JudikaturJustiz2Ob25/23z

2Ob25/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Verein S*, vertreten durch Adam Felix Rechtsanwälte KG in Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. November 2022, GZ 53 R 186/22t 21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 23. Juni 2022, GZ 11 C 435/21w 17, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist selbständiger Taxiunternehmer und seit 1990 Mitglied des beklagten Vereins. Von der Generalversammlung des Vereins wurde er am 2. 7. 2020 als eines der sechs Vorstandsmitglieder in den Vereinsvorstand gewählt.

[2] Die Statuten des Beklagten in der Fassung September 2019 sehen unter anderem Folgendes vor:

§ 7 Beendigung der Mitgliedschaft

(1)

f/ Durch Ausschluß. Dieser kann durch den Vorstand aus disziplinären Gründen, wegen gröblicher Verletzung der Mitgliedspflichten, wegen ehrenwidrigem, statutenwidrigem oder vereinsschädigenden Verhalten verfügt werden.

g/ Gegen die Streichung bzw. den Ausschluß ist binnen 14 Tagen ab Zustellung des diesbezüglichen Verständigungsschreibens ein schriftlicher und begründeter Einspruch an die ordentliche Generalversammlung zulässig.

§ 8 Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder

(2) Aktiven Mitgliedern ist vorbehalten:

c/ das aktive und passive Wahlrecht auszuüben, wobei das passive Wahlrecht auf physische Mitglieder beschränkt ist;

§ 9 Organe des Vereins

Organe des Vereins sind:

* die Generalversammlung,

* der Vereinsvorstand,

* das Kontrollorgan und

* das Vereinsschiedsgericht.

§ 10 Gemeinsame Bestimmungen für die Vereinsorgane

(8) Wahl der Vereinsorgane:

a/ Sämtliche Organe werden von der Generalversammlung in geheimer und schriftlicher Wahl (ausgenommen Kontrollorgan) mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Die Wahlleitung obliegt dem Obmann/der Obfrau.

(9) Enthebung einzelner Organe bzw. einzelner Funktionäre:

Die Generalversammlung ist berechtigt, einzelne Organe bzw. einzelne Funktionäre nach gesetzes-, statuten-, ehr- bzw. sittenwidrigem Verhalten analog den Wahlen der Vereinsorgane ihrer Funktion zu entheben.

§ 11 Die Generalversammlung und ihr Aufgabenbereich

(3) Die Einberufung der Generalversammlung hat der Vorstand durch schriftliche Einladung aller Vereinsmitglieder vorzunehmen.

(9) Der Generalversammlung sind die nachfolgenden Aufgaben vorbehalten:

b/ Wahl, Entlastung und Enthebung der Organe bzw. einzelner Funktionäre.

f/ Entscheidungen über Berufungen gegen die Streichung bzw. den Ausschluß.

§ 12 Der Vereinsvorstand und sein Aufgabenbereich

(13) Der Aufgabenbereich des Vorstandes umfaßt die Besorgung aller Vereinsangelegenheiten, welche nicht der Generalversammlung vorbehalten oder anderen Vereinsorganen zugewiesen sind. Insbesondere kommen dem Vorstand folgende Aufgabenbereiche zu:

g/ Streichung bzw. Ausschluß des Vereinsmitgliedes gemäß § 7.

§ 15 Das Vereinsschiedsgericht

(1) In allen Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis entscheidet das Vereinsschiedsgericht. Ausgenommen hiervon ist der Ausschluß oder die Streichung eines Mitglieds.…“

[3] Die ordentliche Vorstandssitzung am 20. 5. 2021 enthielt folgenden Tagesordnungspunkt 2.:

„Ausschluss des Mitgliedes [Name des Klägers] nach Grundlage der Statuten § 7 Abs. f/ und sofortiger Enthebung von der Position eines Vorstandsmitgliedes.“

[4] Der Kläger sah die Tagesordnung erstmals unmittelbar vor Beginn der Sitzung auf den Plätzen im Sitzungsraum der Zentrale de s Beklagten liegen und war über diesen Tagesordnungspunkt sehr überrascht; davor hatte er davon nichts gewusst . Ihm wurden acht Ausschließungs gründe , die sich als Verstöße gegen die Vereinsstatuten und verschiedene vereinsschädigende Handlungen zusammenfassen lassen, vorgehalten.

