JudikaturJustiz6Ob524/76

6Ob524/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 1976

Kopf

SZ 49/34

Spruch

In dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahren betreffend die Vaterschaft zu einem unehelichen Kind ist die Unterlassung von amtswegigen Beweisaufnahmen unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahren insoweit revisibel, als die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens zur amtswegigen Wahrheitsforschung verkannt wurden

Fehlende Beweisanträge des Beklagten nehmen ihm nicht das Recht, einen Verstoß gegen das pflichtgemäße Ermessen zur amtswegigen Wahrheitsforschung nach § 503 Z. 2 ZPO zu rügen

Art. V Z. 5 UeKindG ist eine Rechtsnorm, die im allgemeinen der Sammlung des Prozeßstoffes dient, weshalb Verstöße gegen diese Bestimmung den Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO bilden und nicht im Rahmen der Rechtsrüge von Amts wegen aufgegriffen werden können. Dies muß auch für unvollständige SV-Gutachten gelten

Die Unterlassung der Belehrungspflicht begrundet den Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO

OGH 4. März 1976, 6 Ob 524/76 (LG Klagenfurt 2 R 336/75; BG Villach 6 C 766/74)

Text

Die am 20. Mai 1973 außer der Ehe von Irmgard S, geb. G, geborene Klägerin Sabine G beantragte festzustellen, daß der Beklagte als ihr Vater anzusehen sei. Sie beantragte ferner, den Beklagten schuldig zu erkennen, ab Klagstag einen Unterhaltsbetrag von 600S monatlich zu bezahlen.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Er stellte außer Streit, daß er der Mutter des Kindes innerhalb der kritischen Zeit beigewohnt habe, jedoch erst ab Mitte oder Ende Oktober 1972. Die Minderjährige müsse jedoch nach den bei der Geburt gegebenen Reifemerkmalen bereits wesentlich früher gezeugt worden sein. Überdies habe Irmgard G in der kritischen Zeit auch mit Karl A geschlechtlich verkehrt. Die Vaterschaft des Beklagten sei unwahrscheinlicher als jene des Karl A. Schließlich bestritt der Beklagte auch das Unterhaltsbegehren der Höhe nach.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Beklagte verkehrte innerhalb der kritischen Zeit, etwa ab Mitte oder Ende Oktober 1972, wiederholt geschlechtlich mit der Mutter des Kindes. Innerhalb der kritischen Zeit hatte auch Rudolf E mit der Mutter des Kindes Geschlechtsverkehr, doch wurde die Vaterschaftsklage gegen Rudolf E zu 6 C 500/73 des Bezirksgerichtes Villach auf Grund des serologischen Gutachtens rechtskräftig abgewiesen. Auch Hans A ist auf Grund der Faktoren CC und p[aa] als Vater des klagenden Kindes ausgeschlossen. Hingegen ist der Beklagte auf Grund der im Verfahren gegen Rudolf E festgestellten Blutmerkmale nicht als Vater der Klägerin auszuschließen. Seine positive Vaterschaftswahrscheinlichkeit beträgt 55%. Die Klägerin ist das erste Kind der Irmgard G. Sie hatte bei der Geburt ein Gewicht von 2600 Gramm und eine Länge von 50 cm. Die Labien waren nicht bedeckt, andere Reifezeichen jedoch gegeben. Die Nachgeburt war unauffällig. Nach den feststellbaren Reifemerkmalen lag der wahrscheinlichste Zeugungszeitpunkt zwar vor der Mitte Oktober 1972, doch ist eine Zeugung Mitte Oktober 1972 oder in der zweiten Hälfte dieses Monats nicht auszuschließen. Das Erstgericht traf ferner noch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Beklagte gemäß § 163 ABGB als Vater des klagenden Kindes anzusehen sei. Die beiden von ihm genannten weiteren Männer, die mit der Mutter des Kindes innerhalb der kritischen Zeit verkehrten, seien auf Grund der Blutmerkmale als Väter auszuschließen. Die Vaterschaft des Beklagten habe zwar keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für sich, maßgebend sei aber, daß die Möglichkeit einer Zeugung des Kindes durch ihn nicht auszuschließen sei. Die Vermutung der Vaterschaft sei daher nicht widerlegt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht folge. Es übernahm auf Grund einer Beweiswiederholung die Feststellungen des Erstgerichtes und präzisierte sie dahin, daß die intimen Beziehungen zwischen dem Beklagten und der Mutter des Kindes jedenfalls im Oktober 1972 aufgenommen worden seien. Eine genaue Festlegung des Zeitpunktes sei nur insoweit möglich, als die ersten Tage dieses Monats ebenso wie die letzten Tage ausscheiden.

