JudikaturJustiz2Ob99/07h

2Ob99/07h – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Jonathan S*****, vertreten durch die Mutter Gisela S*****, diese vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei Alfred H*****, vertreten durch Prof. Dr. Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen EUR 6.929 sA (Revisionsinteresse EUR 4.000 sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 23. Februar 2007, GZ 1 R 257/06y-51, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 28. Juni 2006, GZ 20 C 474/04f-39, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Am 24. August 2003 wurde der damals vierjährige Kläger im Naturschwimmbad Mauthen bei der Benützung eines dem Beklagten gehörigen und von ihm dort aufgestellten Spielgerätes (einer Schaukelente) verletzt. Der Kläger begehrt nach Ausdehnung EUR 6.000 Schmerzengeld sowie weitere unfallkausal angefallene Kosten in Höhe von EUR 929.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise dahingehend Folge, dass es dem Klagebegehren im Umfang von EUR 4.000 samt 4 % Zinsen seit 25. August 2003 stattgab. Im Umfang des Schmerzengeldmehrbegehrens von EUR 2.000 samt 4 % Zinsen seit 4. Mai 2005 gab es der Berufung nicht Folge. Im darüber hinausgehenden Umfang (EUR 929 sA) hob es das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies diesbezüglich die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zunächst nicht zu, änderte jedoch sodann gemäß § 508 Abs 3 ZPO diesen Ausspruch ab. Das Berufungsgericht habe sich mit der Frage des Verhältnisses zwischen Verkehrssicherungspflichten und Ansprüchen nach dem Produkthaftungsgesetz nicht näher auseinandergesetzt. In der Entscheidung 9 Ob 19/05t habe der Oberste Gerichtshof zu dieser Frage ebenfalls nicht näher Stellung genommen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht zulässig.

Das Berufungsgericht hat die Teilaufhebung ersichtlich und zutreffend als Beschluss verstanden (vgl die Formel im Kopf: „beschlossen und zu Recht erkannt"). Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss gemäß § 508 Abs 3 ZPO vom 13. April 2007 nur die Revision gegen das berufungsgerichtliche Urteil für zulässig erklärt („Der Ausspruch im Urteil ... wird dahin abgeändert"). Das Berufungsgericht hat aber nicht auch den Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gegen den Teilaufhebungsbeschluss für zulässig erklärt. Selbst wenn der Entscheidungswille des Berufungsgerichtes darauf gerichtet gewesen sein sollte, nachträglich den Rekurs an den Obersten Gerichtshof gegen den Teilaufhebungsbeschluss zuzulassen, wäre dies unzulässig und unwirksam gewesen: Eine Möglichkeit zur Nachholung eines unterlassenen Zulassungsausspruchs analog § 508 Abs 1 ZPO besteht bei Aufhebungsbeschlüssen gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO nicht (Zechner in Fasching/Konecny² § 519 Rz 55 mwN). Hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses ist daher die Anrufung des Obersten Gerichtshofes absolut unstatthaft (vgl Zechner aaO Rz 55 f mwN; 4 Ob 188/00a).

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfene Rechtsfrage ist in § 15 PHG und in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung (6 Ob 317/02i, 4 Ob 94/04h; 9 Ob 19/05t) eindeutig dahingehend beantwortet, dass das PHG eine weitere Anspruchsgrundlage bietet, die andere Anspruchsgrundlagen nicht ausschließt. Auch in der Revision werden keine (weiteren) Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung aufgeworfen.

Der Revisionswerber erblickt in der behaupteten Verletzung der §§ 473a und 488 ZPO durch das Berufungsgericht eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts. Er unterlässt es jedoch darzustellen, inwiefern der behauptete Verfahrensmangel abstrakt geeignet gewesen wäre, eine unrichtige Entscheidung des Berufungsgerichtes herbeizuführen. Der Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO liegt daher schon deshalb nicht vor (RIS-Justiz RS0043027 [T1]) und somit auch keine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts. Der Revisionswerber meint weiter, das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Zumutbarkeit von Verkehrssicherungspflichten abgewichen.

Nach ständiger Rechtsprechung hängt der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht und das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend ist vor allem, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (RIS-Justiz RS0110202; RS0029874 [T5]; RS0023397). Der Verkehrssicherungspflichtige hat die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten, wenn auch die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden darf und die Grenzen des Zumutbaren zu beachten sind (RIS-Justiz RS0023487). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726). Für die Sicherung von Gefahrenquellen ist in umso höherem Maß zu sorgen, je weniger angenommen werden kann, dass die von der Gefahr betroffenen Personen sich ihrerseits vor Schädigung vorzusehen und zu sichern wissen. Strenge Anforderungen sind zu stellen, wenn damit gerechnet werden muss, dass spielende Kinder, sei es auch unbefugt, an die Gefahrenquelle gelangen. Aber auch diese Pflichten dürfen nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0023819). Für das Ausmaß der Sicherungspflicht ist entscheidend, ob nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle bestand. Absolut sicher können Spielgeräte, die dem Bewegungsdrang und der Abenteuerlust von Kindern Raum geben, nie sein. Generelle Richtlinien für die Ausgestaltung von Spielplätzen und Spielgeräten, die über den Hinweis auf die allgemeine, wenngleich mit Rücksicht auf die Verkehrsbeteiligten erhöhte Verkehrssicherungspflicht hinausgehen, kann die Judikatur in der Regel nicht geben (RIS-Justiz RS0023902 [T1]).

