Spruch
W200 2301274-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Traiskirchen, vom 27.06.2024, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.12.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und zwei Brüdern unrechtmäßig und unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 25.10.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26.10.2023 gab die Beschwerdeführerin an, sie sei am XXXX in Damaskus, Syrien geboren. Sie sei syrische Staatsangehörige und gehöre dem islamischem Glauben sowie der arabischen Volksgruppe an. Ihre Muttersprache sei Arabisch. Sie habe Syrien am 08.10.2023 verlassen und sei nach Österreich gereist.
Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass im Jahr 2012 ihr Wohngebiet, XXXX (auch: XXXX ), von der syrischen Regierung isoliert worden sei. Sie sei damals ein Kleinkind gewesen und habe nichts davon mitbekommen. In XXXX seien Islamisten aufhältig gewesen, weswegen sie isoliert worden seien. Bis 2018 sei es der Regierung und der Koalition gelungen, das Dorf XXXX von den Islamisten zu befreien. Danach seien sie nach Idlib verlegt worden. Dort hätten sie bis Oktober 2023 gelebt. Das Leben dort sei sehr schwer geworben, deshalb habe ihre Familie beschlossen, Syrien zu verlassen um eine neue Zukunft für sie und ihre Familie zu schaffen. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat hätte sie Angst um ihr Leben und ihre Zukunft.
3. Am 17.06.2024 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: BFA oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Sie gab dabei im Wesentlichen an, dass sie Araberin und sunnitische Muslima sei. Sie sei ledig, habe keine Kinder und sei gesund. Sie habe in Rif Damaskus in dem Dorf XXXX gelebt. 2018 sei sie mir ihrer Familie nach XXXX (auch: XXXX ) im Gouverment Idlib übersiedelt, wo sie bis zur Ausreise gelebt habe. Ihr Vater lebe gemeinsam mit ihrer Großmutter noch in Rif Damaskus, ihre Großeltern, vier Tanten und zwei Onkel mütterlicherseits würden auch in Syrien leben.
Die Beschwerdeführerin habe Syrien verlassen, da es keine Sicherheit gegeben habe. Sie habe nicht die Freiheit gehabt, die Schule abzuschließen. Andere hätten Matura machen und studieren können, sie habe keine Möglichkeiten gehabt. Sie habe kein Recht auf einen Ausweis gehabt und habe sich nicht in der Schule registrieren können. Sie hätte ihren Ausweis in Damaskus ausstellen lassen müssen, da sie dort geboren sei, was ihr Vater nicht gewollt habe, da ihr Bruder im wehrpflichtigen Alter gewesen sei. Aus Angst habe sie nicht nach Damaskus reisen können. Sie habe von Kollegen erfahren, dass ein Mädchen nicht fortgehen könne, da eine Freundin dann von einem Soldaten missbraucht worden sei. Ihr Bruder sei dreimal von der Freien Syrischen Armee (FSA) aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Bei einer Rückkehr bestehe die Gefahr, dass sie festgenommen werde, da sie keinen Ausweis besitze, oder weil irgendein Grund erfunden werden würde.
Im Zuge der Einvernahme legte die Beschwerdeführerin ein Familienbuch und einen Familienregisterauszug im Original vor.
4. Mit dem nunmehr bekämpfen Bescheid des BFA vom 27.06.2024 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.).
5. Die durch die BBU vertretene Beschwerdeführerin erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführerin als einer Person, die nach der Einnahme von Rif Damaskus in ein Gebiet der Opposition gegangen sei und aus einem solchen stammt, im Falle der Rückkehr vom syrischen Regime eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werden würde. Die Beschwerdeführerin habe sich an die westliche Lebensart gewöhnt und müsste sich bei einer Rückkehr den strengen religiösen Vorschriften der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) unterordnen. Sie sei ledig und kinderlos und hätte als alleinstehende Frau im Falle einer Rückkehr keinen effektiven männlichen Schutz und wäre im islamisch strenggläubigen HTS-Gebiet der schutzlos. Sie wäre somit schweren sexuellen Übergriffen und willkürlicher Gewalt ausgesetzt.
6. Die belangte Behörde legte die Beschwerde am 18.10.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese samt Verwaltungsakten am 23.10.2024 einlangten.
7. Am 27.12.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine mündliche Verhandlung durch. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung entschuldigt nicht teil.
In der mündlichen Verhandlung wurde der maßgebliche Sachverhalt ermittelt und es wurde die Beschwerdeführerin eingehend zu ihren Fluchtgründen befragt. Ihr wurde auch Gelegenheit gegeben, zu den im Verfahren herangezogenen Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 27.03.2024, Version 11, sowie die Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024, SYRIEN, Sicherheitslage, politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht und UNHRC Regional Flash Update #2) Stellung zu nehmen.
8. Am 17.01.2025 legte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin eine Stellungnahme betreffend die Mutter der Beschwerdeführerin, ihre Schwester, die beiden Brüder und die Beschwerdeführerin selbst vor. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin als staatenlose Palästinenserin bei UNRWA registriert sei. Hinsichtlich der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester wurde vorgebracht, dass eine wesentlich geänderte Lage gegenüber den bisher im Verfahren herangezogenen Länderberichten bestehe. Es sei nicht absehbar, wie die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte HTS nun vorgehe und ob diese tatsächlich moderater geworden sei. Die HTS sei für Hinrichtungen, außergerichtliche Tötungen, Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Verhaftungen sowie Anwendung von sexualisierter Gewalt verantwortlich gewesen; zudem komme es zu Einschränkungen der Rechte von Frauen. Die Beschwerdeführerin erfülle die UNHCR- und EUAA-Risikoprofile der Frauen, die ohne männliche Unterstützung seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch angeführten Namen. Sie ist syrische Staatsangehörige, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist sunnitisch-muslimischen Glaubens. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Arabisch.
Die Beschwerdeführerin reiste unrechtmäßig mit ihrer Mutter, XXXX , ihrer Schwester, XXXX , ihren beiden Brüdern, XXXX , und XXXX , in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Beschwerdeführerin ist ledig und hat keine Kinder.
Der staatenlosen Mutter der Beschwerdeführerin sowie den beiden minderjährigen Brüdern wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.02.2025, GZ: W200 2301162-1/11E, W200 2301163-1/11E und W200 2301271-1/8E, der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Die Beschwerdeführerin ist nicht als staatenlose Palästinenserin bei UNRWA registriert.
Die Beschwerdeführerin ist in Damaskus geboren und wuchs im Dorf XXXX (auch: XXXX und XXXX ) im Gouvernement Rif Damaskus auf. Im Jahr 2018 zog sie mit ihrer Familie in die Stadt XXXX (auch: XXXX ) im Gouvernement Idlib, nachdem die syrische Regierung die Kontrolle über den Ort übernommen hatte. Der Umzug erfolgt aus freier Überzeugung der Mutter der Beschwerdeführerin.
XXXX im Gouvernement Idlib steht unter der Kontrolle der HTS.
Die Beschwerdeführerin besuchte in Syrien 8 Jahre lang die Schule.
In Syrien leben der Vater der Beschwerdeführerin, XXXX , gemeinsam mit dessen Mutter im Dorf XXXX im Gouvernement Rif Damaskus. Weiters leben die Großeltern der Beschwerdeführerin sowie mehrere Tanten und Onkeln mütterlicherseits in Syrien.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Durch eine Ende November 2024 gestartete Großoffensive der HTS gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 08. Dezember 2024 zu einem Machtwechsel in Syrien (s. dazu näher unten): Assad setzte sich nach Russland ab, die HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung.
Das syrische Regime unter Bashar al-Assad übt in Syrien seit dem 08. Dezember 2024 weitestgehend keine territoriale Kontrolle und keine staatliche Macht mehr aus.
Die Beschwerdeführerin war in Syrien zu keinem Zeitpunkt politisch aktiv oder Mitglied einer politischen Partei und war weder in Syrien noch in Österreich eine politisch exponierte Person. Der Beschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung aufgrund einer (ihr unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung durch das frühere syrische Regime, die HTS oder andere Konfliktparteien. Ihr droht auch keine Verfolgung aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung in Österreich oder ihrer Herkunft aus einem als (ehemals) vom Assad-Regime oppositionell angesehenen Gebiet.
Der Beschwerdeführerin droht in XXXX und der Umgebung auch keine geschlechtsspezifische Verfolgung. Die Beschwerdeführerin ist keine alleinstehende Frau und könnte in Syrien auf die Unterstützung ihrer Familienmitglieder, insbesondere ihres Vaters, zurückgreifen. Der Beschwerdeführerin droht nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsheirat; zudem steht ihr auch der Schulbesuch offen.
Der Beschwerdeführerin stehen für die Einreise nach Syrien alle offenen Grenzübergänge nach Syrien offen. Insbesondere auch die ehemals vom syrischen Regime kontrollierten Flughäfen, die nunmehr unter Kontrolle der HTS stehen und für den zivilen Personenverkehr geöffnet sind. Eine Weiterreise der Beschwerdeführerin nach XXXX ist möglich, ohne dass ihr dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aufgrund ihrer Religion, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung droht.
Insgesamt droht der Beschwerdeführerin im Fall Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat:
Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10.12.2024:
„1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive: […]
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b). […]
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).
Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024). […]“
Auszüge aus der „Informationssammlung zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad“ auf ecoi.net:
„Wie es dazu kam
Am 27. November 2024 startete die militante islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), deren Kontrolle sich bis dahin auf Teile der Provinzen Aleppo und Idlib beschränkt hatte, mit verbündeten Rebellenfraktionen eine Großoffensive im Nordwesten Syriens. Die Rebellen eroberten zunächst Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes. Am 5. Dezember fiel die Stadt Hama und zwei Tage darauf die drittgrößte Stadt Syriens, Homs (BBC, 8. Dezember 2024; siehe auch Der Standard, 8. Dezember 2024, ISPI, 8. Dezember 2024). Unterdessen rückten Rebellenkräfte aus dem Süden Syriens in die Stadt Daraa vor, die eine zentrale Rolle im Aufstand von 2011 spielte, und erlangten die Kontrolle über mehr als 90 Prozent der Provinz, während sich die Regierungstruppen sukzessive zurückzogen (Rudaw, 7. Dezember 2024). In Sweida übernahmen drusische Fraktionen die Verwaltung der Region und festigten damit die oppositionellen Strukturen im Süden des Landes (Al-Jazeera, 10.Dezember 2024). Diese Gruppen formierten die „Southern Operations Room“, um den Aufstand zu koordinieren, und waren die ersten, die in Damaskus eintrafen (The Guardian, 9. Dezember 2024). Nach dem Eintreffen von HTS in der Hauptstadt zogen sie sich jedoch nach Daraa zurück (France 24, 8. Jänner 2025). Am 8. Dezember 2024 erklärten die Rebellen den Sieg in Damaskus. Der syrische Präsident Baschar al-Assad verließ noch am selben Tag das Land und beantragte Asyl in Russland, wo ihm Aufnahme gewährt wurde (Tagesschau, 8. Dezember 2024).
Wer sind die wichtigsten Rebell·innengruppen?
Die syrischen Gruppen, die Al-Assad gestürzt und die Hauptstadt Damaskus eingenommen haben, sind heterogen (ARD, 8. Dezember 2024) mit teils gegensätzlichen Ideologien und langfristigen Zielen (DW, 9. Dezember 2024; Reuters, 9. Dezember 2024):
Hayat Tahrir al-Scham (HTS)
Die mächtigste Gruppe in Syrien, die den Vormarsch der Rebellen anführte, ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Sie begann als offizieller al-Qaida-Ableger in Syrien unter dem Namen Nusra-Front und verübte bereits zu Beginn des Aufstands gegen Assad Angriffe in Damaskus. Die Gruppe durchlief mehrere Namensänderungen und gründete schließlich als die HTS eine Regierung in der Provinz Idlib, im Nordwesten Syriens. Die USA, Türkei und andere stuften die HTS und ihren Anführer, Ahmed al-Scharaa (auch Abu Mohammed al-Dscholani genannt), als Terroristen ein (Reuters, 8. Dezember 2024; siehe auch: BBC, 8. Dezember 2024, DW, 9. Dezember 2024).
Syrische Nationalarmee (SNA)
Die Syrische Nationalarmee (SNA) ist eine zersplitterte Koalition unterschiedlicher bewaffneter Gruppen (DW, 9. Dezember 2024), die mit direkter türkischer Militärunterstützung einen Gebietsabschnitt entlang der syrisch-türkischen Grenze halten (Reuters, 8. Dezember 2024). Trotz interner Spaltungen pflegen viele SNA-Fraktionen enge Bindungen zur Türkei, wie die Sultan-Suleiman-Schah-Brigade, die al-Hamza-Division und die Sultan-Murad-Brigade. Andere Fraktionen der Gruppe versuchen trotz ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei ihre eigenen Prioritäten durchzusetzen (DW, 9. Dezember 2024). Als die HTS und verbündete Gruppen aus dem Nordwesten Anfang Dezember auf von Assads Regierung kontrolliertes Gebiet vorrückten, schloss sich ihnen auch die SNA an und kämpfte im Nordosten gegen Regierungstruppen wie auch kurdisch geführte Kräfte (Reuters, 8. Dezember 2024).
Der Vormarsch der Rebellen gegen Assads Regierungstruppen wurde Berichten zufolge von der Türkei mit unterstützt (ARD, 8. Dezember 2024).
Syrische Demokratische Kräfte (SDF)
Die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) sind ein Bündnis kurdischer und arabischer Milizen, das von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wird. Die SDF kontrollieren den größten Teil Syriens östlich des Euphrat, sowie einige Gebiete westlich des Flusses. Mit der aktuellen Offensive kam es auch zu Kämpfen zwischen den SDF und der SNA (Reuters, 8. Dezember 2024). Mit 11. Dezember verloren die SDF die Kontrolle über die Stadt Manbidsch. (SOHR, 11. Dezember 2024).
Sonstige
Neben den genannten Gruppen gibt es in Syrien eine Vielzahl lokaler Gruppierungen, die sich gegen al-Assad gestellt haben. Diese vertreten ein breites Spektrum islamistischer und nationalistischer Ideologien. Im Norden schlossen sich einige von ihnen dem Militäroperationskommando der HTS an. Im Süden dominierende Gruppen erhoben sich in der aktuellen Situation und nahmen den Südwesten Syriens ein (Reuters, 8. Dezember 2024). Die in den südlichen Provinzen aktiven Gruppen gründeten zu diesem Zweck die Koalition „Southern Operations Room“ (The Guardian, 9. Dezember 2024).
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Mohammed Al-Baschir, der bis zum Sturz Baschar Al-Assads die mit Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) verbundene Syrischen Heilsregierung im Nordwesten Syriens geleitet hatte, wurde am 10. Dezember 2024 als Interimspremierminister mit der Leitung der Übergangsregierung des Landes bis zum 1. März 2025 beauftragt (MEE, 10. Dezember 2024; siehe auch: Al Jazeera, 10. Dezember 2024). Die Minister der Syrischen Heilsregierung übernahmen vorerst die nationalen Ministerposten. Laut dem Congressional Research Service (CRS) seien einige Regierungsbeamt·innen und Staatsangestellte der ehemaligen Regierung weiterhin im Regierungsapparat beschäftigt (CRS, 13. Dezember 2024). Am 21. Dezember ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Schibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister. Beide seien Verbündete des HTS-Anührers Ahmed Al-Scharaa (Al-Jazeera, 21. Dezember 2024). Am 29. Dezember legte Al-Scharaa in einem Interview mit dem saudischen Fernsehsender Al-Arabiyya dar, dass es bis zu vier Jahren dauern könne, bis Wahlen stattfinden werden, da die verschiedenen Kräfte Syriens einen politischen Dialog führen und eine neue Verfassung schreiben müssten (AP, 29. Dezember 2024).
Am 29. Jänner 2025 wurde Ahmed Al-Scharaa, der seit dem Sturz von Baschar Al-Assad faktisch das Land geleitet hatte, zum Übergangspräsidenten in Syrien ernannt. Gleichzeitig wurde die Verfassung von 2012 außer Kraft gesetzt und das alte Parlament aufgelöst (Tagesschau, 29. Jänner 2025).
Bereits am 17. Dezember erklärte Al-Scharaa, dass alle Rebellenfraktionen aufgelöst und in die Reihen des Verteidigungsministeriums integriert würden (The Guardian, 17. Dezember 2024). AFP berichtete am 8. Jänner, dass laut einem Sprecher des Southern Operations Room die Kämpfer Südsyriens nicht mit einer Auflösung ihrer Gruppen einverstanden seien. Sie könnten sich jedoch eine Integration in das Verteidigungsministerium in ihrer momentanen Form vorstellen(France24, 8. Jänner 2025). Am 18. Februar stimmten die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) zu ihre Streitkräfte und zivile Institutionen in die neue syrische Regierung zu integrieren (The New Arab, 18. Februar 2025).
Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 Personen, die zu Kommandeuren der neuen syrischen Armee ernannt wurden, veröffentlicht. Unter den Namen seien einige Mitglieder der HTS, sowie ehemalige Armeeoffiziere, die zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs desertierten. Laut Haid Haid, beratender Mitarbeiter beim britischen Think Tank Chatham Haus, wurden die sieben höchsten Ränge von HTS-Mitgliedern besetzt. Laut einem weiteren Experten seien auch mindestens sechs Nicht-Syrer unter den neuen Kommandeuren (France24, 30. Dezember 2024).
Die neue Führung hatte sich seit ihrer Machtübernahme verpflichtet, die Rechte der Minderheiten zu wahren (The New Arab, 7. Jänner 2025). Anfang Jänner kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung auf seiner Facebook-Seite einen neuen Lehrplan für alle Altersgruppen an, der eine stärker islamische Perspektive widerspiegelt und alle Bezüge zur Assad-Ära aus allen Fächern entfernt. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehörte unter anderem die Streichung der Evolutionstheorie und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht. Aktivist·innen zeigten sich besorgt über die Reformen (BBC News, 2. Jänner 2025).
Al-Scharaa kündigte weiters Pläne für eine Nationale Dialogkonferenz an, die darauf abzielen sollte, Versöhnung und Inklusion zu fördern (Levant24, 29. Dezember 2024). Die ursprünglich für Anfang Jänner 2025 angesetzte Konferenz wurde jedoch verschoben, um ein erweitertes Vorbereitungskomitee einzurichten, das eine umfassende Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen in Syrien gewährleisten soll (Al-Mayadeen, 23. Jänner 2025). Die Konferenz fand schließlich am 25. Februar statt und brachte 600 Konferenzteilnehmer·innen aus unterschiedlichen syrischen Gemeinschaften zusammen. Verschiedene syrisch-kurdische Gruppen behaupteten, sie seien entweder nicht eingeladen worden oder hätten sich gegen eine Teilnahme entschieden. Einige Teilnehmer·innen hätten auf den Mangel an Transparenz hinsichtlich der Kriterien für die Auswahl der Teilnehmer·innen hingewiesen und kritisiert, dass Teilnehmer·innen ihre Einladung lediglich einen Tag vor der Tagung erhalten hätten. Die Konferenz selbst habe nur einen Tag gedauert. Am Ende der Konferenz wurde eine Erklärung vorbereitet, in der unter anderem die Ablehnung jeglicher Form von Diskriminierung, die Achtung der Menschenrechte und das Prinzip der friedlichen Koexistenz betont wurden (DW, 26. Februar 2025),
Al-Scharaa kündigte am 2. März die Bildung eines Ausschusses an, der eine Verfassungserklärung für die Übergangsphase des Landes ausarbeiten soll (France 24, 2. März 2025).
