JudikaturJustiz15Os7/14i

15Os7/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Augustin I***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. September 2013, GZ 16 Hv 65/13a 42, nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung der dem Schuldspruch B zugrunde liegenden Tat unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ein Verfallserkenntnis und einen Konfiskationsausspruch enthält, wurde Augustin I***** des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG (A) sowie des Verbrechens des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er von Anfang Oktober 2012 bis 19. Februar 2013 in Graz vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Delta 9 THC hältiges Cannabiskraut (Marihuana) mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 7,69 % in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge

A./ mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er in seiner Wohnung insgesamt 569 Gramm (brutto) verwahrte, welches er zuvor von unbekannten Personen beschafft hatte;

B./ anderen überlassen, indem er zumindest 393 Gramm (brutto) an im Urteil namentlich genannte sowie weitere, bislang nicht näher bekannte Personen gewinnbringend verkaufte, wobei er die Tat gewerbsmäßig beging und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnte der Antrag des Rechtsmittelwerbers (der im Verfahren einen regelmäßigen Konsum von zwei bis drei Gramm Marihuana brutto „fast täglich“ bzw „alle drei bis vier Tage“ und „ein bis zweimal pro Woche“ bis zu seiner Festnahme am 19. Februar 2013 behauptet hat) auf Einholung einer Haaranalyse zum Beweis dafür, dass er vor dem genannten Zeitpunkt regelmäßig Marihuana konsumiert hatte (ON 41 S 13 f), schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden, weil trotz gegenteiliger Auskunft des ermittelnden Polizeibeamten in der Hauptverhandlung nicht darlegt wurde, weshalb die angestrebte Beweisführung überhaupt geeignet sein sollte, eine zum Antragszeitpunkt bereits über sechs Monate zurückliegende Gewöhnung an Suchtmittel im Sinn des § 28a Abs 3 SMG (vgl RIS Justiz RS0124621) für den Tatzeitraum nachzuweisen. Damit lief das Begehren aber von vornherein auf eine im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus (RIS Justiz RS0118444, RS0118123).

Als Verstoß gegen das Überraschungsverbot kritisiert die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) die Ableitung des als „durchschnittliche Straßenqualität“ bezeichneten Reinheitsgrades von 7,69 % (US 4) durch Rückgriff (auch) auf eine (angeblich) „allgemeine Lebenserfahrung“. Zwar ist richtig, dass der Angeklagte ein Recht darauf hat, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden, jedoch liegt ein Verstoß gegen das fair trial Gebot des Art 6 MRK nicht vor, wenn diese Tatsache durch Vortrag der Anklageschrift (RIS Justiz RS0119094) oder sonst in der Hauptverhandlung dargestellt wurde. Bereits die Staatsanwaltschaft legte der gesamten tatverfangenen Menge unter Hinweis auf die Analyse des beim Angeklagten sichergestellten Suchtgifts eine „gute Qualität“ mit einer Wirkstoffkonzentration von 7,69 % zu Grunde (ON 34 AS 9 und ON 41 S 2). Auch die Tatrichter bezogen sich in ihren Erwägungen zum Wirkstoffgehalt auf den angesprochenen Untersuchungsbericht, wobei ihnen mit Blick auf den über längere Zeit bei denselben Abnehmern erzielbaren Preis von 10 Euro pro verkauftem Gramm, auf die Angaben der als Zeugen vernommenen Abnehmer zur Qualität des vom Angeklagten bezogenen Suchtgifts und auf die Angaben des Zeugen Stefan S***** zur polizeibekannten Straßenqualität (vgl ON 41 S 13) ein konstanter Reinheitsgrad von 7,69 % „in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung“ plausibel erschien (US 7). Von einer Überraschung durch nicht in der Hauptverhandlung erörterte Umstände kann daher nicht die Rede sein.

Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurden die Depositionen des Angeklagten zu seinem Eigenkonsum und dessen Umfang in die Erwägungen der Tatrichter miteinbezogen, unter Hinweis auf den negativen Suchtgifttest und die nach seiner Festnahme geäußerte Ansicht, nicht süchtig zu sein, jedoch für unglaubwürdig verworfen (US 5 und 7). Auf die Behauptung, dass aus den erwähnten Beweisergebnissen bei Annahme eines (vom Angeklagten angegebenen) letztmaligen Konsums einige Tage vor Durchführung des Tests auch andere Schlüsse gezogen werden könnten und dass die des Urteils nicht zwingend sind, kann eine Rüge nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht gestützt werden (vgl RIS Justiz RS0099455, RS0098377). Der Vorwurf einer Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) der Urteilsannahmen, wonach ein Eigenkonsum „nicht festgestellt werden“ konnte (US 5), geht im Hinblick auf die bereits dargelegten tatrichterlichen Erwägungen zu dieser Frage ins Leere. Weshalb ein Versicherungsdatenauszug, der eine im Urteil ohnehin angenommene (US 3) Beschäftigung im Tatzeitraum ausweist, der dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelten Einschätzung zur Frage gewerbsmäßiger Tatbegehung oder zur Verneinung von Beschaffungskriminalität entgegenstehen sollte und deshalb einer Erörterung bedurft hätte, macht die Beschwerde nicht klar (vgl RIS Justiz RS0098778, RS0098495).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) beruft sich ausschließlich zum Schuldspruch B auf einen Rechtsfehler mangels Feststellungen, weil „laut Anhang I der Suchtgiftverordnung nicht Cannabiskraut, sondern die 'Blüten und Fruchtstände' der Cannabispflanze inkriminiert sind“ (vgl I.1.a des Anhangs I der SV). Dabei verabsäumt sie jedoch prozessordnungswidrig die gebotene methodengerechte Ableitung, weshalb die Urteilsannahmen zur „Reinsubstanz des überlassenen Cannabiskrauts […] bezogen auf den Wirkstoff Delta 9 THC“ (US 4 und 7) trotz der in § 1 Abs 2 SV iVm deren Anhang IV.1 (vgl § 2 Abs 2 SMG) normierten Gleichstellung von Delta 9 THC mit Suchtgiften im Sinn des § 2 Abs 1 SMG für eine Verurteilung nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG nicht ausreichen sollten ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 584 und 588).

Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) zum Schuldspruch B den Vorwurf erhebt, aus den Feststellungen sei auch nicht ersichtlich, welche „den Suchtgiftgesetzen unterworfene Reinsubstanz“ mit dem angegebenen Reinheitsgehalt gemeint sei, übergeht sie prozessordnungswidrig (vgl RIS Justiz RS0099810; Ratz , WK StPO § 281 Rz 584) die Konstatierung, wonach die Reinsubstanz des beim Angeklagten aufgefundenen (A) und von diesem überlassenen (B) Suchtgifts also der jeweils angeführten Bruttomengen „bezogen auf den Wirkstoff Delta-9 THC in allen Fällen zumindest 7,69 %“ ausmachte (US 4).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zurückzuweisen.

Im Recht ist allerdings die Subsumtionsrüge (Z 10) mit ihrer Kritik, dass die zu Schuldspruch B getroffenen Feststellungen zur gewerbsmäßigen Tatbegehung und zur Vorverurteilung eine Subsumtion (auch) unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht zu tragen vermögen:

Dem Urteil ist insofern zu entnehmen, dass der Angeklagte in mehreren Angriffen Marihuana in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Ziel verkaufte, sich durch die wiederkehrende gewinnbringende Überlassung von Cannabiskraut in einer größtmöglichen und somit die Grenzmenge nach § 28b SMG übersteigenden Menge eine fortlaufende Einnahme über einen möglichst langen Deliktszeitraum zu verschaffen (US 3, 4 und 7), wobei er es für möglich hielt und sich damit abfand, „dass durch den wiederkehrenden Verkauf von kleineren Mengen Marihuana über einen längeren … Zeitraum insgesamt die Grenzmenge nach § 28b SMG überschritten wird“ (US 4 und 7). Damit fehlt aber die für die Erfüllung der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG erforderliche ( eindeutige ) Konstatierung einer Absicht, sich durch wiederholtes Inverkehrsetzen von die Grenzmenge (allenfalls sukzessive) übersteigenden Suchtgiftmengen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (RIS Justiz RS0114843 [T5]; RS0112225 [T11]; 15 Os 122/12y).

Darüber hinaus lässt das Urteil (S 3 und 5) mangels ausreichenden Sachverhaltsbezugs (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 8; RIS Justiz RS0119090) zur von der ausländischen Verurteilung aus dem Jahr 2009 umfassten Suchtgiftmenge eine abschließende Beurteilung der für die Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG zusätzlich zur gewerbsmäßigen Begehung essentiellen Frage nicht zu, ob die von der Vorverurteilung umfasste Tat alle Merkmale des § 28a Abs 1 SMG aufweist (RIS Justiz RS0088000; RS0111350; RS0126985; 13 Os 144/08p; 11 Os 75/11f).

Die Aufhebung der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch B umfassten Tat (auch) unter § 28a Abs 2 Z 1 SMG ist daher unumgänglich.

Eine daraus resultierende Kassation der Schuldsprüche wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall SMG (A) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (B) gemäß § 289 StPO (vgl RIS Justiz RS0119278) war nicht angebracht, weil ein diversionelles Vorgehen gemäß § 35 Abs 2 SMG schon aufgrund im Urteil verneinter Gewöhnung an Suchtmittel, aber auch ein solches nach dem 11. Hauptstück der StPO angesichts der sich aus der Vielzahl der Angriffe trotz einschlägiger Vorstrafe ergebenden Schwere der Schuld des Angeklagten ausscheiden würde.

Somit war in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur der Nichtigkeits-beschwerde des Angeklagten bereits in nichtöffentlicher Sitzung teils sofort Folge zu geben (§ 285e StPO), im Übrigen war sie jedoch zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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