JudikaturVwGH

Ra 2021/05/0114 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Baurecht
18. Juni 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart Mutzl, Dr. in Sembacher und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der M F in B, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14, gegen das am 14. Juli 2020 mündlich verkündete und am 5. August 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich LVwG 152629/14/EW, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadtgemeinde B; mitbeteiligte Partei: H GmbH in B, vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner, Mag. Claudia Oberlindober und Mag. Harald Gursch, Rechtsanwälte in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 2; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadtgemeinde Bad Hall hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Antrag vom 19. November 2019, bei der belangten Behörde eingegangen am 6. Dezember 2019, beantragte die mitbeteiligte Partei die Baubewilligung für den Abbruch einer Garage und den Neubau einer Wohnhausanlage mit 13 Wohnungen auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG B. Die Revisionswerberin ist u.a. Eigentümerin des im Nordwesten an das Baugrundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücks.

2 Im Zuge der von der belangten Behörde am 9. Jänner 2020 durchgeführten Bauverhandlung erhob die Revisionswerberin Einwendungen gegen das geplante Bauvorhaben im Hinblick auf eine behauptete unkontrollierte Zuleitung von Oberflächenwässern auf ihr Grundstück und erhebliche Schallreflexionen durch die Dimensionierung und Lage des geplanten Neubaus neben der Bundesstraße. Des Weiteren beeinträchtige das geplante Bauvorhaben aus näher genannten Gründen das Ortsbild, und die Stadtgemeinde B. habe dessen Errichtung durch Erlassung eines Bebauungsplanes entgegenzuwirken.

3 Mit Bescheid vom 14. Februar 2020 erteilte die belangte Behörde der mitbeteiligten Partei die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung näher genannter Auflagen und führte in der Bescheidbegründung u.a. aus, die Einwendungen der Revisionswerberin hinsichtlich der unkontrollierten Zuleitung von Oberflächenwässern seien aus näher genannten Gründen zurückzuweisen.

4 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in welcher sie u.a. vorbrachte, die Zurückweisung ihrer Einwendungen hinsichtlich der unzulässigen Zuleitung von Oberflächenwässern und der daraus resultierenden Gefährdungen für die Bausubstanz und Standfestigkeit des Untergrundes am Grundstück der Revisionswerberin sei rechtswidrig erfolgt. Das Außer Acht Lassen der dahingehenden Einwendung widerspreche der aktuellen Fassung der Oö. Bauordnung 1994 Oö. BauO 1994 bzw. des Oö. Bautechnikgesetzes 2013 Oö. BauTG 2013. Gemäß § 13 Oö. BauTG 2013 müsse bei Bauwerken unter Berücksichtigung ihres Verwendungszwecks für das Sammeln und Beseitigen der Ab und Niederschlagswässer vorgesorgt sein. Die dazu notwendigen Anlagen zur Sammlung und Beseitigung der Ab und Niederschlagswässer seien so auszuführen, dass diese auf hygienisch einwandfreie, gesundheitlich unbedenkliche und belästigungsfreie Art gesammelt und beseitigt würden. Die Tragfähigkeit des Untergrundes und die Trockenheit von Bauwerken dürfe durch Anlagen zum Sammeln und Beseitigen der Ab und Niederschlagswässer nicht beeinträchtigt werden. Enthielten Projektunterlagen bloß unzureichende Angaben über die Form der Abwasserbeseitigung, habe die Baubehörde eine Ergänzung der Projektunterlagen aufzutragen und die ergänzten Unterlagen allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen auf die Übereinstimmung mit den baurechtlichen Vorschriften zu prüfen. Das vorliegende Bauprojekt sei insofern nicht genehmigungsfähig, als die Oberflächenwässer insbesondere aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht auf Eigengrund zur Versickerung gebracht werden könnten und die Wassermengen nicht gefahrlos für die Gebäudesubstanz der Revisionswerberin abgeleitet werden könnten. Die Dimensionierung der Retentionsanlage sollte zumindest geeignet sein, ein hundertjähriges Hochwasser bzw. Regenereignis schadenlos abwickeln zu können, was vorliegend nicht gegeben sei.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher die Entscheidung sogleich verkündet wurde, als unbegründet ab (I.) und erklärte eine Revision gegen dieses Erkenntnis für unzulässig (II.).