Am 7. und 8. März kam es laut der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zu 30 „Massakern“ an Alawit·innen an der Westküste Syriens, bei denen in etwa 746 Zivilist·innen getötet wurden. Zusammen mit der Zahl der getöteten Kämpfer, die sich sowohl aus Pro-Assad-Kämpfern, wie auch aus Kämpfern der neuen Regierung zusammensetzte, stieg die Gesamtzahl der Toten auf über 1.000 Personen. Präsident Al-Scharaa rief zu Frieden und Einheit auf und versprach, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Er ging jedoch nicht direkt auf die Vorwürfe ein, dass seine Anhänger an den Morden an Zivilist·innen beteiligt waren (BBC News, 9. März 2025).
Kontrolle der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) und der Syrischen Demokratischen Kräften (SDF)
Die von der Türkei unterstütze Syrische Nationalarmee (SNA) führte ihre Offensive gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und das Gebiet der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) fort. Die SNA nahm in den vergangenen Tagen Gebiete der nordwestlichen Region Shahba sowie die Stadt Manbidsch ein. Mit 10. Dezember griffen SNA-Kämpfer den strategisch wichtigen, kurdisch-kontrollierten Tischreen-Staudamm in der Provinz Aleppo an (Rudaw, 10. Dezember 2024), und rückten auf die Stadt Kobane vor (Al-Monitor, 10. Dezember 2024). Am 11. Dezember kam es nach Vermittlungen der US-Behörden zu einem Waffenstillstand in der Stadt Manbidsch. Das Abkommen sieht den Abzug der (mit den SDF verbundenen) „Manbij Military Council Forces“ vor (SOHR, 11. Dezember 2024). Am 17. Dezember wurde dieser Waffenstillstand bis zum Ende derselben Woche verlängert (Reuters, 17. Dezember 2024). Am 18. Dezember trat ein Waffenstillstandsabkommen in der Region Ain Al-Arab (auch Kobani) in Kraft (SOHR, 18. Dezember 2024). Die SDF warfen der Türkei und ihren Verbündeten vor, sich nicht an das Waffenstillstandsabkommen zu halten und ihre Angriffe südlich von Kobani fortzusetzen. Zur gleichen Zeit gingen Einwohnerinnen der nordostsyrischen Stadt Qamischli auf die Straße, um den Widerstand der SDF gegen die Angriffe protürkischer Kämpfer in der Region zu unterstützen (France24, 19. Dezember 2024). Am 21. Dezember wurden laut SDF fünf ihrer Kämpfer bei Angriffen von der Türkei unterstützten Streitkräften auf die Stadt Manbidsch getötet (Reuters, 21. Dezember 2024). Das Pentagon erklärte am 30. Dezember, dass der Waffenstillstand zwischen der Türkei und den von den USA unterstützten SDF rund um die Stadt Manbidsch anhält (Reuters, 30. Dezember 2024). Am selben Tag behauptete die SDF, dass die Türkei zwei Militärstützpunkte in der Nähe von Manbidsch aufbaut und mehrere Militärfahrzeuge und Radarsysteme von den SDF zerstört wurden (Rudaw, 30. Dezember 2024). Zur gleichen Zeit kam es zu erneuten Schusswechseln zwischen von der Türkei unterstützen Streitkräften und den SDF. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) griffen türkische Streitkräfte und mit ihnen verbündete bewaffnete Gruppen das Dorf al-Terwaziyah südlich von Slouk im ländlichen Raqqa mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren an, was anschließend zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Spezialeinheiten der SDF drangen in Stellungen der von der Türkei unterstützen Fraktionen im Dorf Al-Reyhaniyah in der Nähe von Tel Tamer in der Provinz Hasaka ein (Kurdistan24, 30. Dezember 2024). Anfang Jänner kamen bei Zusammenstößen in mehreren Dörfern rund um die Stadt Manbidsch über hundert Menschen ums Leben (The New Arab, 5. Jänner 2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von heftigen Kämpfen in der Region von Manbidsch zwischen der SNA und der SDF und steigenden Opferzahlen (Shafaq News, 9. Jänner 2025).
Human Rights Watch beschuldigt die Koalition der Türkei und SNA, am 18. Jänner ein Kriegsverbrechen begangen zu haben, nachdem eine Drohne einen Krankenwagen des kurdischen Roten Halbmonds traf (HRW, 30. Jänner 2025).
Mit 21. Jänner kommt es zu weiteren Zusammenstößen zwischen SNA und SDF. SOHR schätzt, dass zwischen 12. Dezember und 18. Jänner mindestens 423 Menschen im SNA-SDF-Konflikt getötet wurden; 41 davon Zivilist·innen, 308 SNA-Kämpfer·innen und 74 SDF-Kämpfer·innen (The New Arab, 21. Jänner 2025). Die Kämpfe setzten sich im Februar (BBC News, 26. Februar 2025) und bis Anfang März fort (North Press Agency, 1. März 2025).
Am 11. Dezember übernahm die Koalition ehemaliger oppositioneller Kräfte unter der Führung der HTS die vollständige Kontrolle über die ostsyrische Stadt Deir ez-Zor (Al Jazeera, 11. Dezember 2024). Im Osten der Provinz Deir ez-Zor kam es zu Demonstrationen und der Forderung, die von HTS geführten Streitkräfte sollten die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Einige Kommandanten der SDF seien in Folge desertiert (Syria Direct, 13. Dezember 2024).
Ende Februar begannen die kurdisch geführten Behörden im Nordosten Syriens, Öl aus den von ihnen verwalteten lokalen Feldern an die Zentralregierung in Damaskus zu liefern (Reuters, 22. Februar 2025).
Israelische Angriffe in Syrien
Die israelische Luftwaffe und Marine führten zwischen 7. und 11. Dezember mehr als 350 Angriffe in Syrien durch und zerstörten dabei schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der strategischen Militärgüter Syriens zwischen Damaskus und Latakia. Die israelischen Streitkräfte haben außerdem Bodentruppen aus den von Israel besetzten Golanhöhen nach Osten in eine entmilitarisierte Pufferzone in Syrien sowie, laut israelischen Angaben, auch knapp darüber hinaus verlegt (BBC News, 11. Dezember 2024). Laut arabischen Medien rückten israelische Streitkräfte bis in ländliche Gebiete der Provinz Damaskus vor. Dies wurde von israelischer Seite dementiert (Enab Baladi, 10. Dezember 2024; Reuters, 10. Dezember 2024). In der Nacht vom 14. zum 15. Dezember griff Israel Dutzenden Ziele in Syrien aus der Luft an. Den Luftangriffen ging eine Erklärung des israelischen Verteidigungsministers voraus, wonach die israelischen Truppen auf dem in der vergangenen Woche eingenommenen Berg Hermon (Arabisch: Jabel Sheikh) den Winter über verbleiben würden. Israels Ministierpräsident gab weiters bekannt, dass er einem Plan zur Ausweitung des Siedlungsbaus auf den von Israel besetzten Golanhöhen zugestimmt habe (The Guardian, 15. Dezember 2024; siehe auch: BBC News, 15. Dezember 2024). Am 20. Dezember schossen israelische Streitkräfte auf Demonstrant·innen in einem Dorf in der Gegend von Maariya im Süden Syriens, die gegen die Aktivitäten der Armee protestierten, und verletzten dabei einen Demonstranten. Die israelischen Streitkräfte operierten auch in syrisch kontrollierten Gebieten außerhalb der Pufferzone (The Guardian, 21. Dezember 2024). Am 29. Dezember griff Israel ein Waffendepot nahe der Stadt Adra an. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei dem Angriff mindestens 11 Personen, hauptsächlich Zivilist·innen, getötet (Euro News, 29. Dezember 2024). Laut syrischen Medien drang die israelische Armee am 30. Dezember tief in das Gebiet Quneitra vor und vertrieb Angestellte aus Regierungsbüros (Shafaq News, 30. Dezember 2024).
Am 23. Jänner veröffentlicht BBC News Satellitenbilder, die Bauarbeiten der Israelischen Armee innerhalb der entmilitarisierten Pufferzone, die die von Israel besetzten Golanhöhen von Syrien trennt, zeigen (BBC News, 23. Jänner 2025).
Ende Februar griffen israelische Kampfflugzeuge militärische Ziele außerhalb von Damaskus und im Süden Syriens an. Gleichzeitig forderte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die vollständige Entmilitarisierung Südsyriens (The Guardian, 25. Februar 2025).
Erklärungen der UN-Organisationen (Sicherheit, Sozioökonomische Situation, Flüchtlinge)
Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet, dass zwischen dem Beginn der Offensive am 27. November und dem 11. Dezember etwa eine Million Menschen aus den Provinzen Aleppo, Hama, Homs und Idlib vertrieben wurden. Es liegen keine Zahlen vor, aber Berichten zufolge kehrten im selben Zeitraum tausende syrische Flüchtlinge aus dem Libanon ins Land zurück. Auch aus der Türkei kehrten Flüchtlinge in den Nordwesten Syriens zurück. Gleichzeitig flohen einige Syrer·innen in den Libanon (UNHCR, 11. Dezember 2024).
Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher berichtet am 17. Dezember über kritische Engpässe bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Vorräten aufgrund unterbrochener Handelsrouten und Grenzschließungen (UN News, 17. Dezember 2024).
Laut UNICEF benötigen 7,5 Million Kinder in Syrien humanitäre Hilfe. Mehr als 2,4 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und eine weitere Million Kinder laufen Gefahr, die Schule abzubrechen. Auch die Gesundheitsversorgung sei fragil. Fast 40 Prozent der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen sind teilweise oder vollständig funktionslos. Fast 13,6 Millionen Menschen benötigen Wasser, Sanitäranlagen und Hygienedienste; und 5,7 Millionen Menschen, darunter 3,7 Millionen Kinder, benötigen Ernährungshilfe (UNICEF, 18. Dezember 2024).
Die UN berichtet, dass es in der Woche vom 23. Dezember weiterhin zu Feindseligkeiten und Unsicherheiten in den Provinzen Aleppo, Homs, Hama, Latakia, Tartus, Deir-ez-Zor und Quneitra kam. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage waren humanitäre Einsätze mit 30. Dezember in mehreren Gebieten weiterhin ausgesetzt. Im November hatten rund zwei Millionen Menschen in ganz Syrien Nahrungsmittelhilfe in unterschiedlicher Form erhalten. Die instabile Sicherheitslage in den ländlichen Gebieten von Hama, Quneitra, Lataka und Tartous beeinträchtigte die Möglichkeit des Schulbesuchs für Kinder (UN News, 30. Dezember 2024).
Mit 29. Dezember haben 94 der 114 von UNHCR unterstützten Gemeindezentren in ganz Syrien ihre Arbeit wiederaufgenommen. Seit dem 27. November haben sich 58.500 Personen an die Gemeindezentren gewandt, um sich anzumelden und um Zugang zu Schutzdiensten zu erhalten. Laut UNHCR kehrten zwischen 8. und 29. Dezember 58.400 Personen nach Syrien (hauptsächlich aus dem Libanon, Jordanien und der Türkei) zurück. Seit Anfang 2024 (bis zum 29. Dezember) kehrten ungefähr 419.200 syrische Flüchtlinge zurück; die Mehrheit von ihnen nach Raqqa (25%), Aleppo (20%) und Daraa (20%) (UNHCR, 30. Dezember 2024).
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, erklärte in seinem Briefing an den UN-Sicherheitsrat am 8. Jänner 2025, dass sich die Sicherheitssituation in einigen Regionen zwar verbesserte, es jedoch weiterhin zu Unruhen in den Küstenregionen, Homs und Hama kam. Bewaffnete Gruppen, darunter das Terrornetzwerk Islamischer Staat – und über 60 Gruppen mit widersprüchlichen Agenden – stellten ebenfalls eine anhaltende Bedrohung für die territoriale Integrität Syriens dar. Pederson berichtete weiters über den oben beschriebenen Konflikt zwischen SNA und SDF, sowie die Verstöße Israels. Auch die humanitäre Lage war nach wie vor kritisch: Fast 15 Millionen Syrer·innen benötigten Gesundheitsversorgung, 13 Millionen waren von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen und über 620.000 waren Binnenflüchtlinge. Die am Tischreen-Staudamm verursachten Schäden schränkten die Wasser- und Stromversorgung für mehr als 400.000 Menschen ein (UN News, 8. Jänner 2025).
Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) teilte am 30. Jänner mit, dass über 25.000 Menschen aus der nordöstlichen Stadt Manbidsch vertrieben worden seien. Speziell in Ost-Aleppo und rund um den Tischreen-Staudamm kam es zu Kämpfen. Infolge der eskalierenden Gewalt sei die Zahl der Neuvertriebenen bis zum 27. Januar auf 652.000 gestiegen. Die humanitäre Hilfe wurde durch einen Mangel an öffentlichen Dienstleistungen und Liquiditätsengpässen schwer beeinträchtigt. In Städten wie Homs und Hama gebe es alle acht Stunden nur 45 bis 60 Minuten lang Strom (UN News, 30. Jänner 2025).
Mitte Februar erklärte OCHA, dass die humanitäre Hilfe für Syrien erheblich unterfinanziert ist. Bis März wurden weniger als 10 Prozent der benötigten 1,2 Milliarden Dollar bereitgestellt. Gleichzeitig kommt es in Teilen Nordostsyriens, speziell in Ost-Aleppo, Raqqa, und Hasakah, weiterhin zu Zusammenstößen und Angriffen mit Sprengsätzen (OCHA, 12. Februar 2025).
Mit 26. Februar erreicht die humanitäre Hilfe, laut UN, viele Gemeinden, doch schränken Kämpfe den Zugang zu Hilfe in mehreren Regionen im Osten Aleppos ein (UN News, 26. Februar 2025).
Weiteres
Human Rights Watch bestätigt am 16. Dezember den Fund eines Massengrabs im südlichen Damaskus (HRW, 16. Dezember 2024).
Am 18. Dezember startete der erste kommerzielle Flug seit dem Sturz von Baschar Al-Assad, ein Inlandsflug nach Aleppo, vom Flughafen Damaskus (Al-Jazeera, 18. Dezember 2024).
Am 27. Dezember töteten Anhänger von Baschar Al-Assad 14 Menschen bei Zusammenstößen mit Soldaten der neuen Regierung im Westen des Landes, nahe der Stadt Tartus (BBC News, 27. Dezember 2024).
Am 7. Jänner 2025 landete der erste internationale Flug seit der Absetzung von Al-Assad auf dem internationalen Flughaften von Damaskus (Al-Jazeera, 7. Jänner 2025).
Anfang Jänner erteilten die USA eine sechsmonatige Ausnahme von den Sanktionen, eine sogenannte Generallizenz, um humanitäre Hilfe nach dem Ende der Herrschaft von Bashar al-Assad in Syrien zu ermöglichen. Die Ausnahme, die bis zum 7. Juli gültig ist, erlaubt bestimmte Transaktionen mit Regierungsinstitutionen, darunter Krankenhäuser, Schulen und Versorgungsunternehmen auf Bundes-, Regional- und lokaler Ebene sowie mit mit den HTS verbundenen Einrichtungen in ganz Syrien. Zwar wurden keine Sanktionen aufgehoben, die Lizenz erlaubt jedoch auch Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkauf, der Lieferung, der Speicherung oder der Spende von Energie, einschließlich Erdöl und Strom, nach oder innerhalb Syriens. Darüber hinaus erlaubt sie persönliche Überweisungen und bestimmte energiebezogene Aktivitäten zur Unterstützung der Wiederaufbaubemühungen (Reuters, 6. Jänner 2025). Nach der Ausnahme von den Sanktionen kündigte Katar eine Hilfe bei der Finanzierung einer 400-prozentigen Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Sektor an, die die syrische Übergangsregierung zugesagt hatte (Reuters, 7. Jänner 2025).
Am 29. Jänner wurde die syrische Baath-Partei, die mit Baschar Al-Assad verbunden war, verboten und der 8. Dezember wurde zum neuen Nationalfeiertag des Landes ernannt (Tagesschau, 29. Jänner 2025).“
Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024:
„Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Allgemeine Informationen (letzte Änderung: 13.03.2024)
Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen (NMFA 6.2021). Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, und Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte. Diese Risiken steigen unvermeidlicherweise angesichts von mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, die im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es einen Anstieg an Selbstmorden unter Frauen und Mädchen, was laut ExpertInnen auf den fehlenden Zugang von Heranwachsenden zu Möglichkeiten und entsprechenden Hilfsleistungen liegt (UNFPA 28.3.2023).
Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt (FH 9.3.2023). Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen (UNFPA 28.3.2023).
Frühe Heiraten nehmen zu (UNFPA 28.3.2023): In Syrien lässt sich in den letzten Jahren ein sinkendes Heiratsalter von Mädchen beobachten, weil erst eine Heirat ihnen die verloren gegangene, aber notwendige rechtliche Legitimität und einen sozialen Status, d. h. den 'Schutz' eines Mannes, zurückgibt (ÖB Damaskus 1.10.2021), denn die Angst vor sexueller Gewalt und ihr Stigma könnte die Mädchen zu Ausgestoßenen machen. Überdies müssen die Eltern durch eine möglichst frühe Verheiratung ihrer Töchter nicht mehr für deren Unterhalt aufkommen. Die Verheiratung von Minderjährigen gilt als die häufigste Form von Gewalt gegen heranwachsende Mädchen. Einige Frauen und Mädchen werden auch gezwungen, die Täter, welche ihnen sexuelle Gewalt angetan haben, zu heiraten. Bei Weigerung droht Isolation, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können, bzw. kann ein 'Ehrenmord' drohen. Hintergrund ist, dass rechtliche Mittel gegen den Täter zuweilen nicht leistbar sind, und so mangels eines justiziellen Wegs die Familien keine andere Möglichkeit als eine Zwangsehe sehen (UNFPA 28.3.2023). Dieses Phänomen ist insbesondere bei IDPs (FH 9.3.2023) (und Flüchtlingen in Nachbarländern) zu verzeichnen. Das gesunkene Heiratsalter wiederum führt zu einem Kreislauf von verhinderten Bildungsmöglichkeiten, zu frühen und mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaften und in vielen Fällen zu häuslicher und sexueller Gewalt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Auch geschiedene oder verwitwete Frauen gelten als vulnerabel, denn sie können Druck zur Wiederverheiratung ausgesetzt sein (UNFPA 28.3.2023). Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Bereits vor 2011 waren Frauen aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Es wird angenommen, dass konservative Bräuche, die Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zuweisen, für viele Syrer maßgeblicher waren als das formale Recht (FH 3.3.2010). Doch selbst die formellen Gesetze legen für Frauen nicht denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte fest wie für Männer, obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht (USDOS 20.3.2023). Frauen werden vor allem durch das Personenstandsgesetz bezüglich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft weiterhin diskriminiert (HRW 11.1.2024).
