JudikaturJustiz5Ob105/19f

5Ob105/19f – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. November 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L***** S*****, 2. DI C***** S*****, 3. Arch. Dipl. Ing. M***** S*****, alle vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** K*****, vertreten durch Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, 2. Dr. M***** B*****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in Wien, und die Nebenintervenientinnen auf Seiten der erstbeklagten Partei 1. U***** AG, *****, vertreten durch die Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Klagenfurt, auf Seiten der erst- und der zweitbeklagten Partei 2. P***** GmbH, *****, vertreten durch die Kunz Wallentin Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3. Dr. M***** M*****, vertreten durch Dr. Katharina Langer, Rechtsanwältin in Wien, sowie auf Seiten der zweitbeklagten Partei 4. Stadt W*****, vertreten durch Dr. Christian Gamauf, Rechtsanwalt in Wien, wegen 378.601,40 EUR samt Anhang und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen der erst- und zweitklagenden Parteien sowie der Erstnebenintervenientin auf Seiten der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. April 2019, GZ 15 R 47/19w-388, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Erstkläger und der Zweitklägerin einerseits und der Erstbeklagten andererseits werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.

II. Die Revision der Erstnebenintervenientin auf Seiten der Erstbeklagten wird, soweit sie sich gegen die Bestätigung des klageabweisenden Urteils des Erstgerichts im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Erstkläger und der Zweitklägerin einerseits und der Zweibeklagten andererseits richtet, zurückgewiesen.

III. Die außerordentliche Revision des Erstklägers und der Zweitklägerin gegen die Bestätigung des klageabweisenden Urteils des Erstgerichts im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Erstkläger und der Zweitklägerin einerseits und der Zweitbeklagten andererseits wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Ruhensvereinbarung zwischen den Klägern und der Erstbeklagten

1. Gemäß § 483 Abs 3 erster Satz ZPO kann das Ruhen des Verfahrens noch im Berufungsverfahren vereinbart werden. Diese Bestimmung ist gemäß § 513 ZPO auch auf das Revisionsverfahren anzuwenden (RIS-Justiz RS0081567 [T9]; RS0041994 [T2]). Das Ruhen des Verfahrens hat im Wesentlichen die Rechtswirkung einer Unterbrechung des Verfahrens (§ 168 ZPO). Wurde das Rechtsmittel – wie hier – vor der Vereinbarung des Ruhens überreicht, hat die schriftliche Ruhensanzeige zur Folge, dass darüber während des Ruhens nicht zu entscheiden ist (RS0041994 [T2]).

2. Die Kläger und die Erstbeklagte gaben im Revisionsverfahren bekannt, dass sie Ruhen des Verfahrens vereinbart haben (Bekanntgabe vom 6. 6. 2019). Für die Dauer dieses Ruhens entfällt damit eine Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs (RS0041994). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Erstnebenintervenientin, die die Revision erhoben hat, an dieser Ruhensvereinbarung nicht beteiligt ist. Schließlich obliegt die Disposition über den Streitgegenstand allein der Hauptpartei; sie kann alle ihr unerwünschten Prozesshandlungen des Nebenintervenienten einschließlich von ihm ergriffener Rechtsmittel zurücknehmen. Es bleibt ihr auch unbenommen, noch im Rechtsmittelverfahren Ruhensvereinbarungen mit dem Prozessgegner zu treffen (RS0035570). Wenn das Ruhen aufgrund einer Vereinbarung der Hauptparteien eingetreten ist, kann der Nebenintervenient dieses also nicht verhindern (8 Ob 195/64; Fucik in Rechberger , ZPO 5 § 19 Rz 2; Gitschthaler in Rechberger , ZPO 5 §§ 168–170 Rz 3/1; Fink in Fasching/Konecny 3 II/3 § 168 ZPO Rz 41; Schneider in Fasching/Konecny 3 II/1 § 19 ZPO Rz 21).

3. Im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Erstkläger und der Zweitklägerin einerseits und der Erstbeklagten andererseits sind d ie Akten daher dem Erstgericht zurückzustellen.