6 Begründend führte es soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Relevanz aus, zur Thematik der Versickerung der Oberflächenwässer sei auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der Nachbarn hinsichtlich Anlagen zur Beseitigung von Niederschlagswässern und Abwässern von einem Grundstück nur insoweit ein subjektiv öffentliches Recht zustehe, als damit Immissionen im Sinne von schädlichen Einflüssen auf ihr Grundstück einhergingen (Hinweis auf VwGH 29.9.2016, 2013/05/0193). Die Entsorgung der anfallenden Oberflächenwässer am Baugrundstück erfolge laut den vorliegenden Projektunterlagen im gegenständlichen Fall über zwei Retentionsbecken, welche in den öffentlichen Mischwasserkanal ableiten würden. Da keine baulichen Anlagen vorlägen, mit denen Oberflächenwässer auf das Grundstück der Revisionswerberin unmittelbar abgeleitet würden, komme der Revisionswerberin diesbezüglich auch kein Mitspracherecht zu. Soweit allenfalls nicht alle Niederschlagswässer entsorgt werden könnten, sei darauf zu verweisen, dass dem Nachbarn im Hinblick auf das ungehinderte Abfließen atmosphärischer Niederschläge von einem Nachbargrundstück kein Mitspracherecht zustehe (Hinweis erneut auf VwGH 29.9.2016, 2013/05/0193). Die diesbezügliche Einwendung der Revisionswerberin erweise sich daher als unzulässig, und ihren Beweisanträgen sei somit auch nicht zu entsprechen.

7 Mit § 13 Oö. BauTG 2013 setzte sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis (trotz des diesbezüglichen Beschwerdevorbringens der Revisionswerberin) nicht auseinander.

8 Dagegen erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. Februar 2021, E 3192/2020 5, ablehnte und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

9 In der nunmehr gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision begehrt die Revisionswerberin, jeweils verbunden mit einem Antrag auf Kostenersatz, das angefochtene Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass der Baubewilligungsantrag der mitbeteiligten Partei abgewiesen, in eventu der Bescheid der belangten Behörde aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen werde, oder das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

10 Zur Zulässigkeit wird in der Revision u.a. vorgebracht, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, derzufolge Nachbarn ein subjektiv öffentliches Recht auf Beseitigung der Niederschlagswässer von baulichen Anlagen insoweit zustehe, als damit Immissionen auf deren Grundstücke zur Debatte stünden, sei zu einer Rechtslage ergangen, in welcher der mit LGBl. Nr. 35/2013 erlassene § 13 Oö. BauTG 2013 noch nicht gegolten habe. Diese Bestimmung normiere ein subjektiv öffentliches Recht der Nachbarn hinsichtlich der „belästigungsfreien Sammlung und Beseitigung von Niederschlagswässern“. Zu den sich daraus ergebenden subjektiv öffentlichen Rechten der Nachbarn fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gänzlich.

11 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragt. Die mitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragt. Die Oberösterreichische Landesregierung sah von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision ist im Hinblick auf die in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfene Frage zulässig, ob § 13 Oö. BauTG 2013 Nachbarn ein subjektiv öffentliches Recht im Zusammenhang mit der Ableitung von Niederschlagswässern einräumt. Sie ist im Ergebnis auch begründet.

13 § 31 der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 Oö. BauO 1994, LGBl. Nr. 66/1994, in der hier relevanten Fassung LGBl. Nr. 34/2013, lautet auszugsweise:

§ 31

Einwendungen der Nachbarn

(1) Nachbarn sind

1. bei Wohngebäuden einschließlich der zugehörigen Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie der allenfalls vorgeschriebenen Neben und Gemeinschaftsanlagen: die Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen der Grundstücke, die vom zu bebauenden Grundstück höchstens zehn Meter, für die Nachbarrechte im Sinn des Abs. 5 höchstens 50 Meter, entfernt sind;

2. bei allen anderen Bauvorhaben: die Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen der Grundstücke, die vom zu bebauenden Grundstück höchstens 50 Meter entfernt sind.

Die Stellung als Nachbar besteht jedoch jeweils nur unter der Voraussetzung, dass diese Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen durch das Bauvorhaben voraussichtlich in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt werden können. [...]

[...]

(3) Nachbarn können gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, daß sie durch das Bauvorhaben in subjektiven Rechten verletzt werden, die entweder in der Privatrechtsordnung (privatrechtliche Einwendungen) oder im öffentlichen Recht (öffentlich rechtliche Einwendungen) begründet sind.