[5] Die Sitzung verlief in der Folge unter anderem wegen dieses Tagesordnungspunkts emotional und artete in ein Wortgefecht aus. Über den Tagesordnungspunkt 2. stimmten v on den sechs Vorstandsmitgliedern, wo von einer der Kläger war, fünf ab. F ür den Ausschluss und die Enthebung des Klägers stimmten drei, dagegen zwei Vorstandsmitglieder, sodass der Ausschluss und die Enthebung mehrheitlich beschlossen war.

[6] Mit Schreiben vom 26. 5. 2021 teilte der Beklagte dem Kläger seinen Ausschluss nach § 7 Abs 1 lit f der Statuten nochmals mit .

[7] Mit Schreiben vom 7. 6. 2021 erhob der Kläger Einspruch gegen den Vereinsausschluss an die Generalversammlung.

[8] Mit Schreiben vom 24. 6. 2021 teilte der Beklagte dem Kläger die Einberufung einer Generalversammlung für den 7. 7. 2021 sowie den Umstand mit, dass dort als Punkt 8. um zirka 15:40 Uhr seine Berufung zur Abstimmung gelangen w e rde. Die die Tagesordnung enthaltende Einladung zu dieser außerordentlichen Generalversammlung erhielt der Kläger nicht, da diese nur an aktive Vereinsmitglieder übermittelt wurde.

[9] Bei d ieser Generalversammlung wurde dem Kläger vor der Behandlung des ihn betreffenden Tagesordnungspunkts eine fünf minütige Redezeit vor den Mitgliedern eingeräumt. Dieser Zeitraum reichte ihm nicht annähernd aus, um zu den für ihn ohnehin nicht näher konkretisierten Vorwürfen sinnhaft Stellung zu nehmen. Bei der dann folgenden Abstimmung per Handzeichen über den Einspruch des Klägers gegen seinen Ausschl uss als Vereinsmitglied wurde dem Einspruch nicht gefolgt, so dass es beim Ausschl uss des Klägers bl ieb .

[10] Mit Schreiben vom 3. 9. 2021 beantragte der Kläger die Einberufung des Vereinsschiedsgerichts. Dieser Antrag wurde unter Berufung auf § 15 Abs 1 der Statuten wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen.

[11] Der Kläger stellte mit der am 21. 10. 2021 eingebrachten Klage zuletzt sinngemäß das Begehren, es w e rde festgestellt, dass der in der Vorstandssitzung vom 20. 5. 2021 gefällte Beschluss auf Ausschluss des Klägers aus dem beklagten Verein sowie aus dessen Vorstand nichtig sei und dessen Mitgliedschaft im beklagten Verein sowie in dessen Vorstand über den 20. 5. 2021 hinaus aufrecht bestehe, sodass dieser sämtliche aus der Vereins- und Vorstandsmitgliedschaft zustehende Rechte auszuüben berechtigt sei .

[12] Der Kläger brachte vor, er sei bei der Vorstandssitzung am 20. 5. 2021 überrumpelt worden und habe keine Möglichkeit gehabt, sich dazu zu äußern. Ihm sei dadurch das rechtliche Gehör verweigert worden. D a er ein Vorstandsmitglied sei, hätte der Vereinsausschluss von jenem Organ beschlossen werden müssen, das ihn zum Vorstandsm itglied bestellt ha be, dies sei die Generalversammlung . Der ihn betreffende Vorstandsbeschluss vom 20. 5. 2021 sei daher von einem unzuständigen Organ gefasst worden und somit nichtig. Seine Abwahl (als Vorstandsmitglied) sei auch in der Generalversammlung vom 7. 7. 2021 nicht erfolgt , dort sei nur über die Richtigkeit einer Entscheidung des Vorstands mittels Handzeichen abgestimmt worden. Der Kläger habe zwar auch das Wort erhalten, um sich zu den nach wie vor unbestimmten Vorwürfen äußern zu können. I hm sei aber schon nach fünf Minuten das Wort entzogen worden, sodass er angesichts der Kürze weder die Vorwürfe hinterfragen noch dazu ausreichend Stellung nehmen habe können. Überdies sei es rechtswidrig, wenn dem Kläger erst in der zweiten Instanz die Möglichkeit eingeräumt w e rde, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben.