II. Zur Revision der Erstnebenintervenientin im Prozessrechtsverhältnis zur Zweitbeklagten

1. Erst- und Zweitbeklagte begründen eine einfache Streitgenossenschaft nach § 11 ZPO. Jeder der einfachen Streitgenossen ist dem Gegner gegenüber im Prozess derart selbständig, dass die Handlungen oder Unterlassungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (§ 13 ZPO). Die Selbständigkeit der Streitgenossen im Prozess gilt auch für die Rechtsmittel (2 Ob 136/10d; RS0126310).

2. Aus dieser grundsätzlichen Selbständigkeit und Parallelität der Rechtsstreitigkeiten ergibt sich, dass ein Streitgenosse sich nur durch die Entscheidung gegenüber seinem Gegner, nicht aber gegenüber den anderen Streitgenossen beschwert erachten kann (RS0125569; Schneider in Fasching/Konecny 3 II/1 § 13 ZPO Rz 12; Fucik in Rechberger , ZPO 5 § 13 Rz 1).

3. Der auf Seiten der Erstbeklagten beigetretenen Nebenintervenientin fehlt daher (gleich wie ihrer Hauptpartei) in Bezug auf die Abweisung der Klage gegen die Zweitbeklagte die Beschwer als Voraussetzung für die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels. Aus der Stellung eines Nebenintervenienten ergibt sich, dass alle seine Handlungen nur für die unterstützte Partei erfolgen und für diese prozessual wirksam werden. Daraus folgt aber auch, dass für die Beurteilung der Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung auch bei einem vom Nebenintervenienten erhobenen Rechtsmittel lediglich das Interesse der Hauptpartei an einer Änderung oder Beseitigung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich ist (RS0035474 [T2]; Schneider in Fasching/Konecny 3 II/1 § 19 ZPO Rz 23).

III. Zur Revision des Erstklägers und der Zweitklägerin im Prozessrechtsverhältnis zur Zweitbeklagten

1. Die Zweitklägerin wurde während der Schwangerschaft von einer (an diesem Verfahren nicht beteiligten) Fachärztin für Gynäkologie betreut; diese sollte die Geburt des Kindes in einer Privatklinik begleiten. Die Gynäkologin empfahl der Zweitklägerin auch zwei Hebammen, darunter die Erstbeklagte. Die Zweitklägerin vereinbarte mit dieser die Übernahme der Geburtsbegleitung. Zum Zeitpunkt der Geburt war die Gynäkologin urlaubsbedingt abwesend. Sie wurde in diesen Fällen – so wie auch hier – von der Zweitbeklagten vertreten. Vor der Entbindung hatte es keinen persönlichen Kontakt zwischen der Zweitbeklagten und der Zweitklägerin oder dem Drittkläger gegeben. Das Kind (Erstkläger) erlitt bei seiner Geburt aufgrund einer Sauerstoffunterversorgung infolge einer Nabelschnurumschlingung sehr schwere Gehirnschäden.

2. Gegenstand der Revision des Erstklägers und der Zweitklägerin ist die Frage, ob (neben der Erstbeklagten auch) die Zweitbeklagte schadenersatzrechtlich haftet.

3.1. Der Urlaubsvertreter eines Arztes wurde in der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wiederholt als dessen Erfüllungsgehilfe gemäß § 1313a ABGB qualifiziert (10 Ob 119/07h; 4 Ob 210/07x; RS0025546; vgl auch 1 Ob 161/16g; Wagner in Schwimann/Kodek 4 § 1313a ABGB Rz 38; Schacherreiter in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.05 § 1313a Rz 59). Ein Erfüllungsgehilfe haftet nur dann, wenn sein Verhalten unabhängig von der Existenz des Schuldverhältnisses rechtswidrig ist, er also deliktisch handelte (RS0022801 [T4]).

