JudikaturJustiz1Ob146/18d

1Ob146/18d – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Abwesenheitspflegschaftssache der R*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin S***** (Anstalt des öffentlichen Rechts), *****, Deutschland, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG, Wien, wegen Bestellung eines Abwesenheitskurators, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Juni 2018, GZ 43 R 270/18a 20, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 6. Juni 2018, GZ 9 P 173/17h 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin betrieb in Österreich eine mittlerweile aufgelöste Zweigstelle (Zweigniederlassung). Sie beabsichtigt, sämtliche noch bestehenden Geschäftsbeziehungen mit „Kunden dieser Zweigstelle“ zu beenden und beantragt in diesem Zusammenhang die Bestellung eines Abwesenheitskurators für eine im Antrag näher bezeichnete Kundin mit deutscher Staatsbürgerschaft und zuletzt bekannter Adresse in Deutschland, deren derzeitiger Aufenthalt unbekannt sei. Zusätzlich bzw alternativ („und/oder“) wird die Bestellung des Abwesenheitskurators für einen „etwaigen sonstigen Inhaber“ des (Überbringer )Sparbuchs dieser Kundin beantragt.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss, mit dem das Erstgericht diesen Antrag mangels internationaler Zuständigkeit zurückgewiesen hatte. Es verneinte die Frage, ob sich die Antragstellerin auf den Vermögensgerichtsstand des § 110 Abs 1 Z 3 JN stützen kann, und begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Sparguthaben der Kundin mangels aufrechter Zweigniederlassung der Antragstellerin in Österreich kein inländisches Vermögen (mehr) darstelle. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung dazu vorliege, ob ein Sparbuch bei einer ausländischen Bank, die in der Vergangenheit eine österreichische Zweigniederlassung betrieb, die inländische Gerichtsbarkeit begründet.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Die Antragstellerin stützt die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausschließlich auf § 110 Abs 1 Z 3 JN, also auf ein im Inland befindliches Vermögen der Kundin. Obwohl die erstinstanzlichen Ausführungen zur (internationalen) Zuständigkeit das inländische Vermögen nicht ausdrücklich bezeichnen, ist damit nach dem Antragsvorbringen erkennbar das Sparguthaben bei der Antragstellerin (mit einem behaupteten Saldo per 31. 10. 2017 von 60,36 EUR) gemeint.

2. Gemäß § 99 Abs 2 Satz 1 JN gilt bei Forderungen der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners als der Ort, an dem sich das Vermögen befindet. Dies gilt auch für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit in Pflegschaftssachen nach § 110 Abs 1 Z 3 JN (vgl etwa 9 Ob 101/03y; 1 Ob 199/03a; 2 Ob 199/03h; jeweils zu Unterhaltsvorschussverfahren), soweit darin darauf abgestellt wird, dass der Pflegebefohlene „Vermögen im Inland“ hat und es um dieses Vermögen betreffende Maßnahmen geht. Ist der Schuldner eine juristische Person, kommt es auf deren Sitz an (6 Ob 771/79 = HS 11.347). Dieser liegt bei der Antragstellerin als Schuldnerin des Sparguthabens jedoch in Deutschland, weshalb keine Bedenken gegen die Verneinung der österreichischen internationalen Zuständigkeit durch die Vorinstanzen bestehen. Ob eine im Rahmen der Geschäftstätigkeit einer – nicht eigens rechtsfähigen (vgl jüngst 5 Ob 71/18d = RIS Justiz RS0132143) – inländischen Zweigniederlassung begründete Forderung gegen den ausländischen Rechtsträger für die internationale Zuständigkeit gemäß § 110 Abs 1 Z 3 JN ausreichen könnte, muss schon angesichts der vor Antragstellung erfolgten Auflösung der österreichischen Zweigniederlassung der Antragstellerin nicht geprüft werden; das inländische Vermögen als Anknüpfungspunkt muss ja bei Antragstellung – oder spätestens bei der Entscheidung – vorliegen (vgl nur die Judikaturnachweise bei Mayr in Rechberger 4 § 99 JN Rz 10). Die Revisionsrekurswerberin geht im Übrigen selbst davon aus, dass es für das Vorliegen eines inländischen Vermögens nicht auf das Bestehen einer solchen Zweigniederlassung des Schuldners ankommt.

3. Erstmals in ihrem Rekurs behauptete die Antragstellerin, dass in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen österreichisches Recht und als Erfüllungsort ein im Inland gelegener Ort vereinbart worden sei. Soweit sie die internationale Zuständigkeit in ihrem Revisionsrekurs ausdrücklich auch auf diese Umstände – sowie auf die dort erstmals erhobene Behauptung eines vereinbarten Gerichtsstands am (inländischen) Erfüllungsort – stützt, ist ihr zu entgegnen, dass zwar Tatsachen und Beweismittel, die jederzeit von Amts wegen wahrzunehmende Umstände (wie Prozessvoraussetzungen) betreffen, nicht dem Neuerungsverbot unterliegen ( Garber in Fasching / Konecny ³ § 42 JN Rz 49; Kodek in Gitschthaler / Höllwerth § 49 AußStrG Rz 33). Gemäß dem auch im außerstreitigen Verfahren anzuwendenden § 42 Abs 1 JN (zum Anwendungsbereich vgl Fasching / Konecny , Zivilprozessgesetze³ I Vorbemerkungen zur Jurisdiktionsnorm Rz 1; Fucik / Kloiber , AußStrG, Vor § 1 Rz 1) ist aber nur auf jene Tatsachen von Amts wegen Bedacht zu nehmen, aus denen das Fehlen der dort genannten Prozessvoraussetzungen (hier der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit) hervorgeht, wogegen Tatsachen, die erstmals im Rechtsmittel gegen eine (hier wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit erfolgte) Zurückweisung vorgebracht werden, dem Neuerungsverbot unterliegen (RIS Justiz RS0053062 [T2]; zum Neuerungsverbot im außerstreitigen Revisionsrekursverfahren vgl RS0119918).

4. Im Übrigen ist zu bedenken, dass §

110 Abs 1 Z 3 JN nach der Rechtsprechung teleologisch auf dringende Maßnahmen wegen Fürsorgebedürftigkeit des Ausländers reduziert wird (vgl etwa 3 Ob 2008/96g = SZ 69/67; 4 Nc 4/04g mwN; RIS Justiz RS0102769 ). Auf eine solche Dringlichkeit im Interesse der Kundin stützt sich die Antragstellerin aber nicht. Soweit sie sich darauf beruft, es handle sich um ein „österreichisches Sparbuch“ und bei der Einlagenforderung der Kundin um eine Holschuld, übersieht sie, dass nach Schließung der österreichischen Filiale eine Auszahlung nur mehr in den (verbliebenen) Geschäftsräumlichkeiten in Deutschland – gegen Vorlage des Sparbuchs – gefordert (und abgeholt) werden kann.

5. Zusammengefasst zeigt die Revisionsrekurswerberin

keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, sodass der Revisionsrekurs zurückzuweisen ist.

Rechtssätze
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