JudikaturVwGH

Ro 2023/01/0002 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der P M in G, vertreten durch Mag. Sarah Moschitz Kumar, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Frauengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2022, Zl. W220 22342681/16E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Revisionswerberin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte am 28. Jänner 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 10. Juli 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Revisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigen zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Instanzenzug nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen der Revisionswerberin, sie sei in Afghanistan von ihrem Onkel gegen ihren Willen verlobt worden bzw. ihr drohe im Falle der Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsverheiratung, sei nicht glaubwürdig.

Die Revisionswerberin pflege auch keine Lebensweise, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstelle und sie im Fall ihrer Rückkehr einer konkreten und individuellen Gefahr aussetzen würde.

Der Revisionswerberin drohe in Afghanistan auch nicht allein aufgrund ihres Geschlechts Verfolgung; den Länderberichten sei „derzeit“ nicht zu entnehmen, dass alle Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gleichermaßen bereits allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit Gefahr laufen würden, konkreter und individueller physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

Die Revisionswerberin sei im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.

5Zur Zulässigkeit der Revision führte das BVwG aus, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege, weil sich der Verwaltungsgerichtshof im Wege der Vorabentscheidungsersuchen vom 14. September 2022, EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028) und EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425), hinsichtlich der Frage der Gewährung von Asyl aufgrund der Kumulierung von einschränkenden Maßnahmen gegen Frauen und ob dafür einzig die Betroffenheit aufgrund des Geschlechts ausreichend oder eine Prüfung der individuellen Situation erforderlich sei, an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gewandt habe.

6 Darauf nimmt auch die vorliegende ordentliche Revision Bezug.

7 In dem vom BVwG durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

8 Die Revision ist zulässig.

9 Im Gefolge des Urteils des EuGH vom 4. Oktober 2024, C 608/22 und C609/22, mit dem über die obgenannten Vorabentscheidungsersuchen entschieden wurde, sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 2023, Ra 2021/20/0425 und Ra 2022/20/0028, ergangen.

Aus den in diesen Erkenntnissen genannten (gleichlautenden) Entscheidungsgründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ist die vorliegende Revision auch begründet.

10In Verkennung der dort dargestellten Rechtslage ist das BVwG auch im gegenständlichen Fall tragend u.a. davon ausgegangen, dass es für die Asylgewährung auf eine „verinnerlichte wesentliche Orientierung“ der Revisionswerberin ankomme, sowie, dass aus der Berichtslage zur Situation in Afghanistan nicht abzuleiten sei, dass die Personen weiblichen Geschlechts von den faktisch die Staatsmacht ausübenden Taliban auferlegten Einschränkungen eine asylrechtlich relevante Verfolgungshandlung darstellten (vgl. inzwischen auch VwGH 31.10.2024, Ra 2022/20/0201 bis 0204).

11Somit ist auch hier das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

12Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. November 2024