Ra 2021/20/0425 2 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Was Art. 9 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie betrifft, ist ein solcher Schweregrad der Verletzung der Menschenrechte insbesondere dann als erreicht anzusehen, wenn mehrere Verletzungen von Rechten in ihrer Gesamtheit, die nicht zwangsläufig Rechte darstellen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK nicht abgewichen werden darf, die uneingeschränkte Wahrung der in Art. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verankerten Menschenwürde beeinträchtigen (Art. 1 GRC lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen."), die die Statusrichtlinie, wie sich aus ihrem 16. Erwägungsgrund ergibt, ausdrücklich gewährleisten soll. "Im vorliegenden Fall" - gemeint: bezogen auf solche Regelungen und Maßnahmen, wie sie in der Vorlagefrage 1. (Beschluss vom 14.9.2022) geschildert wurden - besteht kein Zweifel daran, dass unabhängig von den Repressionen, denen afghanische Frauen ausgesetzt sind, wenn sie die vom Taliban-Regime erlassenen Vorschriften - die für sich genommen bereits eine Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Statusrichtlinie darstellen können - nicht befolgen, diese diskriminierenden Maßnahmen sowohl aufgrund ihrer Intensität und ihrer kumulativen Wirkung als auch aufgrund der Folgen, die sie für die betroffene Frau haben, den erforderlichen Schweregrad erreichen (Rn. 41 f im Urteil des EuGH, C-608/22 und C-609/22).