(4) Öffentlich rechtliche Einwendungen der Nachbarn sind im Baubewilligungsverfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie sich auf solche Bestimmungen des Baurechts oder eines Flächenwidmungsplans oder Bebauungsplans stützen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen. Dazu gehören insbesondere alle Bestimmungen über die Bauweise, die Ausnutzbarkeit des Bauplatzes, die Lage des Bauvorhabens, die Abstände von den Nachbargrenzen und Nachbargebäuden, die Gebäudehöhe, die Belichtung und Belüftung sowie jene Bestimmungen, die gesundheitlichen Belangen oder dem Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen dienen. [...]

[...]“

14 Das Oö. BauTG 2013, LGBl. Nr. 35/2013, lautet auszugsweise:

§ 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinn dieses Landesgesetzes bedeutet:

[...]

22. Schädliche Umwelteinwirkungen: Einwirkungen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und im Besonderen für die Benützerinnen und Benützer der baulichen Anlagen und die Nachbarschaft herbeizuführen, wie durch Luftverunreinigung, Lärm oder Erschütterungen; dazu zählen nicht Geräuscheinwirkungen von Kinderspielplätzen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen für Schulpflichtige oder ähnlichen Anlagen;

[...]

§ 3

Allgemeine Anforderungen

[...]

(3) Überdies müssen Bauwerke und alle ihre Teile so geplant und ausgeführt sein, dass

[...]

2. durch ihren Bestand und ihre Benützung schädliche Umwelteinwirkungen möglichst vermieden werden;

[...]

§ 13

Abwässer

(1) Bei Bauwerken muss unter Berücksichtigung ihres Verwendungszwecks für das Sammeln und Beseitigen der Abwässer und Niederschlagswässer vorgesorgt sein. Die Bestimmungen des Oö. Abwasserentsorgungsgesetzes 2001 bleiben unberührt.

(2) Die Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern sind so auszuführen, dass Abwässer und Niederschlagswässer auf hygienisch einwandfreie, gesundheitlich unbedenkliche und belästigungsfreie Art gesammelt und beseitigt werden.

(3) Die Tragfähigkeit des Untergrunds und die Trockenheit von Bauwerken darf durch Anlagen zum Sammeln und Beseitigen der Abwässer und Niederschlagswässer nicht beeinträchtigt werden.

(4) Die Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern müssen ohne großen Aufwand überprüft und gereinigt werden können.“

15 Die Revisionswerberin ist unstrittig Nachbarin im Sinne des § 31 Abs. 1 Z 1 Oö. BauO 1994 und hat ebenso unstrittig im Zuge der Bauverhandlung vor der belangten Behörde rechtzeitig Einwendungen gegen das geplante Bauvorhaben u.a. im Hinblick auf eine behauptete unkontrollierte Zuleitung von Oberflächenwässern auf ihr Grundstück erhoben.

16 Das Mitspracherecht von Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. für viele etwa VwGH 21.2.2024, Ro 2022/05/0011, mwN).

17 Die in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften sind jene des oberösterreichischen Baurechts und jene der für das Baugrundstück relevanten Flächenwidmungs und Bebauungspläne, sofern diese nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen (vgl. wiederum VwGH 21.2.2024, Ro 2022/05/0011, mwN). Die Aufzählung in § 31 Abs. 4 zweiter Satz Oö. BauO 1994 ist demonstrativ (vgl. „insbesondere“ in § 31 Abs. 4 leg. cit.), weshalb nicht ausgeschlossen ist, dass auch andere Bestimmungen des oberösterreichischen Baurechts oder eines Flächenwidmungsplanes oder eines Bebauungsplanes den Interessen der Nachbarschaft dienen (vgl. etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2018/05/0001, Rn. 31, mwN).

18 Eine Einwendung im Sinne des § 42 Abs. 1 erster Satz AVG liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiv öffentlichen Rechts geltend macht, wobei seine diesbezüglichen Erklärungen weil diese, insbesondere wenn sie von nicht rechtskundig vertretenen Parteien stammen, nicht selten auslegungsbedürftig sind nicht nur ihrem Wortlaut nach, sondern auch nach ihrem Sinn zu beurteilen sind. Die Einwendung muss dabei jedenfalls erkennen lassen, aus welchen Gründen sich der Nachbar gegen das Vorhaben wendet. Ein bestimmtes Recht muss nicht genannt werden, und es kommt dabei letztlich auf die Umstände des Einzelfalles an. Somit muss sich im gegebenen Zusammenhang aus dem Vorbringen ergeben, von welcher Art die befürchtete Immissionsbelastung z.B. Lärm, Geruch, Staub oder welche sonstige Einwirkung ist (vgl. etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2018/05/0043, Rn. 31, mwN).