Per legem haben Männer und Frauen dieselben politische Rechte. Der Frauenanteil im syrischen Parlament liegt je nach herangezogener Quelle zwischen 11,2 und 13,2 %. Auch manche der höheren Regierungspositionen werden derzeit von Frauen besetzt. Allerdings sind sie im Allgemeinen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und haben wenig Möglichkeiten, sich inmitten der Repression durch Staat und Milizen unabhängig zu organisieren. Im kurdisch-geprägten Selbstverwaltungsgebiet werden alle Führungspositionen von einem Mann und einer Frau geteilt, während außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).
Die Gewalt zusammen mit bedeutendem kulturellem Druck schränkt stark die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten ein. Zusätzlich erlaubt das Gesetz, bestimmten männlichen Verwandten Frauen ein Reiseverbot aufzuerlegen. Bewegungseinschränkungen wurden einem UN-Bericht von Februar 2022 zufolge in 51 % der untersuchten Orte ermittelt (USDOS 20.3.2023). Obwohl erwachsene Frauen keine offizielle Genehmigung brauchen, um das Land zu verlassen, reisen viele Frauen in der Praxis nur dann ins Ausland, wenn der Ehemann oder die Familie dem zugestimmt hat (NMFA 5.2022). […]
Alleinstehende Frauen
Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Die gesellschaftliche Akzeptanz alleinstehender Frauen ist jedoch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen (STDOK 8.2017). Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Mädchen, Witwen und Geschiedene werden als besonders gefährdet eingestuft. Auch Überlebende sexueller Gewalt sind besonders vulnerabel (UNFPA 10.3.2019, vgl. für aktuelle Beispiele UNFPA 28.3.2023). Vor 2011 war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich, allein zu leben, z. B. für Frauen mit Arbeit in städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konflikts ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat. In den meisten Fällen würde eine Frau nach einer Scheidung zu ihrer Familie zurückkehren. Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, ihrer individuellen Situation und ihren bisherigen Erfahrungen ab. Für ältere Frauen, die immer zu Hause waren, ist es beispielsweise schwierig, Zugang zu Dokumenten zu erhalten, wenn sie nicht von jemandem begleitet werden, der mehr Erfahrung mit Behördengängen hat (STDOK 8.2017). Die Wahrnehmung alleinstehender Frauen durch die Gesellschaft variiert von Gebiet zu Gebiet, in Damaskus-Stadt gibt es mehr gesellschaftliche Akzeptanz als in konservativeren Gebieten (SD 30.7.2018).
Da die syrische Gesellschaft als konservativ beschrieben wird, gibt es strenge Normen und Werte in Bezug auf Frauen, obwohl es durchaus auch säkulare Einzelpersonen und Familien gibt. Es gibt zwar keine offizielle Kleiderordnung, bestimmte gesellschaftliche Erwartungen bestehen aber dennoch. In den Großstädten wie Damaskus oder Aleppo und in der Küstenregion haben Frauen mehr Freiheiten, sich modern zu kleiden. Trotzdem kann die eigene Familie einer Frau in dieser Hinsicht ein hinderlicher Faktor sein (NMFA 5.2022).
In Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand besteht ein höheres Risiko, sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, insbesondere für die Mädchen in diesen Familien. Witwen und geschiedene Frauen sind in der Gesellschaft mit einem sozialen Stigma konfrontiert (NMFA 5.2020). […]
Frauen und medizinische Versorgung
Angesichts der drastisch gekürzten öffentlichen Dienste sind syrische Frauen gezwungen, zusätzliche Aufgaben in ihren Familien und Gemeinden zu übernehmen und haben Berichten zufolge eine führende Rolle im informellen humanitären Bereich übernommen. Frauen kümmern sich um Verletzte, Behinderte, ältere Menschen und Menschen mit anderen medizinischen Problemen, wenn es keine Gesundheits- und Rehabilitationsdienste mehr gibt. Die Frauen erbringen die medizinische Versorgung entweder in ihren Häusern oder arbeiten als Freiwillige in improvisierten, geheimen Gesundheitszentren [Anm.: in den Oppositionsgebieten] (CARE 3.2016). Gewalt überall im Land macht den Zugang zu Gesundheitsversorgung einschließlich reproduktiver Medizin teuer und gefährlich (USDOS 20.3.2023). So schränkt die HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen ein und unterwirft sie Beschränkungen auch in Bezug auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung (SNHR 25.11.2019).
Syrischen AktivistInnen zufolge verweigerten die Regierung und bewaffnete Extremisten manchmal schwangeren Frauen das Passieren von Checkpoints und zwangen sie, unter oft gefährlichen und unhygienischen Bedingungen und ohne adäquate medizinische Betreuung ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Angriffe des Regimes und Russlands führen dazu, dass Gesundheitseinrichtungen oft im Geheimen operieren oder in einigen Fällen die Arbeit im Land einstellen. Konfliktbedingt ist der Sektor reproduktiver Gesundheit schwer belastet, und die Zahl der Frauen, welche während der Schwangerschaft oder der Geburt sterben, steigt weiterhin. Gemäß UNFPA (United Nations Population Fund) benötigen 7,3 Millionen Frauen und Mädchen Gesundheitsleistungen im Bereich reproduktiver und sexualmedizinischer Medizin wie auch Unterstützung in Fällen geschlechtsbasierter Gewalt, denn physische und sexuelle Gewalt wie auch Kinderheiraten sind im Steigen begriffen (USDOS 20.3.2023). Mit der Ausnahme, dass eine Fortführung der Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährdet, sind Abtreibungen in Syrien nach wie vor illegal (UNFPA 12.2021).
Die Risiken von Kinderheiraten sind für Mädchen beträchtlich: Dazu gehören das erhöhte Risiko sexuell übertragbarer Infektionen, die enormen Gesundheitsrisiken für Mädchen durch frühe Schwangerschaften, das Risiko des Schulabbruchs und zusätzlicher Freiheits- und Bewegungseinschränkungen, das Risiko häuslicher Gewalt (physisch, verbal oder sexuell) und das Risiko, von Freunden und Familie isoliert zu werden. Kinderheiraten und die damit verbundenen Risiken können sich negativ, auch auf die psychische Gesundheit der Mädchen auswirken und zu emotionalen Problemen und Depressionen führen (UNFPA 11.2017) (Anm.: für aktuelle Beispiele für die Gründe von Kinderheiraten siehe UNFPA 28.3.2023). […]
Sexuelle Gewalt gegen Frauen und 'Ehrverbrechen' (letzte Änderung 13.03.2024)
Ausmaß und Berichtslage zu sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen (AA 2.2.2024). Der UN Population Fund (UNFPA) und weitere UN-Organisationen, NGOs und Medien stufen das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt als 'endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert' ein (USDOS 20.3.2023). Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als 'Ernährer der Familie' auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist (ÖB Damaskus 1.10.2021). 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - kommen in ländlichen Gegenden bei fast allen Glaubensgemeinschaften vor (AA 29.3.2023).
Im November 2021 schätzte das Syrian Network for Human Rights (SNHR), dass die Konfliktparteien seit März 2011 sexuelle Gewalt in mindestens 11.526 Fällen verübt haben. Die Regimekräfte und mit ihr verbündete Milizen waren für den Großteil dieser Straftaten verantwortlich - mehr als 8.000 Fälle, darunter mehr als 880 Straftaten in Gefängnissen und mehr als 440 Übergriffe auf Mädchen unter 18 Jahre. Fast 3.490 Fälle sexueller Gewalt wurden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) begangen und 13 Verbrechen durch die Syrian Democratic Forces (SDF) (USDOS 20.3.2023). Die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Jahr 2019, Rückschläge für andere extremistische Gruppen und der Rückgang an Kampfhandlungen haben dazu geführt, dass die Bevölkerung nicht mehr derart den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheit ausgesetzt ist (FH 9.3.2023).
[…]
Sexuelle Gewalt durch bewaffnete Gruppen in Gebieten außerhalb der Regimekontrolle
In den Gebieten unter Kontrolle von oppositionellen Kräften im Norden und Nordwesten Syriens, laufen insbesondere Aktivistinnen erhöhte Gefahr, Opfer von Repressionen zu werden. So gehe, laut Berichten der CoI und des SNHR, z.B. die Türkei-nahe SNA besonders rigoros gegen zivilgesellschaftliche Akteure vor, die sich zu Genderthemen äußern und auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam machen. Sexualisierte Gewalt wird daneben, laut früheren CoI-Berichten, aber auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und durch HTS. Sexualisierte Gewalt wird daneben nach früheren CoI-Berichten auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa den Terrororganisationen Hay'at Tahrir ash-Sham - HTS und IS (AA 2.2.2024). Frauen sind, bzw. waren, zudem in den vom IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Der Niedergang von Recht und Ordnung setzt Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen aus, besonders durch extremistische Gruppen, die der Bevölkerung ihre eigenen Interpretationen des Religionsrechts auferlegen (FH 9.3.2023): Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Mitglieder nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen sind zwar dokumentiert, kommen aber schätzungsweise weniger häufig vor als durch die Regierungstruppen und ihre Verbündeten. Berichten zufolge stehen Fälle von sexueller Gewalt dort im Zusammenhang mit sozialen Phänomenen wie Ausbeutung, Konfessionalismus und Rache, wobei Fälle dokumentiert sind, die Opfer mit kurdischem Hintergrund, vermeintliche Schiiten oder regierungstreue Personen sowie Minderheitengruppen wie Drusen und Christen betreffen (UNCOI 8.3.2018).