3.2. Die geltend gemachte Vertragshaftung der Zweitbeklagten setzt daher eine Verletzung ihrer Pflichten aus einem eigenen Behandlungsvertrag voraus. In diesem Sinn vertreten die Rechtsmittelwerber – zusammengefasst – den Standpunkt, die Zweitbeklagte wäre aufgrund des konkludent zwischen ihr und den Klägern geschlossenen Vertrags über die fachärztliche Geburtsbegleitung dazu verpflichtet gewesen, die Betreuung der werdenden Mutter spätestens mit deren Eintreffen in der Geburtsklinik zu übernehmen und insbesondere auch bereits die Eingangsdiagnose zu erstellen. Der Behandlungsvertrag sei also nicht erst mit der tatsächlichen Behandlung, sondern schon mit der Übernahme der Urlaubsvertretung zustande gekommen. Für den Inhalt dieses zwischen Arzt und Patienten abgeschlossenen Behandlungsvertrags seien etwaige Usancen der Zusammenarbeit zwischen Hebammen und Ärzten, die der Patientin nicht bekanntgegeben worden seien und die ihr nicht bekannt sein hätten müssen, irrelevant. Übertrage die Ärztin die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten einer Dritten, habe sie für deren Fehler gemäß § 1313a ABGB einzustehen.

3.3. Ein ärztlicher Behandlungsvertrag zwischen der Zweitbeklagten und der Zweitklägerin (und/oder dem Drittkläger) könnte hier nur konkludent zustande gekommen sein. Ob eine konkludente Willenserklärung iSd § 863 ABGB vorliegt und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, hängt in der Regel von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0109021 [T6]; RS0081754 [T5, T6, T8]; RS0043253 [T2, T8, T17, T18]).

3.4. Das Berufungsgericht ließ die Frage, ob zwischen der Zweitbeklagten und der Zweitklägerin und/oder dem Drittkläger überhaupt konkludent ein eigener Behandlungsvertrag zu Stande kam, ausdrücklich offen. Auch wenn dies der Fall wäre, hätte die Zweitbeklagte nämlich keine sie treffende Vertragspflicht verletzt und daher auch keine schadenskausale Unterlassung zu verantworten. Es gehörte nicht zu den mit einem möglichen Behandlungsvertrag übernommenen medizinischen Leistungen der Zweitbeklagten, trotz der selbständigen Beauftragung einer Hebamme bereits ab dem Eintreffen der Mutter in der Klinik auch die der Hebamme in ihrem eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich obliegenden Aufgaben zu übernehmen oder zu überwachen.

3.5. (Auch) der Inhalt eines Behandlungsvertrags und der Umfang der den Arzt treffenden Vertragspflichten können stets nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Vertragsabschlusses beurteilt werden und entziehen sich daher einer generalisierenden Einordnung (1 Ob 161/16g; 7 Ob 141/10a). Die Frage, zu welchen Leistungen sich die Zweitbeklagte im Einzelnen verpflichtet hätte, begründet daher keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Anderes würde nur gelten, wenn eine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorläge, die im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit aufgegriffen werden müsste. Dieser Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor.

3.6. Die Frage, wozu sich ein Arzt im Einzelnen gegenüber dem Patienten verpflichtet hat, ist nach den allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftslehre zu lösen. Nach der Vertrauenstheorie ist für die Auslegung von Willenserklärungen daher stets der Empfängerhorizont maßgeblich. Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte; es kommt also auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf den Willen des Erklärenden oder das tatsächliche Verständnis des Empfängers an (1 Ob 161/16g). Bei der Beurteilung der Konkludenz eines Verhaltens im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen ist gemäß § 863 ABGB besondere Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014157; RS0013947; RS0014146). Das Berufungsgericht verneinte hier die konkludente Übernahme einer entsprechenden Vertragspflicht, weil die Zweitklägerin und/oder der Drittkläger nach den Gegebenheiten nicht erwarten hätten können, dass auch die beauftragte Fachärztin für Gynäkologie die Geburt bereits ab dem Eintreffen der Mutter in der Klinik begleitet und nicht erst – wie nach den getroffenen Feststellungen konkret und allgemein üblich – dann zur Geburt hinzukommt, wenn sie von der mit der Geburtsbegleitung beauftragten Hebamme verständigt wird. Mangels besonderer Umstände hätte die Zweitbeklagte eine solche Erwartung auch nicht vermuten müssen. Mit dieser Entscheidung hat das Berufungsgericht den Beurteilungsrahmen, der durch die in der Rechtsprechung vom Obersten Gerichtshof entwickelten Leitlinien gezogen wurde, nicht überschritten.

4. Die Revisionswerber zeigen somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die außerordentliche Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtssätze
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