[13] Der beklagte Verein wendete ein, allen Vorstandsmitgliedern, somit auch dem Kläger, sei vor Beginn der Vorstandssitzung vom 20. 5. 2021 die Tagesordnung bekannt gewesen. Der Kläger habe sowohl in der Vorstandssitzung als auch in der Generalversammlung vom 7. 7. 2021 umfangreich argumentiert. Die Statuten des Beklagten sähen für Ausschlüsse von aktiven Vereinsmitgliedern als die in § 8 VerG vorge schriebene „Schlichtungseinrichtung“ die Generalversammlung vor. Die Grundsätze des fair trials iSd Art 6 EMRK seien sowohl im „Vereinsverfahren erster Instanz als auch jenem zweiter Instanz“ eingehalten worden. Der Ausschluss des Klägers sei statutenkonform in einem zweiinstanzlichen Verfahren ausgesprochen bzw bestätigt worden. Auch für den Kläger könne die Generalversammlung nicht als erste Instanz tätig sein, zumal er sich diesfalls einer Instanz beraubte. Ein Nichtmitglied könne nicht Funktionär des beklagten Vereins sein, zumal nach § 8 Abs 2 lit c der Statuten das passive Wahlrecht den aktiven Mitgliedern vorbehalten sei . Daher ende e ine Funktionärseigenschaft automatisch mit Beendigung der aktiven Mitgliedschaft.

[14] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Statuten de s Beklagten zielten darauf ab, die Zusammensetzung des Vorstands grundsätzlich stets einer Willensbildung der Generalversammlung zu unterziehen. Nach der Entscheidung 6 Ob 168/18a würde diese Kompetenz der Generalversammlung unterlaufen, wenn ein von ihr gewähltes Mitglied durch das Leitungsorgan wieder enthoben werden könnte. Dies treffe auch im vorliegenden Fall zu, wenn ein von der Generalversammlung gewähltes Vorstandsmitglied durch eine Mehrheit im Vorstand aus dem Verein ausgeschlossen werden könnte und die Mitgliedschaft im Vorstand zugleich von der Mitgliedschaft im Verein abhängig sei . Der Ausschluss des Klägers aus dem beklagten Verein durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder und die damit zugleich verbundene Enthebung als Vorstandsmitglied sei somit nichtig, weil dieser Beschluss nicht von der Mitgliederversammlung als in diesem Fall zuständigem Vereinsorgan gefasst w orden sei . Eine Heilung nichtiger Beschlüsse sei im Ver G nicht vorgesehen. Nach einer Lehrmeinung bestehe die einzige Möglichkeit der „Heilung“ darin, dass das zuständige Organ den Beschluss dadurch erneuere, dass es ihn formal und inhaltlich einwandfrei fasse. Von einer derartigen Beschlussfassung k ö nne durch die entsprechende Abstimmung in der Generalversammlung allerdings nicht ausgegangen werden, weil es einen Unterschied mache, ob die Mitgliederversammlung über die Berechtigung einzelner Ausschließungsgründe ber ate und deren Vorliegen und damit den Vereinsausschluss mit Mehrheit bejahe oder ob durch eine Mehrheit lediglich eine vorangehende Entscheidung des Vorstands aufgrund eines Einspruchs bzw einer Berufung dagegen mit Mehrheit gebilligt w e rde.

[15] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil den behandelten Rechtsfragen die in § 502 Abs 1 ZPO genannte Bedeutung zukomme. Dies gelte insbesondere für die vom Höchstgericht noch nicht beantwortete Frage der Zuständigkeit der Mitgliederversammlung, wenn ein Vorstandsmitglied als Vereinsmitglied ausgeschlossen werden solle.