Sexuelle Gewalt ebenso wie Ausbeutung und Hürden beim Zugang zu Hilfsleistungen betreffen besonders oft geschiedene Frauen, Witwen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023). Neben Fällen von Versklavung, dem sinkenden Heiratsalter und Fällen von Zwangsheirat wurden offenbar vor allem in IS-kontrollierten Gebieten auch zunehmend Fälle von Genitalverstümmelung beobachtet, eine Praxis, die bis zum Ausbruch der Krise in Syrien unbekannt war und auf die Präsenz von Kämpfern aus Sudan und Somalia zurückzuführen war (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Dazu kamen Berichte aus Afrin über die Auferlegung strenger Bekleidungsvorschriften für Frauen und Mädchen und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit sowie die Belästigung durch Mitglieder der bewaffneten Gruppen, insbesondere beim Passieren von Kontrollpunkten (UNCOI 15.8.2019). Die Angst vor Entführung und sexueller Gewalt wird als ein wichtiger Faktor genannt, der die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen auch in den türkischen Einflussgebieten einschränkt, wobei auch die Angst vor Schande und Stigmatisierung im Zusammenhang mit sexueller Belästigung eine Rolle spielt (UNPFA 10.3.2019) (Anm.: Siehe auch weiter unten).
Ungefähr 12.715 Personen bestehend aus verwitweten und geschiedenen Frauen und Mädchen leben mit ihren Kindern in 42 Witwenlagern, was ihrem Schutz und dem Erhalt ihrer 'Ehre' dienen soll, aber ihre Isolierung basiert auf der Einstellung, dass unverheiratete Frauen Schande über ihre Familie bringen (UNPFA 28.3.2023).
Häusliche Gewalt und Gewalt in der Familie und an öffentlichen Orten sowie Umgang mit Gewaltopfern
Die meisten Fälle von 'Ehrenmorden' stehen im Zusammenhang mit sexueller Gewalt, aber nicht notwendigerweise mit Vergewaltigung: In einigen Fällen sind es Belästigungen oder Übergriffe auf der Straße oder in anderen Fällen die Annahme, dass während der Entführung/Gefangenschaft sexuelle Gewalt stattgefunden habe (UNFPA 3.2019). Ehemalige weibliche Häftlinge leiden unter psychischen Problemen, in vielen Fällen unter schweren körperlichen Verletzungen durch Gewalt, einschließlich gynäkologischer Verletzungen durch sexuelle Gewalt, und unter gesundheitlichen Problemen wie Lungenentzündung und Hepatitis. Darüber hinaus ist die Annahme weit verbreitet, dass weibliche Häftlinge sexuelle Gewalt erfahren haben, was von der Familie und der Gemeinschaft als Schande für die Würde und Ehre des Opfers empfunden werden kann. Diese Stigmatisierung kann Berichten zufolge zu sozialer Isolation, Ablehnung von Arbeitsplätzen, Scheidung, Verstoßung durch die Familie und sogar zu 'Ehrenmorden' führen (UNFPA 11.2017). So bleibt die Gefahr von 'Ehrenmorden' durch Familienmitglieder einer der Gründe, warum sexuelle Gewalt nicht in vollem Ausmaß berichtsmäßig erfasst ist. Tausende Überlebende von Gewalt, sexueller Ausbeutung und Zwangsheiraten wurden von ihren Familien verstoßen (USDOS 20.3.2023). Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (STDOK 8.2017). Frühe und erzwungene Heiraten kommen auch besonders bei Binnenvertriebenen vor, weil die Familien die Ehe unter anderem als Schutz vor der verbreiteten sexuellen Gewalt wahrnehmen (FH 9.3.2023).
Darüber hinaus stellt die Angst vor sozialer Stigmatisierung oder vor der Polizei ein Hindernis für die Anzeige von sexueller Gewalt dar. Einflussreiche Beziehungen der Frau oder des Täters spielen eine große Rolle bezüglich der Wirksamkeit einer solchen Anzeige. Es besteht die Gefahr, dass die Frau beschuldigt wird. Wenn sie einen Vorfall anzeigt - in der Regel gegen ihren Ehemann - ist der soziale Druck, die Anzeige zurückzuziehen, enorm. Es heißt daher, dass Frauen versuchen, häusliche Gewalt innerhalb der Familie zu klären. Welche Hilfe tatsächlich geleistet wird, hängt jedoch von ihrer Familie ab (NMFA 5.2022).
Berichten zufolge kam es seit 2011 zu einem Anstieg an 'Ehrenmorden' infolge des Konfliktes (USDOS 12.4.2022). Drei Organisationen dokumentieren zusammen von 2019 bis November 2022 insgesamt 185 'Ehrenmorde' (USDOS 20.3.2023). Laut dem niederländischen Außenministerium ist es jedoch nicht möglich, das konkrete Ausmaß an Blutfehden und 'Ehrenmorden' in Syrien in absoluten Zahlen auszudrücken. Dass diese vorkommen, wird aber von zahlreichen Quellen und Beispielen aus dem Berichtszeitraum [Anm.: Mai 2021 bis Mai 2022] belegt. Eine Quelle stellt zudem fest, dass sie hauptsächlich in Gebieten vorkommen, in denen Stämme eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. in Suweida und im Nordosten, aber auch, dass sie nicht auf eine spezifische ethnische Gemeinschaft beschränkt sind (NMFA 5.2022).
Insbesondere Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand sind einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt. Darüber hinaus sind unbegleitete Mädchen, Waisen oder solche, die bei Verwandten und nicht bei ihren Eltern leben, Berichten zufolge von sexueller Gewalt bedroht. Syrische Mädchen, die für den UNFPA-Bericht 2017 befragt wurden, berichteten von einem besonderen Risiko sexueller Gewalt auf dem Weg zur oder von der Schule, und diese Risiken sollen oft der Hauptgrund dafür sein, dass Mädchen entweder die Schule abbrechen oder von ihren Eltern aus der Schule genommen werden (UNFPA 11.2017). Für aktuelle Beispiele hierzu siehe UNFPA vom 28.3.2023.
Anzeige und Strafverfolgung
Eine Anzeige wegen sexueller Gewalt in Syrien muss durch ein medizinisches Gutachten eines Gerichtsmediziners untermauert werden, aus dem die Schwere der körperlichen Verletzung hervorgeht. Dieses Verfahren sowie soziale Normen und Stigmata machen es Frauen, die missbraucht wurden, schwer, Hilfe zu suchen (NMFA 6.2021). Zudem besteht das Risiko, dass man ihr die Schuld für das Vorgefallene gibt (NMFA 5.2022). Die Anzeige von Gewalt durch Regierungsbeamte ist noch schwieriger, weil sie rechtlich gegen Anklagen für Handlungen geschützt sind, die sie im Rahmen ihrer Arbeit vornehmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand es wagen würde, Sicherheitsbeamte wegen Gewaltanwendung trotz der Angst vor Verschwindenlassen, der Verhaftung oder der Anschuldigung des Terrorismus anzuzeigen (NMFA 6.2021). Obwohl Vergewaltigung außerhalb der Ehe strafbar ist, setzt die Regierung diese Bestimmungen nicht wirksam um. Darüber hinaus kann der Täter eine Strafminderung erhalten, wenn er das Opfer heiratet, um das soziale Stigma der Vergewaltigung zu vermeiden. Dem stimmen manche Familien wegen des sozialen Stigmas durch Vergewaltigungen zu (USDOS 20.3.2023). Eine Frau in Furcht vor einem 'Ehrverbrechen' kann keinen Schutz von den Behörden wie etwa in Form eines Frauenhauses erwarten. Ihre Optionen für eventuellen Schutz hängen gänzlich von ihren persönlichen und gesellschaftlichen Umständen ab (NMFA 5.2022), denn offizielle Mechanismen zum Schutz von Frauenrechten funktionieren Berichten zufolge nicht (FH 9.3.2023).
Wenn eine Frau aus Anlass angeblicher 'illegitimer sexueller Handlungen' zu Schaden kommt, wird dies aus rechtlicher Sicht seit 2020 nicht mehr als mildernder Umstand anerkannt. Allerdings bleiben andere Gesetze statt des Artikels 548 des Strafgesetzes in Kraft, welche trotzdem eine Strafmilderung erlauben (HRW 11.1.2024). Es kommt nur zu wenigen Strafverfolgungen wegen Mordes oder versuchten Mordes aus Gründen der 'Ehre' (NMFA 5.2022). Auch können sich Vergewaltiger durch die Heirat des Opfers vor Strafe schützen (FH 9.3.2023).
Bei 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - besteht laut deutschem Auswärtigen Amt kein effektiver staatlicher Schutz (AA 29.3.2023). So stellt Vergewaltigung nach syrischem Recht zwar eine Straftat dar, allerdings nicht in der Ehe. Ebenso kennt das syrische Strafrecht keinen expliziten Straftatbestand für häusliche Gewalt (AA 2.2.2024). Es gibt zwar Frauenhäuser in verschiedenen Gegenden des Landes, aber diese sind vor allem für Witwen und geschiedene Frauen gedacht. Auch ist die Suche nach Zuflucht schwierig, denn die Schutz suchenden Frauen müssen in ein anderes Gebiet umziehen und den Kontakt zu ihrer Familie abbrechen. Es gibt zwar Organisationen zur Unterstützung von Frauen in Not, aber die Dauer des Schutzes hängt von der Laufzeit des Projekts ab. Die Wahrscheinlichkeit ist nach Einschätzung des niederländischen Außenministeriums groß, dass die Frauen zu ihren Familien zurückkehren müssen (NMFA 5.2022). Die Finanzierung von Projekten gegen geschlechtsbasierte Gewalt ging im Jahr 2022 zurück - mit Auswirkungen auf die Sicherheit von Frauen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023). […]“
2. Beweiswürdigung
2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und der von der Beschwerdeführerin gesprochenen Sprache stützen sich auf die glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin. Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Person sind gleichbleibend und stringent.