Hinsichtlich der letzten vorgeburtlichen Regel stellte das Berufungsgegericht ergänzend fest, daß diese am 7. September 1972 war und daß in den Menstruationszyklen der Mutter des Kindes größere zeitliche Schwankungen, die bis etwa 42 Tage gingen, bestanden haben. Es sei ferner nicht richtig, daß die Mutter des Kindes dem Beklagten bereits bei Beginn der geschlechtlichen Beziehungen mitgeteilt habe, daß sie schwanger sei. Unter Bedachtnahme auf die Reifemerkmale des Kindes bei der Geburt und den Zeitpunkt der letzten vorgeburtlichen Regel mit September 1972 sowie die erheblichen Zyklusschwankungen sei eine Zeugung des Kindes um den 21. Oktober 1972 herum als sehr wahrscheinlich und eine solche um den 28. Oktober 1972 herum als äußerst unwahrscheinlich zu bezeichnen, aber auch im letzteren Fall könne sie nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, daß der Beklagte der Mutter des Kindes innerhalb der kritischen Zeit, die sich vom 22. Juli bis 21. November 1972 erstreckte, beigewohnt habe. Die Vermutung des § 163 Abs. 1 ABGB spreche daher dafür, daß er das Kind gezeugt habe. Eine Entkräftung dieser Vermutung sei ihm nicht gelungen. Nach dem serologischen Gutachten sei er als Vater nicht ausgeschlossen. Nach dem Tragzeitgutachten ergäben sich zwar nicht unerhebliche Bedenken gegen seine Vaterschaft, ein Ausschlußbeweis liege aber auch hier nicht vor. Eine erbbiologisch-anthropologische Begutachtung lasse sich vor Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes nicht durchführen, weil keine in eine solche Untersuchung einzubeziehende Mitkonkubenten vorhanden seien und daher kein Ergebnis zu erwarten sei, durch das der Gegenbeweis der Vaterschaft erbracht werden könne. Der Beklagte werde jedoch im gegebenen Zeitpunkt die Möglichkeit haben, im Wege einer Wiederaufnahmsklage diese Untersuchungsreihe zu beantragen. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Gemäß Art. V Z. 5 UeKindG BGBl. 342/1970, hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, daß alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt werden. Die §§ 183 Abs. 2, 482 und 483 ZPO sind nicht anzuwenden. Aus dem Fehlen des im § 6 Abs. 1 Z.1 der Verfahrensordnung über die Angleichung familienrechtlichen Vorschriften vom 6. Feber 1943, DRGBl. I 980, angeführten § 504 Abs.2 ZPO ergibt sich (bei sonst im wesentlichen gleichen Wortlaut), daß jedenfalls nach dem UeKindG die Beschränkung der Revisionsgrunde durch § 503 ZPO die Geltendmachung von Neuerungen im Revisionsverfahren ausschließt (Fasching IV, 943; EvBl. 1975/219). Auch ist trotz des durch Art. V Z. 5 UeKindG normierten Untersuchungsgrundsatzes, die Überprüfungsbefugnis des Obersten Gerichtshofes - abgesehen von Nichtigkeitsgrunden - durch die Revisionsanträge und Revisionsgrunden beschränkt (Fasching IV, 243). Wenn daher auch in einem Verfahren in dem der Untersuchungsgrundsatz herrscht, die Unterlassung von amtswegigen Beweisaufnahmen unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens insoweit revisibel ist, als die Grenzendes pflichtgemäßen Ermessens zur amtswegigen Wahrheitsforschung verkannt wurden (Fasching IV, 311; EvBl. 1958/115 und EvBl. 1967/202 im Zusammenhang mit Abstammungsstreitigkeiten; vgI. auch RZ 1975/70), so bedarf es doch einer entsprechenden Rüge in der Revision, damit der OGH derartige Mängel aufgreifen kann. Denn Art. V Z. 5 UeKindG ist eine Rechtsnorm, die im allgemeinen der Sammlung des Prozeßstoffes dient, weshalb Verstöße gegen diese Bestimmung den Revisionsgrund nach § 503 Z. 2 ZPO bilden und nicht im Rahmen der Rechtsrüge von Amts wegen aufgegriffen werden können (vgl. dazu Fasching IV, 311 und 326). Dies muß auch für unvollständige Sachverständigengutachten gelten (vgl. Fasching III, 495). Auch die Unterlassung der Belehrungspflicht begrundet nur den Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO (RZ 1965, 99; EvBl. 1957/191).