19 Zur Begründung der Revision wird u.a. vorgebracht, § 13 Oö. BauTG 2013 in Verbindung mit § 31 Oö. BauO 1994 gewähre dem Nachbarn ein subjektiv öffentliches Recht darauf, dass Niederschläge ordnungsgemäß beseitigt würden und nicht auf die benachbarten Grundstücke abflössen. Gegenständlich sei nicht klar, ob Retentionszisternen im Bauprojekt überhaupt beantragt worden seien, jedenfalls seien dem Baubewilligungsantrag aber Angaben zu deren Abmessungen, zur Höhe und zur Frage, wo Niederschlagswässer aufgefangen werden sollten, nicht zu entnehmen. In den Einreichplänen sei lediglich dargestellt, wo sich die Retentionszisternen „grob“ befinden sollten; sonstige Angaben zum umbauten Raum, zur Größe, den verwendeten Baustoffen, Bauteilen oder der Bauart ließen die Unterlagen im Hinblick auf die Retentionszisternen vermissen. In Anbetracht dieser mangelhaften Unterlagen könne nicht ausgeschlossen werden, dass durch die beiden Retentionszisternen Niederschlagswässer auf die Grundstücke der Revisionswerberin unmittelbar zugeleitet würden.

20 Das Verwaltungsgericht vertrete die Rechtsansicht, dass die auf den nicht überbauten Kellerteilen auftreffenden Niederschläge, die anschließend auf das Grundstück der Revisionswerberin abflössen bzw. abgeleitet würden, kein subjektiv öffentliches Recht der Revisionswerberin verletzen könnten. Damit belaste es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, da der Revisionswerberin sehr wohl ein subjektiv öffentliches Nachbarrecht im Zusammenhang mit den abfließenden Niederschlagswässern zustehe. Aufbauend auf seiner unrichtigen Rechtsansicht habe das Verwaltungsgericht ausreichende Feststellungen zu den Wasserabflussverhältnissen unterlassen und auch das hierzu erforderliche Sachverständigengutachten nicht eingeholt.

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 29. September 2016, 2013/05/0193, mit der Frage der Ableitung von Abwässern durch (nach Behauptung der dortigen Einschreiter) zu kleine Sickerschächte, die nicht zur Wasserversickerung auf eigenem Grund geeignet seien, auseinandergesetzt. Im dortigen Fall (vgl. insb. Rn. 66) sprach der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf Vorjudikatur (VwGH 2.9.1998, 97/05/0143) aus, dass Nachbarn hinsichtlich Anlagen zur Beseitigung von Niederschlagswässern und Abwässern von einem Grundstück nur insoweit ein subjektiv öffentliches Recht zukam, als damit Immissionen im Sinne von schädlichen Einflüssen auf ihr Grundstück einhergingen. Die dort in Frage stehenden Sickerschächte auf dem Baugrundstück stellten keine baulichen Anlagen dar, mit denen Niederschlagswässer oder andere Wässer vom Baugrundstück beseitigt bzw. abgeleitet werden sollten; mit ihnen sollten vielmehr solche Wässer auf dem eigenen Grund zum Versickern gebracht werden. Zur Frage, ob mit diesen Sickerschächten allenfalls nicht alle Niederschlagswässer zum Versickern gebracht würden, wies der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass dem Nachbarn im Hinblick auf das ungehinderte Abfließen atmosphärischer Niederschläge von einem Nachbargrundstück ebenso kein Mitspracherecht zustand wie in Bezug auf allfällige Auswirkungen auf den Grundwasserstand.

22 Diese vom Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung tragend herangezogene Rechtsprechung, welche wie erwähnt auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. September 1998, 97/05/0143 (und diese wiederum auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Mai 1990, 90/05/0068, und 26. März 1985, 84/05/0178), zurückging, erging zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Oö. BauTG 2013 (am 1. Juli 2013), mit welchem unter anderem die hier in Rede stehende Bestimmung des § 13 Oö. BauTG 2013 in Geltung trat. Eine vergleichbare Konstellation zur Rechtslage in Oberösterreich nach Inkrafttreten des Oö. BauTG 2013 hatte der Verwaltungsgerichtshof bislang noch nicht zu entscheiden.