Die Feststellungen zur Einreise der Beschwerdeführerin, ihrer Mutter und ihren Geschwistern ergeben sich aus der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und sind unstrittig.
Die Feststellungen zum Familienstand und der familiären Situation der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren sowie den von ihr im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vorgelegten Dokumente. Die Angaben sind chronologisch stringent und glaubhaft.
Die Feststellungen hinsichtlich der Asylzuerkennung der Mutter der Beschwerdeführerin und ihren Brüdern gründen sich auf die Einsichtnahme in die jeweiligen beim Bundesverwaltungsgericht zu den GZ: W200 2301162-1, W200 2301163-1 und W200 2301271-1 geführten Akten und sind unstrittig.
Dass die Beschwerdeführerin nicht als staatenlose Palästinenserin bei UNRWA registriert ist, ergibt sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in den zu GZ: W200 2301162-1 geführten Akt, aus dem hervorgeht, dass nur die Mutter der Beschwerdeführerin über eine Familienregisterkarte von UNRWA verfügt. Eine Registrierung der Beschwerdeführerin bei UNRWA wurde während des gesamten Verfahrens nicht vorgebracht und kam im Ermittlungsverfahren auch nicht hervor.
Die Feststellungen zum Geburtsort der Beschwerdeführerin und dem Ort, an dem sie aufwuchs, gründen sich auf ihre Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme und der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin führte in der niederschriftlichen Einvernahme am 17.06.2024 aus, in Rif Damaskus gelebt zu haben und 2018 nach XXXX übersiedelt zu sein, wo sie bis zu ihrer Ausreise gelebt habe. Zwar sagte die Beschwerdeführerin im Rahmen dieser Einvernahme auch, dass sie deswegen kein Recht auf einen Ausweis gehabt habe, da sie „nach Idlib gebracht“ worden sei; revidierte dies aber in der Folge zunächst dahingehend, dass sie angab: „Es war nicht die Entscheidung der Mutter, es gab Krieg. Meine Mutter wollte das nicht“ und weiters, dass es zutreffe, dass es ihr (gemeint: der Familie) Beschluss gewesen sei. Die Beschwerdeführerin brachte nicht substantiiert vor, dass sie oder Familienmitglieder unter der Anwendung oder Androhung von Gewalt oder Zwang von XXXX nach Idlib übersiedelt seien. Es ist sohin unstrittig, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie – wenn auch aufgrund des Krieges – aus eigenem Willen nach Idlib übersiedelt sind, wo sie in der Folge noch fünf Jahre lebten, bevor die Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach Europa gingen.
Dass sich XXXX im Gouvernement Idlib unter der Kontrolle der HTS befindet, befindet, ergibt sich aus der Einsichtnahme in die Karte unter https://syria.liveuamap.com/ [Aufruf: 30.04.2025], in Übereinstimmung mit den aktuellen Informationen nach dem Zerfall des Assad-Regimes im Dezember 2024, die durch die mediale Berichterstattung notorisch bekannt sind.
Die Feststellungen zum Schulbesuch der Beschwerdeführerin in Syrien basieren auf ihren glaubhaften Angaben im Verwaltungsakt und sind unstrittig.
Die Feststellungen zu den Familienmitgliedern der Beschwerdeführerin in Syrien und dem Aufenthaltsort ihres Vaters gründen sich auf die glaubhaften und stringenten Angaben der Beschwerdeführerin in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in der die Beschwerdeführerin ebenfalls angab, dass ihr Vater noch in Syrien lebe und sie mit ihm Kontakt habe. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass in der Beschwerde vorgebracht wird, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer hypothetischen Rückkehr in ihren Herkunftsstaat eine alleinstehende Frau ohne effektiven männlichen Schutz wäre, wenn gleichzeitig ihr Vater – und mehrere andere (männliche) Familienmitglieder - in Syrien leben und die Beschwerdeführerin sogar in Kontakt zu ihrem Vater steht.
Dass die Beschwerdeführerin in Österreich strafrechtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug. Die Beschwerdeführerin bestätigte in der mündlichen Verhandlung am 27.12.2024, dass es ihr gut gehe. Daher und mangels vorliegender gegenteiliger Informationen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin arbeitsfähig ist.
2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur Machtübernahme der HTS, dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Assad und der ehemaligen und aktuellen Kontrollsituation ergeben sich aus den dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 11 vom 27.03.2024, enthaltenen Karten, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024, und der Einsichtnahme in die aktuellen Karten der Syria Live Map (https://syria.liveuamap.com/, Aufruf 30.04.2025).
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin weder in Syrien, noch in Österreich politisch aktiv war oder eine politisch exponierte Person war oder ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in den gesamten Verwaltungsakt und dem Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin, dem keine diesbezüglichen Anhaltspunkte zu entnehmen sind.
Aufgrund des Machtwechsels und des Sturzes des Asssad-Regimes hat die Beschwerdeführerin jedenfalls auch keine Verfolgung durch das syrische Regime zu befürchten, weswegen jede weitere Auseinandersetzung mit diesem Fluchtvorbringen unterbleiben konnte.
In der niederschriftlichen Einvernahme gab die Beschwerdeführerin ebenfalls an, dass es Versuche gegeben habe, einen ihrer Brüder für die Freie Syrische Armee (FSA, nunmehr Syrische Nationalarmee, SNA) zu rekrutieren. Weder in der Beschwerde, noch in der niederschriftlichen Verhandlung erwähnte oder konkretisierte die Beschwerdeführerin dieses Vorbringen. Ungeachtet dessen, ob dieses Vorbringen als glaubhaft zu erachten ist oder nicht, steht XXXX im Gouvernement Idlib nicht unter der Kontrolle der SNA. Eine drohende Verfolgung der Beschwerdeführerin aufgrund der Weigerung ihres Bruders, sich der SNA anzuschließen, ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Die Beschwerdeführerin machte im gegenständlichen Verfahren geltend, als alleinstehende und ledige Frau ohne Kinder in Syrien im Falle einer Rückkehr keinen effektiven männlichen Schutz zu haben und im islamisch strenggläubigen HTS-Gebiet schutzlos zu sein. Sie habe sich an die westliche Lebensart gewöhnt, bemühe sich um eine Beschäftigungsaufnahme und besuche einen Deutschkurs.
In der Beschwerde und in der schriftlichen Stellungnahme vom 17.01.2025 wird zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass alleinstehende Frauen in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt seien. Es sei unklar, wie die HTS, die von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft werde, nun vorgehen werde und ob diese tatsächlich moderater geworden sei. Die HTS sei bisher teils brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und sei ua. für Hinrichtungen, außergerichtliche Tötungen, Folter, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen und Anwendung sexualisierter Gewalt verantwortlich. Zudem sei es zu Einschränkungen der Rechte von Frauen gekommen. Gerade sexualisierter Gewalt komme in den von der HTS kontrollierten Gebieten besonders oft vor. Die Beschwerdeführerin wäre daher bei einer Rückkehr als alleinstehende und zurückkehrende Frau erheblicher physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt und würde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel werden.
Wie festgestellt, lebt der Vater der Beschwerdeführerin in dem Dorf XXXX in Rif Damaskus, wo auch die Beschwerdeführerin aufgewachsen ist und die ersten 18 Lebensjahre verbrachte. Die Beschwerdeführerin wäre daher keine alleinstehende Frau, sondern könnte sich im Falle einer Rückkehr auf die Unterstützung bzw. Schutz ihres Vaters und anderer (männlicher) Familienmitglieder verlassen. Mit ihrem Vater hat die Beschwerdeführerin auch gegenwärtig Kontakt. Vor dem Hintergrund, dass der Vater der Beschwerdeführerin in Syrien lebt, ist nicht nachvollziehbar, wie die Beschwerdeführerin zu dem Schluss gelangt, eine alleinstehende Frau zu sein.
Den festgestellten Länderberichten zufolge sind Frauen seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien Menschenrechtsverletzungen und insbesondere sexueller Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt. Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektivem Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat, häusliche Gewalt und Vergewaltigung. Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als „Ernährer der Familie“ auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist.
Allerdings ist den festgestellten Länderberichten nicht zu entnehmen, dass die soziale Gruppe der Frauen in ihrer Allgemeinheit einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Häufiger Stigmatisierung ausgesetzt und anfällig für Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel sind vor allem alleinstehende und geschiedene Frauen ohne männliche Unterstützung durch ihre Familie. Seit Beginn des Konflikts 2011 ist es in Syrien fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat.
Die Beschwerdeführerin machte nicht geltend, dass sie in der Vergangenheit Opfer von geschlechtsspezifischen Bedrohungen geworden wäre. Die Beschwerdeführerin würde vor Ort in der Heimatregion männlichen Schutz durch ihren Vater genießen, der in dem Ort lebt, in dem auch die Beschwerdeführerin aufwuchs. Die Beschwerdeführerin kann sohin nicht als alleinstehende Frau betrachtet werden, sondern würde dem Schutz ihres Vaters unterstehen.