[16] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinn der Klageabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[18] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[19] Der Revisionswerber macht geltend, die Statuten seien anlässlich der Aufnahme des Beklagten in das Vereinsregister von der Vereinsbehörde auf ihre Übereinstimmung mit dem VerG geprüft worden, weshalb die Statuten des Beklagten gesetzeskonform seien. Der Ausschluss des Klägers als Vereinsmitglied durch den Vorstand sei statutenkonform erfolgt und von der Generalversammlung bestätigt worden. Der Ausschluss des Klägers durch den Vorstandsbeschluss vom 20. 5. 2021 sei daher rechtmäßig gewesen und wäre im Übrigen spätestens mit Generalversammlungsbeschluss vom 7. 7. 2021 saniert worden. Der Kläger sei damit nicht mehr Mitglied des Beklagten und könne somit keine Organfunktion im Beklagten bekleiden.

Hierzu wurde erwogen:

1. Zulässigkeit des Rechtswegs

[20] 1.1. Nach § 8 Abs 1 VerG haben die Statuten vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen.

[21] 1.2. Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses eines Mitglieds aus dem Verein oder über das Weiterbestehen von Mitgliedschaftsrechten fallen unter das zwingende vereinsinterne Schlichtungsverfahren (RS0122427). Dasselbe gilt ebenso für die hier auch gegenständliche Frage der Zugehörigkeit des Klägers zum Vorstand des Beklagten (vgl 7 Ob 139/07b).

[22] 1.3. Die Schlichtungseinrichtung iSd § 8 VerG strebt eine außergerichtliche Beilegung von Vereinsstreitigkeiten an ( Pondorfer in Schopper/Weilinger , VereinsG § 8 Rz 1 mwN). Demgemäß ist die Schlichtungseinrichtung zur Beilegung bzw Schlichtung der rechtlichen als auch bloßen Vereinsstreitigkeiten berufen ( Pondorfer aaO Rz 53) und erstattet in Vereinsrechtsstreitigkeiten einen Schlichtungsvorschlag, der den Streitparteien zur Konfliktlösung vorgeschlagen wird ( Pondorfer aaO Rz 54).

[23] 1.4. Zur Ansicht des Beklagten, für Ausschlüsse von aktiven Vereinsmitgliedern sei die Generalversammlung gemäß § 11 Abs 9 lit f der Statuten die Schlichtungseinrichtung iSd § 8 Abs 1 VerG, wurde Folgendes erwogen:

[24] 1.4.1. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Mitgliederversammlung gleichzeitig Schlichtungseinrichtung iSd § 8 VerG sein kann, ist nicht vorhanden.

[25] 1.4.2. Im Schrifttum finden sich folgende Stellungnahmen:

Walch in Schopper/Weilinger , VereinsG § 5 Rz 21, führt aus, es sei zulässig, einem Vereinsorgan die Rolle als Schlichtungseinrichtung zuzuweisen (zB Beirat, Aufsichtsorgan). Es sei nicht ausgeschlossen, das Leitungsorgan als Schlichtungseinrichtung vorzusehen. Zur Frage, ob auch die Mitgliederversammlung Schlichtungseinrichtung sein könne, äußert er sich nicht ausdrücklich.

Höhne/Jöchl/Lummerstorfer , Das Recht der Vereine 6 (2019) 269, vertreten (ohne weitergehende Begründung) die Ansicht, für die Schlichtungseinrichtung könne ein gesondertes Organ geschaffen werden oder die Aufgabe der Streitschlichtung einem bereits bestehenden Organ (etwa der Generalversammlung) übertragen werden.

Hargassner , Handbuch für Vereinsfunktionäre 4 (2021) 43 f führt dagegen aus, eine Schlichtungseinrichtung sei nicht die Mitgliederversammlung, die nach vielen Vereinsstatuten mit einem Rechtsmittel gegen den Vereinsausschluss angerufen werden könne. Hier könne von einer paritätischen Zusammensetzung des Entscheidungsgremiums keine Rede sein, denn die Mitgliederversammlung sei das wichtigste Organ des Vereins, der (durch ein anderes Organ) das Mitglied aus dem Verein ausgeschlossen habe, also genau genommen der Konfliktgegner des ausgeschlossenen Mitglieds. Sei die Mitgliederversammlung nach den Statuten dazu berufen, über ein Rechtsmittel des Mitglieds gegen dessen Vereinsausschluss zu entscheiden, handle es sich um einen vereinsinternen Rechtszug.