23 § 13 Oö. BauTG 2013 normiert in seinem Abs. 1 insbesondere, dass bei Bauwerken unter Berücksichtigung ihres Verwendungszweckes für das Sammeln und Beseitigen der Abwässer und Niederschlagswässer vorgesorgt sein muss. Gemäß § 13 Abs. 2 leg. cit. sind Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern so auszuführen, dass Abwässer und Niederschlagswässer auf hygienisch einwandfreie, gesundheitlich unbedenkliche und belästigungsfreie Art gesammelt und beseitigt werden. Abs. 3 der genannten Gesetzesbestimmung sieht vor, dass die Tragfähigkeit des Untergrunds und die Trockenheit von Bauwerken durch Anlagen zum Sammeln und Beseitigen der Abwässer und Niederschlagswässer nicht beeinträchtigt werden darf. Das bis 30. Juni 2013 in Geltung gestandene Oö. Bautechnikgesetz Oö. BauTG enthielt keine dem § 13 Oö. BauTG 2013 vergleichbare Bestimmung.

24 Fraglich ist im Revisionsfall, ob § 13 Oö. BauTG 2013 nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern im Sinne des § 31 Abs. 4 Oö. BauO 1994 auch dem Interesse der Nachbarschaft dient.

25 Den Materialien zum Oö. BauTG 2013 (Blg 846/2013 Oö. Ltg GP XXVII, 1 f) ist (nur) zu entnehmen, dass die technischen Bauvorschriften der Länder zum Teil erhebliche Unterschiede aufwiesen und das Interesse der Bauwirtschaft an einer Harmonisierung der technischen Bauvorschriften groß sei. Die im Jahr 2007 vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) beschlossenen Richtlinien seien von mehreren Bundesländern auf freiwilliger Basis in die jeweiligen Bauvorschriften übernommen worden. Das Oö. BauTG 2013 diene in erster Linie der Implementierung der den Stand der Bautechnik dokumentierenden und harmonisierten Richtlinien in das oberösterreichische Baurecht.

26 Die in Oberösterreich als verbindlich erklärte (vgl. § 9 Oö. Bautechnikverordnung 2013) OIB Richtlinie 3 vom April 2019 sieht in ihrem Punkt 3. betreffend Niederschlagswässer, Abwässer und sonstige Abflüsse insbesondere vor, dass Niederschlagswässer, die nicht als Nutzwasser verwendet werden, technisch einwandfrei zu versickern, abzuleiten oder zu entsorgen sind. Einrichtungen zur technisch einwandfreien Sammlung und Ableitung von Niederschlagswässern bei Bauwerken seien unter anderem dann erforderlich, wenn die beim Bauwerk anfallenden Niederschlagswässer auf Verkehrsflächen oder Nachbargrundstücke gelangen können. Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Oö. BauTG 2013 am 1. Juli 2013 in Geltung gestandene OIB Richtlinie 3, Fassung Oktober 2011, traf in ihrem Punkt 3. bezüglich Niederschlagswässer, Abwässer und sonstige Abflüsse dieselben Festlegungen.

27 Nach den oben dargelegten allgemeinen Erörterungen zur Zielsetzung der Neuerlassung des Oö. BauTG 2013 ist davon auszugehen, dass § 13 leg. cit. u.a. der Implementierung der in der OIB Richtlinie 3 festgeschriebenen Vorgaben dient, die etwa vorsehen, dass Einrichtungen zur technisch einwandfreien Sammlung und Ableitung von Niederschlagswässern dann erforderlich sind, wenn die beim Bauwerk anfallenden Niederschlagswässer auf Nachbargrundstücke gelangen können. Aus dieser Zielsetzung allein lässt sich die Frage, ob mit § 13 Oö. BauTG 2013 dem Nachbarn ein subjektiv öffentliches Recht eingeräumt werden sollte, noch nicht beantworten.