Ihrem Vorbringen, dass sie am Schulbesuch gehindert worden sei, ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin ihren eigenen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme nach deswegen keine weiterführende Schule besuchen konnte, weil sie keinen Ausweis gehabt habe. Für den Ausweis hätte sie nach Damaskus fahren müssen, da sie dort geboren sei; ihr Vater habe dies für zu gefährlich erachtet, da ihr Bruder im Wehrpflichtalter gewesen sei. Weder kann daraus abgeleitet werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Geschlechts am Schulbesuch gehindert worden wäre; noch, dass diese Gefahr weiterhin besteht, da das syrische Regime keine Kontrolle mehr ausübt und die Beschwerdeführerin sich daher einen Ausweis ausstellen lassen kann. Auch kann den Länderberichten nicht entnommen werden, dass Mädchen und Frauen generell am Schulbesuch gehindert würden.
Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr im Falle einer Rückkehr eine Zwangsheirat drohe, da allgemein bekannt sei, dass Mädchen in Syrien mit 15 oder 16 Jahren heiraten sollten, ist beweiswürdigend auszuführen, dass die Beschwerdeführerin einerseits lediglich pauschal und substantiiert behauptet, dass ihr eine Zwangsheirat drohe und ihr Vorbringen überaus vage ist; anderseits aber auch, dass sie sagte, es seien schon Männer gekommen, die sie oder ihre Schwester heiraten haben wollen, aber ihre Mutter sei dagegen gewesen. Die 24-jährige Beschwerdeführerin ist also ihren Angaben nach bereits seit mindestens 8 Jahren in einem Alter, in dem sie in Syrien hätte heiraten sollen. Sie lebte auch die letzten 5 Jahre im HTS-Gebiet und sie bzw. ihre Mutter konnten eine Heirat immer verhindern, da eine Heirat gegen ihren Willen von ihrer Mutter offenbar nicht unterstützt wird. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso die Beschwerdeführerin nun jetzt plötzlich zwangsweise verheiratet werden sollte, wenn sie die letzten Jahre auch einer Heirat entgehen konnte. Zwar ist dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ebenfalls zu entnehmen, dass frühe Heiraten zunähmen, was zu einem Kreislauf von verhinderten Bildungsmöglichkeiten, zu frühen und mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaften und in vielen Fällen zu häuslicher und sexueller Gewalt führen könne; nichtsdestotrotz war das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin zu vage und pauschal und aus diesem Grund nicht glaubhaft. Sie konnte nicht aufzeigen, dass ihr in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsheirat droht.
Daraus folgt im Ergebnis, dass nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Syrien eine sie unmittelbar und konkret betreffende geschlechtsspezifische Gewalt droht.
Der Beschwerdeführerin steht für eine Rückreise sämtliche offene Grenzübergänge des Landes zur Verfügung. Aus dem Themendossier der Staatendokumentation Syrien ergibt sich, dass der internationale Flughafen in Damaskus wieder in Betrieb ist.
Somit war dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer etwaigen sie treffenden Gefahr einer (asylrelevanten) Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Syrien nicht zu folgen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen stützen sich auf die auszugsweise wiedergegeben aktuellen Länderberichte zur Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sowie rezente Medienberichte. Das durch den Machtwechsel überholte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11 vom 27.03.2024, wurde dort zitiert, wo sich trotz dieses Machtwechsels keine wesentliche Änderung ergeben hat und daher nach wie vor von dessen Aktualität auszugehen ist, oder wo es um einen Vergleich mit der Situation vor dem Machtwechsel geht.
Das BVwG hat der Beschwerdeführerin das Länderinformationsblatt und weitere Länderberichte, insbesondere das Themendossier der Staatendokumentation Syrien (Informationssammlung zu Entwicklungen vom Sturz von Präsident Assad) in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der „Rasse“, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist im Übrigen, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie; vgl. VwGH 27.09.2022, Ra 2021/01/0305).
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428, mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss; auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist demnach zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde beziehungsweise des Verwaltungsgerichtes) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Geht die auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen aus, kommt ihr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die betroffenen Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).
Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm – sollte dies der Fall sein – im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. VwGH 25.8.2022, Ra 2021/19/0442, mwN).
Zur Bestimmung der Heimatregion kommt der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat. In Fällen, in denen ein Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung seinen dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hat und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnte (Zustand innerer Vertreibung), ist der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen (vgl. etwa VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192, mwN; 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317; VwGH 24.02.2024; Ra 2023/18/0370).
Zur Beantwortung der Frage, wo sich die Heimatregion des Asylwerbers befindet, bedarf es somit einer Auseinandersetzung damit, welche Bindungen der Asylwerber zu den in Betracht kommenden Städten – etwa in Hinblick auf familiäre und sonstige soziale Kontakte und örtliche Kenntnisse – aufweist (vgl. erneut VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, vgl. jüngst auch VwGH 29.2.2024, Ra 2023/18/0370).
Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin, wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, in dem Dorf XXXX im Gouvernement Rif Damaskus geboren und aufgewachsen. Im Jahr 2018 zog die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie nach XXXX im Gouvernement Idlib. Der Umzug der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Familie erfolgte freiwillig, die Beschwerdeführerin wurde nicht vertrieben. Auch wenn sie und ihre Familie vor dem Krieg flohen, liegt eine zwangsweise Vertreibung nicht vor. Aus diesem Grund war XXXX im Gouvernement Idlib als Heimatregion der Beschwerdeführerin anzusehen.
Aufgrund des Zusammenbruchs des Assad-Regimes ist eine Verfolgung der Beschwerdeführerin durch das ehemalige syrische Regime weder aufgrund ihrer (illegalen) Ausreise, dem Aufenthalt außerhalb Syriens wie auch der Asylantragsstellung in Österreich sowie ihren Angehörigen, nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Zu einer Verfolgung von Rückkehrern durch die aktuelle Regierung unter HTS in Syrien ist festzuhalten, dass eine Verfolgung von Personen allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise durch die syrische Regierung den zugrunde gelegten Länderfeststellungen bzw. Länderberichten nicht zu entnehmen ist. Ebenso wenig genügt eine Asylantragstellung in Österreich für die Asylzuerkennung, weil nicht anzunehmen ist, dass die Antragstellung den syrischen Behörden bekannt ist, zumal es den österreichischen Behörden untersagt ist, diesbezüglich Daten an die syrischen Behörden weiterzuleiten. Zu einer Verfolgung von Rückkehrer durch die aktuelle Regierung unter HTS in Syrien ist festzuhalten, dass die HTS bereits vor der Machtübernahme in Syrien im Dezember 2024 bereits in weiten Teilen Idlibs die Kontrolle innehatten und sich aus den Länderberichten keine Anhaltspunkte für eine gezielte Verfolgung von Rückkehrern in die zuvor bereits unter HTS Kontrolle stehenden Gebiete entnehmen lässt. Eine Verfolgung aufgrund der Eigenschaft als Rückkehrerin durch die HTS ist daher für die Beschwerdeführerin auch nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Status-RL). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002 mwN.).
Auch eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen, zumal die Beschwerdeführerin in Syrien auch über ein familiäres Netzwerk verfügt (vgl. dazu auch VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005). Die Beschwerdeführerin würde im Falle einer hypothetischen Rückkehr über vor Ort in ihrer Heimatregion männlichen Schutz durch ihren Vater sowie weitere (männliche) Familienmitglieder genießen. Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Syrien eine sie unmittelbar und konkret betreffende geschlechtsspezifische Gewalt oder Verfolgung basierend auf der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen droht.
Eine Einreise und Weiterreise ins Herkunftsgebiet ist der Beschwerdeführerin über sämtliche offene Grenzübergänge möglich, ohne dass ihnen dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht (vgl. VfGH 29.06.2023, E 3450/2022: „Im fortgesetzten Verfahren wird daher auch zu prüfen sein, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer erreichbar ist, ohne dass ihm am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 droht.“). Zur Rückkehr in die Herkunftsregion ist auf eine aktuelle Entscheidung des VwGH hinzuweisen, wonach es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen kann, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). Davon ist nach den getroffenen Feststellungen (und der dazugehörigen Beweiswürdigung) im Fall der Beschwerdeführerin jedenfalls auszugehen.
Zudem lässt sich aus der allgemeinen Lage in Syrien konkret für die Beschwerdeführerin kein Status einer Asylberechtigten ableiten. Denn um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Eine solche Gefährdung konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen.
Durch sämtliche Ausführungen der Beschwerdeführerin, auch durch sämtliche Ausführungen in der Beschwerdeschrift, konnte die Beschwerdeführerin das aktuelle Bestehen einer sie unmittelbar und konkret betreffenden asylrelevanten Bedrohung bei einer Rückkehr nach Syrien ausreichend nachvollziehbar nicht darlegen, bzw. das Vorliegen einer solchen ausreichend substantiiert nicht glaubhaft machen. Das Bundesverwaltungsgericht ist im Fall der Beschwerdeführerin insbesondere auch auf die aktuelle oben zitierte Judikatur der Höchstgerichte, wonach zu prüfen ist, ob allenfalls schon beim Grenzübertritt asylrelevante Verfolgung droht bzw. ob die Herkunftsregion erreichbar ist, ohne dass am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 droht, eingegangen und hat diesbezügliche Feststellungen getroffen.
Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen kann daher nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
Die Beschwerde (gegen Spruchpunkt I.) war daher als unbegründet abzuweisen.
Der Vollständigkeit halber wird schließlich festgehalten, dass der allgemeinen Gefährdung der Beschwerdeführerin durch die derzeitige Lage in Syrien im gegenständlichen Verfahren bereits mit der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 durch die belangte Behörde Rechnung getragen wurde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.