[26] 1.4.3. Der Senat hält die Argumente Hargassners für überzeugend und führt folgende weitere Erwägungen ins Treffen: Die Mitgliederversammlung dient nach § 5 Abs 1 VerG der gemeinsamen Willensbildung der Vereinsmitglieder. Mit dieser Kompetenzzuweisung unterscheidet sich die Mitgliederversammlung grundlegend von der in § 8 VerG definierten Schlichtungseinrichtung hinsichtlich Zusammensetzung, Zweck und Funktion. Die Willensbildung in der Mitgliederversammlung erfolgt regelmäßig durch Abstimmung der Vereinsmitglieder. Wie dabei die Mitgliederversammlung der der Schlichtungseinrichtung obliegenden Pflicht, die Streitschlichtung zu versuchen, nachkommen können sollte, ist unerfindlich: Die Abstimmung kann zwar eine Entscheidung herbeiführen, kann aber den der Schlichtungseinrichtung aufgetragenen Schlichtungsvorschlag (vgl oben 1.3.) nicht ersetzen und insoweit nicht zur gütlichen Streitschlichtung beitragen. Die Mitgliederversammlung ist somit nicht geeignet, die Aufgaben der Schlichtungseinrichtung wahrzunehmen.

[27] 1.4.4. Zusammenfassend wird somit festgehalten:

Die Mitgliederversammlung eines Vereins kann in den Statuten nicht als Schlichtungseinrichtung iSd § 8 VerG vorgesehen werden.

[28] 1.5. Da – wie ausgeführt (1.2.) – die hier zu beurteilende Mitgliedschaft des Klägers im beklagten Verein und in dessen Vorstand Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis sind, die Generalversammlung (als Mitgliederversammlung) als Schlichtungseinrichtung dafür ausscheidet und die Statuten im Vereinsschiedsgericht eine Schlichtungs-einrichtung vorsehen, erweist sich § 15 Abs 1 Satz 2 der Statuten, wonach das Vereinsschiedsgericht für den Ausschluss oder die Streichung eines Mitglieds nicht zuständig ist, als gegen § 8 Abs 1 VerG verstoßend und somit als gesetzwidrig: Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich eine Einschränkung der Zuständigkeit der Streitschlichtungsstelle auf bestimmte Vereinsangelegenheiten nicht zulässig (6 Ob 280/08g; 5 Ob 251/15w Pkt 4 ua; RS0119982 [T12]).

[29] 1.6. Gesetzwidrige Vereinsstatuten oder einzelne Bestimmungen derselben können nach ständiger Rechtsprechung nichtig gemäß § 879 ABGB sein (6 Ob 47/59; RS0024792; RS0094154; vgl auch RS0009062). Ob Nichtigkeit vorliegt, ist nach dem Zweck der Verbotsnorm zu beurteilen (vgl RS0016417). Nichtigkeit liegt ua beim Verstoß gegen ein Gesetz, das dem Schutz von Allgemeininteressen, der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit dient, vor (RS0016432 [T1]). Die verpflichtende Einrichtung und Befassung einer vereinsinternen Schlichtungseinrichtung nach § 8 VerG bezweckt vor allem, die ordentlichen Gerichte von Prozessen in Vereinssachen zu entlasten (7 Ob 139/07b; Pondorfer aaO Rz 5 mwN). Dabei handelt es sich um ein Allgemeininteresse. § 15 Abs 1 Satz 2 der Statuten, wonach das Vereinsschiedsgericht für den Ausschluss oder die Streichung eines Mitglieds nicht zuständig ist, ist daher nichtig. Das Vereinsschiedsgericht hätte sich daher nicht unter Berufung auf diese Bestimmung der Statuten für unzuständig erklären dürfen.

