JudikaturVwGH

Ra 2022/01/0319 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. Z A, 2. A W S, 3. S A, 4. mj. O A, 5. mj. Z A, 6. mj. L A und 7. mj. M A, alle in W, alle vertreten durch Dr. Thomas Marschall, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dorotheergasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2022, Zlen. 1. W198 2214162 1/15E, 2. W198 2233581 1/16E, 3. W198 2233580 1/16E, 4. W198 2214160 1/13E, 5. W198 2214166 1/14E, 6. W198 2214156 1/13E und 7. W198 22141581/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von je € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind miteinander verheiratet und die Eltern der bei Stellung der Anträge auf internationalen Schutz minderjährigen dritt bis siebentrevisionswerbenden Parteien. Die revisionswerbenden Parteien sind afghanische Staatsangehörige.

2 Mit Bescheiden vom 21. November 2018 bzw. 10. Juli 2020 erkannte die belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), den revisionswerbenden Parteien jeweils den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Instanzenzug nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungim Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG soweit hier relevant hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten an die Erstrevisionswerberin aus, eine westliche Orientierung sei nicht gegeben; der von ihr gepflegte Lebensstil verletze die sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr im Fall der Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Auch hinsichtlich der (minderjährigen) Sechst- und Siebentrevisionswerberinnen könne keine „westliche Orientierung“ festgestellt werden.

5 Die Revision rügt im Zulässigkeitsvorbringen hinsichtlich der Erstrevisionswerberin sowie der Sechstund Siebentrevisionswerberinnen einerseits ein Abweichen von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Voraussetzungen für die Asylgewährung an Frauen aus Afghanistan und macht geltend, dass keine Rechtsprechung zu den vom Verwaltungsgerichtshof im Wege von Vorabentscheidungsersuchen vom 14. September 2022, EU 2022/0016 (Ra 2021/20/0425) und EU 2022/0017 (Ra 2022/20/0028) und an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) herangetragenen Rechtsfragen zur Verfolgung von Frauen in Afghanistan vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattetein einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision ist zulässig.

7 Im Gefolge des Urteils des EuGH vom 4. Oktober 2024, C 608/22 und C609/22, mit dem über die obgenannten Vorabentscheidungsersuchen entschieden wurde, sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 2023, Ra 2021/20/0425 und Ra 2022/20/0028, ergangen.

8Aus den in diesen Erkenntnissen ausgeführten (gleichlautenden) Entscheidungsgründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ist die vorliegenden Revision im Hinblick auf die Erst sowie die Sechst und die Siebentrevisionswerberinnen auch begründet.

9In Verkennung der dort dargestellten Rechtslage ist das BVwG auch im gegenständlichen Fall tragend insbesondere davon ausgegangen, dass es für die Asylgewährung der Revisionswerberinnen auf eine „verinnerlichte westliche Orientierung“ ankomme; diese Argumentation greift zu kurz (vgl. etwa VwGH 21.11.2024, Ra 2022/18/0197, sowie VwGH 21.11.2024, Ro 2023/01/0002).

10Das angefochtene Erkenntnis war insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

11Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. etwa VwGH 22.8.2024, Ra 2022/19/0212 und 0213, mwN).

12Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

13Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. Dezember 2024