28 Zurückgegriffen werden kann zur Beantwortung dieser Frage jedoch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach welcher der Nachbar aus den im Oö. Bautechnikgesetz enthaltenen Bestimmungen über die allgemeinen Erfordernisse baulicher Anlagen allein noch kein subjektives öffentliches Recht ableiten kann, soweit aber die Grundsätze über die allgemeinen Anforderungen an bauliche Anlagen eine nähere Konkretisierung in Bezug auf den Schutz der Nachbarschaft enthalten, subjektiv öffentliche Nachbarrechte betroffen sein können (vgl. dazu bereits VwGH 27.8.1996, 96/05/0096, 17.12.1996, 96/05/0167, oder auch 12.10.2010, 2008/05/0065).

29 In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof zum Bundesland Oberösterreich etwa im Zusammenhang mit § 3 Abs. 3 Z 2 Oö. BauTG 2013 (Bauwerke und alle ihre Teile müssen so geplant und ausgeführt sein, dass durch ihren Bestand und ihre Benützung schädliche Umwelteinwirkungen möglichst vermieden werden) und § 2 Z 22 leg. cit. (schädliche Umwelteinwirkungen sind Einwirkungen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und im Besonderen für die Benützerinnen und Benützer der baulichen Anlagen und die Nachbarschaft herbeizuführen) bereits ausgesprochen, dass selbst dort, wo die Widmungskategorie den Nachbarn keinen Immissionsschutz gewährt, die Baubehörde zu überprüfen hat, ob durch das Bauvorhaben an der Grundgrenze schädliche Umwelteinwirkungen entfaltet werden (vgl. etwa VwGH 29.7.2021, Ra 2021/05/0082, mwN).

30 Im Zusammenhang mit Bebauungsplanbestimmungen hat der Verwaltungsgerichtshof auch bereits ausgesprochen, dass hinsichtlich der Bebauungsbeschränkung betreffend maximal 10 Prozent der Gesamtfläche des Bauplatzes durch Nebengebäude ein Nachbarrecht besteht (vgl. VwGH 21.2.2024, Ro 2022/05/0011, mwN), und zur Frage der Festlegung der Geschoßflächenzahl im Bebauungsplan dass dann, wenn eine solche im Bebauungsplan festgelegt ist, das in § 31 Abs. 4 Oö. BauO 1994 genannte Recht des Nachbarn auf Einhaltung der Bestimmungen über die Ausnutzbarkeit eines Bauplatzes unmittelbar auch die Einhaltung der Geschossflächenzahl betrifft (vgl. etwa VwGH 17.3.2006, 2005/05/0151, mwN).

31 Demgegenüber führte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung aber auch aus, dass die für die Widmung „Kurgebiet“ maßgebliche Bestimmung des § 22 Abs. 3 Oö. Raumordnungsgesetz 1994 nicht zu jenen Bestimmungen zählt, die iSd § 31 Abs. 4 Oö BauO 1994 auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen (vgl. VwGH 12.6.2012, 2009/05/0105), oder dass die Oö. BauO 1994 den Nachbarn bezüglich der Beschaffenheit des Bauplatzes, bezüglich des Anschlusses des Bauplatzes an das öffentliche Wegenetz oder auch bezüglich der Frage, ob dem Bauwerber ein entsprechender „Verkehrsflächenbeitrag“ vorzuschreiben ist, kein subjektives öffentliches Recht gewährt (vgl. 21.12.2010, 2009/05/0277), bzw. dass Vorschriften über die Schaffung von Stellplätzen nicht den Interessen der Nachbarn dienen (vgl. etwa VwGH 23.5.2002, 2001/05/0023, mwN).

32 Der allgemeine Nachbarschutz gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 2 Z 22 Oö. BauTG 2013 hat jedenfalls auch im Revisionsfall Geltung.

33 Die im Revisionsfall auszulegende Bestimmung des § 13 Oö. BauTG 2013 sieht in ihrem Abs. 2 vor, dass Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern so auszuführen sind, dass Abwässer und Niederschlagswässer auf hygienisch einwandfreie, gesundheitlich unbedenkliche und belästigungsfreie Art gesammelt und beseitigt werden. Des weiteren bestimmt Abs. 3 leg. cit., dass die Tragfähigkeit des Untergrunds und die Trockenheit von Bauwerken durch Anlagen zum Sammeln und Beseitigen der Abwässer und Niederschlagswässer nicht beeinträchtigt werden darf.

