige Einwendung erhoben haben, hat es die angefochtene Entscheidung insoweit mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
33 Was die östlichen Nachbarn betrifft, so ist weiter zu klären, ob diese durch einen in der im Einreichplan dargestellten Form nicht konsentierten Altbestand in ihrem subjektiv öffentlichen Recht auf Freihaltung der Abstandsfläche verletzt sein können, wenn eine allenfalls zuvor bestehende Abstandsverletzung mit dem eingereichten Vorhaben saniert werden soll.
34Bei einem Baubewilligungsverfahren handelt es sich um ein Projektgenehmigungsverfahren, in dem das in den Einreichplänen und sonstigen Unterlagen dargestellte Projekt zu beurteilen ist, wobei der in den Einreichplänen und den Baubeschreibungen zum Ausdruck gebrachte Bauwille des Bauwerbers entscheidend ist (vgl. VwGH 5.3.2014, 2010/05/0092; 4.5.2020, Ra 2019/05/0291, mwN). Ausgangspunkt der Prüfung ist somit das eingereichte und in den Einreichplänen dargestellte Projekt. Es ist daher jener Bestand in den Blick zu nehmen, der in den Einreichplänen als solcher dargestellt ist.
35 Das eingereichte Projekt ist dahingehend zu beurteilen, ob jene konsenslosen Bauteile, die geeignet sind, in subjektive Rechte der Nachbarn einzugreifen, Grundlage für die beantragten weiteren Baumaßnahmen darstellen oder vom Bauvorhaben allenfalls gar nicht berührt werden, oder ob sie zwar berührt, aber derartig rückgebaut werden, dass die Nachbarrechte nicht mehr beeinträchtigt werden können. Sieht das eingereichte Bauvorhaben projektgemäß die Entfernung jener nicht konsentierten und Grundlage der geplanten baulichen Änderung bildenden Bauteile vor, die die Nachbarn zuvor in ihrem Recht auf Freihaltung des Seitenabstandes verletzten, so kommt ebendiese Verletzung des Nachbarrechtes durch das Bauvorhaben nicht mehr in Betracht, selbst wenn die zu entfernenden Bauteile in der ursprünglichen Baubewilligung keine Deckung fanden. Die Nichtberücksichtigung eines unrechtmäßigen Bestandes wirkt sich in einem solchen Fall nicht als Beeinträchtigung subjektiv öffentlicher Nachbarrechte aus. Ob eine auf die vorliegenden Einreichpläne gestützte Bewilligung objektiv rechtswidrig wäre, ist für die Frage der Beeinträchtigung subjektiv öffentlicher Nachbarrechte nicht von Bedeutung.
36 Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass jedenfalls in Bezug auf die ausfachenden Ziegelmauern, von denen ausweislich der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis projektgemäß jene 10 cm abgebrochen werden sollen, die entgegen dem ursprünglichen Konsens in die Abstandsfläche ragen, keine Verletzung des Nachbarrechts auf Freihaltung des Seitenabstandes in Betracht kommt.
37 Allerdings hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass mit Teilen des Stahlbetonskeletts ebenfalls konsenslos in die Abstandsflächen geragt wird und das Projekt diesbezüglich keine Änderung vorsieht. Das Stahlbetonskelett bildet als tragende Konstruktion die Grundlage für die Aufstockung des Studentenwohnheimes, sodass in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Abstandsbestimmungen in Betracht kommt. Die revisionswerbende Partei behauptet dazu, sie hätte noch vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2021 Klarstellungen zur Gebäudebreite abgegeben, die vom Verwaltungsgericht zu berücksichtigen gewesen wären.
38 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass eine wenn auch nach Ablauf der eingeräumten Frist, abervor Erlassung des Bescheides erstattete Stellungnahme von der Behörde zu berücksichtigen ist; dies selbst dann, wenn der Bescheid schon vorher abgefertigt wurde. Maßgeblich ist, ob sich ein Schriftsatz zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides in der Sphäre der belangten Behörde befindet (vgl. zu alldem etwa VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0059, mwN). Dies gilt gleichermaßen für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, das in der Regel auch die Sachund Rechtslage zum Entscheidungszeitpunkt zugrunde zu legen hat (vgl. etwa VwGH 16.10.2023, Ro 2021/05/0037, Rn. 30).
39 Der besagte Schriftsatz vom 11. Dezember 2021 langte am 13. Dezember 2021 beim Verwaltungsgericht ein. Das angefochtene Erkenntnis wurde nach der Aktenlage gegenüber der revisionswerbenden Partei zwar erst am 13. Dezember 2021 erlassen, gegenüber der belangten Behörde jedoch bereits am 10. Dezember 2021, sodass im Zeitpunkt des Einlangens der Stellungnahme der revisionswerbenden Partei beim Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis bereits erlassen war. Das Verwaltungsgericht hatte diese Stellungnahme demnach nicht mehr zu berücksichtigen.
40 Da nach dem Gesagten jedenfalls aufgrund der Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in Bezug auf das Stahlbetonskelett kein Konsens für dessen Lage im Seitenabstand gegeben ist und das Bauvorhaben diese Tragkonstruktion unberührt lässt, liegt insoweit im Fall der Bewilligung des Bauvorhabens eine Verletzung der östlichen Nachbarn nur diese haben rechtzeitig eine diesbezügliche Einwendung erhoben im Recht auf Freihaltung des Seitenabstandes vor.
41 Das angefochtene Erkenntnis war jedoch insgesamt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, weil es eine Zuordnung der mitbeteiligten Parteien als nördliche, östliche, südliche oder westliche Nachbarn und damit einen differenzierenden Abspruch nicht zulässt.
42Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Antrag der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kostenersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 VwGG der Rechtsträger, in dessen Namen die belangte Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren tätig geworden ist, Anspruch auf Aufwandersatz nur im Falle einer Abweisung der Revision, nicht aber im Falle der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, hat (vgl. VwGH 6.2.2023, Ra 2021/05/0047).
Wien, am 19. November 2024