[30] 1.7. Dessen ungeachtet f ührte diese Entscheidung durch das Vereinsschiedsgericht dazu, dass das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung iSv § 8 Abs 1 Satz 2 VerG beendet wurde. Der Kläger hat damit die Verpflichtung des § 8 Abs 1 VerG, wonach bei sonstiger Unzulässigkeit des Rechtswegs zunächst die vereinsinterne Schlichtungsstelle anzurufen ist (RS0124983), erfüllt. Aus dem Gesetz lässt sich nicht ableiten, dass bei einer zurückweisenden Entscheidung durch die Schlichtungseinrichtung die Klage erst sechs Monate nach Ablauf des Schlichtungsantrags eingebracht werden darf. Ein solches Abwarten wäre mit Hinblick auf die schon getroffene Endentscheidung sinnlos und für den Kläger unzumutbar. In Fällen der Unzumutbarkeit der Anrufung einer Schlichtungsstelle steht der Klageweg nach der Rechtsprechung ohne weitere Mitwirkung, sogar ohne Anrufung der Schlichtungseinrichtung offen (RS0122426 [T10]; RS0045572 [T12]). Umso mehr muss es einer klagenden Partei, deren Schlichtungsversuch von der Schlichtungsstelle zurückgewiesen wurde, möglich sein, die Klage vor Ablauf der 6-Monatsfrist einzubringen. Der Klage stand daher schon von Anfang an das temporäre Hindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs nach § 8 Abs 1 VerG nicht entgegen.

[31] 2. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

3. Kläger als Mitglied des Vereins und des Vorstands

[32] 3.1. Nach den Statuten (§ 8 Abs 2 lit c) des Beklagten sind nur Vereinsmitglieder passiv (somit auch für Organfunktionen) wahlberechtigt. Damit stellt sich hier die schon vom Berufungsgericht formulierte Frage, ob der dafür an sich zuständige Vorstand (§ 7 Abs 1 lit f der Statuten) auch dann den Ausschluss eines Vereinsmitglieds beschließen kann, wenn dieses eine Organfunktion innehat, weil dann mit dem Ausschluss aus dem Verein auch der Verlust der Organfunktion verbunden wäre und somit der Vorstand in die nach § 10 Abs 9 der Statuten der Generalversammlung zustehende Kompetenz zur Enthebung von Organfunktionären eingriffe.

3.2. Rechtsprechung

[33] Die Entscheidung 6 Ob 168/18a sprach aus, Akte eines Organs könnten grundsätzlich nur von diesem selbst widerrufen werden. Dort zielten die Statuten objektiv darauf ab, die Zusammensetzung des Präsidiums grundsätzlich stets einer Willensbildung der Generalversammlung zu unterziehen. Der Oberste Gerichtshof kam daher zum Ergebnis, dass der Beschluss des Präsidiums über die Abberufung des Klägers als Mitglied des Präsidiums des beklagten Vereins von einem dafür nicht zuständigen Vereinsorgan gefasst worden sei. Der Beschluss durch ein unzuständiges Vereinsorgan sei nichtig iSv § 7 VerG.

[34] Zu der hier vorliegenden Sonderkonstellation ist höchstgerichtliche Judikatur – soweit ersichtlich – nicht vorhanden.

3.3. Schrifttum

[35] Walch in Schopper/Weilinger , VereinsG § 5 Rz 354, vertritt die Ansicht, das Ende der Vereinsmitgliedschaft führe nicht zum Ende der Mitgliedschaft in einem Vereinsorgan. Dies folge daraus, dass eine Vereinsmitgliedschaft keine Bestellungsvoraussetzung sei. Sofern die Statuten vorsähen, dass nur Vereinsmitglieder bestellt werden können, komme ein automatisches Erlöschen oder wohl eher eine Möglichkeit zur Abberufung aus wichtigem Grund in Betracht.

[36] Höhne/Jöchl/Lummerstorfer , Das Recht der Vereine 6 167 f, führen aus, sei die Vereinsmitgliedschaft Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Leitungsorgan, so bewirke der Verlust der Vereinsmitgliedschaft grundsätzlich auch das Ausscheiden aus dem Leitungsorgan. […] Die Pointe einer solchen Vorgangsweise liege darin, dass für den Ausschluss eines Mitglieds in aller Regel ein anderes Organ (das Leitungsorgan) zuständig sei als für die Abwahl als Vorstandsmitglied (dies sei grundsätzlich die Mitgliederversammlung als jenes Organ, das dieses Organmitglied gewählt habe). Sofern aber die Statuten für den Ausschluss eines solchen Mitglieds keine Sonderregeln vorsähen, bestehe kein Grund dafür, dass Voraussetzung eines Ausschlusses der vorangehende Verlust der Funktion sein müsse. Mit einer derart schematischen Betrachtungsweise ließe sich aber ein Machtkampf an der Spitze ganz wunderbar austragen: Die Mehrheit im Vorstand wolle eine Minderheit (oder auch nur ein einzelnes Vorstandsmitglied) loswerden, suche daher einen halbwegs brauchbaren Vorwand für einen Vereinsausschluss des oder der Betreffenden, und schon wäre man die unliebsamen Vorstandsmitglieder los. Das hieße allerdings, den Willen der Mehrheit der Vereinsmitglieder, die die Betreffenden in ihr Amt gewählt haben, zu ignorieren – und das gehe nicht. Es bleibe nur, eine Mitgliederversammlung einzuberufen und dort die Abwahl auf die Tagesordnung zu setzen.