Das Erstgericht hat entscheidungswesentlich festgestellt:

Nach Einwurf einer Ein-Euro-Münze in den am unbeweglichen Sockel des Gerätes befindlichen Schlitz beginnt der Elektromotor nach ca zwei Sekunden zu laufen und die Schaukelente (im Folgenden als „Ente" bezeichnet) beginnt sich entweder nach vorne oder nach hinten, je nach ihrem Standort am Führungsrahmen, zu bewegen. Zugleich dreht sich die Ente um 180 Grad, einmal nach links und einmal nach rechts. Nach oben bewegt sich die Ente ca 5 cm.

Wenn ein Kind auf dem Sitz der Ente sitzt, ist es ihm nicht möglich, die Münze selbst in den Schlitz zu werfen, weil dafür die Entfernung zu groß ist. Bei ordnungsgemäßer Benützung der Ente ist so vorzugehen, dass der Erwachsene das Kleinkind auf den Sitz der Ente setzt und danach die Münze zur Ingangsetzung der Ente einwirft. Diesfalls kann es zu keinem Einziehen oder Einklemmen von Kleidungsstücken kommen. Eine Notaustaste ist nicht vorhanden. Auf der Ente befinden sich die Aufschriften „Eltern haften für ihre Kinder" und „potentialfrei, ungefährlich, qualitätsgeprüft, kinderfreundlich". Zur Unfallszeit entsprach die Schaukelente dem Stand der Sicherheitstechnik.

Der Kläger ging mit einer Ein-Euro-Münze zur Schaukelente, um auf dieser zu reiten. Er warf das Geldstück in den dafür vorgesehenen Schlitz am Gerät und wollte anschließend auf die Ente hinaufklettern. Der Kläger trug lediglich eine Badehose und ein T-Shirt. Er blieb mit seinem T-Shirt am „Watschelfuß" der Ente hängen, wodurch der Kläger mit dem Kopf unter die Ente bzw zwischen diese und die Führungsschiene derselben geriet und von der Ente mitgezogen wurde. Der Vater des Klägers und die übrigen anwesenden Erwachsenen vernahmen auf einmal Schreie des Klägers, weshalb sie zur Ente hinliefen. Der Vater des Klägers versuchte, diesen zu befreien, was ihm aber aufgrund der Bewegung des Geräts nicht gelang. Michaela L***** zog daraufhin den Netzstecker, der hinter einer Wand unmittelbar links der Ente montiert war. Vom ersten Hilfeschrei des Klägers bis zum Ziehen des Netzsteckers vergingen ca sieben Sekunden. Für die endgültige Befreiung des Klägers aus seiner Lage verging ein weiterer Zeitraum von 15 bis 20 Sekunden.

Das Berufungsgericht führte dazu im Wesentlichen Folgendes aus:

Die Ente vermittle zwar den Eindruck völliger Harmlosigkeit, dabei wäre aber ein deutlicher Hinweis am Gerät erforderlich gewesen, dass dessen Benützung durch Kleinkinder nur im Beisein einer aufsichtspflichtigen Person zulässig sei, weil die technische Ausgestaltung des Gerätes einen Münzeinwurf und damit die Inbetriebnahme nach Erlangen des festen Sitzes im Sattel ausschließe. Dem Schild, Eltern hafteten für ihre Kinder, komme keine aussagekräftige Bedeutung zu. Wenn auch das Vorhandensein einer Notaustaste nicht ausdrücklich vorgeschrieben sei, so sei doch eine derartige Möglichkeit zum sofortigen Stoppen des Gerätes allgemein üblich. Bei Vorhandensein einer derartigen Möglichkeit zum sofortigen Abschalten des Gerätes hätte ein Unfallsereignis wie das vorliegende zeitlich verkürzt werden können. Das Anbringen eines Warnschildes in der aufgezeigten Richtung sowie das Vorhandensein einer Notaustaste bedeuteten keine Überspannung zumutbarer Verkehrssicherungspflichten. Ein Unfall wie der vorliegende sei auch nicht atypisch. Der Beklagte hafte dem Kläger daher wegen schuldhafter Verletzung der vertraglichen Verkehrssicherungspflicht dem Grunde nach teilweise zu Recht, ohne dass auf die Rechtslage nach dem PHG eingegangen werden müsse. Auf eine Verletzung der Aufsichtspflichten durch den Vater des Klägers sei bereits das Erstgericht mit Recht nicht eingegangen. Die Unfallsfolgen rechtfertigten ein Schmerzengeld von EUR 4.000, das Schmerzengeldmehrbegehren sei abzuweisen. Zu den weiters geltend gemachten EUR 929 an unfallkausal verursachten Kosten fehle es an Feststellungen, weshalb diesbezüglich das Urteil aufzuheben gewesen sei.

Diese Ausführungen bewegen sich im Rahmen der zitierten Grundsätze der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, weshalb eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende auffallende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht nicht vorliegt.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger oder - wie der Revisionswerber meint - dessen Vater Vertragspartner des Beklagten war. Auch im zweiten Fall wäre der Kläger als - für den Beklagten erkennbar - Empfänger der Hauptleistung zweifellos im vertraglichen Schutzbereich und demgemäß berechtigt, Ansprüche aus einer Verletzung von vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten geltend zu machen (vgl nur RIS-Justiz RS0021557 [T2]).

Auch auf allfällige Regressansprüche des Beklagten gegen den aufsichtspflichtigen Vater des Klägers ist hier nicht einzugehen. Soweit der Revisionswerber als erhebliche Rechtsfrage aufwirft, § 508 Abs 1 ZPO sei im Licht des Art 6 MRK verfassungswidrig, ist ihm zu entgegnen, dass der Oberste Gerichtshof die behauptete Verfassungswidrigkeit bereits verneint hat (1 Ob 196/98z = RIS-Justiz RS0044057 [T10]).

Die unberechtigte Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
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