Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2021, W105 22467421/2E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A J, vertreten durch die Mag. Wolfgang Auner Rechtsanwalts Kommandit Partnerschaft KG in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Am 14. Jänner 2020 beantragte die Mitbeteiligte, eine serbische Staatsangehörige, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005. Begründend verwies sie darauf, dass sie im selben Monat einen österreichischen Staatsangehörigen geheiratet habe und mit diesem sowie mit ihren Schwiegereltern im Bundesgebiet in einem Haushalt wohne.
2 Mit Bescheid vom 20. August 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen die Mitbeteiligte, stellte die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Serbien fest und legte eine Frist für ihre freiwillige Ausreise fest.
3 In Erledigung der dagegen gerichteten Beschwerde der Mitbeteiligten änderte das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlungden angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 9 Z 1 leg.cit. zurückgewiesen wird und hob diesen im Übrigen zur Gänze (also betreffend die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festlegung der Frist für die freiwillige Ausreise) ersatzlos auf. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die Mitbeteiligte seit Dezember 2019 im Bundesgebiet aufhalte, seit 9. Jänner 2020 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei und mit diesem sowie dessen Eltern und Geschwistern im Bundesgebiet in einem Haushalt lebe. Die Familie ihres Ehegatten komme für die Mitbeteiligte finanziell auf, die zudem aus Serbien Geld von ihren Eltern erhalte. Die Mitbeteiligte sei in Österreich umfassend sozialversichert und halte sich wegen der Überschreitung des nach § 20 SDÜ maximal zulässigen sichtvermerksfreien Aufenthalts von drei Monaten mittlerweile unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Mitbeteiligte sei als Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers eine Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 9 NAG und erfülle insbesondere da iSd § 11 Abs. 3 NAG die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung ihres Privatund Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten seiauch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach dem 1. Teil des NAG, sodass ihr ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ nach § 47 Abs. 2 NAG zukomme. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0389 und VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0009, Rn. 16) seien humanitäre Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 gegenüber solchen nach dem NAG subsidiär, sodass kein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 bestehe und der darauf gerichtete Antrag über den Wortlaut von § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 hinaus auch dann zurückzuweisen sei, wenn ein Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wegen Erfüllung eines besonderen Tatbestandes nach dem NAG vorliege, selbst wenn wie im vorliegenden Fallnoch kein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gestellt und kein diesbezügliches Verfahren anhängig gemacht worden sei. Wie in § 10 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 vorgesehen, hätte demnach gegenüber der Mitbeteiligten auch keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen. Im Ergebnis seien daher in Erledigung der Beschwerde der Antrag der Mitbeteiligten auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zurückzuweisen sowie die Rückkehrentscheidung und die diese voraussetzenden Nebenaussprüche aufzuheben.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Die Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof geführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9Die Amtsrevision behauptet in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit, die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses sei unzureichend, weil aus ihr nicht hinreichend nachvollziehbar hervorgehe, weswegen das Bundesverwaltungsgericht welche Erteilungsvoraussetzung des Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG für gegeben erachte. Insbesondere habe das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen nicht jeder einzelnen der (allgemeinen) Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG hinreichend nachvollziehbar begründet, sondern dieses Vorliegen bejaht, indem es pauschal auf § 11 Abs. 3 NAG verwiesen habe. Eine Beurteilung, ob der Mitbeteiligten ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG tatsächlich zukomme, und ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 deswegen in analoger Anwendung der Bestimmung nach § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 zurückzuweisen sei, sei daher nicht möglich.
10Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch geführt haben. Diesen Erfordernissen wird ein Verwaltungsgericht dann gerecht, wenn sich die seine Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).
11Die Begründungspflicht stellt keinen Selbstzweck dar. Ein Begründungsmangel führt daher nur dann zur Aufhebung der Entscheidung, wenn dadurch entweder die Rechtsverfolgung durch die Parteien oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird (vgl. VwGH 24.2.2023, Ra 2019/22/0107, mwN).
12Vorliegend ist nicht zu sehen, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts diesen Anforderungen nicht entsprechen. Das angefochtene Erkenntnis ist jedenfalls so weit begründet, dass daraus noch hinreichend deutlich hervorgeht, aufgrund welcher Erwägungen das Verwaltungsgericht das Vorliegen der nach der Lage des Falles als bestreitbar in Betracht kommenden Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 2 NAG bejaht hat, zumal der Aufenthaltstitel trotz deren Nichterfüllung gemäß § 11 Abs. 3 NAG, für den Fall dass die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privatund Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, nicht verweigert werden darf, wovon das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis eindeutig ausgeht. Eine Rechtsverfolgung durch die Parteien und eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht maßgeblich beeinträchtigt.
13Im Übrigen lässt das Zulässigkeitsvorbringen, wonach das Verwaltungsgericht das Vorliegen nicht jeder einzelnen der (allgemeinen) Erteilungsvoraussetzungen insbesondere gemäß § 11 NAG für einen Aufenthaltstitel hinreichend nachvollziehbar begründet habe, eine Darlegung der Relevanz dieses Begründungsmangels vermissen (vgl. VwGH 23.5.2024, Ra 2022/21/0111, mwN).
14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
15Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. März 2025