34 Der Gesetzgeber stellt mit der genannten Regelung zwar, ähnlich wie die oben genannte, zur alten Rechtslage in Oberösterreich ergangene und auf die allgemeinen Anforderungen des Oö. BauTG gestützte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ausdrücklich auf Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern ab; er sieht in diesem Zusammenhang jedoch erstmals ebenso ausdrücklich vor, dass diese so auszuführen sind, dass Abwässer und Niederschlagswässer u.a. auf belästigungsfreie Art gesammelt werden. Im Hinblick darauf, dass damit (ähnlich wie in § 3 Abs. 3 Z 2 Oö. BauTG 2013) explizit (auch) die Vermeidung von Belästigungen die schon nach ihrem Wortsinn jedenfalls auch die Nachbarschaft betreffen können angesprochen wird, ist davon auszugehen, dass diese Regelung nicht bloß ein allgemeines Erfordernis baulicher Anlagen betrifft, sondern im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 27.8.1996, 96/05/0096, 17.12.1996, 96/05/0167, oder auch 12.10.2010, 2008/05/0065) eine Konkretisierung in Bezug auf den Schutz der Nachbarschaft enthält; dies auch vor dem Hintergrund der damit beabsichtigten Umsetzung der OIB Richtlinie 3, die in Pkt. 3.1.2. den Schutz der Nachbargrundstücke ausdrücklich anspricht. Auf die Einhaltung des § 13 Abs. 2 Oö. BauTG 2013 hat der Nachbar daher jedenfalls insofern ein durchsetzbares subjektiv öffentliches Recht, als damit angeordnet wird, dass Anlagen zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern so auszuführen sind, dass Abwässer und Niederschlagswässer auf belästigungsfreie Art gesammelt und beseitigt werden (vgl. in diesem Sinne zur Rechtslage im Bundesland Steiermark auch schon VwGH 24.2.2000, 98/06/0073).

35 Die Revisionswerberin brachte bereits im Verfahren vor der belangten Behörde rechtzeitig zum Ausdruck, dass sie durch das Bauvorhaben eine unkontrollierte Zuleitung von Oberflächenwässern auf ihr Grundstück befürchte. In ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht führte sie dazu näher aus, dass die zu erwartenden Wassermengen ihrer Ansicht nach nicht gefahrlos für die Gebäudesubstanz der Revisionswerberin abgeleitet werden könnten und die geplanten Retentionszisternen nicht ausreichend dimensioniert seien bzw. deren Dimensionierung aufgrund mangelnder Angaben im Bauprojekt nicht überprüft werden könne.

36 Hat der Nachbar nach § 13 Abs. 2 Oö. BauTG 2013 ein subjektiv öffentliches Mitspracherecht betreffend die Frage, ob eine Anlage zur Sammlung und Beseitigung von Abwässern und Niederschlagswässern so ausgeführt ist, dass diese auf belästigungsfreie Art gesammelt werden können, so muss dies zwangsläufig auch ein Mitspracherecht zur Frage einschließen, ob eine geplante derartige Anlage ausreichend dimensioniert und auch sonst geeignet ist, die zu erwartenden Niederschlagsmengen in einer Weise aufzunehmen, die ein Überlaufen von Niederschlagswässern von einer solchen Anlage und sohin eine Belästigung der Nachbarschaft in diesem Sinn ausschließt.

37 Das Verwaltungsgericht hat sich ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht, die sich auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur früheren Rechtslage in Oberösterreich stützt, jedoch § 13 Oö. BauTG 2013 außer Acht lässt, mit dieser von der Revisionswerberin im Verfahren vorgebrachten Frage nicht auseinandergesetzt und dementsprechend auch keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen und keine Ermittlungen in diese Richtung angestellt. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Ansicht der Revisionswerberin, es seien im vorliegenden Bauvorhaben Retentionszisternen nicht vorgesehen, ausweislich der im Verfahrensakt aufliegenden Einreichunterlagen nicht zutrifft; mit der Frage, ob diese geeignet sind, eine für die Nachbarschaft belästigungsfreie Sammlung und Ableitung von Niederschlagswässern sicherzustellen, hat sich das Verwaltungsgericht aber in Verkennung der Rechtslage nicht auseinandergesetzt.

38 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

39 Das vorliegende Revisionsverfahren betraf ausschließlich Rechtsfragen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC stehen daher der Abstandnahme von der beantragten Verhandlung nicht entgegen. In Hinblick darauf konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden (vgl. VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0030, mwN).

40 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Juni 2024

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