[37] Hargassner , Handbuch für Vereinsfunktionäre 4 42, meint, wenn die ausgeschlossene Person Mitglied des Vorstands […] sei, wäre es zumindest strittig, ob sie noch zur weiteren Ausübung der Funktion verpflichtet wäre, in die sie gewählt worden sei. Daraus ergebe sich, dass der Vorstand solche Personen nicht aus dem Verein ausschließen könne. Er könne nur an die Mitgliederversammlung den Antrag stellen, eine solche Person ihrer Funktion zu entheben. Wenn es dann zu einer Enthebung komme, könnte allenfalls die Mitgliederversammlung selber über einen Vereinsausschluss entscheiden.

[38] 3.4. Der erkennende Senat hält die Erwägungen von Höhne/Jöchl/Lummerstorfer und Hargassner (vgl auch BGH 6. 2. 1984, II ZR 119/83 BGHZ 90, 92) für überzeugend. Somit ist festzuhalten:

[39] Sehen die Vereinsstatuten vor, dass die von der Mitgliederversammlung zu bestellenden und abzuberufenden Organmitglieder Vereinsmitglieder sein müssen, so kann der an sich für den Ausschluss von Vereinsmitgliedern zuständige Vereinsvorstand ein Organmitglied als Vereinsmitglied so lange nicht ausschließen, als nicht die Mitgliederversammlung das Organmitglied aus dieser Stellung abberufen hat.

3.5. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

[40] 3.5.1. Der in der Vorstandssitzung vom 20. 5. 2021 beschlossene Ausschluss des Klägers aus dem Verein (als Vereinsmitglied) ist unwirksam.

[41] 3.5.2. Daraus folgt, dass der Kläger mit dieser Beschlussfassung auch nicht aus der Position eines Vorstandsmitglieds enthoben werden konnte, zumal dafür der Vorstand das unzuständige Organ ist (vgl 6 Ob 168/18a).

[42] 3.5.3. Deshalb geht auch die Beschlussfassung der Generalversammlung vom 7. 7. 2021 betreffend den Vereinsausschluss des Klägers ins Leere, weil ein rechtswirksamer Ausschluss, über den die Generalversammlung nach § 11 Abs 9 lit f der Statuten entscheiden hätte können, nicht vorlag. Die Beschlussfassung der Generalversammlung kann nicht in eine Abstimmung über die Enthebung des Klägers aus dem Vorstand (nach § 10 Abs 9 der Statuten) umgedeutet werden, weil dies nicht der Tagesordnung und dem Abstimmungsgegenstand entsprach. Eine Wirksamkeit des Generalversammlungsbeschlusses scheitert auch daran, dass mit der dem Kläger bloß fünf Minuten gewährten Redezeit sein rechtliches Gehör verletzt wurde und somit ein faires Verfahren nicht gegeben war. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Beschlüssen von Vereinsorganen bewirkt Nichtigkeit des Beschlusses nach § 7 VerG (1 Ob 137/06p; 4 Ob 150/07y; 4 Ob 109/15f; Fuhrmann in Schopper/Weilinger , VereinsG § 7 Rz 14, 21).

[43] 4. Da somit weder die Beschlussfassung des Vorstands vom 20. 5. 2021 noch diejenige der Generalversammlung vom 7. 7. 2021 wirksam war, ist der Kläger nach wie vor Mitglied des beklagten Vereins und dessen Vorstands, sodass das klagestattgebende Urteil des Berufungsgerichts zu bestätigen war.

[44] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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