Die Revision rügt nun - teils unter dem Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO, teils nach § 503 Z. 4 ZPO - daß das Berufungsgericht die Zeugen Margit H und Andreas R nicht vernommen hat und daß kein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten eingeholt wurde. Hinsichtlich aller dieser Beweismittel wurden vom Beklagten in den Unterinstanzen keine Beweisanträge gestellt. Vielmehr stammen die Anträge auf Vernehmung der Zeugen von der Klägerin, während die Frage, warum kein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten eingeholt wurde, vom Berufungsgericht in seiner Entscheidung (ohne diesbezüglichen Antrag einer der Parteien) erörtert wurde. Die fehlenden Anträge des Beklagten nehmen ihm allerdings nach den obigen Ausführungen nicht das Recht, einen Verstoß gegen das pflichtgemäße Ermessen zur amtswegigen Wahrheitsforschung nach § 503 Z. 2 ZPO zu rügen (vgl. dazu RZ 1975/70).

Was nun die unterlassene erbbiologisch-anthropologische Untersuchung anlangt, so ist es zwar richtig, daß Lehre und Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, eine solche sei grundsätzlich nicht vor dem zweiten Lebensjahr und ohne zwingende Notwendigkeit nicht vor dem dritten Lebensjahr des Kindes durchzuführen, da eine frühere Untersuchung (besonders wenn keine Mitkonkubenten vorhanden sind) in der Regel kein Ergebnis erwarten lasse, durch welches der Beweis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft im Sinne des § 163 Abs. 2 erster Halbsatz ABGB erbracht werden könne (Fasching III, 479; EvBl. 1953/368; EvBl. 1974/136 u. a.). Die Möglichkeit dieser Untersuchung richtet sich dabei nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung (EvBl. 1974/136). In diesem Zeitpunkt (19. November 1975) war das Kind zweieinhalb Jahre alt. Im vorliegenden Fall sind nun zwar die namhaft gemachten Mitkonkubenten auf Grund von serologischen Gutachten als Vater des Kindes ausgeschlossen. Das Berufungsgericht führte jedoch in seiner Entscheidung aus, daß sich nach dem Tragzeitgutachten nicht unerhebliche Bedenken gegen die Vaterschaft des Beklagten ergäben. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß es dem Beklagten ungeachtet der Tatsache, daß das Kind noch nicht drei Jahre alt ist, im konkreten Fall doch durch ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten im Zusammenhang mit den bisher bereits vorliegenden Beweisergebnissen gelingen könnte, den nach der neuen Rechtslage erleichterten Beweis (EvBl. 1975/244 u. a.) der Unwahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft zu erbringen. Bei Anwendung pflichtgemäßen Ermessens hätte das Berufungsgericht daher von Amts wegen ein erbbiologisch-anthropologisches Gutachten einholen müssen, zumal Art. V Z. 5 UeKindG ausdrücklich verlangt, daß alle für die Entscheidung wichtigen Tatumstände vollständig aufgeklärt werden. Das Verfahren erweist sich daher als mangelhaft.

Im fortgesetzten Verfahren wird zu berücksichtigen sein, daß nach der medizinischen Lehre und nach der Rechtsprechung (RZ 1975/70 und die dort angeführte Lehre und Rechtsprechung) für die erbbiologisch,anthropologische Untersuchung (sofern sie nicht schon für sich allein zu einem eindeutigen Ergebnis führt) auch eine Blutuntersuchung nach dem neuesten Stand der forensischen Serologie erforderlich ist und das Gericht nach § 362 Abs. 2 ZPO von Amts wegen dafür zu sorgen hat, daß ein beschlossenes Gutachten vollständig abgegeben wird (Fasching III, 495). Es wird daher in diesem Zusammenhang auch zu prüfen sein, ob das im Verfahren 6 C 500/73 erstattete serologische Gutachten auch in bezug auf den nunmehrigen Beklagten nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft vollständig ist (vgl. dazu Herbich, Der Vaterschaftsprozeß in RZ 1975/126, insbesondere 133). Nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen wird dann auch zu beurteilen sein, ob die Vernehmung der Zeugen Margit H und Andreas R zur vielleicht genaueren Feststellung des Beginnes der geschlechtlichen Beziehungen zwischen dem Beklagten und der Mutter des Kindes erforderlich ist.

Wegen der notwendigen umfangreicheren Beweisaufnahmen erscheint die Aufhebung der Urteile beider Instanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zweckmäßig.

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